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Vorwort - Retrodigitalisat (PDF)

Das Jahr 1863, das durch die im vorliegenden Band edierten Protokolle dokumentiert wird (4. Mai bis 12. Oktober), war ein Epochenjahr der europäischen und österreichischen Geschichte. Fast alle Elemente des tiefgreifenden außen-und innenpolitischen Umsturzes von 1866 stehen bereits sichtbar am politischen Horizont. Die Beratungen der Minister sind dementsprechend geprägt von der verhaltenen Spannung einer entscheidungsträchtigen und zugleich relativ ausweglosen Situation. Nur aus der Sicht der späteren Ereignisse steht allerdings der Frankfurter Fürstentag (17. August bis 1. September) mit dem Versuch zur Erhaltung des Deutschen Bundes im Mittelpunkt der Ereignisse. Deutlicher als eine zu sehr auf den preußisch-österreichischen Gegensatz hin fixierte Geschichtsschreibung zeigen die Beratungen des österreichischen Ministeriums die europäische Dimension des letzten Ringens um die politische Gestaltung der europäischen Mitte, deren Auflösung seit dem Krimkrieg Rußland, Preußen und das Napoleonische Frankreich betrieben. Für die österreichische Status-quo-Politik, wie sie der Metternich-Schüler Rechberg vertrat, gab es da kaum eine Erfolgschance.

Mehr als jede andere Detailfrage bildete für Österreich zunächst der polnische Aufstand im russischen Kongreßpolen den Angelpunkt aller Überlegungen, weil von dorther die neuerliche Gefahr eines europäischen Krieges nach dem Muster von 1854 drohte. Wieder mußte sich Österreich zwischen den Westmächten und dem mit Preußen verbündeten Rußland entscheiden. Für Österreichs Anschluß an die Westmächte, aber auch für einen Verzicht auf Galizien und Venetien hatte Napoleon III. Kompensationen in Deutschland und im Orient angeboten. Allerdings drohte er auch mit der Unterstützung der Revolution in Galizien, Ungarn, Siebenbürgen, den südslawischen und italienischen Ländern. Das außen- und innenpolitisch naheliegende Bündnis mit den Westmächten hätte Österreich allerdings nicht nur in Konflikt mit Rußland und Preußen gebracht, sondern ganz Deutschland in Unruhe versetzt, hätte letzteres vor allem in die Arme Preußens als wahrer Schutzmacht gegen die Napoleonischen Rheinaspirationen getrieben. Aber auch der umgekehrte Weg eines Bündnisses Österreichs mit Rußland und Preußen gegen die polnische Revolution war schwer gangbar. Denn auch Preußen verlangte seinen Preis in der deutschen Politik, wo es erfolgreich an der Festigung des Zollvereins und an der wirtschaftspolitischen Ausschließung Österreichs arbeitete. Um nicht auch an dieser Front kampflos zu unterliegen und um eine Stütze für die als einzig möglich erachtete europäische Neutralitätspolitik zu gewinnen, schlug Schmerling eine Initiative in der deutschen Bundespolitik vor. Der nicht unproblematische Weg in das Experiment des Frankfurter Fürstentages war damit eröffnet. Daß man seitens der Wiener Politik auch diesen Weg nur halben Herzens ging, lag weniger an der Gegensätzlichkeit der außenpolitischen Programme Rechbergs und Schmerlings im Hinblick auf Ausgleich oder Kampf mit Preußen. Gerade der konservative Außenminister scheint genau gewußt zu haben, worin Österreichs Chance gelegen wäre, wenn er im Ministerrat vom 19. Mai 1863 sagte: „Wir brauchen den Frieden zu unserer inneren Entwicklung, wir wollen ihn daher erhalten sehen.“

Aber gerade auf dem Gebiet der inneren Reformen, auf die Rechberg damit anspielte, waren die Initiativen, vor allem aber die Erfolge eher dürftig. Zwar wurde die Stellung des Reichsrates im Budgetverfahren gestärkt. Aber die begonnenen Diskussionen um die Liberalisierung des Kreditrechtes und die Reform des Strafprozesses blieben ergebnislos. Die große Steuerreform Pleners, und damit die Konsolidierung des Staatshaushaltes, scheiterte am Widerstand des Reichsrates.

Mehr als es in der bestehenden Literatur Beachtung gefunden hat, erweist sich das Jahr 1863 aus der Sicht der zentralen Quelle der Ministerratsprotokolle als großes Entscheidungsjahr: Von der europäischen Revisionspolitik Frankreichs und Preußens bedroht, innen- und wirtschaftspolitisch damit an der Fortführung der begonnenen Reformen gehindert, befand sich Österreich auf allen Linien in der Defensive, fast ohne Chancen auf irgendeinen Ausweg. Wie schon bei früheren Bänden hat sich auch bei der Edition der Protokolle des Jahres 1863 die Kooperation zweier Bearbeiter bewährt. Den Herren Dr. Thomas Kletečka und Dr. Klaus Koch ist für das Gelingen eines keineswegs problemlosen Experimentes seitens der Herausgeber zu danken. Den traditionellen Part der Begut­achtung durch das ungarische Komitee hat diesmal Dr. Vilmos Heiszler übernommen. Zu „grund­sätzlichen Gegenbemerkungen“ war kein Anlaß. Für Verbesserungen insbesondere ungarischer Schreibformen danken die österreichischen Bearbeiter und Herausgeber dem ungarischen Kollegen sehr herzlich.

Den Institutionen, die wie bisher das Unternehmen Ministerratsprotokolle materiell unterstützen, ist auch für die Drucklegung des vorliegenden Bandes zu danken dem Bundes­ministerium für Wissenschaft und Forschung, dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und dem Hochschuljubiläumsfonds der Stadt Wien.

Klagenfurt, im Mai 1989