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Nr. 349 Ministerrat, Wien, 4. Mai 1863 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 5. 5.), Rechberg, Mecséry, Schmerling, Hein; BdR. Erzherzog Rainer 13. 5.

MRZ. 1153 – KZ. 1531 –

Protokoll der zu Wien am 4. Mai 1863 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzoges Rainer.

I. Gerichtliche Untersuchungen gegen Führer des polnischen Aufstandes

Minister Dr. Hein referierte, daß die Fälle, wo Leiter oder hervorragende Teilnehmer des polnischen Aufstandes von den politischen und polizeilichen Behörden an die galizischen Gerichte abgeliefert werden, sich immer mehr häufen1. Nach einem heute eingelangten Berichte sollen wieder fünf Revolutionärs, darunter Drawinski und Gregorowicz, in Untersuchung gezogen werden. Unter den obwaltenden Verhältnissen aber hält es sehr schwer, mit Konsequenz den gesetzlichen Weg einzuhalten, ohne nach der einen oder der anderen Seite anzustoßen. Soeben liegt dem Justizministerium das Einschreiten des Krakauer Landesgerichts vor, welches bei den Warschauer Behörden Auskünfte über das Vorleben etc. des in Untersuchung stehenden Kurzyna-Pelszewski einholen will2, welche Korrespondenz in Anwendung des § 39 StGB3 zur Auslieferung desselben führen dürfte, wenn Allerhöchstenortes nicht eine Ausnahme statuiert werden sollte. Der referierende Minister hat nun vorsichtsweise alle direkten Korrespondenzen der galizischen Justizbehörden mit den ausländischen in solchen Prozessen abgestellt, und es nehmen jetzt alle Requisitionsschreiben ihren Weg durch das Ministerium, wodurch man die Sache in der Hand behält und voreiligen Schritten vorgebeugt wird. Allein dies genügt nicht, und es muß ein meritorischer Beschluß über die ganze Behandlung von derlei Straffällen gefaßt werden, um die häufigen Anfragen der Gerichte und Staatsanwaltschaften erledigen zu können. Es ist die Gewinnung einer festen Norm nötig, wodurch die in politischer Beziehung unerwünschten Schritte der österreichischen Gerichtsbehörden hintangehalten werden, die aber doch von den Bestimmungen des Strafgesetzes und den übernommenen internationalen Verbindlichkeiten so wenig als möglich abweicht. || S. 4 PDF || Um zu diesem Ziele zu gelangen, bringe Minister Dr. Hein die Sache heute zur Konferenzberatung4.

Im Laufe der hierüber gepflogenen längeren Erörterung wurde einstimmig anerkannt, daß es nicht rätlich wäre, von den Untersuchungen gegen Leiter und hervorragende Teilnehmer des polnischen Aufstands, der ja doch nur die Wiederherstellung des alten Polens (la Pologne une et libre) verfolgt, abzulassen, da eine solche Nachsicht, wie der Polizeiminister heraushob, nur ein Hieb in das eigene Fleisch wäre. Heutzutage habe man es nicht mehr – wie 1831 – mit den Trümmern einer geschlagenen Armee, mit den Teilnehmern einer bereits unterdrückten Revolution zu tun. Österreich könne nicht zugeben, daß Krakau zum offenkundigen, sicheren Asyl des revolutionären Zentralkomitees und zu einer unangreifbaren Operationsbasis werde, von welcher aus man mit Anwendung aller unerlaubten Mitteln, auf Unkosten der drei teilenden Mächte, die Restauration des polnischen Staates gewaltsam durchsetzen will. Die Untersuchungen sind daher mit Festhaltung dieses Gesichtspunktes, hauptsächlich aufgrund hochverräterischer Unternehmungen gegen Österreich (und nicht gegen Rußland) zu führen, wodurch sich die Auslieferung von selbst behebt. Aber selbst bezüglich der, ausschließend gegen Rußland, sei es dortlands, sei es in Österreich begangenen Verbrechen der Störung der öffentlichen Ruhe, seien die österreichischen Gerichte, nach § 66, zur Untersuchung und Aburteilung kompetent. Minister Dr. Hein behielt sich vor, die Justizbehörden in diesem Sinne anzuweisen und denselben gleichzeitig, nach einem weiteren Konferenzbeschluß, zu bedeuten, daß sie sich im Zuge der Untersuchungen weder an russische noch an preußische Behörden behufs von Auskünften oder Erhebungen zu wenden haben5.

II. Bekanntgabe der russischen Amnestie an die aufständischen polnischen Internierten

Der Minister des Äußern brachte zur Sprache, daß es angezeigt sein dürfte, den Inquisiten und Internierten aus den russischen Staaten, die vom Kaiser bewilligte Amnestie und deren Bedingungen kundzumachen, damit sie nicht in der Folge über Präjudizierung klagen können. Bis jetzt hat die k. k. Regierung russischerseits keine offizielle Mitteilung über den Amnestieakt erhalten, den man hier nur aus den Zeitungen kennt6. Die Sache erscheint aber aus dem Grund dringend, weil der Termin, um von der Amnestie Gebrauch zu machen, schon am 13. d. M. abläuft. Graf Rechberg würde daher, wenn die Konferenz damit einverstanden ist, den russischen Gesandten sofort um Mitteilung des kaiserlichen Erlasses ersuchen und denselben an die Minister Dr. Hein und Baron Mecséry zur Veranlassung der Publikation an Internierte und Inquisiten leiten.

Sämtliche Stimmführer waren hiemit einverstanden. Seine k. k. Hoheit bemerkte hiebei, diese Publikation sei nur eine Formsache, erscheine aber doch nötig, und der Polizeiminister erklärte, er betrachte diese Publikation aus demselben Gesichtspunkte, da diejenigen, welche geneigt wären, von der Amnestie Gebrauch zu machen, ohne Zweifel durch Terrorismus davon werden abgehalten werden7.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, 13. Mai 1863. Empfangen 13. Mai 1863. Erzherzog Rainer.