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Nr. 392 Ministerrat, Wien, 21. und 22. September 1863 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • Sammelprotokoll (zuerst als Protokoll I v. 21. 9. 1863 bezeichnet); RS.; P. Ransonnet (21.9.), Hueber (22. 9.); VS. Erzherzog Rainer; BdE. (Erzherzog Rainer 22. 9.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Lichtenfels, Esterházy, Burger, Hein 29. 9.; BdR. Erzherzog Rainer 12. 10.

MRZ. 1195 – KZ. 3167 –

Protokoll des zu Wien am 21. [und 22.] September 1863 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer. [Sitzung vom 21. September 1863] [anw. Erzherzog Rainer, Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Lichtenfels, Esterházy, Burger, Hein; abw. Wickenburg, Forgách]

I. Beginn oder Aufschub der Beratungen über den Staatsvoranschlag im Abgeordnetenhaus

Der Staatsminister referierte, die Arbeiten des Finanzausschusses seien bereits so weit gediehen, daß mit der sukzessiven stückweisen Beratung des Staatsvoranschlages1 im Abgeordnetenhaus begonnen werden könne, und die Majorität des Ausschusses scheint bereits demnächst mit den fertigen Operaten vor das Haus treten zu wollen2. An und für sich betrachtet wäre der Beginn dieser Beratungen im Hause erwünscht, um es nützlich zu beschäftigen und das umfassende Werk des Budgets zu fördern. Allein es fragt sich, wie dies auf verfassungsmäßigem Wege zu ermöglichen sei, nachdem Siebenbürgen nicht nur noch keine Abgeordneten gesendet, sondern selbst deren Sendung noch nicht beschlossen hat, andererseits aber doch die Verhandlungen im siebenbürgischen Landtage bis jetzt einen so erwünschten Gang einhalten, daß von einer Kontumazierung3 Siebenbürgens keine Rede sein kann4. Unter diesen Umständen erübrige kein anderes Auskunftsmittel, als an den Reichsrat eine kaiserliche Botschaft zu erlassen, mittels welcher derselbe unter Angabe der Motive Ah. ermächtigt würde, auf die Behandlung „der Finanzangelegenheiten“ (nicht bloß des Staatsvoranschlages) einzugehen. Im Finanzausschusse macht sich zwar die Meinung geltend, daß der jetzt tagende Reichsrat bereits durch die kaiserliche Thronrede zur verfassungsmäßigen Behandlung des Budgets Ah. ermächtigt worden sei, allein diese Weisung findet weder in dem Wortlaute der kaiserlichen Thronrede noch in den damals bestandenen Ah. Absichten eine Stütze5. Der Passus || S. 308 PDF || lautet nämlich: „Se. k. k. apost. Majestät wünschen und erwarten, daß die Finanzvorlagen, sobald sie an das Abgeordnetenhaus gelangen, geprüft und in vorbereitender Weise beraten werden, indem bis zu dem Zeitpunkte, in welchem die Beschlußfassung eintreten kann, die Teilnahme der Abgeordneten des Großherzogtums Siebenbürgen an den Beratungen des Reichsrates in dieser Session sich gewärtigen läßt.“ Die vorbereitende Beratung fand im Finanzausschuß statt, die definitive Beratung auch nur einzelner Stücke im Abgeordnetenhause würde viel weiter gehen und stillschweigend ein wichtiges Land, in welchem so viele Sachsen und Romanen eine sehr loyale Haltung behaupten, kontumazieren. Der beabsichtigte Ausnahmsakt bedarf dafür einer Ah. Sanktion, welche von den beruhigendsten Erklärungen und Motivierungen in bezug auf Siebenbürgen zu begleiten wäre, damit es nicht den Anschein gewinne, als ob auf das Erscheinen der Abgeordneten aus diesem Land schon verzichtet werde.

Im Laufe der hierüber gepflogenen längeren Beratung äußerte der Finanzminister , man wolle im Abgeordnetenhause der Kompetenzfrage6 gegenwärtig ganz aus dem Wege gehen und ohne Weiterungen zur Beratung über die vorgelegten Teile des Budgets schreiten. Der Minister selbst könne dieses Geschäft nur als eine Vorberatung aoder höchstens als zweite Lesunga im Sinne der Thronrede betrachten, und erst die noch fernestehende Votierung des Finanzgesetzes sei bdurch die sodann stattfindende dritte Lesungb eine definitive Beschlußfassung, wozu die Mitwirkung siebenbürgischer Abgeordneter erforderlich wäre. cEin derlei Vorgang, wobei nunmehr alleinlich die einzelnen Ausschußberichte im Hause zur Verhandlung getragen würden, sei durchaus kein die zur Reichsratsbeschickung geneigten Siebenbürger disgustierender Akt und gewiß weit weniger ostensibel als eine kaiserliche Proklamation, welche erklärt, daß nunmehr auch ohne die Siebenbürger in die endgiltige Budgetdebatte eingegangen werdec . Von einem eigenmächtigen Eingriff des Abgeordnetenhauses dürfte ebenfallsd keine Rede sein, zumale wenn der Finanzminister, fan der Ah. Ermächtigung vom 13. Juli d. J. der Budgeteinbringung zur verfassungsmäßigen Behandlung festhaltendf an der Ah. Ermächtigung vom 13. Juli d. J.7 der Budgeteinbringung zur verfassungsmäßigen Behandlung festhaltend, selbst zum Beginn dieser Beratungen auffordert, und so könnte von der kaiserlichen Botschaft derzeit Umgang genommen werden. Die komplizierte innere politische Lage, in der wir uns befinden, macht es leider notwendig, fortgesetzt zu Fiktionen seine Zuflucht zu suchen.

Die Stimmenmehrheit des Ministerrates war jedoch mit dem Staatsminister der Meinung, daß selbst die einzelnen Teile des Budgets vom Abgeordnetenhaus nicht ohne || S. 309 PDF || vorausgegangene Ah. Erweiterung seiner Kompetenz in Beratung könnten genommen werden. Könne aber die Regierung den vorgreifenden Schritt nicht hindern, so müsse sie denselben wenigstens legalisieren, denn es wäre unzulässig, daß die Minister einer Überschreitung der Kompetenz des engeren Reichsrates in dieser Beziehung schweigsam zusehen.

Der Präsident des Staatsrates machte jedoch auf den ungünstigen Eindruck aufmerksam, den die Erweiterung der Kompetenz des Reichsrates selbst mittels kaiserlicher Botschaft in diesem Augenblick auf den siebenbürgischen Landtag machen müßte, welcher mit anerkennenswerter Loyalität arbeitet und bereits zur Inartikulierung der Verfassung vom 26. Februar [1861]8 zu schreiten im Begriff ist. Die Beschickung des Reichsrates zur Beratung der dringenden Finanzvorlagen sei das Kompelle gewesen zur Beschleunigung der landtäglichen Geschäfte. Sobald der Reichsrat Ah. ermächtigt wird, ohne Beiziehung siebenbürgischer Vertreter die Finanzvorlagen zu behandeln, falle dieses Motiv weg, und die Wirkungen würden nicht ausbleiben. Minister Graf Nádasdy teilte den dermaligen Stand der legislativen Arbeiten im siebenbürgischen Landtage mit, welcher letzterer alle Anerkennung verdiene. Der Landtagsausschuß ist eben mit der Redaktion eines Gesetzentwurfs zur Inartikulierung der Februarverfassung beschäftigt9. Sobald das diesfällige Gesetz vom Landtage angenommen heraufgelangt ist, wird derselbe unter Mitteilung eines von Sr. Majestät für den gegenwärtigen Fall oktroyierten Wahlgesetzes zur Beschickung des Reichsrates aufgefordert werden, und es ist zu hoffen, daß der Landtag vielleicht schon nach 14 Tagen die Wahlen vollzieht10. Wenn es daher möglich wäre, das Abgeordnetenhaus zu bestimmen, daß mit den Budgetberatungen dermal noch nicht angefangen, sondern die Entwicklung der Dinge in Siebenbürgen abgewartet werde, könnte Graf Nádasdy dieses von seinem Standpunkte nur als sehr wünschenswert betrachten. Wäre das aber nicht möglich, so vereinige er sich mit dem unvermeidlich gewordenen Antrage auf Erlassung der kaiserlichen Botschaft. Nachdem der Staatsratspräsident, dann die Minister Graf Degenfeld und Baron Burger sich im selben Sinne ausgesprochen hatten, erklärte der Staatsminister , er werde in der am 22. d. M. stattfindenden Sitzung des Finanzausschusses im Vereine mit seinen Kollegen bemüht sein, den Ausschußmitgliedern – die hauptsächlich den Schein einer Zögerung von sich ablenken und daher die Beratung in pleno zu beginnen wünschen – die wichtigen politischen Gründe ans Herz zu legen, welche gegen einen voreiligen Beginn der Beratungen sprechen11. Gelinge es aber nicht, den Aufschub durchzusetzen, so werde nichts erübrigen, als bei Sr. Majestät auf Erlassung einer kaiserlichen Botschaft au. anzutragen. Der Minister las hierauf den Entwurf dieser Botschaft, gegen deren Inhalt sich im wesentlichen keine Erinnerung ergab. Den von einigen Seiten lautgewordenen Wunsch von stilistischen Modifikationen || S. 310 PDF || (namentlich die Substituierung des Ausdruckes „Finanzperiode“ statt „Verwaltungsjahr“)12 wird der Staatsminister berücksichtigen und den modifizierten Entwurf in der morgigen Konferenz vorlesen – für den Fall [,daß] der Versuch im Finanzausschusse scheitern sollte.

Hiemit war man allseitig einverstanden, und Minister Graf Nádasdy sicherte zu, daß er bemüht sein werde, die Vorverhandlungen zur Beschickung des Reichsrates mit aller Energie zu fördern.

Fortsetzung am 22. September 1863. Gegenwärtige: die nämlichen Mitglieder des Ministerrates, dann der ungarische Hofkanzler.

Der Staatsminister brachte zur Kenntnis der Konferenz, daß der Finanzausschuß des Abgeordnetenhauses in der Sitzung am 22. l. M. den Beschluß gefaßt habe, jedenfalls bis 1. Oktober l. J. auf die Beratung der Finanzvorlage nicht einzugehen, dann aber auf die Abgeordneten aus Siebenbürgen nicht mehr länger warten zu wollen13. Es sei daher heute kein Anlaß vorhanden, bezüglich der Erlassung einer Ah. Botschaft zu beraten und Beschluß zu fassen, und er glaube nur, den Minister Graf Nádasdy ersuchen zu sollen, die Verhandlungen im siebenbürgischen Landtage wegen Beschickung des Reichsrates mit allem Nachdrucke zu befördern. Der Minister Ritter v. Hein hielt es für rätlich, daß die Ah. Ermächtigung für den Reichsrat, auf die Behandlung der Finanzangelegenheiten einzugehen, vorbereitet gehalten werde, weil es schwierig wäre, von Seite der Regierung vorzutreten, wenn im Abgeordnetenhause dennoch eine Überrumpelung versucht werden wollte. Über Erklärung des Staatsministers , daß dies nach dem vom Finanzausschuß gefaßten Beschlusse nicht zu besorgen und bis dahin noch genug Zeit sei, je nach Gestaltung der Dinge im Ministerrate Beschluß zu fassen, wurde die Beratung über diesen Gegenstand abgebrochen14.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Ischl, am 10. Oktober 1863. Empfangen 12. Oktober 1863. Erzherzog Rainer.