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Nr. 333 Ministerrat, Wien, 23. März 1863 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 26. 3.), Rechberg, Nádasdy, Schmerling, Forgách, Esterházy, Mažuranić; BdR. Erzherzog Rainer 6. 4.

MRZ. 1137 – KZ. 1097 –

Protokoll der zu Wien am 23. März 1863 unter dem Ah. Vorsitze Sr. k. k. apost. Majestät abgehaltenen Ministerkonferenz.

[I.] Punktation zur einstweiligen Behebung der Differenzen über die Behandlung der ungarischen Verfassungsfrage

Se. k. k. apost. Majestät haben in der Ah. Absicht, die Meinungsverschiedenheiten in bezug auf die Behandlung der ungarischen Verfassungsfrage zu einem Ausgleiche zu bringen, diese Angelegenheit einer Besprechung mit dem ungarischen Hofkanzler, dem Minister Grafen Esterházy und dem kroatisch-slawonischen Hofkanzler zu unterziehen geruht. Indem Allerhöchstdieselben den kroatischen Hofkanzler beauftragten, die in protokollarischer Form niedergelegten Ergebnisse dieser am 19. März gepflogenen Besprechung vorzulesen, geruhten Se. Majestät auszusprechen, daß es Allerhöchstderselben sehr am Herzen gelegen ist, eine Verständigung über diese hochwichtige Angelegenheit zustande kommen zu sehen. Laut des hierauf verlesenen anverwahrten Protokollesa haben sich die beiden Kanzler und der Minister Graf Esterházy über die Punktation zu einem Modus vereinigt, welcher wenigstens die Eigenschaft hätte, die prinzipielle Entscheidung über die im Ministerrate bestehenden Meinungsverschiedenheiten bis auf einen möglichst fern gelegenen Zeitpunkt zu verschieben und es den Trägern der sich gegenüberstehenden Ansichten möglich zu machen, auf ihren gegenwärtigen Posten noch zu verbleiben und die gestörte Harmonie im Ministerrate dem Wesen nach wieder herbeizuführen.

Der Staatsminister unterzog jeden der Punkte I bis VII einer Erörterung und machte zu I geltend, daß die Programme nicht bloß „einstweilen“, sondern definitiv zurückzuziehen seien. Die Regierung könne nämlich nicht mit dem Staatsgrundgesetz vom 26. Februar transigieren und selbst Programme aufstellen, die davon abweichen. Aus gleichem Grunde könne man sich nicht begnügen, im Punkt II zu sagen, die Prinzipien des Staatsgrundgesetzes haben auch in den östlichen Ländern des Reiches zu gelten. Sobald man sich auf „die Prinzipien“ beschränkt, kehrt man zu der Unbestimmtheit des Diploms vom 20. Oktober zurück: man spreche lieber unzweideutig vom Staatsgrundgesetze selbst. Zu Punkt III komme nichts zu erinnern. Den Punkt IV findet der Staatsminister zu unbestimmt und von solcher Tragweite, daß er ihn nicht unterschreiben könne. Wenn man Schonung der historischen Rechtssphäre postuliert, so muß dieselbe auf die staatsrechtlich begründete Rechtssphäre beschränkt werden. Bei möglichster Berücksichtigung der eigentümlichen Vorurteile und Ansichten eines Landes könne man auf die der Einheit gefährlichsten Abwege || S. 319 PDF || gebracht werden. Durch den Artikel V würde den nach Artikel I definitiv zu beseitigenden Regierungsprogrammen, die das Grundgesetz untergraben, eine Hintertür geöffnet. Was die [im] Punkt VI erwähnten Kabinettskrisen betrifft, so hänge die Entscheidung der Fragen, ob eine solche vorhanden und ob ihr durch Änderungen im Ministerrat ein Ende zu machen sei, vom Ah. Ermessen ab. VII. Daß das Vertrauen zur Regierung gestärkt werde, müsse der Staatsminister lebhaft wünschen, aber deswegen dürfe man noch nicht von jeder etwa da oder dort erbitternden Handlung abstehen, und es müsse vielmehr die Erbitterung gegen das Staatsgrundgesetz, dort wo sie sich zeigt, bekämpft werden. Minister Graf Nádasdy bemerkte über die Punktation im allgemeinen, daß deren Textierung sehr verschiedene Auslegungen zulasse. Bezüglich des Punktes I, der Meinung des Staatsministers beitretend, fügte Graf Nádasdy bei, er müsse es als ein Unglück betrachten, wenn die Bevölkerung durch das von einem Minister verbreitete Programm über die Ah. Absichten irregeführt wird. Zu den Punkten II und III teilte der Minister Graf Nádasdy die Meinung des Staatsministers und bemerkte zu IV, daß bei Beratung des Textes der königlichen Reskripte im Ministerrate den Vorurteilen und Ansichten der Bevölkerung die geeignete Rücksicht geschenkt werden könne, doch würden hiebei die jetzt zu vertagen beabsichtigten Fragen wieder auftauchen. Jedenfalls wäre im Punkt IV beizufügen, die Berücksichtigung habe nicht weiterzugehen, als es das Heil der Monarchie gestattet. Bei dem Punkt VII vermißte Graf Nádasdy die nötige Klarheit und schloß damit, daß er den Programmen des Staatsministers vorbehaltlich einiger Änderungen im Detail den Vorzug geben würde.

Der kroatisch-slawonische Hofkanzler erörterte die von den Vorstimmen erhobenen Bedenken und erklärte, er nehme keinen Anstand, daß im Punkt I das Wort einstweilen gestrichen und im Punkt II statt „Prinzipien des Staatsgrundgesetzes“ gesetzt werde „Bestimmungen des Staatsgrundgesetzes“. Die allerdings wünschenswerte präzisere Textierung des Punktes IV erklärt der Hofkanzler für sehr schwierig, da man nicht in eine Kasuistik aller künftigen Fälle eingehen kann. Die „Berücksichtigung der Vorurteile“ könne nicht davon abhalten, daß die Regierung die Durchführung des Staatsgrundgesetzes als ihr Ziel ausspreche, aber andererseits sei nicht wohl zu leugnen, daß die Reskripte an den ungarischen Landtag hätten milder gefaßt werden können und sollen. Durch Punkt V wolle man nichts weniger als eine Hintertür für Programme eröffnen, wohl aber dem Hofkanzler die Möglichkeit gewähren, annehmbare Projekte zu provozieren und Anhaltspunkte zu fruchtbringenden Verhandlungen im Landtage zu gewinnen. Wenn man den Leuten keine Andeutung gibt, so bleiben sie in ihren Utopien, während sie selbst einen praktischen Boden zu erreichen wünschen. Hofkanzler Mažuranić habe sich stets zu Mitteilungen dieser Art an Vertrauenspersonen berechtigt gehalten, darnach gehandelt, und müsse sich dieses Recht noch ferner vindizieren, wenn er auf seinem Posten mit Nutzen wirken soll. Minister Graf Esterházy bemerkt, durch diesen Punkt wünsche man den Regierungsorganen freie Hand zur Bildung einer Regierungspartei zu erhalten. Diese freie Hand sei in Ungarn dermal unentbehrlich. Der Staatsminister teilt die Meinung über die Notwendigkeit einer klugen Einwirkung zur Anbahnung des Entgegenkommens von Seite des Landtages, aber von den offiziellen Regierungsorganen sollen keine vom Staatsgrundgesetz abweichenden || S. 320 PDF || Programme in Umlauf gesetzt werden. Kommen Anfragen eines Landtages über die Annehmbarkeit eines Ausgleichsprojektes – so wie jüngst in Böhmen1 –, würde der Hofkanzler darüber mit Ah. Genehmigung einen Bescheid zu erteilen haben. Hofkanzler Mažuranić gab schließlich zu, daß Punkt VII sehr elastisch sei, allein die Grundidee desselben, dem Lande seien gewisse Rücksichten zu schenken, erscheine nicht unannehmbar. Minister Graf Nádasdy findet die Schwierigkeit in der praktischen Anwendung des Punktes VII, und zwar zunächst auf die Frage über die Abhaltung des siebenbürgischen Landtages. Man könne allerdings unschwer bewirken, daß der siebenbürgische Landtag erfolglos bleibt. Aber zu einem solchen Ende werde er durch Graf Nádasdy nicht geleitet werden.

Im ganzen betrachtet fände der Staatsminister die heute verlesene Punktation annehmbar, wenn sie durch einige Punkte aus seinem Gegenprojekte ergänzt würde, namentlich durch die Erklärung, daß Siebenbürgen und Kroatien getrennt zu bleiben haben und daß „das Staatsgrundgesetz“ durchzuführen sei. So sehr aber auch alle Minister in der Hingebung für Se. Majestät und dem redlichsten Streben zum Wohl des Staats sich begegnen, so bestehe doch eine große prinzipielle Kluft zwischen seinen und den Ansichten des Ministers Grafen Esterházy über die staatsrechtliche Berechtigung des Diploms und des Grundgesetzes Ungarn gegenüber, über welche Berechtigung der Staatsminister gegenwärtig noch ebensowenig Zweifel hegt als damals, wie Se. Majestät ihn in den Ministerrat zu berufen geruht haben.

Graf Esterházy zeichnete hierauf in einer längeren Rede seinen Standpunkt zu dem 20. Oktober und 26. Februar, welche von der nach seiner Überzeugung irrigen Verwirkungstheorie ausgingen und den eigentlichen Rechtsboden in Ungarn aus den Augen ließen. Der prinzipielle Gegensatz der beiderseitigen Meinungen könne nicht behoben werden. Allein, da Se. k. k. apost. Majestät angesichts der schwierigen Lage der Gegenwart den Ah. Wunsch ausgesprochen haben, dermal die innere Politik nach keiner Richtung auffallend zu ändern und keine Krisen herbeizuführen, habe Graf Esterházy sich mit dem kroatischen Hofkanzler bemüht, ein Auskunftsmittel zu finden, wobei die Mitglieder der k. k. Regierung noch länger zu gemeinschaftlicher Tätigkeit vereint bleiben könnten. Das vorliegende Operat sei demnach nur ein Versuch zur Vertagung – nicht zur Beendigung des Streits. Der Prinzipienstreit dürfe nicht länger der Gegenstand einer skandalösen Polemik zwischen den beiderseitigen offiziellen und offiziösen Journalen bleiben. Ferner wünschte Graf Esterházy, daß man auf das starre Festhalten an allen Paragraphen des 26. Februar verzichte, wodurch ein Ausgleich unmöglich wird. Man muß durch Geduld und guten Willen die prinzipiellenb Fehler vom Oktober und Februar, dunter Wahrung der Autorität und der Würde der Kronec, gutzumachen und aus der Ausnahmspolitik herauszukommen suchen, in die man durch den beklagenswerten Unsinn der Ungarn || S. 321 PDF || geraten ist. Nur Sinn und Geist des Staatsgrundgesetzes gingen von Sr. Majestät Allerhöchstselbst aus, der Wortlaut war Sache des Ministeriums und kann ja geändert eoder mit Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse interpretiertd werden! Selbst die Vertreter der übrigen Kronländer werden Se. Majestät gerne bei dem hochherzigen Bestreben zur Pazifizierung und Einigung der ganzen Monarchie unterstützen, besonders, wenn Se. Majestät Allerhöchstselbst fje etwa einene Zweifel über die staatsrechtliche Berechtigung des oktroyiertenf Grundgesetzes Ungarn gegenüber hhegen sollten und sich Ah. bewogen finden sollten, diesen Zweifel Allerhöchstseinen übrigen Völkerng durchblicken zuh lassen. jDen beiden Tafeln des letzten ungarischen Landtages wurde bereits durch dessen Auflösung und die darauf folgenden Ausnahmsmaßregeln der verdiente Ah. Tadel ausgesprochen, zugleich müsse aber sowohl im Lande selbst als in dem Auslande die Versicherung gewahrt bleiben, daß Se. Majestät trotz des Vorausgegangenen eine gerechte ungarische Politik verfolgen wolle. In dieser doppelten Richtung habe Graf Esterházy die ihm zuteil gewordene Ag. Berufung in das Ministerium stets aufgefaßt, und in dieser Richtung sei er auch stets bereit, für alle entsprechenden provisorischen Verfügungen, ja selbst für etwa erforderliche Maßregeln der Strenge einzustehen. Allein, dies könne er nicht für alle wahrscheinlichen Folgen der von dem Herrn siebenbürgischen Hofkanzler unverhohlen und wiederholt auseinandergesetzten und von demselben zur Erreichung seiner Ziele als unerläßlich bezeichneten erbitternden Politik. Sollte daher diese Politik in ihrem ganzen Umfange Allerhöchstenortes genehm gehalten werden, müsse Graf Esterházy au. um Ag. Enthebung bitteni .

Der ungarische Hofkanzler teilt die Meinungen des Grafen Esterházy, während er, wenn die Verfassung von 1862 bereits allenthalben durchgeführt wäre, dem Staatsminister beitreten würde. Nachdem aber bis jetzt die Verfassung beinah in der Hälfte der Monarchie noch nicht durchgeführt ist, so handelt es sich darum, eine Basis für die solidarische Vertretung auszumitteln und dafür eine Partei in Ungarn zu gewinnen. Die Punktation für die beabsichtigte „Waffenruhe“ mußte vage gehalten sein, um keine neuen Schwierigkeiten zu schaffen und um es möglich zu machen, daß man einverständlich eine lavierende Politik bis zu dem Augenblick befolge, wo der Knoten entweder energisch zerhauen oder friedlich wird gelöst werden können. Graf Forgách sei Ungar und dynastisch gesinnt: Er müsse daher die Bedingung stellen, daß nicht in einem Teile der Monarchie Maßregeln getroffen werden, wodurch auf das Haupt Sr. Majestät Gefühle gehäuft würden, die er nicht näher bezeichnen kann. Sonst müsse Graf Forgách ehrerbietigst bitten, daß über ihn || S. 322 PDF || Allerhöchstenortes anderweitig verfügt werde. Minister Graf Esterházy schloß sich dem Votum des ungarischen Hofkanzlers vollkommen an. Da der kroatisch-slawonische Hofkanzler die Hoffnung aussprach, daß man doch mit Beseitigung der Prinzipienstreitigkeiten sich über die Berichtigung oder allfällige Ergänzung der verlesenen Punktation einigen könnte, erklärte der Staatsminister , zu einer solchen Verständigung gern die Hand bieten zu wollen. Das starre Beharren auf seiner Ansicht über die Verfassungsfrage, das ihm vorgeworfen werde, liege auch nicht sowohl in seinem Charakter als in der Natur der Sache.

Se. k. k. apost. Majestät geruhten zu äußern, daß eine weitere Besprechung über die Punktation zwischen dem Staatsminister, den zwei Hofkanzlern und dem Grafen Esterházy dem eingangs angedeuteten Zwecke förderlich sein dürfte. Sollte aber keine Einigung erzielt werden, so frage sich, ob die von den Grafen Forgách und Esterházy dissentierenden Minister ein Programm vorlegen können, wie die ungarische Angelegenheit bis ins Detail und zu den letzten Konsequenzen durchzuführen sei, und es fragt sich ferner, ob sie die Verantwortung für die Durchführung dieses Programms auf sich nehmen. Se. Majestät schmeicheln sich jedoch, daß alle k. k. Minister den Ah. Wunsch der Fortsetzung des gemeinsamen Vorgehens teilen, und versehen Allerhöchstsich dabei auch der Mitwirkung der k. k. ungarischen Minister2.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 5. April 1863. Empfangen 6. April 1863. Erzherzog Rainer.