Einleitung - Retrodigitalisat (PDF)

Von Thomas Kletečka und Klaus Kocha

Der polnische Aufstand - Retrodigitalisat (PDF)

Ministerratsprotokolle, die sich mit der außenpolitischen Haltung der Monarchie zum polnischen Aufstand befassen, sind eine Rarität: die Außenpolitik des Habsburgerstaates wurde anderswo gemacht, der Ministerrat hatte diese, wenn überhaupt, nur nachträglich zur Kenntnis zu nehmen. So war es auch während des polnischen Aufstandes. Tatsächlich ist auch 1863 die große Linie – die Wahrung der strikten Neutralität, oder was man dafür hielt – bereits lange vor den Beratungen in diesem Gremium über die diplomatischen Schritte Österreichs gegenüber den anderen europäischen Großmächten festgelegt worden1. Das unsichere Abwarten, das zur außenpolitischen Maxime erhoben worden war, hatte aber handfeste innenpolitische || S. 10 PDF || Gründe; Österreich war als einer der Teilungsstaaten von einem national-polnischen Aufstand direkt betroffen. Aufgrund seiner komplizierten inneren Struktur konnte der habsburgische Vielvölkerstaat das Problem nicht auf die genauso einfache wie brutale Art und Weise wie Preußen lösen – durch Unterdrückung der eigenen Polen und durch weitgehende Kooperation in dieser Frage mit dem Zarenreich. Bereits im ersten Ministerrat nach dem Ausbruch des Aufstandes2 zeigte sich das tatsächliche Motiv für die weitere Behandlung dieser Angelegenheit: die Bewahrung von Ruhe und Ordnung unter den galizischen Polen, wozu man bereit war, sich hinter fragwürdig gewordenen Abkommen und juridischen Spitzfindigkeiten zu verschanzen, um nur ja nicht irgendeine, irgend jemanden störende Aktivität entwickeln zu müssen. Eine Unterstützung des Aufstandes in Russisch-Polen kam für die österreichische Regierung ohnehin nicht in Frage; denn wofür kämpften die Polen? Nach der niedergeschlagenen Erhebung von 1830/31 hatten sie alle Privilegien, die ihnen am Wiener Kongreß zugestanden worden waren, verloren: alle landeseigenen Institutionen wie der polnische Reichstag, die polnische Armee und die polnische Finanzverwaltung wurden beseitigt, das Organische Statut von 1832 war keine Verfassung mehr, sondern regelte bloß die Administration. Darüber hinaus wurden alle höheren Beamtenstellen mit Russen besetzt, die Hochschulen in Warschau und Wilna geschlossen und der Belagerungszustand ausgerufen3. Erst unter Alexander II., ab 1855, kam es zu einer gewissen Lockerung des russischen Drucks, die allerdings nicht die erhoffte Befriedung der Polen mit sich brachte; im Gegenteil, sie führte zur Radikalisierung des politischen Lebens und letztlich zum Aufstand. Das Ziel all dieser polnischen politischen Bestrebungen war die Unabhängigkeit; das ging vom Wunsch nach Autonomie bis zur beabsichtigten Wiedererrichtung des eigenständigen polnischen Staates, je nach dem politischen Standpunkt.

Obwohl den Polen im liberalen Teil Europas die Sympathien sicher waren, erwies sich die realpolitische Ausbeute als recht mager. Napoleon III. gab den Aufständischen Anfang Februar klar zu verstehen, daß die Insurrektion seine Pläne, d. h. durch Annäherung an Rußland das Los der russischen Polen zu verbessern, durchkreuzte und er nicht daran dächte, militärisch einzugreifen4. Doch der am 8. Februar 1863 unterzeichnete Vertrag zwischen Preußen und Rußland über die weitgehende Zusammenarbeit zur Niederschlagung des polnischen Aufstandes, die Alvenslebensche Konvention5, änderte mit einem Schlag die Lage. Jetzt bedeutete eine französische Stellungnahme für die Polen zugleich einen politischen Angriff auf den Rivalen || S. 11 PDF || Preußen. Frankreich war also von da an bemüht, eine breite Interventionsfront für die polnische Sache zustandezubringen. Napoleon III. suchte nun Verbündete, zunächst und vor allem in England; er schlug den Briten eine gemeinsame Note an Berlin vor, die die Alvenslebensche Konvention verurteilen sollte6. Auch Österreich war zu diesem Schritt eingeladen7. Aber sowohl die Briten, die ein gemeinsames Vorgehen in Berlin ablehnten, jedoch bereit waren, gesonderte Noten in St. Petersburg zu überreichen, als auch die Österreicher, die sich auf ihre selbstbestimmte Neutralität beriefen, lehnten den französischen Vorschlag ab8. Damit war das erste französische Bündnisangebot an Österreich de facto abgewiesen worden. Doch Frankreich gab nicht auf, und der am französischen Hof hoch angesehene österreichische Botschafter, Fürst Metternich, erfuhr nach und nach, worauf die Politik des zweiten Kaiserreichs abzielte: Österreich sollte Krakau und Galizien dem neu zu errichtenden polnischen Staat überlassen und zugleich Venetien an Italien abtreten; dafür würde die Habsburgermonarchie reich im Orient und in Deutschland entschädigt werden. Als Abschluß und Krönung war ein französisch–österreichisches Defensivbündnis gedacht. Metternich selbst überbrachte im März 1863 diese Propositionen nach Wien; doch seine Mission war nicht von Erfolg gekrönt – höflich aber bestimmt lehnten die Österreicher auch das zweite Bündnisangebot Frankreichs ab9.

Inzwischen hatte England die Initiative ergriffen und machte den Vorschlag einer gemeinsamen Intervention in St. Petersburg, damit Rußland die 1815 eingegangenen Verpflichtungen gegenüber Polen in die Tat umsetze10. Schließlich einigten sich das Inselreich und Frankreich nach langwierigen Verhandlungen auf eine gemeinsame Note, den Wunsch der beiden Westmächte nach einer Beteiligung Österreichs an diesem Unternehmen lehnte Rechberg ab. Österreich, ließ er wissen, wird eine eigene, milder gefaßte Note überreichen. Tatsächlich wurden dann die drei Noten am 17. 4. 1863 in St. Petersburg überreicht11.

In seiner Antwort auf die drei Noten am 26. 4. 1863 begrüßte der russische Außenminister, Fürst Gorčakov, die Idee einer Befriedung Polens und zeigte sich bereit, dortselbst einen dauerhaften Frieden zu schaffen. Als Ausdruck des guten Willens wies er hin auf die vor wenigen Tagen erlassene Amnestie für alle am Aufstand Beteiligten. Dann forderte er die drei Mächte auf, ihm entsprechende Propositionen zu machen12. Alles in allem eine diplomatische Meisterleistung. || S. 12 PDF || Das scheinbare Eingehen auf die Intervention verschaffte ihm Zeit, und zweitens war es recht fraglich, ob bei den verschiedenen Zielen der intervenierenden Staaten diese einen wirklich effektiven Plan vorlegen konnten, wenn es überhaupt zu einer Einigung unter ihnen kam. Tatsächlich lagen die Vorstellungen der einzelnen Mächte in dieser Beziehung zum Teil ziemlich weit auseinander. Frankreich wollte die polnische Frage in gesamteuropäischen Verhandlungen lösen. England plädierte für ein Vorgehen, mit dem auch die Polen einverstanden waren – eine von den Russen kaum annehmbare Bedingung. Österreich schließlich stellte seine sechs Punkte auf13.

So weit war die Sache gediehen, als die Frage der außenpolitischen Behandlung des polnischen Aufstandes das erste Mal zur Beratung vor den Ministerrat kam14. Allein die Tatsache, daß ein außenpolitisches Problem dort zur Sprache kam, beweist, wie wichtig die Frage war – und wie verunsichert man ihr gegenüberstand. Der Ministerrat war sich einig, daß Österreich so lange wie nur möglich eine friedliche Lösung anstreben und sich neutral verhalten müsse. Denn sollte über kurz oder lang der Krieg zwischen Rußland und Frankreich ausbrechen, und diese Möglichkeit erschien der Ministerkonferenz durchaus wahrscheinlich, hätte man, wie sich der Kriegsminister ausdrückte, bis dahin wenigstens die eigenen Kräfte geschont. In dieser Neutralität gab es allerdings deutliche Präferenzen für das schon bisher praktizierte Zusammengehen mit den Westmächten. Wichtig erschien dabei das Fernhalten der „revolutionären Umtriebe“ von Galizien und in weiterer Folge auch von anderen sensiblen Punkten der Monarchie – Ungarn und Siebenbürgen. Dabei hielt man sich immer die Gefahr eines neu errichteten Polens vor Augen. Das hätte ja die Abtretung Galiziens und Krakaus bedeutet, ohne daß Österreich dafür konkrete Kompensationen in Aussicht standen. Verhandeln hieß also die Devise, und selbst wenn dies nichts bringen sollte, so hätte man wenigstens Zeit gewonnen. Zur Durchführung dieser Linie brauchte man aber dringend die Unterstützung Deutschlands. Zumindest in diesem Punkt waren sich Rechberg und Schmerling, die sonst bezüglich der österreichischen Deutschlandpolitik unterschiedliche Standpunkte vertraten, einig. Zur Absicherung der österreichischen Neutralität in der polnischen Abgelegenheit sollte ein deutscher Fürstenkongreß abgehalten werden, der sich dieser Haltung anschließen würde. Die große Frage, ob Preußen sich daran beteiligen würde, blieb allerdings unbeantwortet. Schmerling nützte die Gelegenheit und schlug vor, gleichzeitig die Reform des Deutschen Bundes in Angriff zu nehmen15. Das Ergebnis der Beratung bestand in der Absicht, den von Österreich eingeschlagenen Weg der Neutralität auch weiterhin zu gehen und alles zur Erhaltung des Friedens zu tun. Deshalb sollte auf den Vorschlag der Westmächte eingegangen werden, eine Konferenz der Signatarmächte der Wiener Kongreßakte zur ausschließlichen Behandlung der polnischen Frage abzuhalten, obwohl Rußland dieses Vorhaben als unannehmbar bezeichnete.

|| S. 13 PDF || Aufgrund der vom Ministerrat bekräftigten alten Grundsätze der österreichischen Polenpolitik führte Rechberg den diplomatischen Balanceakt weiter – auf der einen Seite war er bemüht, es nicht zum Bruch mit den Westmächten kommen zu lassen, andererseits sollte Rußland nicht durch eine allzu schroffe Sprache verärgert werden. Langwierige Verhandlungen mit den Westmächten setzten ein. Prinzipiell hatte Österreich gegen die von Frankreich und England aufgestellten, in sechs Punkten zusammengefaßten Forderungen16 nichts einzuwenden; nur war Wien daran gelegen, einige inhaltlich brisante Stellen zu eliminieren und die Schärfe der Formulierungen zu mildern. Die Forderung der Westmächte nach einer polnischen Nationalversammlung gemäß den Bestimmungen der Verfassung von 1815 wurde durch den Wunsch nach einer Nationalvertretung mit Teilnahme an der Legislative und der Kontrolle ersetzt. Dabei spielte auch die Überlegung eine Rolle, daß eine zu weitgehende Konzilianz Österreichs in dieser Angelegenheit zu gefährlichen Konsequenzen bezüglich der Sonderstellung Ungarns führen könnte. Und auch die fast ultimative Forderung nach einem Waffenstillstand erschien den Österreichern, vor allem dem Kaiser, zu weit zu gehen. Erstens, so argumentierte man, wäre dies wegen der Zersplitterung in der Führung des Aufstandes rein technisch nicht möglich, und zweitens stelle das Ansinnen, mit Revolutionären zu verhandeln, eine Zumutung dar. So wurde aus diesem Passus österreichischerseits der Wunsch nach dem Ende des beklagenswerten Bllutvergießens17 – eine Phrase, die zu nichts verpflichtete und auch niemandem wehtat. Die so modifizierten Textstellen wurden in Paris zur Überraschung der Österreicher als durchaus annehmbar bezeichnet. Der Wunsch der Westmächte allerdings, daß ein Waffenstillstand schon vor und während der geplanten Konferenz einzuhalten wäre, ging dem Wiener Kabinett zu weit; in gewohnter Weise fand man aber auch hier einen Ausweg in der dehnbaren Formulierung, die Konferenz möge „unter beruhigten Verhältnissen“ beginnen. Am 18. Juni 1863 wurden dann die Noten in St. Petersburg überreicht – einzeln, die von England und Frankreich sich inhaltlich deckend, die österreichische in der besprochenen Form abgemildert18.

In seiner Antwort vom 13. Juli 1863 behielt Gorčakov seine Taktik der differenzierten Behandlung der einzelnen Interventionsmächte bei. Die Engländer versuchte er von seinem Standpunkt zu überzeugen; die französische Note wies er schroff zurück und bezichtigte die Franzosen, durch die Unterstützung der Polen den Aufstand unnötig zu verlängern; den Österreichern schließlich schlug er eine Zusammenkunft der drei Teilungsmächte Polens vor19. Zwar hatte der russische Außenminister die sechs Punkte formal angenommen, den Vorschlag eines Waffenstillstandes aber als unpraktikabel verworfen und auch die geplante Konferenz als undurchführbar bezeichnet.

|| S. 14 PDF || Die russische Zurückweisung der gemachten Vorschläge versetzte Österreich in Aufregung. Man befürchtete nun das, was unter allen Umständen vermieden werden sollte – den Krieg. Die von Gorčakov proponierten vertraulichen Verhandlungen der drei Teilungsmächte Österreich, Preußen und Rußland – das Ergebnis dieser Besprechungen sollte dann von den acht Mächten ratifiziert werden – wies Rechberg als indiskutabel zurück: Galizien würde dadurch zum Gegenstand von Verhandlungen, „was um jeden Preis vermieden werden müsse“. Übrigens könnte auch Preußen in diese Vorgangsweise nie einwilligen. In dieser gefährlichen Situation ergriff Rechberg die Initiative. Er schlug den Westmächten eine Vorkonferenz Rußlands, Frankreichs, Englands und Österreichs über die polnische Frage vor20, deren Ergebnis dann den acht Mächten zur Sanktion vorgelegt werden sollte. Wegen der nun akut gewordenen Kriegsgefahr, die Österreichs Neutralitätspolitik noch fragwürdiger erscheinen ließ, drängte Rechberg darauf, den Kontakt zu den Westmächten nicht abreißen zu lassen, und beschwor die Schatten von 1859 herauf: Österreich sei damals bei Ausbruch des Krieges isoliert gewesen. Würde es sich in der jetzigen Situation von den Verhandlungen zurückziehen, stünde es bei dem zu erwartenden Kriegsbeginn noch isolierter da. Selbst Schmerling, der den Westmächten mißtraute, sah vorderhand keinen Grund zum Bruch mit England und Frankreich. Doch der österreichische Vorschlag wurde abgelehnt, und ein gemeinsames Vorgehen der drei Mächte damit noch illusorischer. Rechberg hatte übrigens recht; während er hauptsächlich Zeit gewinnen wollte, war die Stimmung in Frankreich durchaus auf Krieg aus. Der französische Außenminister Drouyn de Lhuys war gewillt, die russische Antwort als Grund zur Kriegserklärung an Rußland zu verwenden. Doch Napoleon III. und auch England wollten nicht so weit gehen, und die Kriegsgefahr wurde gebannt21.

Noch einmal rafften sich die drei Mächte zu einer – wiederum getrennt vorgebrachten – Notenserie an St. Petersburg auf, in der Rußland für die Konsequenzen seines Handelns verantwortlich gemacht wurde22, was allerdings nicht viel besagte. Gorčakov ließ sich diesmal Zeit mit der Beantwortung; erst am 7. September 1863 war es soweit, und die Quintessenz seiner Noten war, daß Rußland die Diskussion über die polnische Frage als beendet betrachtete23. Da zu diesem Zeitpunkt der Aufstand ohnehin kaum mehr Aussicht auf Erfolg hatte und andere Themen in den Vordergrund der europäischen Politik traten – so die schleswig-holsteinsche Frage, der amerikanische Bürgerkrieg und das mexikanische Abenteuer24 –, wurde dies von den drei Mächten schließlich auch akzeptiert. Frankreich tat dies zögernd und mit Bedauern25, || S. 15 PDF || England zog einen kräftigen Schlußstrich unter die gesamte Angelegenheit26, und Österreich war froh, in keine größeren Kalamitäten geraten zu sein.

Die außenpolitische Behandlung des polnischen Aufstandes stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der innenpolitischen Situation der Monarchie. Die Frage nach der Reaktion der in Galizien und Krakau lebenden Polen war stets mitbestimmend für das Verhalten der österreichischen Regierung gegenüber der Insurrektion und den sich daraus ergebenden Folgen im Inneren des Habsburgerstaates. Verglichen mit den beiden anderen Teilungsstaaten ging es den österreichischen Polen noch am besten. Ein unmittelbarer Anlaß zum Ausbruch von Unruhen lag nicht vor, doch vom ersten Augenblick an erfreute sich der Aufstand der Unterstützung breitester Bevölkerungsschichten. In Krakau wurde die polnische Nationaltracht plötzlich allgemein populär, Pamphlete der provisorischen Warschauer Regierung wurden verbreitet und Werbebüros zur Unterstützung des bewaffneten Kampfes errichtet27. Doch die politisch relevante Kraft des Landes, die zumeist adeligen Konservativen, nahmen eine ambivalente Haltung ein. Eine revolutionäre Bewegung war ihnen von vornherein suspekt, und außerdem lehnten sie diesen Aufstand zum falschen Zeitpunkt ab. Was ihnen unter den konkreten politischen Bedingungen vorschwebte, war, jenen Status wiederzugewinnen, der Polen durch den Wiener Kongreß 1815 zugestanden worden war und dann sukzessive von den Russen abgeschafft wurde28.

Bei der ersten Beratung des Ministerrates nach dem Ausbruch des bewaffneten Kampfes setzte sich Schmerling durch, der empfohlen hatte, ungeachtet der bestehenden internationalen Abkommen und Verpflichtungen Rußland gegenüber, die Angelegenheit mit großer Zurückhaltung, ja eigentlich recht mild zu behandeln29. Doch der Abschluß der Alvenslebenschen Konvention schuf eine ganz neue Situation. Der galizische Adel gab seine Zurückhaltung auf und stellte sich hinter den Aufstand30. Das wiederum stellte die österreichische Regierung vor neue Probleme.

|| S. 16 PDF || Ihr war klar, daß der galizische Landtag in seiner nächsten Sitzung am 9. Februar 1863 nun politische Aktivitäten zugunsten des Aufstandes starten würde. Auf Drängen des galizischen Statthalters, des Grafen Alexander Mensdorff-Pouilly, wurde die Einberufung zunächst auf den 15. März 1863 verschoben, um, da sich bis zu diesem Termin aus der Sicht der Regierung keine Besserung der Lage ergeben hatte, auf unbestimmte Zeit vertagt zu werden; tatsächlich trat der galizische Landtag in dieser Session nicht mehr zusammen31.

Der für die Polen ungünstige Verlauf des Aufstandes bescherte den österreichischen Behörden noch weitere Schwierigkeiten. Immer größere Massen von Insurgenten suchten Zuflucht im neutralen Habsburgerstaat. Ihre Behandlung bildete wiederholt den Gegenstand ministerieller Beratungen32. Dabei wurde von Anfang an die Verfolgung der nach Österreich geflüchteten Aufständischen nach § 66 des StGB, d. h. wegen Störung der öffentlichen Ruhe, als Devise an die zuständigen Behörden ausgegeben; die vertragliche Verpflichtung, Rebellen an Rußland auszuliefern, kam nicht zur Anwendung. Hein hatte zwar Mitte März eine vorläufige Regelung der Verfahrensweise in dieser Angelegenheit erreicht33, doch waren damit nicht alle Schwierigkeiten ausgeräumt. Der Balanceakt der österreichischen Außenpolitik hatte seine Entsprechung auch im Inneren der Monarchie, denn die Behandlung der in Österreich internierten aufständischen Polen mußte ja auch als Gradmesser für die Ernsthaftigkeit und Zuverlässigkeit der habsburgischen Außenpolitik angesehen werden. Es sollte sich aber zeigen, daß die österreichische Justiz offenbar zu unabhängig geworden war, jedenfalls im Zusammenhang mit den außenpolitischen Intentionen der Regierung. Die mit den polnischen Angelegenheiten befaßten Gerichte nahmen die geltenden Gesetze ernst und waren gewillt, einzelne Aufständische auszuliefern. Das wiederum lag keineswegs im Interesse der Regierung; sie befand sich dabei in einem klassischen Dilemma. Die nach einem Ministerratsbeschluß ergangenen Erlässe des Justizministers an die zuständigen Gerichtsbehörden waren zu vage34, um als wirkliche Richtlinien zu gelten. Zugleich wurde den Behörden in Krakau und Lemberg bedeutet, am polnischen Aufstand beteiligte russische Untertanen nicht an das Zarenreich auszuliefern. Hein war sich aber dessen bewußt, daß er keinen Rechtsbruch verordnen konnte. Deshalb setzte er sich mit dem Polizei- und Staatsministerium in Verbindung und bat, man möge Fälle, in denen man eine Ausnahme machen wollte, erst gar nicht den Gerichten anzeigen; denn, so der Justizminister, lief das Verfahren erst einmal, konnte nicht einmal er etwas ausrichten35. Abgesehen von diesen prinzipiellen || S. 17 PDF || Schwierigkeiten ergaben sich aber auch Unterschiede in der gerichtlichen Praxis der einzelnen Behörden bei der Behandlung von Straftaten russischer Untertanen gegen die eigene Regierung, die erst im September beseitigt werden konnten36. Besondere Aufmerksamkeit erregte die Behandlung prominenter polnischer Führer des Aufstandes, wie z. B. des Diktators Langiewicz, die in der Regel interniert, jedoch nicht nach § 66 des StGB verfolgt wurden37. Einige Grenzverletzungen durch russische Truppen und die Vorgangsweise der österreichischen Behörden in Galizien bezüglich des polnischen Aufstandes gaben Anlaß zu Interpellationen im Reichsrat, die allerdings ohne größere Auswirkungen blieben38.

Die österreichische Regierung, die anfangs gehofft hatte, der Aufstand würde bald zusammenbrechen, sah sich nach dem Schwinden dieser Hoffnung veranlaßt, offiziell Stellung zu der Revolution zu beziehen; dies um so mehr, als die eher nachsichtige Haltung der österreichischen Behörden gegenüber der polnischen Agitation, die von politischen Kundgebungen bis zur Anwerbung und Ausbildung Freiwilliger für den polnischen Freiheitskampf ging, im Ausland, insbesondere in Rußland, den Eindruck entstehen ließ, Österreich würde die Rebellion im Nachbarstaat gar nicht so ungern sehen und sie zumindest indirekt unterstützen. Obwohl Mecséry für ein direktes, öffentliches Vorgehen war, setzte sich Rechberg, unterstützt von Lasser, durch, der nur für eine Belehrung der galizischen Behörden und für die Lancierung geeigneter Artikel in der Presse eintrat, um so die Haltung der Regierung zu dokumentieren39. Die Urgenzen Mensdorffs, der nicht müde wurde, auf die Gefahren für Galizien und Krakau hinzuweisen, bewirkten allerdings, daß schließlich doch auf Weisung des Polizeiministers ein Erlaß Mensdorffs an die Behörden erging, in dem die kolportierte Meinung, Österreich würde Galizien aufgeben, strikt dementiert || S. 18 PDF || und darauf hingewiesen wurde, daß die Monarchie nur aus Gründen der Humanität Flüchtlingen aus dem Königreich Schutz gewähre, jedoch keine Aktivitäten zur Unterstützung des Aufstandes dulde40. Von Interesse war, daß Schmerling bei dieser Gelegenheit Mensdorff vorwarf, nicht genügend über die außenpolitischen Intentionen der Wiener Regierung unterrichtet zu sein. Dieser Vorwurf richtete sich indirekt gegen Rechberg, als dessen Mann der galizische Statthalter angesehen wurde. Schon frühzeitig wurden hier die zwei Richtungen innerhalb des Kabinetts sichtbar. Während Rechberg, der eine Annäherung Frankreichs an Rußland fürchtete, die polnische Frage in enger Zusammenarbeit mit Frankreich zu lösen versuchte – als Beispiel sei auf die Mission des Fürsten Metternich im März hingewiesen –, war Schmerling bemüht, die österreichische Politik auf einem starken Rückhalt in Deutschland aufzubauen. Dabei wollte er zwei Fliegen auf einen Schlag treffen: die Ausrichtung Deutschlands auf die österreichische Polenpolitik hätte eine Stärkung der Donaumonarchie im Deutschen Bund bedeutet und ein unabhängiges, nur den österreichischen Interessen dienendes Vorgehen ermöglicht41. Die Furcht vor der Verknüpfung der galizischen Frage mit dem polnischen Aufstand veranlaßte die österreichische Regierung, weitgehend der Schmerlingschen Richtung zu folgen; erst der Mißerfolg des Frankfurter Fürstentages ließ sie wiederum die Annäherung an Frankreich suchen42.

Deutsche Bundesreform - Retrodigitalisat (PDF)

Die von der österreichischen Regierung während des polnischen Aufstands von 1863 verfolgte Politik verschärfte noch die Frage über die Stellung der Habsburgermonarchie zum oder im Deutschen Bund und ließ sie noch um einige Facetten reicher werden. Denn um die neutrale, ja neutralistische Haltung auch europaweit abzusichern, brauchte Österreich einen starken Rückhalt in Deutschland43. Doch gerade dort gestalteten sich die Dinge recht kompliziert. Der Kampf zwischen Österreich und Preußen um die „Vorherrschaft im Deutschen Bund“ war 1862 stark eskaliert. Durch die preußische Anerkennung des Königreichs Italien im Juli 186244 und den || S. 19 PDF || Abschluß des preußisch–französischen Handelsvertrages45 14 Tage später, sah Österreich sich außenpolitisch in die Zange genommen und die eigene Deutschlandpolitik in Gefahr; als geeignete Gegenmaßnahme erschien nur eine konstruktive Bundesreformpolitik.

Zwar hatten sich österreichische Amtsstellen schon länger mit Reformvorschlägen beschäftigt, doch die offizielle Politik nahm auf sie nur wenig Bedacht46. 1862 wurden sie von der Wiener Regierung zum Mittel der Deutschlandpolitik erhoben – anfangs freilich recht vorsichtig. Auf der im Juli/August 1862 in Wien tagenden Gesandtenkonferenz – ohne Preußen – wurde ein Minimalprogramm entworfen47: von den Landtagen gewählte Delegiertenversammlungen sollten beim Bundestag die Bundesgesetzgebung beraten. Preußen unter Bismarck lief gegen dieses Vorhaben Sturm. Die Beziehungen zwischen Österreich und Preußen wurden im Dezember 1862 immer angespannter – die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln schien nicht ausgeschlossen. Bismarck drohte für den Fall, daß der Bundestag den österreichischen Vorschlag annähme, mit Preußens Austritt aus dem Bund und verkündete offen: „Nous croiserons les bajonettes48!“ Aber so weit kam es nicht; die österreichischen Propositionen wurden im Jänner 1863 mehrheitlich verworfen. Nun kam die zweite Phase. „Mit der taktischen Niederlage in Frankfurt gewann Österreich die Möglichkeit zu einem großen operativen Vorstoß – dem Plan der bundesrechtlichen Totalreform49.“ Dieser Plan sah ein fünfköpfiges Bundesdirektorium als Inhaber der obersten Bundesexekutionsgewalt vor; weiters sollten eine Fürstenversammlung, ein föderativer Bundesrat und eine indirekt gewählte Bundesversammlung geschaffen werden. Dem neu zu errichtenden Bundesgericht wäre die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen den einzelnen Bundesmitgliedern zugefallen50. Man sieht, diese Reform ging weit über die bisherige Bestimmung des Deutschen Bundes hinaus, die hauptsächlich die deutsche Sicherheit garantieren sollte; und nach den Urhebern dieses Planes sollte dies natürlich unter der Leitung Österreichs geschehen. Die Idee der Reorganisierung des Bundes in dieser Form ging auf Julius Fröbel zurück. Auf der von ihm ausgearbeiteten Grundlage legten die im Dienste des Erbprinzen von Thurn und Taxis stehenden Freiherr von Dörnberg und Baron Gruben im März 1863 dem Kaiser einen Reformentwurf vor, von dem sich Franz Joseph angetan zeigte. Der zu Rate gezogene Freiherr von Biegeleben erarbeitete mit Dörnberg nun eine || S. 20 PDF || eigene Reformvorlage aus. Schmerling, der von der Sache längst wußte, schienen diese Bestrebungen gut in seine großdeutschen Pläne zu passen51. Nur Rechberg, in dessen Kompetenz dies alles eigentlich fiel, wurde erst nachträglich informiert und betrieb die Angelegenheit, nachdem er sie anfangs völlig abgelehnt hatte, mit wenig Enthusiasmus. Da aber die Entscheidung von allerhöchster Stelle kam, ging man nun daran, den Plan effizient in die Tat umzusetzen. Doch bei der genaueren Ausarbeitung des Vorhabens ergaben sich einige Bedenken. So fürchtete man die Einmischung der europäischen Mächte, die ja als Garanten der ersten Bundesakte aufgetreten waren. Um ja den Anschein zu vermeiden, es handle sich hier um eine wesentlich neue Vertragsform, wurde betont, daß die Reform nur den „beständigen und unauflöslichen Verein der souveränen Fürsten und freien Städte Deutschlands“ weiterentwickeln sollte. Die Frage, ob die nach wie vor formal dem Deutschen Bund als Mitglieder angehörenden Könige von Dänemark und den Niederlanden eingeladen werden sollten, wurde positiv entschieden: alle Mitglieder würden eingeladen, wer fernbleiben wolle, würde dies ohnehin tun. Dabei sollte das Moment der Überraschung, ja der Überrumpelung eine wichtige Rolle spielen: Einladung, Vorlage des Reformwerkes und Abhaltung des Kongresses innerhalb kürzester Zeit sollten die Annahme der Reform garantieren52. Zu einer kleinen, aber sympto­matischen Differenz kam es in der Frage der detaillierten Ausarbeitung des Reformprogramms. Der deutsch-liberale Schmerling wollte dies, wenn der Fürstenkongreß zu einem positiven Ergebnis gekommen wäre, von der Bundesversammlung erledigt sehen. Der konservative Minister des Äußern hingegen hatte für dieses Gremium nur Verachtung übrig, und der Polizeiminister schlug vor, die Sache durch eine besondere Konferenz zu Ende führen zu lassen; die Bundesversammlung hätte das Resultat bloß zur Kenntnis zu nehmen53. Ein bundesfürstlich (letztlich wohl habsburgisch) dominiertes Deutschland war das Ziel. Diese spätfeudalistische Reichsidee und die machtpolitische Realität legten es nahe, auch das rivalisierende Preußen in das Reformnetz einzubeziehen. Vor allem der konservative Rechberg drängte darauf, um ja keinen evidenten Bruch mit Preußen zu riskieren. Der Minister des Äußern zeigte sich dabei allerdings überaus skeptisch. Ob das Berliner Kabinett mitmachen würde, erschien ihm mehr als fraglich. Selbst bei einem Ministerium der Linken wäre der „altbrandenburgische“ Antagonismus gegenüber Österreich dominant; unter der Ägide Bismarcks sei die Lage um nichts besser geworden. Schmerling widersprach dieser Auffassung, indem er darauf hinwies, daß Preußen schon wegen Posen zu einer entschiedenen Stellung gezwungen wäre und Verbündete zur Stärkung der eigenen Position suchen müsse.

|| S. 21 PDF || Der Kaiser selbst gab sich eher pessimistisch: ob die österreichischen Reformpläne, außer in linken Kreisen, Preußen begeistern werden, sei mehr als zweifelhaft. Doch der Versuch sollte unternommen werden54.

Auch hier wurde die Taktik der Überrumpelung angewendet. Als der österreichische Kaiser dem preußischen König am 3. August 1863 in Gastein einen Besuch abstattete, waren sowohl Wilhelm als auch der dort ebenfalls weilende Bismarck von den Mitteilungen des Habsburgers völlig überrascht. Wilhelm machte zunächst einige Einwände, u. a. sollte zunächst eine vorberatende Ministerial­konferenz zusammentreten, sagte aber prinzipiell weder ja noch nein zu der österreichischen Idee. Die Aktion war gut geplant, der Preußenkönig unter Zeitdruck, eine genauere Prüfung der Reformvorschläge kaum möglich. Überdies konnte man annehmen, daß die österreichischen Propositionen in Deutschland populär werden würden; schließlich war die fürstliche Loyalität Wilhelms gut bekannt – konnte er einer (fast) vollständigen deutschen Fürstenversammlung fernbleiben? Bismarck sah die aufziehende Gefahr sofort, und letztlich gelang es ihm, obwohl der herbeigerufene preußische Kronprinz sich für eine preußische Repräsentanz in Frankfurt aussprach, seinen Herrn von der Beschickung des Fürstenkongresses abzuhalten55.

Der Frankfurter Fürstentag schien dann ein großer Triumph der österreichischen Politik zu werden; schließlich wurde der in einigen Punkten allerdings wesentlich abgeänderte Reformvorschlag von 24 der 30 Teilnehmer angenommen – bis dann die Einschränkung gemacht wurde, die Unterzeichneten fühlten sich nur so lange an die Reformakte gebunden, „bis die hier nicht vertretenen Bundesglieder den ihnen mitgeteilten Entwurf entweder definitiv abgelehnt oder uns ihre Gegenvorschläge eröffnet haben“56. Damit ging die Initiative in dieser Angelegenheit auf Preußen über – die deutschen Bundesreformpläne Österreichs konnten vorerst als gescheitert angesehen werden.

Umstellung auf Solarjahr und Nettobudget - Retrodigitalisat (PDF)

Seit der Einführung eines geordneten Rechnungswesens erstreckte sich das Verwaltungsjahr in Österreich über den Zeitraum vom 1. November bis zum 31. Oktober des nachfolgenden Jahres. Diese Periodisierung hatte militärische Ursachen – üblicherweise wurden kriegerische Kampagnen in früherer Zeit mit dem Einbruch des Winters unterbrochen –, und das Verwaltungsjahr wurde auch „Militärjahr“ genannt. Die Reform, die mit Beginn der 2. Reichsratssession dem Parlament vorgelegt wurde und die die Umstellung des Verwaltungszeitraums auf das Solarjahr beinhaltete, || S. 22 PDF || womit sich für das nächste Verwaltungsjahr eine 14monatige Periode ergab, stellte nur die Angleichung an die Verwaltungsnorm der meisten anderen europäischen Staaten dar57.

Weit bedeutsamer an dieser Reform war die Umwandlung des Staatsvoranschlages vom Netto- zum Bruttobudget58. Das wichtigste Kriterium des alten Nettobudgets war der Umstand, daß die gesamten Aufwendungen für die Steuererhebungen von den Steuereinnahmen durch die einzelnen steuererhebenden Dienststellen abgezogen und dann erst die so entstandenen Nettoüberschüsse an die Zentralstaatskassa abgeliefert wurden. Das neue System sah vor, daß alle Staatseinnahmen und Staatsausgaben zentral und getrennt verrechnet wurden. Das Budget sollte von nun an nach dem Durchschnittsergebnis der letzten Verwaltungsjahre, unter Berücksichtigung von legislativen Änderungen, mit vollen Beträgen angesetzt werden. Weiters wurde explizit verlangt, obwohl in Österreich schon üblich, daß der Unterschied der ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben festzuhalten wäre. Interessant war auch die Beseitigung der Unterabteilung nach den einzelnen Kronländern bei den Ansätzen des Aufwandes für die einzelnen Verwaltungszweige.

Diese finanztechnische Reform war symptomatisch für den gesellschaftspolitischen Wandel, ein markantes Zeichen für „den Übergang von der absolutistischen zur konstitutionellen Periode“59. Auffallend ist zunächst, daß die Beschränkung des Planungszeitraums auf ein Jahr überhaupt nicht mehr diskutiert wurde. Diese zeitliche Einschränkung war im budgettechnischen Sinn nicht unbedingt notwendig; sie war allerdings politisch wichtig: der Reichsrat schränkte den finanzwirtschaftlichen Spielraum der Regierung empfindlich ein und schuf sich so seine eigentliche politische Machtbasis60. Die übersichtlichere und den finanz- und wirtschaftswissenschaftlichen Anforderungen entsprechendere Aufschlüsselung der staatlichen Einnahmen und Ausgaben kam dem bürgerlichen Anspruch auf Offenlegung und letztlich auch Kontrolle der staatlichen Finanzgebarung entgegen. Denn je detaillierter und vollständiger der Staatsvoranschlag ausfiel, desto punktueller und effizienter konnte das Parlament, dem ja nicht das Recht auf Änderung, sondern nur das Mittel der Ablehnung zur Verfügung stand, in die Gestaltung des Budgets eingreifen. Schließlich brachte die Reform auch eine gewisse Zentralisierung des Staates mit sich, was der stärksten bürgerlichen Gruppierung im Reichsrat, den Deutsch-Liberalen, zweifellos ins politische Konzept paßte.

Die Reformvorlage war gut vorbereitet, und der Ministerrat hatte gegen die diesbezüglichen Vorschläge im großen und ganzen nichts einzuwenden. Die einzige Schwierigkeit ergab sich || S. 23 PDF || bei der Verrechnung und Dauer der aufzunehmenden Kredite. Schließlich einigte man sich dahingehend, daß nicht benützte oder aufgebrauchte Kredite noch sechs Monate im nachfolgenden Verwaltungsjahr mit Bewilligung der zuständigen Zentralstellen und im Einvernehmen mit dem Finanzministerium in Anspruch genommen werden konnten61.

Das Problem der legislativen Umsetzung liberaler Ideen - Retrodigitalisat (PDF)

a) Die Strafprozeßordnung

Die weitgehende Revision des im Vormärz geltenden Strafprozeßrechts war eine der Kernforderungen der bürgerlichen Revolution von 1848. Das bisherige Verfahren hatte seine Grundlage in der Inquisitionsmaxime: das Gericht war Ankläger, Verteidiger und Urteilsfinder in einem62. Nun verlangte man die Einführung des Anklageprozesses63. Die Märzverfassung von 1849 ebnete dann den Weg für die reformierte StPO vom 17. Jänner 1850, die nach seinem Verfasser die Würthsche hieß64. Sie ging im großen und ganzen auf die thüringische StPO von 1850 zurück, die sich wiederum am französischen Vorbild orientierte; das Strafverfahren wurde öffentlich, die Anklageerhebung und Urteilsfindung verschiedenen Institutionen zugewiesen und die Zuständigkeit der Schwurgerichte auf alle schweren Verbrechen und die meisten politischen Delikte ausgedehnt. Doch mit der Niederschlagung der Revolution und der Wiederkehr des absolutistischen Regimes wurde auch diese bürgerlich-liberale Errungenschaft abgeschafft, und am 29. Juli 1853 ersetzte die von Hye-Glunek ausgearbeitete StPO die Würthsche. Erneut, wenn auch in einer verbesserten Form, trat das Inquisitionsprinzip in den Vordergrund65.

In der neuen, konstitutionellen Ära seit 1860 wurde die im Geiste des Neoabsolutismus wurzelnde Prozeßorganisation zusehends fragwürdiger. Bereits zu Anfang des Jahres 1861 forderte der damalige Leiter des Justizressorts, Freiherr v. Pratobevera, den Rechtsgelehrten Julius Glaser auf, eine zeitgemäß modifizierte StPO vorzubereiten. Schon im Mai 1861 legte der damalige Professor an der Wiener Universität entstrafrechtspflege || S. 24 PDF || sprechende Vorschläge vor66; der Justizminister zeigte sich interessiert und betraute Glaser mit den Vorarbeiten zum Entwurf einer neuen StPO. Diese Vorarbeiten dienten dann zwei Monate später einer Kommission als Grundlage zum ersten neuen umfassenden Gesetzentwurf. Weitere Verhandlungen im Justizministerium und neue Entwürfe folgten. Der insgesamt vierte wurde schließlich 1862 gedruckt. Verschiedene Gründe, nicht zuletzt der Wechsel an der Spitze des Justizministeriums67, ließen das Projekt etwas ins Stocken geraten. Aber am 17. Jänner 1863 nahm eine Kommission unter dem Vorsitz des neuen Justizministers, Dr. Hein, die Beratungen über den Gegenstand wieder auf.

Glaser legte den auf Grundlage der von ihm selbst ausgearbeiteten 74 Thesen basierenden fünften Entwurf, wohl den wichtigsten in der langen Entstehungsgeschichte der neuen StPO, dem Justizministerium zur Begutachtung vor 68. Doch dem Staatsrat waren die Propositionen zu kühn, und er erhob etliche grundsätzliche Einwände69. Unter anderem war der Staatsrat bemüht, die Kompetenzen der neu zu schaffenden Schwurgerichte – deren Einführung vom Kaiser bereits beschlossen worden war und daher nicht in Frage gestellt werden durfte 70 – stark einzuschränken; so sollten vor allem die wichtigen Preß- und politischen Prozesse nicht vor dieser Institutionen abgehandelt werden. Obwohl sich der liberal gesinnte Hein wehrte, so gut es ging, die Bedenken des Staatsrates wurden auch von der Majorität seiner Kollegen geteilt71, und der Justizminister sah sich gezwungen, diese in einem neuen Entwurf – das war bereits der sechste – zu berücksichtigen. Aus liberaler Sicht bedeutete dies einen Rückschritt. Nach einer erneuten Revision, die durch Einsprache der Militärs notwendig geworden war, wurde der nun schon siebente Entwurf vom Kaiser im Jahre 1864 zur Vorlage an den engeren Reichsrat freigegeben72, den allerdings, aus politischen Gründen und weil sich das allgemeine Interesse anderen Reformen zuwandte, so der des Zivilprozesses und des Strafrechtes, das Parlament nie zu Gesicht bekam.

|| S. 25 PDF || Erst nach drei Jahren kam die Diskussion über eine neue StPO wieder in Gang, und es sollte bis 1873 dauern, bis endlich der zehnte Entwurf, von Glaser, der inzwischen zum Leiter des Justizministeriums berufen worden war, selbst eingebracht, realisiert werden konnte73.

b) Das Wuchergesetz

Die in Österreich im Jahre 1863 noch immer geltende Regelung des Kreditwesens hatte ihre Grundlage in dem am 2. Dezember 1803 erlassenen Wucherpatent74, das, abgeändert durch das Hofdekret vom 20. Mai 1808 75 und streng geregelt durch die §§993–1000 des ABGB, den höchstzulässigen Zinsertrag mit 5% festsetzte. Dieses, von den Liberalen so bezeichnete Gängelband der freien ökonomischen Entwicklung gab bereits in den 50er Jahren Anlaß zur großangelegten Reformdiskussion76. Mit dem Ende des Neoabsolutismus und der verstärkten politischen Emanzipation der bürgerlichen Liberalen erschien die alte Regelung unhaltbar, und selbst der damalige Justizminister, Graf Nádasdy, der sich noch Ende der 50er Jahre mit Nachdruck gegen die „übereilte“ Aufhebung der Bestimmungen von 1803 ausgesprochen hatte, legte 1860 einen Reformentwurf vor, der sich weitgehend am wirtschaftsliberalen Gedankengut orientierte77. Sein Nachfolger im Amt, Pratobevera, verkündete ein Jahr später vor dem Reichsrat – und zur allgemeinen Zufriedenheit – die Absicht der Regierung, die bestehenden Wuchergesetze abzuändern78. Tatsächlich wurde aber der von Pratobevera ausgearbeitete Gesetzentwurf vom Ministerrat nicht gutgeheißen und zur Überarbeitung an den Justizminister zurückgestellt79.

Und dann geschah fast zwei Jahre recht wenig. Das hatte verschiedene Ursachen. Zum einen wurde eine Menge anderer Gesetze als wichtiger angesehen; die Neuregelung der Zinsgeschäfte konnte ganz einfach aus Zeitmangel nicht in Angriff genommen werden. Das mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen; denn war nicht die Entwicklung des Geldgeschäftes eine der Säulen der liberalen Wirtschaftspolitik? || S. 26 PDF || Zweifellos. Aber gerade im Bankgeschäft kam es zu einer Reihe von Ausnahmebestimmungen: der §23 der Nationalbankstatuten und der §6 der Statuten ihrer Hypothekabteilung legalisierten praktisch die freie Zinsvereinbarung bei Geschäften dieser Anstalt80; auch die Einführung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches81, namentlich dessen Artikel 292, bedeutete eine teilweise Durchbrechung der bestehenden Wuchergesetze. Somit waren zwar wichtige Gruppen der an einer Reform der gültigen Rechtsnorm Interessierten zufriedengestellt, andererseits wurde aber das Festhalten an diesen Normen immer absurder. Die Regierung geriet unter wachsenden Druck, die nicht zufriedenstellende Situation zu bereinigen. Neben den diversen Handelskammern wurde auch der oberösterreichische Landtag in dieser Richtung aktiv82, und auch im Reichsrat wurde ein diesbezüglicher Vorstoß unternommen. Der Abgeordnete Schindler interpellierte die Regierung, den unhaltbaren Zustand zu beseitigen, und wies darauf hin, daß durch die Ausnahmebestimmungen und die kaufmännische Praxis die starre Regelung ohnehin als aufgehoben erscheine83. Obwohl sich die Regierung der Notwendigkeit zur Reform bewußt war und die gesetzliche Lage durch weitere Ausnahmeregelungen84 noch problematischer geworden war, wurde in der laufenden Reichsratssession dem Parlament kein neuer Regierungsentwurf zur Abänderung oder Beseitigung des Wucherpatents und der Zinstaxe vorgelegt.

Erst das Gesetz vom 14. Dezember 1866 beseitigte das Wucherpatent vom Jahre 1803, behielt aber doch noch einen kleinen Rest der staatlichen Einflußnahme auf die Regelung und Abwicklung der Geldgeschäfte bei85; aber selbst damit machte das sogenannte Zinsgesetz vom 14. Juni 1868 ein Ende86. Alle Beschränkungen des Darlehensvertrages wurden aufgehoben, und an ihre Stelle trat „die Wucherfreiheit und Vogelfreiheit des Bewucherten“87.

c) Die Konkursordnung

Die zeitgemäße, d. h. kapitalistische Neuregelung der Wirtschaftsgesetze war, wie schon erwähnt, eines der zentralen Anliegen des nun auch politisch aufkommenden Bürgertums. Mit der Einführung des gerichtlichen Ausgleichsverfahrens wurde diesem Wunsch teilweise entsprochen. Dessen Zustandekommen ist an anderer Stelle schon erläutert worden88.

Um den gesellschaftspolitischen Kontext richtig würdigen zu können, muß man sich Folgendes vor Augen halten: Die Idee des Ausgleichs, der jüngeren Abart der beiden Varianten beim Kridaverfahren, hatte sich in Europa erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchgesetzt89. Während nun das Ausgleichsverfahren darauf ausgerichtet war, die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Schuldners zumindest rudimentär zu erhalten und von den Gläubigern Opfern verlangte, zog das früher allein anwendbare Konkursverfahren meistens den ökonomischen Ruin des Belangten nach sich. Prinzipiell gab es zwei Varianten des Kridaverfahrens: die italienische, die den Interessen der Gläubiger das Übergewicht verschaffte, und die spanische, die dem Gericht (in jener Zeit also mehr oder minder direkt die Staatsmacht) den größeren Einfluß garantierte90. Es war kein Zufall, daß im vormärzlichen Österreich die spanische Richtung zur Leitlinie des geltenden Konkursrechts wurde.

Die wirtschaftliche Entwicklung ließ aber die Mängel der alten Rechtseinrichtung immer deutlicher zutage treten; ja, die verheerende Wirkung der unzeitgemäßen Regelung auf ganze Wirtschaftszweige wurde zu evident91. Interessant war, daß man bei der Suche nach Abhilfe, d. h. der Einführung einer praktikablen gesetzlichen Änderung, auch einen, wenn man so will, ideologischen Bruch herbeiführte: Das Gesetz vom 17. Dezember 1862, womit das Ausgleichsverfahren vorläufig geregelt wurde, hatte den französischen Code de commerce von 1807 zum Vorbild, der wiederum nur eine Weiterentwicklung der oben erläuterten italienischen Variante darstellte92.

Die Einführung des Ausgleichsverfahrens hatte die wirtschaftspolitische Situation etwas entschärft. Trotzdem blieb die Forderung nach einer aktuellen Abänderung der Konkursordnung aufrecht; die Regierung wurde am 4. November 1862, das war nach der dritten Lesung und Annahme des Regierungsentwurfs über das Ausgleichsgesetz, vom Reichsrat aufgefordert, „ein neues, den Fortschritten der Rechtswissenschaft und den Verkehrsbedürfnissen entsprechendes Konkursgesetz vorzulegen“93.

|| S. 28 PDF || Tatsächlich wurde noch 1862 der sogenannte Benonische Entwurf, benannt nach seinem Schöpfer, dem Ministerialrat Cäsar Benoni von Clanisberg, ausgearbeitet, der nach eingehenden Beratungen, wozu auch Vertreter des Advokaten- und Notarstandes beigezogen worden waren94, und nach einer Begutachtung durch den Staatsrat in den Ministerrat gelangte. Nach dessen Beschlüssen wurde er neu redigiert, endlich vom Staatsrat abgesegnet und am 14. Juli 1863 von Hein dem Reichsrat vorgelegt95. Die Regierung stand unter Druck, denn bereits am 27. Juni 1863 hatte der Abgeordnete Berger einen von der niederösterreichischen Advokatenkammer ausgearbeiteten Entwurf der Konkursordnung im Parlament eingebracht96. Der Beratungsbericht des zur Begutachtung dieser beiden Entwürfe eingesetzten Parlamentsausschusses konnte aber in der laufenden Session vom Plenum des Reichsrates nicht mehr verhandelt werden97. Erst nach dem Ausgleich von 1867 wurde die Angelegenheit unter dem Justizminister Hye-Glunek erneut dem Reichsrat zugeführt und schließlich durch das Gesetz vom 25. Dezember 1868 neu geregelt98.

Der siebenbürgische Landtag - Retrodigitalisat (PDF)

Eine Lösung des ungarischen Verfassungskonfliktes stand auch vor der Eröffnung der zweiten Session des österreichischen Reichsrates nicht in Aussicht. Angesichts der immer drängender werdenden Notwendigkeit, zumindest für eine formelle Komplettierung des Gesamtreichsrates zu sorgen, gewann für die Wiener Regierung die Frage der Einberufung von Landtagen in den ungarischen Nebenländern zu Beginn des Jahres 1863 erneut an Aktualität99. Während der kroatisch-slawonische Landtag bereits im Herbst 1861 an tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten mit der Regierung gescheitert war, bot Siebenbürgen relativ gute Chancen auf einen erfolgreichen Durchbruch der Schmerlingschen Reichspolitik100. Dessen ironische und von seinen parlamen­tarischen Gegnern gerne als Maxime seines politischen Handelns apostrophierte Haltung – „nun, wir können warten!“ – mochte vielleicht im legislativen Bereich zielführend sein, verfassungspolitische Erfolge ließen sich damit jedoch nicht erringen. Da letzteren aber in Hinblick auf die Konsolidierung des zerrütteten Staatshaushaltes entscheidende Bedeutung zukam, war das Kabinett || S. 29 PDF || Schmerlings, von außenpolitischen Mißerfolgen begleitet, zusehends unter Zugzwang geraten101. Dies sollte sich nun nach dem Plan der Regierung mit einem neuerlichen Anlauf zur Einberufung des siebenbürgischen Landtages ändern, wozu der Kaiser Ende 1863 seine Genehmigung erteilt hatte, nachdem man in Wien zuvor eifrig bemüht gewesen war, ein günstiges politisches Klima im Land zu schaffen102.

Freilich hatte der durch die magyarischen Unionsbestrebungen seinerseits interessengebundene ungarische Hofkanzler Forgách recht, wenn er dem Regierungsflügel Schmerlings vorwarf, nicht die argumentativ vorgeschobene „historisch-politische Individualität“ des Großfürstentums, sondern nur die Ergänzung des Reichsrates durch siebenbürgische Abgeordnete vor Augen zu haben, um „der Welt das Schauspiel eines sogenannten Gesamtreichsrates zu bieten“103. Worum es Forgách hingegen zu tun war, offenbarte sein Eintreten für den – vorwiegend magyarischen – Großgrundbesitz des Landes gegenüber den Massen der zahlenmäßig weit überlegenen rumänischen Bevölkerung im Zuge der Ministerberatung über die Landtags(wahl)ordnung, mit der das Schwerpunktthema „Siebenbürgen“ im Ministerrat gewissermaßen eröffnet wurde104. Trotz der von Forgách, seinem Landsmann Esterházy und Rechberg als Ultima ratio eingeschlagenen Obstruktionsversuche zögerte die Konferenz nicht mit der Annahme der entsprechenden Gesetzesvorlage des siebenbürgischen Hofkanzlers Graf Nádasdy, der seinerzeit als Exekutor der Schmerlingschen Gesamtstaatspolitik in das Kabinett berufen worden war105. Erwartungsgemäß trug die vom Staatsrat abgesegnete Wahlordnung zur Zusammenstellung des siebenbürgischen Landtages den ethnischen Mehrheitsverhältnissen des Landes Rechnung, was insofern den Absichten Wiens entsprach, als damit eine Majorisierung der stammesverwandten Ungarn und Szekler durch die regierungsfreundlichen Rumänen und Sachsen gewährleistet war. Ein auf dieser Basis zustandegekommener Landtag würde daher auch keinen Anstand nehmen, eine Delegation in den Reichsrat zu entsenden, welcher dann endlich – und nur das war entscheidend – zum „weiteren“ Reichsrat erklärt werden konnte. Um dabei sicherzugehen, hielt die Wahlordnung am alten Kronrecht der Ernennung von Regalisten fest, wodurch der Kaiser || S. 30 PDF || direkt auf die Zusammensetzung im Landtag Einfluß nehmen konnte; letzteres stellte in gewisser Weise also eine Analogie zu dem auf Landesebene in dieser Form nicht existierenden Herrenhaus dar. Bei alldem konnte sich die Schmerlingpartei in der Diskussion mit den heftig opponierenden ungarischen Ministern auf die Einlösung der im Oktoberdiplom zugesicherten Gleichberechtigung aller Nationen und Stände berufen106.

Da mit einem Erscheinen der siebenbürgischen Abgeordneten wegen der Landtagsvorbe­reitungen frühestens im August gerechnet werden konnte, entschied sich der Ministerrat bald dafür, das Parlament nun doch schon – so wie geplant – im Mai zu eröffnen, nachdem man in Anbetracht dieser aus Regierungssicht so günstigen Wende kurzfristig sogar daran gedacht hatte, von vornherein mit einem „weiteren“ Reichsrat in die zweite Session zu gehen107. Diese Annahme setzte allerdings ein rasches Vorantreiben der siebenbürgischen Angelegenheit voraus: So fand dazu bereits drei Tage später eine Beratung statt, bei der Nádasdy den Entwurf eines kaiserlichen Landtagseröffnungs­reskriptes präsentierte108. Darin war u. a. eine ganze Reihe von Gesetzentwürfen enthalten, die die Regierung dem Landtag vorzulegen beabsichtigte. Zu den wichtigsten und daher auch in der Folge vom Ministerrat noch einzeln behandelten Materien zählten zweifellos die Gesetzesartikel über die Gleichberechtigung der rumänischen Nation und ihrer Konfessionen109, den Gebrauch der drei landesüblichen Sprachen im öffentlich-amtlichen Verkehr110 und die Zusammensetzung und Ordnung des Landtages111. Forgách, er hatte mittlerweile offenbar resigniert, beschränkte sich darauf, an seine prinzipiellen Einwände in früheren Sitzungen zu erinnern.

Als Sitzungsort des Landtages wurde die sächsische Metropole Hermannstadt gewählt, nachdem das einst dafür vorgesehene Karlsburg mit der Begründung mangelnder Quartiermöglichkeiten ausgeschieden war112. Schließlich holte Nádasdy noch das Einverständnis der Konferenz zur Ernennung FML. Ludwig Graf Folliot de Crennevilles zum königlichen Landtagskommissär ein113. Als Präsident des siebenbürgischen Guberniums, worin er seinerzeit den unbeugsamen Grafen Mikó abgelöst hatte114, war ihm eine entsprechende Kenntnis der besonderen Verhältnisse im || S. 31 PDF || Lande zuzutrauen. Um so aufschlußreicher ist sein ungeschminktes Urteil, das wohl von so manchem Regierungsmitglied im Vertrauen unterschrieben worden wäre: „Keine der hier anwesenden Nationalitäten ist einen Groschen wert, die Ungarn sind ein charakterloses, starrköpfiges, dummes, die Walachen ein gutes, noch urwüchsiges, aber von halbgebildeten, korrumpierten Geistlichen und Advokaten irregeleitetes, die Sachsen ein eigennütziges, auf ihre in Siebenbürgen überwiegende Bildung eingebildetes und hochstrebendes Volk, und keines [ist] der Regierung weiter ergeben, als es seine Interessen mit sich bringen“115. – Parteilichkeit war vom designierten Landtagskommissär jedenfalls nicht zu erwarten!

Am 21. April 1863 widmete sich der Ministerrat sodann der im Zuge der Beratung über die Landtagsordnung vorerst noch nicht genau festgelegten Zahl an Regalisten116, denen insofern eine besondere Bedeutung zukam, als sie gegebenenfalls der Krone als Regulativ zu dienen hatten. Natürlich war man bemüht, dieses Instrument so zu handhaben, daß der Landtag nicht zur offenen Farce geriet. Dies wäre etwa dann geschehen, wenn man sich – der Anregung des Kaisers folgend – die Zahl der Regalisten vorbehalten hätte, um sie im Bedarfsfall die 125 Deputiertenstimmen paralysieren zu lassen. Daher einigte sich die Konferenz schließlich gegen die Stimmen von Forgách und Rechberg, die Zahl der „Regierungsmänner“ mit 40 zu begrenzen. Entscheidender noch als die bloße Anzahl der Regalisten war deren nationale und konfessionelle Zusammensetzung: Von den vorderhand 24 Vertrauensleuten, die der unterdessen zur Entlastung Nádasdys zum siebenbürgischen Hofvizekanzler ernannte Franz Frh. v. Reichenstein117 vorschlug, waren acht Rumänen, sechs Sachsen, sechs Ungarn und vier Szekler bzw., nach der Konfession, sechs lutherische, fünf röm.-katholische, fünf griech.-katholische, vier reformierte, drei griech.-orthodoxe und ein unierter; ein Drittel dieser Männer repräsentierte darüber hinaus den ehemals führenden Großgrundbesitz118. Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil schnitten die Magyaren dabei im Verein mit den Szeklern immer noch überproportional gut ab, was allerdings auf „Regierungsseite“ durch eine eklatante Bevorzugung des deutsch-sächsischen Elements ausgeglichen wurde119; zudem legte man bei den ungarischen Vertretern, wie die Ausführungen im Ministerrat beweisen, ein besonderes Augenmerk auf deren Wohlverhalten gegenüber den Absichten Wiens. Mit der Nominierung der restlichen 16 Regalisten wollte die siebenbürgische || S. 32 PDF || Hofkanzlei den Ausgang der Landtagswahlen abwarten, „um noch in der Lage zu sein, dem Landtage in irgendeiner Richtung fehlende Kräfte zuzuführen und sonst unmittelbar vielleicht nicht vertretene Interessen zu berücksichtigen“120. Forgách gab zu bedenken, daß „bei der Auswahl nicht allzu schroff“ vorgegangen werden dürfte, weshalb er etwa für die Berufung des Frh. v. Kemény und des Grafen Mikó plädierte. Da beide bereits maßgeblich am Nichtzustandekommen des Karlsburger Landtages von 1861 beteiligt gewesen waren, wies Schmerling diesen Vorschlag zurück, worauf Lasser an Palacký und Rieger erinnerte, ohne die eine böhmische Landesvertretung seines Erachtens nicht denkbar sei. Schließlich begnügte sich die Konferenz jedoch mit der Zusage Nádasdys, Kemény und Mikó nachträglich nominieren zu wollen, falls die beiden nicht ohnehin zu Abgeordneten gewählt werden würden. Als sich der Ministerrat einen Monat später mit der Besetzung der restlichen Regalistenstellen beschäftigte, gab Nádasdy bekannt, daß sich unter den nunmehr 38 vorgeschlagenen Regalisten 15 Ungarn befänden, bei welchen er von „bekannten Ultras der Opposition“ ebenso abgesehen habe wie von jenen, deren Wahl zu Deputierten als gesichert erscheine121.

Mitte Juni 1863 stand abermals der Entwurf des kaiserlichen Landtagseröffnungsreskriptes auf dem Tagesordnungsprogramm des Ministerrates122. Als Datum für die Einberufung des Landtages war mittlerweile der l. Juli 1863 fixiert worden, was sich jedoch angesichts einer Verzögerung der Wahlen schon bald als verfrüht erwies, worauf als neuer Termin der 15. Juli bestimmt wurde123. Neben den bereits erwähnten legislativen Aufgaben bezog sich das Reskript vor allem auf die jüngste Vergangenheit Siebenbürgens, wo es u. a. erklärend hieß, daß die im Jahre 1848 beschlossene Union des Großfürstentums mit Ungarn zwar niemals „mit voller Gesetzeskraft“ zustandegekommen, ein Rückgriff auf die alte autonome Verfassung Siebenbürgens jedoch schon deshalb unmöglich sei, weil dadurch „der größte Teil des Volkes [die Rumänen] von der Ausübung politischer Rechte ausgeschlossen“ worden wäre124. In der Detailberatung über die Formulierung strittiger Passagen setzte sich bezeichnenderweise meist die „mildere Fassung“ des Staatsrates durch, dessen Präsident ebenfalls zu den Gefolgsleuten Schmerlings zählte.

Auf der Grundlage der provisorischen Landtagsordnung125 kam es Anfang Sommer 1863 schließlich zur reibungslosen Durchführung der siebenbürgischen Landtagswahlen, an denen überraschenderweise vorerst auch die Ungarn und Szekler teilgenommen hatten. Erwartungsgemäß gingen dabei die bisher politisch überhaupt nicht vertretenen Rumänen als Sieger hervor, so daß sich die magyarischen Abgeordneten || S. 33 PDF || im neuen Landtag unter Einbeziehung der Regalisten einer erdrückenden Zweidrittelmehrheit von Rumänen und Sachsen gegenübersahen126.

Soweit schienen also die Absichten der Regierung für das erste erfüllt zu sein. Doch die Enttäuschung folgte umgehend, denn schon bei der am 15. Juli 1863 abgehaltenen Vorbereitungssitzung blieben die Bänke der ungarischen Abgeordneten leer. Diese hatten sich kurz zuvor unter ihrem Wortführer, dem Bischof Dr. Ludwig Haynald127, geeinigt, ihr Mandat zwar annehmen, den Landtagssaal aber erst dann betreten zu wollen, wenn der Kaiser die 1848er Landesgesetze und damit auch die Union mit Ungarn anerkenne. Damit war in Siebenbürgen letztlich dieselbe Situation eingetreten wie auf Reichsebene – dem „engeren“ Reichsrat in Wien stand nunmehr ein Rumpfparlament in Hermannstadt gegenüber.

Für den Fall, daß der siebenbürgische Landtag auch hinsichtlich der Beschickung des Reichsrates erfolglos sein sollte, hatte Nádasdy indessen bereits entsprechende Vorkehrungen getroffen. Die Nachricht vom ungarischen Boykott dürfte Wien eben erst erreicht haben, als er der Regierung einen Reskriptentwurf zur Auflösung des siebenbürgischen Landtages und zur Vornahme direkter Wahlen für den Reichsrat unterbreitete. Obwohl Nádasdy einschränkte, von dieser Maßregel aller Voraussicht nach nicht Gebrauch machen zu müssen, meinte er doch, schon jetzt großen Wert auf die kaiserliche Genehmigung dafür legen zu müssen. Mit Ausnahme Forgáchs, der versicherte, „daß er seinerseits sich nie getrauen würde, eine solche Maßregel für Ungarn in Antrag zu bringen“, billigte der Ministerrat das Vorgehen Nádasdys128.

Dennoch ließ die ungünstige Entwicklung in Siebenbürgen die alten Spannungen innerhalb der Regierung wieder offen zutage treten. Als Nádasdy Ende Juli im Ministerrat ein neuerliches Reskript zur Durchführung von Landtagsneuwahlen in einigen Wahlbezirken ankündigte, worin u. a. auch das kaiserliche Wohlwollen gegenüber dem kooperativen Teil der siebenbürgischen Bevölkerung zum Ausdruck gebracht werden sollte, prallten die gegensätzlichen Meinungen scharf aufeinander129. Abgesehen davon, daß dies ausschließlich – ebenso wie in Ungarn – eine Angelegenheit der Hofkanzlei sei, empörte sich Forgách mit einem Seitenhieb auf die Rumänen, daß „auch faktisch zu einer solchen Belobung kein Grund vorhanden [sei], da bei einem Zensus von acht Gulden diese Männer es nur der Gnade Gottes und Sr. Majestät zu danken haben, daß ihnen politische Rechte zugestanden worden seien“. Erst als Nádasdy darauf entgegnete, sich selbst als Kenner der Sachlage in erster Linie zu einer Entscheidung berufen zu sehen, geriet Rechberg aus der Fassung, indem er den Hofkanzler zurechtwies, daß diesfalls „der Ministerrat ganz überflüssig wäre, || S. 34 PDF || wenn jeder Minister oder Hofkanzler in Angelegenheiten seines Departements die Entscheidung sich anmaßen wollte“. In der Sache selbst sei, ungeachtet der Frage kaiserliches Reskript oder Dekret der Hofkanzlei, ohnehin jedem klar, daß die Sache von Schmerling und Nádasdy ausgehe. Obwohl sich der siebenbürgische Hofkanzler letztendlich doch durchzusetzen vermochte, mußte ihm das Ergebnis zu denken geben, um so mehr, als auch der Kaiser schon ungeduldig schien130 und angenommen werden konnte, daß die Gegenseite nicht untätig verharren würde.

Nachdem auch die Neuwahlen an der Zusammensetzung des Landtages nichts geändert hatten, da die magyarischen Abgeordneten meist wieder gewählt worden waren131, mußte der nun endlich in Gang gebrachte siebenbürgische Landtag, dem Wiener Beispiel folgend, ohne die Ungarn auskommen. Versöhnlich, nicht zuletzt aber um diesen ungünstigen Eindruck etwas zu entschärfen, beantragte die Hofkanzlei, den formell als Magyaren geltenden Regalisten Gustav Groisz zum Landtagspräsidenten zu ernennen, was vom Ministerrat einstimmig gebilligt wurde132. In einer Antwortadresse auf das kaiserliche Eröffnungsreskript vom 15. Juni 1863 brachten die in Hermannstadt versammelten Abgeordneten noch einmal ihre Wünsche und Hoffnungen zum Ausdruck, worauf die Regierung mit wortreicher Anerkennung und Genugtuung reagierte133.

Zu den bedeutendsten Aufgaben, die den Hermannstädter Landtag erwarteten, zählten zweifellos die Gesetzesvorlagen über die Durchführung der Gleichberechtigung der rumänischen Nation und ihrer Konfessionen sowie über die Regelung des Gebrauchs der drei landesüblichen Sprachen im öffentlich-amtlichen Verkehr134. Sie bildeten die Grundlage || S. 35 PDF || für die politische und kulturelle Gleichstellung der Rumänen mit den drei „historischen“ Nationen – Magyaren, Szekler und Sachsen – des Landes. Führer der rumänischen Emanzipationsbewegung waren die Bischöfe Andreas Frh. v. Schaguna und Alexander Sterka-Sulucz135.

Trotz regelmäßig stattfindender Sitzungen gingen die Geschäfte des Landtages äußerst schleppend voran. Schuld daran trug unter anderem der völlige Mangel an parlamentarischer Routine auf rumänischer Seite, was nicht selten zu endlosen, aber nichtsdestoweniger fruchtlosen Debatten führte136. Von einer raschen Erfüllung des zentralen Anliegens der Regierung, nämlich der Beschickung des Reichsrates, war daher weder – so wie ursprünglich geplant – im August noch im September 1863 die Rede.

Mittlerweile waren die Arbeiten des Finanzausschusses in Wien allerdings schon so weit gediehen, daß einer Behandlung des Staatsvoranschlages 1864 im Plenum des Abgeordnetenhauses nichts mehr im Wege stand. Für den Ministerrat stellte sich daher die Frage, ob die Budgetberatungen sofort beginnen oder aber bis zum Eintreffen der siebenbürgischen Abgeordneten verzögert werden sollten137. Nachdem Nádasdy versichert hatte, daß der siebenbürgische Landtag in Kürze zur Durchführung der Reichsratswahlen bereit sein werde, gelang es Schmerling, die Ausschußmitglieder zunächst zu einem Aufschub der Budgetvorlage bis Anfang Oktober zu bewegen138. Da es jetzt aber galt, die Beschickung des Reichsrates durch Siebenbürgen mit allem Nachdruck zu forcieren, trat Nádasdy schon zwei Tage darauf mit einem entsprechenden Reskript vor den Ministerrat139. Um Doppelwahlen zu vermeiden, unterbreitete er der Konferenz wenige Sitzungen später seine Anträge bezüglich der Ernennung von Herrenhausmitgliedern aus Siebenbürgen, wonach jede Nation – Ungarn und Szekler signifikanterweise zusammengefaßt – mit jeweils drei Mitgliedern vertreten war140.

Am 5. Oktober konnte Nádasdy endlich die langersehnte Nachricht vom einstimmigen Beschluß des siebenbürgischen Landtages zur Beschickung des Reichsrates melden. Zugleich beantragte er die Vertagung des Landtages bis zum Ende der laufenden Reichsratssession, „nachdem nun schon grundsätzlich ein Landtag nicht gleichzeitig mit dem Reichsrate tagen soll und nachdem die tüchtigsten Landtagsmitglieder || S. 36 PDF || zu Reichsratsabgeordneten werden gewählt werden und dieselben im Landtage schwer vermißt werden müßten“141. Dem war von seiten des Ministerrates nichts entgegenzuhalten.

Der siebenbürgische Landtag tat indessen seine Schuldigkeit und wählte die 26 verfassungsmäßig vorgesehenen Abgeordneten für den Reichsrat142, wo deren Eintreffen bereits mit Ungeduld und Spannung erwartet wurde. Am 20. Oktober, dem Jahrestag des gerade für Siebenbürgen so entscheidenden Oktoberdiploms, war es dann soweit: Unter dem Jubel ihrer cisleithanischen Kollegen zogen 22 siebenbürgische Delegierte in das Abgeordnetenhaus ein, wo sie zunächst vom Präsidenten des Hauses, Leopold Ritter v. Hasner, feierlich begrüßt und anschließend in ihrer jeweiligen Landessprache angelobt wurden143. Danach ergriff der sächsische Nationsgraf Conrad Schmidt144 als erster das Wort, um nach den obligaten Dankesworten ziemlich unumwunden auf den Kern der Sache zu kommen: die Bevölkerung Siebenbürgens erwarte von der gemeinsamen Reichsvertretung „die Förderung ihrer materiellen Interessen“, was konkret etwa die Einbeziehung des östlichsten Eckpfeilers der Monarchie in das österreichische Eisenbahnnetz bedeutete145. Schmerling war sich des Preises für die Schimäre eines Gesamtreichsrates wohl bewußt, als er die Hermannstädter Delegation mit den Worten „Siebenbürgen soll erfahren, was es heißt, zum Reiche zu halten“, empfing146.

Lange Dauer sollte dem symbiotischen Verhältnis zwischen Wien und Hermannstadt jedoch nicht beschieden sein. Bereits die Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn führten zu einer sukzessiven Preisgabe der siebenbürgischen Interessen durch die Regierung147. Im Zuge der dualistischen Umgestaltung des Reiches erfolgte schließlich 1867 die Auflösung des mittlerweile nach Klausenburg verlegten „Unionslandtages“ und die politisch-administrative Eingliederung Siebenbürgens in den Länderkomplex der ungarischen Krone. Damit fand auch die Autonomie Siebenbürgens ihr Ende.

Der Kampf um den deutschen Zollverein - Retrodigitalisat (PDF)

Preußens eigenmächtiger Abschluß eines Freihandelsvertrages mit Frankreich im Jahre 1862 hatte das zähe Ringen mit Österreich um den wirtschaftspolitischen Einfluß in Deutschland dramatisch verschärft. Während Berlin im nachhinein auf die Zustimmung seiner Zollvereinspartner drang, versuchte Wien aus der breiten einzelstaatlichen Ablehnungsfront gegen das handelspolitische Diktat Preußens Kapital zu schlagen148. In Anlehnung an das mitteleuropäische Zollunionsprojekt Brucks hatte die kaiserliche Regierung dazu einen Präliminarvertrag über eine Zolleinigung zwischen Österreich und dem deutschen Zollverein entworfen. Diese Propositionen vom 10. Juli 1862 sollten gewissermaßen die schutzzöllnerische Alternative zu dem von Berlin eingeschlagenen Freihandelskurs darstellen149. Adressaten dieser handelspolitischen Gegenoffensive Österreichs waren in erster Linie die süd- und mitteldeutschen Staaten, namentlich aber das wirtschaftlich ähnlich strukturierte Bayern und Württemberg. Trotz gewisser diplomatischer Erfolge Rechbergs ließen sich die Grenzen der wirtschaftlichen Attraktivität Österreichs schon bald erkennen150. Die massivsten Widerstände gegen die ehrgeizigen Zolleinigungspläne der Regierung formierten sich jedoch im Inland selbst, wo die an Protektionismus gewöhnte Industrie jeden ausländischen Konkurrenzdruck als existenzielle Bedrohung empfand151. Nachdem die Zollvereinskrise durch das energische Auftreten Bismarcks um die Jahreswende 1862/63 bereits zu einem offenen Konflikt zwischen Österreich und Preußen zu eskalieren gedroht hatte152, sah sich Berlin zu Jahresbeginn wegen seiner exponierten || S. 38 PDF || Haltung in der polnischen Frage153 zu einem formellen Einlenken in Deutschland veranlaßt. Zugleich eröffnete die Isolation Preußens für Rechberg die Chance auf einen neuerlichen handelspolitischen Vorstoß, der dieses Mal jedoch auf Initiative Bayerns erfolgen sollte, während Wien aus taktischen Erwägungen im Hintergrund zu verbleiben trachtete. Vereinbarungsgemäß erklärten Bayern und Württemberg daher im Rahmen der 15. Generalzollkonferenz in München, nicht nur auf ihrer Ablehnung des preußisch-französischen Handelsvertrages zu beharren, sondern eine Fortsetzung des Zollvereins nun ihrerseits von einem handelspolitischen Anschluß Österreichs an Deutschland im Sinne einer Erweiterung des Februarvertrages von 1853 abhängig machen zu wollen154. Als Berlin der Konferenz daraufhin kurzerhand die Kompetenz zur Behandlung solcher Angelegenheiten absprach, konzentrierten sich alle Bestrebungen auf eine Beilegung der Zollvereinskrise auf die für den Herbst 1863 anberaumte Zollsonderkonferenz in Berlin, zu der Preußen – sichtlich als Reaktion auf die österreichischen Bundesreformvorschläge in Frankfurt155 – eingeladen hatte. Da das preußische Kabinett an seinen ultimativen Forderungen festhielt, beschlossen die süd- und mitteldeutschen Staaten Bayern, Württemberg, Hessen-Darmstadt, Kurhessen, Nassau, Frankfurt und selbst Hannover, in München Koalitionsverhandlungen zu führen, die ein gemeinsames Vorgehen in Berlin auf der Basis der österreichischen Zollunionsvorschläge vom 10. Juli 1862 gewährleisten sollten. Die wesentlichste Voraussetzung dafür war jedoch die nach wie vor ausstehende Reform des österreichischen Zolltarifs, worauf Rechberg und Biegeleben den Ministerrat am 25. April 1863 mit allem Nachdruck hinwiesen156. Angesichts der inneren Opposition gegen das Tarifsenkungsprojekt der Regierung schlug Plener vor, die entsprechenden Arbeiten durch die bestehende Ministerialzollkommission in seinem Ressort erledigen zu lassen und dabei auf eine Mitwirkung seitens der Industrie gänzlich zu verzichten. Erwartungsgemäß erhob Wickenburg, dessen Ministerium auf diese Weise mehr oder minder übergangen werden sollte, dagegen Einspruch, doch Plener überzeugte den Ministerrat, indem er die Vorschläge des Handelsministers bezüglich einer Expertenkommission zerpflückte. Anstelle der Konsultation heimischer Fachleute konnte sich Plener bezeichnenderweise die private Teilnahme von Vertretern „befreundeter Mächte“ – Schäffles und Kerstorfs etwa157 – vorstellen.

Parallel zu den diplomatischen Vorbereitungen des Außenministers für die Münchner „Sonderbundkonferenz“ erarbeitete die zolltechnische Kommission des Finanzministeriums während der folgenden zwei Monate eine Tarifreduktion, die sich zwar an den liberalen Zollvereinssätzen orientierte, darüber hinaus aber auf die spezifischen || S. 39 PDF || Schutzzollbedürfnisse der österreichisch-süddeutschen Wirtschaft abgestimmt war. Am 22. Juli 1863 informierte Biegeleben den Ministerrat, daß das Elaborat bereits einer vom Finanz-, Handels- und Außenministerium paritätisch besetzten Zollkommission zur Prüfung übergeben worden sei158. Trotz des anderslautenden Ministerratsbeschlusses vom 25. April hatte der Vertreter des Handelsministeriums dort erklärt, kein Urteil abgeben zu können, „da die Handelskammern hierüber nicht gefragt worden seien und eine Enquete ebensowenig wie die Beiziehung von Vertrauensmännern stattgefunden habe“159. Heftige Kritik übte jetzt auch Wickenburg, der den neuen Tarif als „so exorbitant“ bezeichnete, „daß bei vielen Posten um die Hälfte unter die bisherigen Tarifsätze des Zollvereins herabgegangen worden sei“, wodurch sich die inländische Industrie „schon wegen der hiesigen hohen Steuern gegenüber dem Auslande im Nachteile“ befände. Ungewöhnlich scharf wies Plener die neuerlichen Versuche des Handelsministers, die Tarifdebatte in Form einer Zollenquete in die Öffentlichkeit zu tragen, zurück, da „dabei alles verraten worden, und das Geschrei der renitenten Industriellen […] nicht mehr zum Schweigen zu bringen“ wäre. Überdies mahnte Rechberg zur Eile, wenn die österreichischen Bundesgenossen in Berlin eine „feste Phalanx“ gegen die Annahme des preußisch-französischen Handelsvertrages bilden sollten. Von einem „Wettjagen mit Preußen“ auf Kosten der österreichischen Wirtschaft, wie Hein einwandte, könne in diesem Zusammenhang nicht die Rede sein, da es sich bei der gegenständlichen Tarifreform ausschließlich um die Realisierung längst gefällter Konferenzbeschlüsse handle160.

Eine Woche darauf stellte sich Wickenburg im Ministerrat auf den Standpunkt, für das Werk der zolltechnischen Kommission nach wie vor keine Verantwortung übernehmen zu können, da ihm aus Zeitmangel die entsprechende Übersicht fehle. Ohne darauf einzugehen, entschied sich die Konferenz für die unverzügliche Entsendung eines Regierungsbevollmächtigten, dem der Tarifplan als konkrete Verhandlungsgrundlage bei der Münchner Vorkonferenz dienen sollte161. Da sich Wickenburg weigerte, den Instruktionsentwurf für den Bevollmächtigten ausarbeiten zu lassen, obwohl dafür mit Kalchberg ein Vertreter des Handelsministeriums nominiert worden war162, erklärte sich Plener bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Am 3. August konnte er der Konferenz bereits den fertigen Entwurf zur Beratung vorlegen. Kalchberg, der daran selbst federführend mitgewirkt hatte, bezeichnete die Durchführung der österreichischen Propositionen vom 10. Juli 1862 als das primäre Verhandlungsziel in München. Kennzeichnend für das Lavieren Österreichs in dieser Frage war der von Rechberg sodann beanstandete Punkt, wonach „ganz entschieden der Eintritt Österreichs in den Deutschen Zollverein ausgesprochen ist“. Dementsprechend || S. 40 PDF || unpräzis fiel daher der diesbezügliche Passus in der Schlußfassung der Instruktion aus. Der vorsichtige Hinweis auf den in konstitutionellen Staaten selbstverständlichen Vorbehalt einer parlamentarischen Genehmigung der Tarifsätze war ebenfalls nicht dazu angetan, ein entschlossenes Auftreten Österreichs in München zu demonstrieren. Zu guter Letzt erschien dem Ministerrat die Ermächtigung des Regierungskommissärs, mit den in München versammelten Delegierten „in Unterhandlung zu treten“, als zu weitgehend, worauf es nun einschränkend hieß, „eventuell in Vorunterhandlung [!] zu treten“. Gegen den schließlich in derselben Sitzung vom Zollexperten des Finanzministeriums, Frh. v. Hock, vorgestellten Tarifentwurf, der einen integrierenden Bestandteil der Instruktion bildete, wurden von keiner Seite ein Einwand erhoben163.

„Meine Hoffnungen sind sehr mäßig“164, meinte Kalchberg bereits vor dem Beginn der Münchner Vorkonferenz, und er sollte recht behalten, denn ebenso vage und unverbindlich wie die österreichische Haltung lautete das Ergebnis der sogenannten „Münchner Registratur“ vom 12. Oktober 1863: Danach beabsichtigten die deutschen Staaten, am Zollverein festhalten zu wollen, einer Annahme des preußischfranzösischen Handelsvertrages sollten jedoch Verhandlungen mit Österreich auf der Basis seiner Propositionen vom 10. Juli 1862 vorangehen, bzw. müsse es bei sämtlichen Verhandlungen „mit bevorzugt“ werden. Vor allem letzteres war eine reine Auslegungssache. Zu allem Überfluß behielten sich die einzelnen Regierungen eine definitive Entscheidung darüber noch vor165. Von ultimativen Forderungen zugunsten Österreichs war also beim besten Willen keine Rede mehr. Schlechter konnte die Ausgangslage Österreichs vor der allgemein mit großer Spannung erwarteten Berliner Zollkonferenz jedenfalls kaum sein. Wenngleich sich auch Preußen zunächst noch vergeblich um die Durchsetzung seiner Handelsvertragspolitik bemühte, so konnte es die Zollvereinsstaaten in Berlin doch wenigstens zur Annahme seiner Tarifsätze bewegen. Damit war Preußen allerdings ein weiterer wesentlicher Schritt auf seinem Weg zur wirtschaftspolitischen Vormachtstellung in Deutschland gelungen.

Das Scheitern der Steuerreform - Retrodigitalisat (PDF)

Nachdem die Regierung im Herbst 1862 mit ihrer parlamentarischen Gesetzesvorlage zur Revision des stabilen Grundsteuerkatasters gescheitert war, hatte Plener der Aufforderung des Abgeordnetenhauses gemäß einen umfassenden Reformentwurf zum System der direkten Besteuerung für die nächste Reichsratssession in Aussicht || S. 41 PDF || gestellt166. Bei den entsprechenden, noch vor Jahresende aufgenommenen Beratungen dazu konnte man sich im Finanzministerium sowohl auf die Vorarbeiten Brucks167 als in erster Linie auch auf die Ergebnisse der Immediatkommission168 stützen. Aus dieser neuerlichen Steuerreformdebatte resultierte letztendlich eine ganze Reihe von Gesetzentwürfen, die Plener nach der Begutachtung durch den Staatsrat dem Ministerrat am 22. September 1863 erstmals vorlegte169.

Neben den Gesetzen zur Reform der schon bestehenden Grund-, Gebäude- und Erwerbsteuer kam die Einführung der Rentensteuer und einer außerordentlichen Personal-, Luxus- und Klassensteuer hinzu. Letztere sollte als ergänzendes Besteuerungselement die Mängel des konstanten Ertragssteueraufkommens zur Deckung des Defizits ausgleichen. Mit ihrem voraussichtlichen Gewinn von etwas mehr als 16 Millionen Gulden sollte sie bereits zur Defizitdeckung für die Finanzperiode 1864 beitragen170.

Einzeln betrachtet stellte die Personalsteuer nichts anderes als eine „rohe Kopfsteuer“ dar, „die jedermann über 16 Jahren […] traf“171. Im Gegensatz dazu richtete sich die Luxussteuer gegen den Besitz von Dienerschaft, Pferden und Wagen, sofern diese nicht zur gewöhnlichen – also etwa landwirtschaftlichen – Nutzung bestimmt waren172. Die Klassensteuer war dagegen wieder breit angelegt, indem sie jedes Nettoeinkommen über 600 Gulden betraf, ohne dabei allerdings eine nennenswerte Progression zu verzeichnen173.

Zunächst widmete sich der Ministerrat der Neuregelung des Grundsteuersystems174. Leitgedanke war dabei die dringend geforderte Beseitigung regionaler Unterschiede im Sinne einer gleichmäßigen Verteilung der Grundsteuerlast in allen Teilen des Reiches. Zu diesem Zweck war man von der Idee des Wertkatasters zugunsten einer Revision des bestehenden Ertragskatasters abgekommen. Nach der Detailberatung, || S. 42 PDF || in der vor allem die Frage der Einbeziehung Lombardo-Venetiens in das vorliegende Reformwerk aufgeworfen worden war, wandte sich die Konferenz dem Gebäudesteuergesetzentwurf zu175. Auch hier hatte man versucht, den Forderungen nach einer Vereinheitlichung des Besteuerungssystems nach Möglichkeit zu entsprechen. Die in diesem Fall naturgemäß zwischen Stadt und Land angesiedelten Unterschiede ließen sich jedoch mit Rücksicht auf Zinserträge und Erhaltungskosten nur vermindern, was dadurch erreicht wurde, daß der Ertragswert künftig allgemein als Bemessungsgrundlage für die Entrichtung der Gebäudesteuer herangezogen werden sollte. Kontroversieller Meinung war der Ministerrat in der sodann folgenden Beratung über den Gesetzentwurf zur Erwerbsteuer176. Während Plener die Beamten von dieser Steuer keinesfalls ausgenommen haben wollte, trat Lichtenfels namens des Staatsrates entschieden für deren Befreiung ein, da „die Entlohnung der Angestellten des Staates im allgemeinen eine karge und – was die unteren Schichten anbelange – eine geradewegs unzulängliche sei“177. Nach längerer Debatte schloß sich die Konferenz dem Votum des Staatsratspräsidenten an, um anschließend auf die geplante Einführung einer Rentensteuer zu kommen178. Dieser von Plener, ebenso wie die Erwerbsteuer, ausdrücklich als Teil der alten Einkommensteuer gerechtfertigten Abgabe unterlagen sämtliche der nicht schon durch die Real- oder Erwerbsteuer getroffenen Erträge, was sie im Grunde als reine Kapitalertragssteuer auswies. Im einzelnen betraf sie daher die Zinsen von Staats- und anderen Obligationen, von Darlehen jeglicher Art, von Dividenden der Nationalbankaktien und endlich von Renten überhaupt179. Da dieser Entwurf außer einem formalen Einwand des Staatsratspräsidenten keinen Anlaß zu einer Diskussion gab, ging der Ministerrat zur Beratung des bereits eingangs skizzierten Ergänzungssteuerpakets über. Außer mit den enttäuschenden Ergebnissen in manchen Sparten der indirekten Abgaben begründete Plener diese zur Deckung des Defizits unerläßliche Maßnahme mit der aus Anlaß der Mißernte in Ungarn180 notwendig gewordenen Nachtragsdotation für das laufende Budget. „Alles das lasse es vom Standpunkt der Finanzverwaltung als notwendig erkennen“, betonte Plener, „die Steuerkraft des Reiches noch mehr anzustrengen, um wenigstens eine Mehreinnahme von 13 Millionen Gulden zu erreichen“181. Berechtigte Zweifel hegte die Konferenz natürlich hinsichtlich der Genehmigung des || S. 43 PDF || Reichsrates, den Plener mit der Luxussteuer zu ködern glaubte, da diese „eine Konzession für die öffentliche Meinung und für die Armen [sei], und für letztere um so mehr, als sie auch von der Personalsteuer getroffen werden sollen“182.

Nachdem der Ministerrat das Steuerreformpaket trotz dieser Bedenken genehmigt und der Kaiser dem Finanzminister daraufhin Ende September die entsprechende Ermächtigung erteilt hatte183, brachte Plener die insgesamt fünf Gesetzentwürfe umfassende Steuervorlage am 5. Oktober 1863 zur verfassungsmäßigen Behandlung im Reichsrat ein184.

Wie befürchtet stieß die Regierungsvorlage dort auf heftige Ablehnung. Anstatt sich wenigstens der Gesetzentwürfe zu den ohnehin schon vorhandenen Ertragssteuern anzunehmen, warf der Finanzausschuß des Abgeordnetenhauses die grundsätzliche Frage auf, ob denn das Parlament nicht nur Steuererhöhungen, sondern künftig auch die geltenden Steuern alljährlich zu bewilligen habe. Ein dementsprechender Antrag wurde im Plenum zwar verworfen, doch kamen vom gesamten Steuerreformprojekt überhaupt nur die stark modifizierten Gesetzentwürfe über die Personal- und Luxussteuer zur Abstimmung. Aufgrund von Differenzen im Herrenhaus wurden jedoch auch diese letztendlich von der Regierung zurückgezogen. Damit war die zur Konsolidierung des Staatshaushaltes so dringend benötigte große Steuerreform Pleners vorerst einmal gescheitert185.

Das mexikanische Abenteuer - Retrodigitalisat (PDF)

Mit dem Bekanntwerden der Proklamation Mexikos zur Monarchie im Sommer 1863 war die seit Jahren von Napoleon III. betriebene Thronkandidatur des österreichischen Erzherzogs Ferdinand Maximilian spruchreif geworden186. Wie bereits eineinhalb || S. 44 PDF || Jahre zuvor, stieß das zweifelhafte Projekt des französischen Kaisers in der österreichischen Öffentlichkeit fast durchwegs auf heftige Ablehnung. Spekulationen über mögliche Verzichtsforderungen an Österreich in bezug auf Venetien gaben dem Mißtrauen gegen das napoleonische Danaergeschenk zusätzliche Nahrung187. Begeisterung für das mexikanische Abenteuer war indessen auch dem österreichischen Kaiser und seiner Regierung nicht vorzuwerfen. Nach anfänglicher Ablehnung zeigte sich Wien zwar gesprächsbereit, doch verhielt man sich allgemein reserviert und abwartend, letzteres vor allem in bezug auf die geforderten Garantieleistungen der Seemächte. Erzherzog Ferdinand Maximilian, der älteste Bruder Franz Josephs, schien dagegen zusehends Gefallen an der Idee eines eigenen Kaiserreiches gefunden zu haben. Bei seiner Zusammenkunft mit dem Kaiser in Schönbrunn am 11./12. August 1863 188 hatten seine diesbezüglichen Vorstellungen jedenfalls schon so konkrete Formen angenommen, daß Rechberg, über den sämtliche Verhandlungen mit Paris liefen, den Erzherzog vor verbindlichen Zusagen eindringlich warnen mußte, da sich die Regierung sonst „von den Schritten Sr. kaiserlichen Hoheit in dieser Angelegenheit trennen müßte“189.

Am 30. September 1863 kam die unterdessen durch die tatkräftige Unterstützung der Presse zur „delikaten Angelegenheit“ (Schmerling) gereifte mexikanische Frage erstmals zur Beratung in den Ministerrat. Anlaß dafür war der unmittelbar bevorstehende Empfang einer mexikanischen Krondelegation unter der Führung Gutiérrez de Estradas durch Ferdinand Maximilian in Miramare190. Obwohl dessen Antwort auf das mexikanische Thronoffert von Rechberg ausdrücklich zensuriert worden war191, schränkte der sichtlich skeptische Außenminister ein, „über die Tragweite der Antwort aber, die der Deputation in Miramare zuteil werden wird […] nichts Bestimmtes“ mitteilen zu können, was wohl heißen sollte, daß der Erzherzog für unberechenbar zu gelten habe. Als Druckmittel auf den von jeher etwas eigensinnigen Habsburger standen bloß dessen Thronfolge- bzw. Regentschaftsrechte in Österreich zur Debatte. Ein zusätzliches Problem stellte eine mögliche Erörterung der peinlichen Angelegenheit im Reichsrat dar192, wozu Schmerling allerdings bemerkte, daß mehrere loyale Abgeordnete es bei bereits vertraulich eingeholten Erkundigungen || S. 45 PDF || bewenden lassen wollten, „allein, nicht alle Abgeordneten besitzen den Takt und den Willen, der Regierung Verlegenheiten zu ersparen“, weshalb man unter Umständen mit einer entsprechenden Interpellation rechnen müßte193.

Am 3. Oktober 1863 fand der auf Anordnung des Kaisers betont privat gestaltete Empfang der Mexikaner in Miramare statt. In dem am selben Tag abgehaltenen Ministerrat verlas Rechberg den ihm mittlerweile mitgeteilten Adreßentwurf, mit welchem Ferdinand Maximilian der dargebotenen Krone entgegenzutreten beabsichtigte194. Wenngleich dieser auch im Sinne der Rechbergschen Instruktionen verfaßt worden war, so enthielt sich die Konferenz mit der zynischen Bemerkung Nádasdys, wonach sich das Problem ohnedies schon erledigt habe, jeder weiteren Diskussion hierüber.

Den Berichten aus Miramare zufolge hatte die Rede Ferdinand Maximilians bei der mexikanischen Delegation tatsächlich Betroffenheit ausgelöst195.

Bei einem Treffen zwischen dem Kaiser, seinem Bruder und Rechberg im Jänner 1864 wurde sodann erstmals offen über die Erbentsagungsfrage gesprochen. Nach anfänglicher Weigerung unterzeichnete Ferdinand Maximilian schließlich Anfang April auf Einwirken Napoleons III. die Thronverzichtsurkunde, womit der Weg zur Annahme der mexikanischen Kaiserkrone frei war196.