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Nr. 307 Ministerrat, Wien 5. Jänner 1863 – Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 8. 1.), Mecséry, Schmerling, Lasser, Lichtenfels, Forgách; BdR. Erzherzog Rainer 11. 1.

MRZ. 1111 – KZ. 63 –

Protokoll I der Ministerkonferenz am 5. Jänner 1863 unter dem Ah. Vorsitze Sr. k. k. apost. Majestät.

I. Einbringung des Gesetzentwurfs über die Gutsgebiete in Böhmen

Infolge Ah. Aufforderung referierte der Staatsminister über die Gründe, welche ihn bestimmten, au. darauf anzutragen, daß der Gesetzentwurf betreffend die Gutsgebiete in Böhmen vorderhand noch nicht beim Landtage eingebracht werde1. Mehrere der größten Grundbesitzer Böhmens, Fürst A[dolph] Schwarzenberg an der Spitze, haben nämlich selbst gebeten, daß dieser Gesetzentwurf noch zurückbehalten werde, bis man sich aus den landtäglichen Verhandlungen über das Gemeindegesetz2 überzeugt hat, daß die Stellung der großen Grundbesitzer in der Gemeinde || S. 151 PDF || eine so ungünstige werden wird, daß ihnen nichts erübrigt, als sich aus derselben auszuscheiden. Vorderhand geben sie mit Hinblick auf die Grundsätze des Gemeindewesens die Hoffnung nicht auf, eine haltbare Stellung in der Gemeinde zu erhalten, und sie besorgen selbst, daß die dermalige Einbringung des Gesetzentwurfs über die Gutsgebiete die Stimmung der Majorität im Landtage verschlimmern könnte.

Der Polizeiminister kann die Besorgnisse jener Kavaliere nicht teilen und glaubt vielmehr, daß die gleichzeitige Einbringung des Gemeinde- und des Gutsgebietsgesetzes als ein Kompelle dienen und den Landtag von Beschlüssen abhalten werde, welche die Ausscheidung unumgänglich machen würden. Auf diese Art dürfte ein Kompromiß hervorgehen, infolgedessen die Regierung das Gesetz über die Gutsgebiete als entbehrlich einfach zurückziehen könnte. Der Staatsminister trat der Meinung der Vorstimme bei und würde für die gleichzeitige Einbringung in Böhmen umso mehr stimmen, als auch in Mähren und Galizien ähnliche Gesetzentwürfe eingebracht werden und es an einem ostensibeln Motive des verschiedenen Vorganges fehlt, zumal man sehr gut weiß, daß der Entwurf für Böhmen bereits fertig ist. Minister Ritter v. Lasser stimmt ebenfalls für die gleichzeitige Einbringung, die auch den Vorteil gewährt, daß die Beteiligten schon am Beginn der Verhandlungen über das Gemeindegesetz die verschiedenen Eventualitäten und beiderseitigen Schwierigkeiten überblicken und sich leichter eine Meinung bilden können. Das Gesetz über die Gutsgebiete dürfte jedoch mit der Erklärung seitens der Regierung begleitet werden, daß sie das Zustandekommen der Ausscheidung weder bevorwortet noch wünscht, so wie sie es bereits bei den reichsrätlichen Verhandlungen3 erklärt hat. Diese Maßregel ist auch in der Tat weder für den großen Grundbesitz noch für eine geregelte Administration wünschenswert. Der Präsident des Staatsrates und der ungarische Hofkanzler stimmten ebenfalls für die gleichzeitige Einbringung, wobei der letztere bemerkte, die Meinungen der großen Grundbesitzer über die von der Ausscheidung zu erwartenden finanziellen Vorteile hätten sich in der letzten Zeit bedeutend geändert. Statthalter Baron Kellersperg dürfte selbst angewiesen werden, auf vertraulichem Wege bei den Herrschaftsbesitzern gegen die Ausscheidung zu wirken.

Se. k. k. apost. Majestät geruhten Allerhöchstsich für die gleichzeitige Einbringung beider Gesetzentwürfe mit Bezeichnung des von der Regierung angenommenen Standpunktes auszuprechen4.

Allerhöchstdieselben geruhten hierauf die Motive einiger Bestimmungen des anverwahrten Gesetzentwurfesa entgegenzunehmen.

Für § 3 wurde die administrative Notwendigkeit geltend gemacht, welche auch von Seite der großen Grundbesitzer vollkommen anerkannt wird. Daß die im § 4 festgesetzte Frist von 45 Tagen zur Anmeldung der Ausscheidung nicht zu kurz ist, ergibt sich, wenn man erwägt, wie lange schon dieser Gegenstand die Erwägung für die || S. 152 PDF || Beteiligten gebildet hat, sodaß sie wohl bald einen definitiven Beschluß werden fassen können. Die Zustimmung des Landesausschusses zur Ausscheidung mußte vorbehalten werden, da es sich um eine Gemeindeangelegenheit handelt.

II. Gesetzentwurf über die Bezirksvertretung in Böhmen

Laut § 1 des anverwahrten Gesetzentwurfes betreffend die Bezirksvertretung in Böhmenb, 5 sind die Wahlbezirke bis zur erfolgten Organisierung der politischen Behörden die Gebiete für die Wirksamkeit der Bezirksvertretungen. Se. Majestät geruhten diesfalls die Besorgnis auszusprechen, daß, wenn hiernach die Bezirksvertretungen noch vor den neu zu organisierenden politischen Behörden in Wirksamkeit treten, daraus viele Übelstände entstehen werden. Der Staatsminister äußerte, er sei weit entfernt, diese Übelstände zu verkennen, und das Bestreben der Regierung müsse daher dahin gerichtet sein, die Durchführung der politischen Organisation, die der nächste Reichsrat festsetzen wird, dergestalt zu beschleunigen, daß die Aktivierung der Bezirksvertretungen nicht früher eintritt. An Mitteln, bei der letzteren zu temporisieren, fehle es nicht. Minister Ritter v. Lasser machte in letzterer Beziehung aufmerksam, daß das Gesetz über die Bezirksvertretung vor allem der Ah. Sanktion bedürfe, welcher letzteren die kaiserliche Sanktion des Gemeindegesetzes vorausgehen muß. Bevor aber an die Durchführung der Bezirksvertretung gegangen werden kann, muß das Gemeindegesetz durchgeführt sein, was wohl ein halbes Jahr erfordern wird. Bis zur Zurücklegung dieser Stadien und der weiters nötigen Vorarbeiten dürfte aber das Reichsgesetz über die politische Organisierung6 die Ah. Sanktion bereits erhalten haben.

Der Staatsminister fügte bei, daß die politische Organisierung sodann in kürzester Zeitfrist erfolgen könne, indem ja alle Personen- und Lokalitätsfragen schon vorläufig entschieden sein werden und es sich bloß um die Ausführung handeln kann. Der Staatsratspräsident teilte die Meinung der Vorstimme.

Im Texte des Gesetzentwurfes wird auf Ah. Anordnung überall statt des minder passenden und in den bisher vorgekommenen legislativen Arbeiten nicht gebrauchten Ausdruckes „die Interessengruppe des großen Grundbesitzes, der Höchstbesteuerten etc.“ zu setzen sein „die Gruppe [des großen Grundbesitzes,] der Höchstbesteuerten etc.“ Ferner geruhten Se. k. k. apost. Majestät Ah. zu erinnern, daß der § 78 bezüglich der Sistierung in Fällen der Überschreitung des Wirkungskreises mit dem für Tirol Ah. festgesetzten Texte7 in Einklang zu bringen sei.

III. Ergänzung im Gesetzentwurf über die Gemeindeordnung in Böhmen

In dem Gesetzentwurfe der Gemeindeordnung für Niederösterreich § 79 erscheint ein Schlußabsatz des Inhaltes, wornach in Notfällen alle tauglichen Personen in der Gemeinde zur unentgeltlichen Leistung von Diensten verpflichtet sind. Se. Majestät vermißten diese sehr zweckmäßige Anordnung im Entwurfe des Gemeindegesetzes || S. 153 PDF || für Böhmen und geruhten deren nachträgliche Einschaltung zu befehlen8.

IV. Grundteilung in Böhmen

Schließlich geruhten Se. Majestät die laut Zeitungsberichten im böhmischen Landesausschusse gepflogenen Beratungen über die Grundzerstückungen zur Sprache zu bringen. Dieser Gegenstand sei wegen der verderblichen Folgen eines unbeschränkten Zerstückungsrechtes sehr wichtig.

Der Polizeiminister brachte zur Ah. Kenntnis, daß diese Verhandlungen sich keinesfalls auf Freigebung der Grundteilung, sondern nur auf dErweiterung der bisherigen Begrenzung der Teilbarkeit, auf eine Modifikation der bisherigen Erbfolgeordnung in Bauerngüter, namentlich aber aufc die Beseitigung der für das Gedeihen des bäuerlichen Grundbesitzes nachteiligen Ausgedinge bezogen. Mehrere Stimmen nahmen hieran Anlaß, die Nachteile der Parzellierungen in Istrien, im lombardischvenezianischen Königreiche und in Krain hervorzuheben9.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, 11. Jänner 1863. Empfangen 11. Jänner 1863. Erzherzog Rainer.