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Nr. 328 Ministerrat, Wien, 10. März 1863 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 12. 3.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Esterházy, Burger, Hein; BdR. Erzherzog Rainer 24. 3.

MRZ. 1132 – KZ. 936 –

Protokoll des zu Wien am 10. März 1863 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Vertagung oder Schließung des galizischen Landtags

Der Staatsminister referierte über die Frage, ob es angezeigt sei, den galizischen Landtag nach Ablauf seiner bis 15. d. M. dauernden Vertagung1 wieder zusammentreten zu lassen. Nach reifster Erwägung der Sache könne sich Ritter v. Schmerling nur dagegen aussprechen, weil die Versammlung dieses Landtages ohne allen Zweifel nur zu aufregenden politischen Demonstrationen und Diskussionen führen würde, ohne die eigentlichen Landtagsangelegenheiten irgend zu fördern. Der Landmarschall, Fürst Sapieha, habe einen Entwurf jener Adresse, „die polnische Sache“ betreffend, hieher gebracht, welcher Entwurf dem Landtage vorgelegt werden will. Dieser Entwurf lautet allerdings noch ziemlich gemäßigt. Aber wer kann wissen, welche Gestalt er im Laufe der Debatten erhalten wird? Daß die Wiederherstellung Polens, sobald sie von einer Partei im Landtag zur Sprache gebracht wird, die lebhaftesten Remonstrationen von Seite der Ruthenen hervorrufen und große Aufregung im Lande verursachen würde, ist vorauszusehen. Andererseits hat der Ausschuß gar nichts für die legislative und administrative Tätigkeit des Landtages vorbereitet. Nicht einmal das Budget ist fertig, und mithin kein Substrat für eine nützliche landtägliche Tätigkeit vorhanden, so daß er sich umso ungestörter auf dem politischen Felde ergehen würde. Es ist auch deutlich zu erkennen, daß sowohl der Landmarschall als viele Deputierte im Herzen lebhaft wünschen, daß der Landtag sich nicht mehr versammle. Unter diesen Umständen, da ferner der Monat April wegen der katholischen und griechischen Osterfeiertage für die landtäglichen Verhandlungen ohnehin größtenteils verloren wäre, und bei der unumwundenen Erklärung des Statthalters Grafen Mensdorff dürfte es sich wohl nur noch um die Frage handeln, ob der galizische Landtag jetzt bloß zu vertagen oder schon zu schließen wäre. Der Staatsminister stimme vorderhand für die Vertagung, und würde die definitive Schließung Allerhöchstenortes zugleich mit jener der übrigen Landtage ausgesprochen werden. Der Minister des Äußern schloß sich diesem Antrage mit dem Bemerken an, daß dem Grafen Mensdorff bei Kundgebung des Ah. Beschlusses über die Vertagung zu eröffnen wäre, wie es nicht in der Ah. Absicht liege, den galizischen Landtag vor dem Schlusse der Session wieder zusammentreten zu lassen.

|| S. 283 PDF || Gegen diese Anträge wurde von keiner Seite eine Erinnerung erhoben, und Se. k. k. apost. Majestät geruhten dieselben sofort Ah. zu genehmigen2.

II. Offizielle Erklärung über die polnische Bewegung; polizeiliche Maßnahmen an der Grenze und in Krakau; Konzentrierung von Militär; Auslieferung ausländischer Revolutionäre

Se. Majestät der Kaiser geruhten in eine Erörterung der Notwendigkeit einzugehen, daß die österreichische Regierung dermalen ihre Stellung der polnischen Bewegung gegenüber klar ausspreche.

Anfänglich hatte der Aufstand im Königreiche Polen nur geringe Dimensionen; man konnte erwarten, daß er in kurzer Zeit werde unterdrückt werden, und die Aufregung in Galizien war damals nicht bedeutend. Jetzt scheint die Aussicht auf eine baldige Unterdrückung des schon bis Litauen dringenden Aufstandes geschwunden, und infolge der daran sich knüpfenden Hoffnungen der Polen zeigt sich bereits eine steigende Aufregung in Galizien, die durch Zuzug von Revolutionärs aus fremden Ländern und durch Emissärs aus Russisch-Polen genährt wird. Werbungen für die Aufständischen werden fast offen und mit Erfolg betrieben. Andererseits werden uns Absichten unterschoben, die Österreich ganz fremd sind, und in Rußland hält man zähe an dem Wahne fest, daß die Bewegung von hier aus den Impuls erhalten habe. Solche falsche Ansichten haben aber auch den Nachteil, die Agitation zu begünstigen und selbst den loyalen galizischen Bauernstand besorgt und schwankend zu machen. Es ist daher angezeigt, daß die Regierung diese Irrtümer berichtige, und wären sofort auch die Behörden anzuweisen, daß sie bei Überwachung der Zuzüge etc. nach Polen strenger zu Werke gehen. In dieser Beziehung wünschten Se. k. k. apost. Majestät die Anträge Allerhöchstihrer Minister zu vernehmen – wie auch über die Frage der Vermehrung des Truppenstandes in Galizien.

Der Polizeiminister äußerte, daß allerdings von den galizischen Behörden den Zuzügen, Agitationen und Werbungen gegenüber nicht mit der wünschenswerten Energie zu Werke gegangen wird. Insbesondere habe die Handhabung der Fremdenpolizei in dem mit wirklichen und angeblichen Flüchtlingen, dann mit Zuzüglern aller Nationen überfüllten Krakau beinahe ganz aufgehört. Es wäre daher eine Ermahnung zu größerer Strenge an alle beteiligten Behörden in Galizien zu erlassen und speziell in Krakau eine neue polizeiliche Aufnahme der Bewohner ungesäumt vorzunehmen, wobei diejenigen, welche nicht daselbst einheimisch sind oder erweislich dort Geschäfte haben, oder die nicht in die Kategorie der ganz unbedenklichen Flüchtlinge gehören, sofort abgehend zu machen wären. Der an die Behörden diesfalls zu richtende Erlaß würde auch dazu benützt werden können, um – ohne förmliche politische Demonstration adurch eine zu veröffentlichende Kundmachunga – die Stellung Österreichs zur polnischen Frage darzulegen. Zur Sicherheit überhaupt und zur Stärkung der Behörden bei Durchführung der ihnen jetzt obliegenden Aufgaben würde die Zusammenziehung von Militär bei Krakau von Nutzen sein. Der Staatsminister hält die vom Polizeiminister vorgeschlagenen polizeilichen Maßregeln vor allem für dringend und die Konzentrierung von Militär bei Krakau || S. 284 PDF || wegen der offenen Grenze und des schlechten Geistes der dortigen Gutsbesitzer für wünschenswert. Der Minister des Äußern , mit den vom Baron Mecséry beantragten Maßregeln einverstanden, hält eine diplomatische Deklaration über die Stellung Österreichs zur polnischen Frage bei dem dermaligen Stand der Verhandlungen nicht für angezeigt. Das hindere jedoch nicht, den von der Regierung inspirierten Zeitungen zu sagen, wie sie darüber zu schreiben haben, und den galizischen Beamten eine ostensible Instruktion zur eigenen Darnachachtung und Belehrung der bäuerlichen Bevölkerung zu erteilen. Der Kriegsminister glaubt sich von der Aufstellung einer bedeutenderen Truppenmacht in Galizien keinen Erfolg auf Hintanhaltung des Übertritts nach Polen versprechen zu können; mit Kordons und Patrouillen lasse sich kein hermetischer Abschluß einer Grenze wie die Galiziens bewirken. Preußen hat 29.000 Mann in Posen zusammengezogen, und notorisch ist doch der Zuzug aus dieser Provinz sehr bedeutend! Andererseits sei nicht zu verkennen, daß das Vorhandensein von mehr Truppen den Behörden zur Stütze dient und daß die Einberufung galizischer Urlauber zu den Fahnen der ländlichen Bevölkerung den klarsten Beweis geben wird, daß die österreichische Regierung den Aufstand nicht mit gleichgültigen oder gar günstigen Blicken betrachtet. Eben deswegen dürfte die Verstärkung der Truppen durch Einberufungen aus den verschiedenen Kreisen Galiziens erzielt werden. Vorläufig aber würde es genügen, einige Bataillons zu ergänzen und bei Krakau zu konzentrieren, und dürfte es dem FML. Grafen Mensdorff überlassen werden, nach Befund der Umstände einige Bataillons bei Lemberg auf den halben oder ganzen Kriegsstand zu erhöhen. Minister Ritter v. Lasser erklärte sich mit den polizeilichen Maßregeln und der Einberufung von Urlaubern einverstanden und warnte nur davor, daß man durch unzeitige und allzu eifrig betriebene Widerlegungen bvon Fragen, z. B. Wiederherstellung Polens, Abtretung Galiziens u. dgl., die ja als gar keiner Frage unterliegend gelten solltenb, die Irrtümer erst auf dem flachen Land recht verbreite. Der Finanzminister empfahl, die Vestärkung des Militärs auf das Notwendigste zu beschränken, um die cbisher ohne Kreditoperation fortgeführte Finanzgebahrung nicht über die Kräfte in Anspruch zu nehmen, dann umc die bis jetzt relativ günstigen Konjunkturen durch Alarmierung der Börsen nicht zu sehr zu stören dund die bevorstehende Kreditoperation (1860er Lose) nicht zu beeinflussen, welche er zu unternehmen erst bei dem Eintritte einer Hausse dieses Effekts beabsichtiged Im übrigen fand er gegen die Anträge des Polizei- und des Kriegsministers ebensowenig etwas zu erinnern als die übrigen Mitglieder der Konferenz.

Se. k. k. apost. Majestät geruhten die Ah. genehmigten polizeilichen Maßregeln der strengeren Grenzüberwachung, dann der energischen Handhabung der Fremdenpolizei in Krakau zu rekapitulieren, die Aufklärung der Bevölkerung über die Stellung der österreichischen Regierung durch Leitartikel und auf anderen geeigneten Wegen zu befehlen und Ah. anzuordnen, es sei den in Galizien vorkommenden || S. 285 PDF || Gelderpressungen für revolutionäre Zwecke nach Möglichkeit entgegenzutreten3.

Nachdem Minister Dr. Hein im Lauf der Beratungen erwähnt hatte, daß Österreich vertragsmäßig zur Auslieferung der nichtösterreichischen Revolutionärs an Rußland verpflichtet sei, fand sich der Staatsratspräsident veranlaßt herauszuheben, daß die österreichische Regierung nach den Bestimmungen des Staatsvertrages zu einer solchen Auslieferung nicht die Initiative zu ergreifen, sondern eine Requisition russischerseits abzuwarten habe4. Insofern aber das diesseitige Anbot zur Auslieferung auf den § 39 des Strafgesetzes basiert wird, hängt es von Allerhöchstseiner Majestät ab, es von der Auslieferung abkommen zu lassen. Minister Dr. Hein erwiderte, es sei die Einleitung getroffen, daß die Korrespondenz der Gerichte mit ausländischen Behörden wegen Auslieferung von Verbrechern im Wege des Justizministeriums geleitet werde und dasselbe daher die Sache stets in der Hand behalte.

III. Umtriebe in Ungarn zugunsten der polnischen Revolution

Der Kriegsminister las einen Bericht des Kommandierenden in Ungarn, FZM. Grafen Coronini, wonach in Oberungarn vielerlei Umtriebe zugunsten der polnischen Revolution stattfinden, Komitees zu Geldsammlungen gebildet wurden und vier Gymnasialschüler aus Kaschau nach Polen entwichen sind5. Auch in dieser Beziehung dürfte das Geeignete verfügt werden, und der Staatsratspräsident fügte bei, daß die Sammlung von Geldbeiträgen schon eine kriegsrechtlich zu bestrafende Handlung sei.

Der ungarische Hofkanzler erwiderte, daß er bezüglich der polenfreundlichen Agitation in Ungarn bereits Weisungen erlassen habe, wonach demonstrative Handlungen vor die Kriegsgerichte gebracht werden sollen. Die speziellen Fälle, welche Graf Coronini anführt, seien noch nicht zur Kenntnis der ungarischen Hofkanzlei gelangt, doch dürfte die Geldsammlung durch finanziell ruinierte Leute wie Losonczy, Szákal etc. keinen Anklang finden. Jedenfalls müßten die Tatsachen vorerst konstatiert werden.

Se. k. k. apost. Majestät geruhten den Kriegsminister Ah. anzuweisen, daß er den Bericht des Kommandierenden zur weiteren Veranlassung an Graf Fogách leite6.

IV. Nichtbestätigung der Wahl des Stefan v. Conti zum Podestà von Triest

Der Staatsminister referierte, daß die Podestà-Wahl in Triest abermals auf den Oberlandes[gerichts]rat Conti7 gefallen sei, dessen Transferierung nach Innsbruck Allerhöchstenortes angeordnet wurde, um seine Belassung im Amte zu verhindern8. Das Munizipium Triest bittet nun in einer eigenen Eingabe dringend, es von || S. 286 PDF || der Transferierung abkommen zu lassen und die Wahl Contis Ag. zu genehmigen, weil die Entfernung dieses Mannes zum wesentlichen Nachteil der städtischen Interessen gereichen würde. Hofrat v. Conrad9 habe anfangs die neuerliche Bestätigung der Wahl Contis als „das geringere Übel“ betrachtet. Nach seinem letzten Bericht aber scheint er jetzt anderer Meinung und konstatiert, daß die Podestà-Wahl die Aufmerksamkeit des Auslandes auf sich gezogen habe und Contis Bestätigung als ein Sieg der italienischen Sache angesehen werden würde10. Da Conti notorisch ein charakterloser Mensch ist, seine angebliche Besserung kein Vertrauen einflößt und er daher auf dem wichtigen Posten eines Triestiner Podestà nicht nützlich wirken würde, während Männer wie Hagenauer oder Pagliaruzzi11 denselben völlig zufriedenstellend ausfüllen würden, trägt der Staatsminister darauf an, daß der Wahl Contis die Ah. Bestätigung nicht erteilt werde . Minister Ritter v. Lasser stimmte umso mehr gegen diese Bestätigung, als das seit Contis Wahl zusammengesetzte administrative Organ des Munizipiums – la Delegazione – infolge der Indolenz der Konservativen zu Triest größtenteils aus exaltierten Leuten besteht, denen ein schwacher Podestà nicht zu widerstehen vermöchte.

Sämtliche Stimmführer vereinigten sich mit dem Antrage des Referenten12.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, 24. März 1863. Empfangen 24. März 1863. Erzherzog Rainer.