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Nr. 331 Ministerrat, Wien, 16. März 1863 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Schurda, VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 16. 3.), Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Esterházy, Burger, Hein; abw. Rechberg; BdR. Erzherzog Rainer 6. 4.

MRZ. 1135 – KZ. 1073 –

Protokoll des zu Wien am 16. März 1863 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Unterbringung und Rangierung der disponiblen Beamten bei Besetzung erledigter Stellen

Der Minister Dr. Hein referierte: Im Jahre 1861 wurde in Absicht auf die Behandlung der disponiblen Beamten aus Ungarn der Grundsatz festgestellt, daß bei den Besetzungen erledigter Dienstposten vorzugsweise die verfügbaren Staatsdiener zu berücksichtigen sind1. Diesem gemäß wurden in der Justizbranche die meisten erledigten Stellen an Disponible verliehen, und mußte ihnen bei dem Abgange einer besonderen Bestimmung hinsichtlich der Rangierung auch der bereits durch ihre letzte Ernennung vor der Verfügbarkeit gewordene Rang gewahrt bleiben. Die strenge Durchführung dieser Besetzungsgrundsätze müßte bei dem Umstande, daß gegenwärtig noch 41 Oberlandesgerichtsräte, 34 Landesgerichtsräte und 64 Komitats- und Kreisgerichtsräte unterzubringen sind, zu der Konsequenz führen, daß alle Ratsstellen erster und zweiter Instanz auf Jahre hinaus nur mit verfügbaren Beamten besetzt werden könnten, ein Vorgang, welcher doch nicht in der Ah. Willensmeinung liegen dürfte, und Minister Dr. Hein halte sich vielmehr verpflichtet, im wohlverstandenen Interesse der Rechtspflege und gerechter Würdigung der wohlerworbenen Ansprüche ausgezeichneter Staatsdiener diesseits der Leitha bei den vorfallenden Besetzungen auch auf die Beamten der deutsch-slawischen Länder billige Rücksicht zu nehmen und dieselben auch neben den Verfügbaren zu berücksichtigen, zumal auch die frühere Norm (§ 4 der mit Ah. Entschließung vom 15. Juni 1861 genehmigten Bestimmungen) wohl die vorzugsweise, keineswegs aber die ausschließende Berücksichtigung der verfügbaren Staatsdiener bei Besetzungen zur Pflicht mache. Nicht minder als die Besetzungsfrage habe aber die bisherige Rangierung der wieder ernannten verfügbaren Beamten die schmerzlichsten Wirkungen auf das Schicksal der nicht verfügbaren geäußert, und es stelle sich in dieser Beziehung eine billige Ausgleichung dringend notwendig dar. Diese Ausgleichung würde Referent in dem Vorschlage zu finden glauben, daß ein jeder in seiner Diensteskategorie mit Belassung seines Gehaltes wieder angestellte verfügbare Beamte oder Diener bei seiner Einreihung in den Konkretalstatus2 keinem seiner Kollegen vorgezogen werden || S. 298 PDF || dürfte, welchem er vor seiner Entsendung nach Ungarn im Range nachgegangen ist, daß dagegen ein verfügbarer Staatsdiener, welcher mit Beibelassung seines Dienstcharakters und seiner Bezüge eine Stelle mindererer Kategorie verliehen wird, jedenfalls allen Beamten dieser minderen Kategorie im Konkretalstatus vorzuziehen sein werde.

Bei der Erörterung hierüber erklärte sich der Staatsratspräsident mit dem Justizminister darin einverstanden, daß bei den Besetzungen erledigter Stellen nicht bloß die disponiblen Beamten aus Ungarn, sondern auch die Staatsdiener der deutsch-slawischen Länder berücksichtiget werden, und zwar womöglich in der Weise, daß bei zwei Besetzungen ein Avancement und eine Einreihung stattfindet3. Was aber die Frage wegen der Rangierung der wieder angestellten verfügbaren Beamten betrifft, so könnte Votant der diesfälligen Proposition des Referenten nicht beistimmen. Schon von Seite des Baron Pratobevera sei im Jahre 1861 ähnliches zur Sprache gebracht und beantragt worden, daß erstens mit allen Besetzungen bei den Gerichtsbehörden sowie auch mit den Gehaltsvorrückungen bis zum Zeitpunkte der Organisierung gehalten werde und zweitens, daß die Einreihung der disponiblen ungarischen Beamten nur nach ihrer Gesamtdienstzeit vorgenommen werde. Der erste Punkt sei von der Ministerkonferenz nicht angenommen worden, und bezüglich des zweiten Punktes wurde sich damals vom Votanten, dann vom Finanzminister und dem Minister v. Lasser gegen eine solche Norm entschieden ausgesprochen, aund infolgedessen wurde der Antrag von Freiherr v. Pratobevera selbst zurückgezogena, 4. Der heute vom Minister Dr. Hein in dieser Beziehung vorgeschlagene Grundsatz habe die gleiche Tendenz, und Freiherr v. Lichtenfels könnte demselben umso weniger beistimmen, als eine solche Rangierung, abgesehen davon, daß sie mit den bestehenden Rangvorschriften im Widerspruche steht und daher schon an sich unzulässig erscheint, eine offenbare Unbilligkeit gegen die disponiblen Beamten wäre und man doch bedenken müsse, daß diese nach Ungarn entsendeten Staatsdiener vieles auf sich genommen haben und ihre etwaige schnellere Beförderung unter sehr unangenehmen Dienstverhältnissen sich errungen haben, andererseits aber auch durch diesen Abfluß nach Ungarn für die hier Zurückgebliebenen mancher Vorteil erwachsen ist. Votant würde daher erachten, daß bezüglich der Einreihung der wieder angestellten Verfügbaren ein so allgemeiner Grundsatz, wie der beantragte, nicht ausgesprochen, sondern vielmehr ein billiger Ausweg darin gefunden werden könnte, daß bei Stellen, die von Sr. Majestät verliehen werden, der Justizminister bei dem Besetzungsvorschlage von Fall zu Fall zugleich die Rangierung des Betreffenden in gerechter Würdigung der gegebenen Verhältnisse zu beantragen hätte, und daß bezüglich der übrigen Stellen sich vielleicht der Minister von Sr. Majestät die diskretionäre Gewalt erbitten könnte, die Rangierung von Fall zu Fall nach Maßgabe der Umstände zu bestimmen.

|| S. 299 PDF || Auf die Bemerkung des Referenten [Hein], daß sein Antrag hauptsächlich die Fälle einer gleichzeitigen Einreihung von Disponiblen und nicht Disponiblen in einer Kategorie im Auge hatte, wo, wie es z. B. jetzt beim hiesigen Oberlandesgerichte vorkommen wird, ein disponibler ungarischer Oberlandesgerichtsrat mit 17 Dienstjahren und ein hiesiger Landesgerichtsrat mit 30 Dienstjahren zugleich zu Oberlandesgerichtsräten ernannt werden, und es daher billig scheine, daß der weit länger dienende dem jüngeren Staatsdiener im Konkretalstatus vorgezogen werde, erwiderte Freiherr v. Lichtenfels , daß ein solcher Vorgang schon ganz und gar gegen die dienstpragmatischen Normen verstoßen würde und es nie zugegeben werden könnte, daß der eingebrachte5 Oberlandesgerichtsrat dem neu beförderten Landesgerichtsrat nachgesetzt werde. bEs könne ferner eine Abweichung von den bestehenden Vorschriften der Einreihung auch nur da notwendig werden, wo bei dem nämlichen Gerichte disponible ungarische Beamte bei der Einteilung unter ihre Kollegen auf eine unbillige Weise diese im Range zurückdrücken würden, weil ein solches Zurückweichen von schon innegehabten Plätzen notwendig Mißstimmung und Zwistigkeiten zwischen den Mitgliedern des Gerichts erzeugen müßte. Wo es sich dagegen bloß um die Einreihung in einen Konkretalstatus handelt, wäre nicht abzusehen, warum diese nicht nach den allgemeinen Normen vor sich gehen sollte. Auch könne diese Rangbestimmung den ungarischen disponiblen Beamten rücksichtlich der höhern Gehalte, welche sie etwa schon genießen, nicht nachteilig sein. Nur in diesem Sinne wäre daher die diskretionäre Gewalt von Allerhöchstseiner Majestät zu erbittenb . Er konnte übrigens nicht umhin, darauf hinzuweisen, daß nur in dem hiesigen Oberlandesgerichtssprengel eine so eigentümliche Richtung in dieser Angelegenheit eingehalten wird, die auch Schuld trage, daß bisher hier so wenig Disponible untergebracht worden sind.

Der Minister Ritter v. Lasser würde einen Wert darauf legen, daß man bei dem gegenwärtigen Systeme bleibt und nicht wieder andere Grundsätze aufstellt. In den Oberlandesgerichtssprengeln außer Niederösterreich gehe ziemlich alles in Ordnung, indem man sich im allgemeinen an denselben Vorgang wie bei den politischen Stellen hält, und es dürfte wohl keinen Schwierigkeiten unterliegen, dasselbe auch in dem hiesigen Sprengel zur Geltung zu bringen. Wenn übrigens der Justizminister sich zur Norm macht, daß bei zwei oder drei erledigten Stellen immer eine durch Avancement, die übrigen aber durch Verfügbare besetzt werden, so werde dies immerhin für die aktiven Beamten einen Hoffnungsstrahl geben. Votant erachte daher, dem Vorschlage des Staatsratspräsidenten beipflichten zu sollen, so wie er auch hinsichtlich des speziellen Falles dessen Ansicht teilte, daß bei gleichzeitiger Ernennung zweier im ungleichen Range stehenden Staatsdiener in eine Kategorie es unzulässig sei, daß der bisher im niedern Range stehende dem höheren bei der Reihung im Konkretalstatus vorgezogen werde.

Ebenso schlossen sich alle übrigen Stimmführer dem Antrage des Baron Lichtenfels an, welchem sich auch schließlich der Minister Dr. Hein akkommodierte.

II. Ernennung des provisorischen Sektionschefs Georg Ritter v. Mitis zum definitiven zweiten Sektionschef im Justizministerium

Der Minister Dr. Hein erbat sich die Zustimmung des Ministerrates zu seinem au. Antrage auf Ag. Ernennung des provisorischen Sektionschefs im Justizministerium Ritter v. Mitis zum definitiven zweiten Sektionschef6.

Der einzige definitive Sektionschef sei der Ritter v. Hye, welcher aber dem Dienste im Ministerium seit zwei Jahren entzogen und mit der Ausarbeitung des Strafgesetzes betraut ist7. Der gleichzeitig mit Mitis zum provisorischen Sektionschef ernannte v. Rizy sei bekanntlich in Hannover, daher auch diese Arbeitskraft verlorengehe8. Das Definitivum des Mitis stelle sich als sehr wünschenswert dar, während bezüglich des Rizy in dieser Beziehung bis zum Zeitpunkte, wo er seine Mission beendet haben wird, zugewartet werden kann.

Dem Ministerrat ergab sich hierwegen keine Erinnerung9.

III. Besetzung der Präsidentenstelle beim Oberlandesgericht in Brünn

Der Minister Dr. Hein referierte, durch den Tod des Freiherrn v. Ubelli sei die Brünner Oberlandesgerichtspräsidentenstelle erledigt, für welche fünf Kompetenten vorhanden sind, und zwar der Justizministerialrat Scharfen, die disponiblen Oberlandesgerichtspräsidenten Freiherr v. Streit und Ritter v. Wenisch, der Prager Landesgerichtspräsident Waidele und der gewesene Landesgerichtspräsident in Kaschau (gegenwärtig in Troppau) Schweidler. Der Oberste Gerichtshof habe primo loco den Freiherrn v. Streit, secundo loco den Ritter v. Wenisch und tertio loco Waidele vorgeschlagen; bezüglich des Ministerialrates Scharfen wäre dieser Gerichtshof nicht in der Lage, sich auszusprechen. Der Justizminister glaubt aber vor allem diesen sehr verdienstvollen, schon seit Jahren mit dem mährischen Landesreferate betrauten, daher mit den dortigen Verhältnissen genau vertrauten Staatsdiener für den fraglichen Posten Sr. Majestät vorschlagen zu sollen, falls die hohe Konferenz dazu ihre Zustimmung geben würde.

Der Staatsminister äußerte, daß ihm alle hier in Rede stehenden Bewerber persönlich bekannt sind. Was zunächst den Ministerialrat Scharfen betrifft, so halte er denselben bei voller Anerkennung seiner Verdienste als Ministerialrat für den fraglichen Posten nicht für geeignet, da ihm die einem solchen Präsidenten unerläßliche Festigkeit und Energie gänzlich mangelt. Streit und Wenisch seien bereits erprobte Präsidenten, und es wäre nur die Frage, welcher von beiden den Vorzug verdiene, wobei wieder im gegebenen Falle die Kenntnis der böhmischen Sprache vorzugsweise in Betracht komme, und da Streit diese Kenntnis besitzt, so würde der Staatsminister dafür stimmen, daß primo loco Baron Streit und secundo loco Ritter v. Wenisch vorgeschlagen werde. Nachdem sich der Minister Ritter v. Lasser und der Staatsratspräsident ebenfalls für Streit ausgesprochen und dieser Meinung sich auch || S. 301 PDF || alle übrigen Stimmführer angeschlossen haben, erklärte sich Referent damit einverstanden und wird hiernach den Besetzungsvorschlag au. erstatten10.

Derselbe fand sich bei dieser Gelegenheit veranlaßt, die Frage aufzuwerfen, ob nicht auch gleichzeitig an die Unterbringung des Wenisch zu denken wäre, rücksichtlich ob derselbe nicht an die Stelle des Streit als Vizepräsident des böhmischen Oberlandesgerichtes gesetzt werden könnte. Hierwegen wurden jedoch die Bedenken erhoben, daß, nachdem Baron Hennet11 der böhmischen Sprache unkundig ist, es absolut notwendig sei, daß doch der Vizepräsident dieser Sprache mächtig ist, was bei Wenisch nicht der Fall sei, dann, da Hennet im Herrenhause und Wenisch im Ageordnetenhause sitzt, zur Zeit der Reichsratssession das Obergericht gar keinen Vorstand hätte.

IV. Frage der Veröffentlichung eines von Anton Ritter v. Hye vorgelegten Entwurfs über Abänderung des Strafgesetzes

Der Minister Dr. Hein referierte, der Sektionschef Ritter v. Hye habe seine Mission noch nicht vollendet, dagegen aber einen Entwurf über die mit Rücksicht der gegenwärtigen verfassungsmäßigen Zustände dringend notwendigen Abänderungen des Strafgesetzes vom Jahre 1852 vorgelegt12. Eine solche Regierungsvorlage stelle sich allerdings als wünschenswert dar, der Justizminister wäre jedoch gesonnen, in dieser Angelegenheit, bevor hierüber eine Beratung im Schoße des Justizministeriums stattfindet, einen Weg zu betreten, welchen die österreichische Regierung bei ähnlichen Anlässen wiederholt mit Erfolg gewählt hatte, nämlich den, dieses Elaborat – selbstverständlich nicht als von der Regierung ausgehend, sondern nur als von Hye herrührend – vorläufig der öffentlichen Besprechung zu übergeben. Dies gäbe den Vorteil, daß, wenn es nicht genügen sollte, dieses nur den Verfasser treffen würde. Referent erbitte sich also die Zustimmung der hohen Konferenz, den fraglichen Entwurf durch Hye veröffentlichen lassen zu dürfen, bevor er von der Regierung angenommen werde.

Bei der Erörterung hierüber bemerkte der Staatsminister , daß, insofern der Justizminister von seinem Standpunkte aus in diesem Vorgange nichts Bedenkliches findet, er auch nicht dagegen sei, dem Hye diese Ermächtigung zu geben. Der Minister Graf Nádasdy gab dagegen zu bedenken, ob nicht etwa in diesem Entwurfe Grundsätze enthalten sind, die vom Publikum gutgeheißen, aber von der Regierung nie angenommen werden könnten, in welchem Falle sich die Regierung durch eine solche vorläufige Veröffentlichung nur Verlegenheiten aussetzen würde, wobei auch nicht zu übersehen sei, daß der Verfasser ein höher gestellter Justizbeamter ist, dessen Werk man doch nie als eine Privatarbeit ansehen wird. Der Staatsratspräsident hätte auch diese Bedenken und würde nicht die Publikation || S. 302 PDF || dieses Werkes einraten, bevor sich cdie Ministerkonferenzc über die Prinzipien geeinigt hat. Der Minister Ritter v. Lasser wäre prinzipiell dagegen, daß nur einzelne Paragraphen des Strafgesetzes vorderhand geändert werden, zumal seines Ermessens nur eine allgemeine Reform heilsam sein kann. Gegenwärtig unter der Firma Hye ein solches Stückwerk herauszugeben, wo die ganze Welt weiß, daß er von der Regierung mit der Ausarbeitung eines Strafgesetzes betraut ist, wäre durchaus nicht angezeigt, ja bei dem Charakter Hyes sogar sehr bedenklich, da er sich damit nur rehabilitieren und seine liberale Gesinnung zeigen will13. Votant stimme dafür, daß man nicht mit einem Teile des Werkes, sondern mit dem ganzen auf einmal vortrete. Der Polizeiminister und der Kriegsminister waren auch der Meinung, daß in dem gegenwärtigen Stadium die Veröffentlichung keinen Vorteil mit sich bringen würde, und daher zu unterbleiben hätte, bis die Regierung damit selbst ins reine kommt. Graf Degenfeld wäre auch wie Minister v. Lasser dafür, daß das Strafgesetz als ein Ganzes behandelt werde. Die übrigen Stimmführer teilten ebenfalls die Ansicht der Vorstimmen, und wurde sich somit in dem Beschluß geeinigt, daß vorderhand von einer Veröffentlichung des fraglichen Entwurfes abzugehen und vorerst hierwegen die Prinzipien zu beraten und festzustellen seien14.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 5. April 1863. Empfangen 6. April 1863. Erzherzog Rainer.