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Nr. 354 Ministerrat, Wien, 13. Mai 1863 – Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Schurda; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 13. 5.), Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Burger, Hein; abw. Rechberg, Esterházy; BdR. Erzherzog Rainer 1. 6.

MRZ. 1158 – KZ. 1747 –

Protokoll II des zu Wien am 13. Mai 1863 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzoges Rainer.

I. Ernennung Franz Freiherrn v. Reichenstein zum Hofvizekanzler der siebenbürgischen Hofkanzlei

Der Minister Graf Nádasdy machte die Mitteilung, daß er infolge seines Augenleidens gezwungen ist, die unmittelbare Leitung der siebenbürgischen Hofkanzlei anderen Kräften zu überlassen und sich nur die Oberleitung vorzubehalten1, zu welchem Ende er sich also von Sr. k. k. apost. Majestät die Ernennung eines Hofvizekanzlers au. zu erbitten gedenke. Der von ihm wegen Kreierung und Dotierung dieses Postens im kurzen Wege begrüßte Finanzminister habe keine Einwendung erhoben. Für diesen Posten wolle er den Zweitältesten Hofrat, Baron Reichenstein, au. vorschlagen, da der erste Hofrat, v. Kabos, um seine Versetzung in den verdienten Ruhestand eingeschritten ist und Baron Reichenstein alle Eigenschaften in sich vereint, die für diese Stellung gefordert werden.

Dem Ministerrat ergab sich hierwegen keine Erinnerung2.

II. Gemeindegesetz für Salzburg

Der Staatsratspräsident referierte in betreff des von dem Staatsminister mittels au. Vortrages vom 9. April l. J. Z. 2680/StM. zur Ah. Sanktion vorgelegten Gemeindegesetzes für das Herzogtum Salzburg3. Unter den vom Salzburger Landtage beschlossenen Modifikationen des Regierungsent­wurfes der Gemeindeordnung seien nur drei von Bedeutung. Die erste dieser Änderungen umfasse die Bestimmung, daß auch die Landgemeinden Ehrenbürgerrecht erteilen können. Die zweite betreffe die den Gemeinden eingeräumte Erteilung des politischen Ehekonsenses. Beide diese Punkte erscheinen ganz unbedenklich und wären daher nicht zu beanständen. Dagegen || S. 34 PDF || seien aber im Staatsrate gegen die dritte Abänderung gewichtige Bedenken erhoben worden4. Diese Abänderung bestehe darin, daß dem § 74 des Regierungsentwurfes, welcher die Staatsbeamten und Militärpersonen rücksichtlich ihrer Dienstbezüge von den Gemeindeumlagen ausnimmt, der Satz beigefügt werde, „insoweit sie von der Einkommensteuer befreit sind“, wodurch diese Befreiung aufgehoben erscheint. Die Majorität des Staatsrates habe diese Änderung unzulässig gefunden, weil zufolge Ah. Entschließung vom 16. Februar 1853 die Einhebung eines Gemeindezuschlages auf die Amtsbezüge der Staatsbeamten und Diener als unstatthaft erklärt wurde5, weil durch die Gemeindezuschläge die ohnehin karg bemessenen Bezüge der Beamten noch mehr geschmälert werden, weil dadurch eine bedeutende Ungleichheit der Beamten, je nachdem dieselben in diesem oder jenem Land ihren Amtssitz haben, entstehen würde, da die Gemeindeumlagen sehr verschieden und mitunter, wie z. B. in Tirol, sehr bedeutend sind, weil, wenn man einmal diese Zuschläge gewährt, bald andere folgen dürften und endlich, weil es im höheren Interesse des Staates liegen dürfte, seine Organe diesen Ansprüchen der Gemeinden gegenüber zu schützen. Es sei sodann die Frage in Erwägung gezogen worden, ob das vorliegende Gesetz in seinen Hauptpunkten genehmigt, in dem angefochtenen Teile aber zurückgewiesen werden könnte, und da habe sich die Majorität dahin entschieden, daß eine solche teilweise Genehmigung nicht zulässig erscheine, mithin die Ah. Sanktion im Ganzen zu verweigern wäre. Der vortragende Präsident erachtete sich ebenfalls gegen die Zulässigkeit der von dem Landtage beschlossenen Änderung des § 74 aussprechen zu sollen, zumal wichtige Gründe vorhanden sind, die Befreiung der Staatsbeamten von den Gemeindezuschlägen aufrecht zu halten. Er wies in dieser Beziehung auf die von dem Ministerium des Innern in dem betreffenden, die Ah. Entschließung vom Jahre 1853 hervorrufenden au. Vortrage6 entwickelten Motiven hin, die auch heute noch bestehen und vielleicht noch mehr ins Gewicht fallen als damals. Die Genehmigung des vorliegenden Gemeindegesetzes unter Hinweglassung eines oder des anderen Punktes erscheine dem Freiherr v. Lichtenfels auch nicht zulässig zu sein, und er würde demnach erachten, daß man das vorliegende Gemeindegesetz mit Weglassung der streitigen Bestimmung einstweilen provisorisch einführen und den Landtag auffordern könnte, den § 74 einer neuerlichen Beratung zu unterziehen.

Der Minister Ritter v. Lasser erklärte das prinzipielle Bedenken des Staatsrates nicht teilen zu können. Die Ah. Entschließung vom 16. Februar 1853, womit die Staatsbeamten von der Einhebung eines Zuschlages befreit sind, gebe keinen Grund, die Berechtigung des Landtages zu dem fraglichen Beschlusse zu bestreiten. Das Hauptmotiv zu diesem Beschlusse war, daß, wenn der Staat keine Bedenken nimmt, seine eigenen Beamten mit der Einkommensteuer zu belegen, es nur || S. 35 PDF || billig sei, daß dieselben von den Gemeinden für Gemeindezwecke zur Berichtigung der Gemeindezuschläge verhalten werden. Übrigens treffe diese Maßregel auf dem flachen Lande nur wenige Beamte, indem die Besoldungen bis zu 600 fl. ohnehin von der Einkommensteuer befreit sind. aVotant habe zwar im salzburgischen Landtage gegen den gefaßten Beschluß gesprochen, was auch der Landeschef getan habe. Ein das Zustandekommen des ganzen Gesetzes vereitelndes Moment habe er jedoch darin nicht zu erblicken vermocht und vermöge dies auch jetzt noch nicht, weil kein wichtiges Prinzip, kein die öffentliche Autorität alterierender Angriff darin liege; haben die Beamten doch von 1849–1852 diese Gemeindezuschläge gezahlt. Deshalb das ganze Gesetz nicht zustande kommen zu lassen und dadurch auch das bereits Ah. sanktionierte Straßengesetz, welches sich aufs Gemeindegesetz berufe, unausführbar zu machen, halte er nicht für genügend motiviert. Die Sache würde sich wohl nachträglich in die gewünschte Bahn bringen lassena Votant habe zwar im salzburgischen Landtage gegen den gefaßten Beschluß gesprochen, was auch der Landeschef getan habe7. Ein das Zustandekommen des ganzen Gesetzes vereitelndes Moment habe er jedoch darin nicht zu erblicken vermocht und vermöge dies auch jetzt noch nicht, weil kein wichtiges Prinzip, kein die öffentliche Autorität alterierender Angriff darin liege; haben die Beamten doch von 1849–1852 diese Gemeindezuschläge gezahlt. Deshalb das ganze Gesetz nicht zustande kommen zu lassen und dadurch auch das bereits Ah. sanktionierte Straßengesetz, welches sich aufs Gemeindegesetz berufe8, unausführbar zu machen, halte er nicht für genügend motiviert. Die Sache würde sich wohl nachträglich in die gewünschte Bahn bringen lassen. Der Staatsminister meinte, daß, insofern die von dem Landtage zu § 74 beschlossene Änderung seitens der Regierung als unstatthaft erkannt wird, nur die Alternative bleiben würde, das vorliegende Gemeindegesetz nicht zu genehmigen, indem eine teilweise Genehmigung desselben mit Ausnahme eines mißliebigen Punktes nicht erfolgen kann. Ob aber im vorliegenden Falle eine solche gänzliche Zurückweisung des Gesetzes nicht die Folge hätte, daß man bei der neuerlichen Beratung Bestimmungen aufnimmt, welche man jetzt aus Loyalität unterlassen hatte, sei eine Frage, die einer Beherzigung wert sein dürfte. Ritter v. Schmerling würde daher einen Mittelweg vorschlagen, der ihm zulässig zu sein scheine. Es wäre nämlich das vorliegende Gesetz zu genehmigen, dem nächsten Landtage aber bekanntzugeben, daß man, um das Zustandekommen des Gemeindegesetzes nicht zu hindern, zwar die Ah. Sanktion erwirkt habe, jedoch darauf aufmerksam machen müsse, daß die zu § 74 beliebte Abänderung ganz absonderlich und unzulässig sei und es daher seitens der Regierung wünschenswert erscheine, daß der Landtag diese Bestimmung einer neuerlichen Beratung unterziehe und diesfalls eine Modifikation vornehme. Dieser Weg könnte seines Erachtens ohne Zaudern oder ohne einer Gefährdung der Autorität der Regierung betreten werden. Der Finanzminister erklärte sich dagegen mit dem Einraten des Staatsrates auf Zurückweisung des vorliegenden Gemeindegesetzes vollkommen einverstanden. Die Befreiung der Staatsdiener rücksichtlich ihrer || S. 36 PDF || Amtsbezüge von der Entrichtung der Gemeindeumlagen sei durch eine für alle Kronländer gültige in das Reichsgesetzblatt aufgenommene Ah. Entschließung, also durch ein Reichsgesetz ausgesprochen9, und es wäre sehr bedenklich, zuzugeben, daß ein solches Gesetz durch einen Landtagsbeschluß einseitig abgeändert werde. Der vom Staatsminister angedeutete Weg scheine dem Votanten jetzt nicht angemessen. Dieses hätte man allenfalls während der Verhandlung über diesen Gegenstand im Landtage tun können, indem da der rechte Anlaß zu solchen Bemerkungen für den Regierungskommissär vorhanden war. Im gegenwärtigen Moment könne man sich aber wohl keine gegründete Hoffnung machen, mit einer derlei Erklärung den Landtag bin seiner nächsten Sessionb zu einem Abgehen von dem einmal gefaßten cund Ah. sanktioniertenc Beschlusse zu bewegen. dWenn es in der heurigen Sitzung nicht gelungen ist, den Landtag von der Fassung des der Regierung unangenehmen Beschlusses abzuhalten, wie will man da glauben, es werde der Regierung gelingen, in der nächsten Session den Landtag zum Aufgeben eines zum Gesetz erhobenen Rechtes zu bestimmen?d Der Polizeiminister und der Minister Dr. Hein waren ebenfalls der Meinung, daß durch den in Rede stehenden Landtagsbeschluß ein bestehendes Reichsgesetz alteriert erscheine und es nicht zugegeben werden könne, daß ein solches Gesetz durch ein Landesgesetz aufgehoben werde, und sprachen sich sonach ebenfalls für die gänzliche Zurückweisung des vorliegenden Gemeindegesetzes aus.

Derselben Meinung waren auch die übrigen Stimmführer und es entfiel sonach die überwiegende Stimmenmehrheit für die Zurückweisung des Gesetzes10.

III. Verweigerung der staatlichen Zinsengarantie für Eisenbahnen von Seite des Finanzministers

Der Handelsminister brachte zur Sprache, daß der Finanzminister neuerer Zeit die Zinsengarantie des Staates für Eisenbahnen nicht zahlen will, bevor nicht die Bau- und Betriebsrechnungen vorgelegt sind, was in der Finanzwelt eine große Bewegung verursachte11. Es seien dies auch nach Ansicht des Handelsministers unerfüllbare || S. 37 PDF || Bedingungen, indem z. B. bezüglich der Westbahn die Baurechnung früher nicht vorgelegt werden kann, bevor nicht die Kollaudierung vollzogen ist. Abgesehen davon, daß die gewichtigsten Rücksichten hier für eine liberale Praxis sprechen, handelt es sich hier um die gewissenhafte Erfüllung der mit der Gewährung der staatlichen Zinsengarantie übernommenen Verpflichtungen, welcher man sich im wohlverstandenen Interesse nicht entziehen darf12. Hiezu kommt, daß es sich eigentlich nur um Vorschüsse handelt, welche rückzahlbar sind, insoweit die Unternehmungen mehr als 5% Jahresertrag ergeben. Nachdem also diese Weigerung des Finanzministers eine große Entmutigung hervorgebracht hat, und nachdem voraussichtlich bei den bevorstehenden Generalversammlungen dieser Vorgang zu heftigen Debatten und Demonstrationen Anlaß geben wird, so dürfte sich der Finanzminister bestimmt finden, von der fraglichen Anordnung abzugehen und wieder zu der früheren Praxis zurückzukehren.

Der Finanzminister erwiderte, daß er die Bedenken der Vorstimmen nicht teilen könne. Der Standpunkt, von welchem er in dieser Sache ausgehe, sei der, daß er von nun an nicht infolge einfacher Noten, welche von den betreffenden Direktionen eohne alle nähere Nachweisunge an ihn gerichtet werden, die verlangten Summen gleich zahlen, sondern einen Zustand herbeiführen wolle, daß mit diesen Anforderungen gleichzeitig gewisse Ausweise und Rechnungen vorgelegt werden, aus welchen der kontrollierende Beamte sich überzeugen kann, ob die Gebarung eine aufrechte ist, fob die stattgefundenen Auslagen sich als zulässig und gerechtfertigt darstellen, und ob sonach der Fall der tatsächlichen Nichtverzinsung des Anlagekapitals und die Bedingung der staatlichen Garantieleistung wirklich eingetreten seif . Es sei dies also eine Forderung, mit der nichts anderes beabsichtigt wird, als die Zügeln etwas schraffer anzuziehen und sich in Ansehung der zu leistenden Zahlungen die nötige Beruhigung, respektive die Überzeugung von der Richtigkeit derselben zu verschaffen. Übrigens habe der Finanzminister zur Regelung dieser Sache eine Kommission zusammengesetzt, welche vor allem die brennendsten Fragen auszutragen hat.

Da es sich zeigte, daß sich in der Sache heute prinzipiell nichts entscheiden lasse, vielmehr es am zweckmäßigsten erscheine, wenn der Finanz- und Handelsminister diese Angelegenheit in gemeinschaftlicher Verhandlung austragen, wurde sich von Seite des Ministerrates in keine weitere Erörterung eingelassen13.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 31. Mai 1863. Empfangen 1. Juni 1863. Erzherzog Rainer.