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Nr. 306 Ministerrat, Wien, 2. Jänner 1863 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 5. 1.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Esterházy, Burger, Hein; abw. Forgách; BdR. Erzherzog Rainer 17.1.

MRZ. 1110 – KZ. 134 –

Protokoll des zu Wien am 2. Januar 1863 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Gesetzentwurf über die Landesverteidigungsordnung für Tirol und Vorarlberg

Se. k. k. apost. Majestät geruhten den Entwurf eines Landesgesetzes betreffend die Landesverteidigungsordnung für Tirol und Vorarlberga, 1 einer eindringlichen Erörterung zu unterziehen, infolge welcher bei den nachfolgenden Paragraphen Modifikationen Ah. beschlossen wurden.

Nachdem das Landesverteidigungswesen in Welschtirol nicht durchgeführt werden soll, so würden nach dem letzten Absatze des § 1 die dortigen Bezirke der Begünstigung eines geringeren Rekrutenkontingentes nicht mehr teilhaftig sein. Dies hätte, wie Se. Majestät Ah. zu bemerken geruhten, die Folge, daß das dermalige Verhältnis der deutschen und italienischen Mannschaft im Kaiserjägerregimente wesentlich alteriert würde, weil dann der jährliche Zuwachs aus 800 Welschen und bloß 300 Deutschen bestünde. Bei einer solchen Zusammensetzung müßte diese Truppe aber an Güte und Verläßlichkeit so sehr verlieren, daß es vom militärischen Standpunkte wünschenswert wäre, auf das nach § 1 zu erwartende Supererogat2 aus Welschtirol lieber zu verzichten und auch dort die bisherige Begünstigung fortdauern zu lassen. Minister Ritter v. Lasser hätte geglaubt, daß man der welschtirolischen Mannschaft in bezug auf ihre Treue Vertrauen schenken könne, da dieselbe größtenteils der unverdorbenen Landbevölkerung entnommen ist. Die tirolische Statthalterei sowohl als das Ministerialkomitee (worin das Kriegsministerium vertreten war) hätten ebenfalls gegen das steigende Vorwalten des italienischen Volksstammes im Jägerregimente keinen Anstand erhoben. Andererseits sei vorauszusehen, daß, wenn – wie es scheint – Vorarlberg dem tirolischen Landesdefensionssysteme nicht beitreten will, aus diesem Land auch ein größeres deutsches Rekrutenkontingent abgestellt werden wird, was zur Ausgleichung beitragen dürfte. Endlich sei zu besorgen, daß Nordtirol, wenn es mit Welschtirol in Absicht auf das Rekrutenkontingent nach demselben Maßstab behandelt bleibt, das Landesdefensionswesen || S. 146 PDF || als eine durch keinen Vorteil kompensierte Speziallast betrachten und daher dasselbe bei der landtägigen Verhandlung ablehnen, oder doch die Erhöhung des Kontingentes für Welschtirol begehren werde. Der Kriegsminister erklärte, daß, wenn sein Abgeordneter im Komitee sich über die fragliche Angelegenheit zustimmend geäußert habe, dies nur seine individuelle Ansicht gewesen sein könne, da er vom Minister keine solche Instruktion erhalten und über diesen Gegenstand auch selbst keine verlangt hat. FZM. Graf Degenfeld könne auch die Erhöhung des welschen Kontingents nur als eine für die Truppe verderbliche Maßregel betrachten, deren Wirkung sich nur dadurch vielleicht mildern ließe, wenn aus den mehrabgestellten Italienern ein eigenes, ganz italienisches Bataillon gebildet und somit das Verhältnis der Nationalität im übrigen Regimente nicht alteriert würde. Se. Majestät der Kaiser würden das Scheitern des ganzen Defensionswesens im tirolischen Landtage eben nicht zu beklagen finden, da die realen Leistungen dieses kostspieligen Apparats voraussichtlich nur gering sein werden. Die weitere Vermehrung des ohnehin überzahlreichen Kaiserjägerregiments auf Kosten des Geistes dieser Truppe wäre aber so bedauerlich, daß die Regierung diesfalls nicht die Initiative im Gesetzentwurf ergreifen und lieber die Ausmittlung eines Ausgleichsmodus zwischen Nord- und Südtirol dem Landtage überlassen sollte. Hiernach sei der bezügliche Passus im Gesetzentwurfe zu streichen3.

Im § 18 wird festgesetzt, daß die Offiziere der Landesschützenkompanie im Dienste den Offizieren des k. k. Heeres in jeder Beziehung gleichgestellt sind. Diese Gleichstellung der beiderseitigen Offiziers hält der Kriegsminister für eine Notwendigkeit, weil es doch nicht angehe, daß bei gemeinschaftlicher Aktion des Linienmilitärs und der organisierten Schützenkompanie der Schützenhauptmann einem Infanterieleutnant untergestellt werde. Das wechselseitige Verhältnis müsse aber genau normiert werden, widrigens alle Disziplin sich auflösen werde. Nachdem jedoch Se. Majestät darauf aufmerksam gemacht hatten, daß der so sehr absolut lautende Ausspruch des Gesetzes in praxi auch zu weit gedeutet werden könnte, schlug der Kriegsminister unter Beitritt des Ministers Ritter v. Lasser vor, die Worte „in jeder Beziehung“ zu streichen, und Se. k. k. apost. Majestät geruhten diesen Antrag Ah. zu genehmigen4.

Der § 30, der von den Gebühren handelt, gab Anlaß zu einer längeren Erörterung, aus welchem Fonds dieselben zu bestreiten wären. Während der Staatsratspräsident auf den Landesfonds, Minister Dr. Hein auf das Armeebudget und der Kriegsminister auf den Gendarmeriefonds hindeuteten, äußerte der Finanzminister , nicht vorbereitet zu sein, bum die Zifferhöhe des Kostenaufwandes anzugeben. So viel stehe aber fest, daß die Last der Tragung der Kosten den Finanzen zukommen und daß der entfallende Ausgabsbetrag Gegenstand der Budgetverhandlung sein wird, daher die nötige Umsicht anzuwenden sein wird, um eine Kollision zwischen dem über die Landesverteidigung zu erlassenden Landesgesetz und dem über das betreffende Staatsbudget zustande zu bringende Finanzgesetz zu vermeidenb um die Zifferhöhe des Kostenaufwandes anzugeben. So viel stehe aber fest, daß die Last der Tragung der Kosten den Finanzen zukommen und daß der entfallende Ausgabsbetrag Gegenstand der Budgetverhandlung sein wird, || S. 147 PDF || daher die nötige Umsicht anzuwenden sein wird, um eine Kollision zwischen dem über die Landesverteidigung zu erlassenden Landesgesetz und dem über das betreffende Staatsbudget zustande zu bringende Finanzgesetz zu vermeiden.

Schließlich geruhten Allerhöchstdieselben anzuordnen, daß im § 54 statt „das Gelöbnis der Treue gegen Fürst und Vaterland“ gesetzt werde „gegen Kaiser und Vaterland“, da dies der Idee des Gesamtstaates besser entspricht.

II. Gesetzentwurf über die Schießstandsordnung für Tirol und Vorarlberg

Am § 1 des Gesetzentwurfs betreffend die Schießstandsordnung für Tirol und Vorarlbergc wurde Allerhöchstenortes der Passus beanstandet, daß das Schießstandswesen den besonderen Schutz und die Unterstützung der Staatsverwaltung und der Landesvertretungen genieße. Es sei nämlich nicht abzusehen, welche Art Schutz die Landesvertretungen dem gedachten Institute verleihen können . Se. Majestät geruhten daher die Weglassung der drei letzten Worte des § 1 Ah. anzuordnen.

Über eine Ah. Aufforderung äußerte sich der Kriegsminister zum § 9 dahin, er finde keinen Anstand, daß die k. k. Offiziers, dann die Mannschaft von Kaiserjägern bei Festschießen als immatrikulierte Standschützen zu betrachten seien, ja es sei vielmehr die Beteiligung des Militärs an solchen Schießen wünschenswert5.

III. Gesetzentwurf über die Kreisvertretung in Tirol

Se. k. k. apost. Majestät geruhten hierauf, die Prinzipienfragen zur Erörterung zu bringen, die sich auf den anverwahrten Entwurf eines Landesgesetzes über die Kreisvertretung in Tirol beziehend, 6.

Der Präsident des Staatsrates entwickelte im Lauf der hierüber gepflogenen längeren Beratung die bereits bei zwei vorausgegangenen Ministerkonferenzen dargelegten Gründe, welche den Staatsrat bestimmten, au. darauf anzutragen, daß sich die Regierung in Tirol der Initiative zur Bildung von Gemeinden höherer Ordnung, sei es Bezirks-, sei es Kreisgemeinden, enthalte. Der Staatsminister führte dagegen aus, daß, nachdem die Bildung solcher Mittelglieder in Tirol von allen Seiten gewünscht und beantragt worden ist, dieser Gegenstand im Tiroler Landtag unausweichlich zur Beratung kommen wird und es daher angezeigt erscheine, daß die Regierung mit einem Entwurfe hervortrete, der ihrem wohlverstandenen Interesse entspricht. Dies sei politisch rätlicher als eine passive Haltung. Bei Einführung der Kreisvertretung habe man den Vorteil, Welschtirol in zwei Teile zu spalten, wobei die Regierung durch ihre Bezirkshauptleute, welche als ehemalige Kreischefs eine höhere Stellung haben, einen wirksamen Einfluß üben kann. Minister Ritter || S. 148 PDF || v. Lasser glaubt auch, seine frühere Ansicht über die Opportunität der Einbringung dieses Gesetzentwurfes festhalten zu sollen, wenn er es gleich andererseits nicht für notwendig fände, daß die Regierung mit ihrer ganzen Autorität für die Kreisvertretung einschreite. Ein Prognostikon lasse sich über die Wendung der diesfälligen Landtagsdebatten nicht stellen. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist übrigens die Abneigung gegen das sogenannte „Innsbrucker Regiment“, welche nicht bloß in Welschtirol, sondern auch sonst südlich des Brenners herrscht. Minister Dr. Hein erinnerte an die Wichtigkeit, den Wirkungskreis der zu schaffenden Mittelglieder nach beiden Seiten genau abzugrenzen. Se. Majestät der Kaiser geruhten zu bemerken, es sei vorzubringen, daß die Vertretungen oder deren Ausschüsse sich nicht zu kostspieligen bürokratischen Körpern ausbilden. Gegen eine gemeinschaftliche Vertretung ganz Südtirols müsse man sich aber kategorisch erklären.

Hierauf geruhten Se. Majestät, auf die Erörterungen einzelner Bestimmungen des Entwurfs einzugehen und bezüglich derselben teils Aufklärungen, teils Motivierungen entgegenzunehmen.

Im § 49 wurde auf Ah. Anordnung der Absatz 2 – „Über dieses Maß hinaus ist die Kreisvertretung an die Genehmigung des Landtages gebunden“ – konform mit dem Gesetzentwurfe für Vorarlberg7 dahin modifiziert, daß statt „Landtages“ gesetzt wurde „Landesausschusses“. Dies schlösse übrigens, wie Minister Ritter v. Lasser bemerkte, nicht aus, daß auch der eben versammelte Landtag darüber beschließen könnte.

Über die Ah. gestellte Frage, ob es nicht rätlich wäre, auch die Abhaltung der ordentlichen Kreisvertretungsversammlungen von der Genehmigung des Statthalters abhängig zu machen, äußerte der Staatsminister , daß ihm eine so weitgehende Vorsicht nicht nötig scheine, nachdem ja die Regierung laut § 75 die Kreisvertretung, sobald sie es rätlich findet, auflösen oder vertagen kann. Der Polizeiminister fügte bei, daß der Vorbehalt der Regierungsgenehmigung die Kreisvertretungen in unruhigen Zeiten und wenn die Regierung sich schwach zeigt nicht abhalten würde, eigenmächtig zusammenzutreten.

Se. Majestät der Kaiser geruhten Ah. zu bemerken, daß der § 73 nach der letzten vom Ministerrate beschlossenen Modifikation8 das Recht der Sistierung von Beschlüssen, die den Wirkungskreis der Kreisvertretung überschreiten, nicht mehr ausdrücklich ausspreche, wie es im gedruckten Textentwurfe der Fall war. Minister Ritter v. Lasser brachte zur Ah. Kenntnis, daß die Modifikation darum beschlossen wurde, weil man sich an die Grundsätze des Gemeindegesetzes näher anschließen wollte. Auch schien hier die ausdrückliche Erwähnung der Überschreitungen minder nötig, nachdem derselben bereits im § 72, Absatz 1, Erwähnung geschieht. Allein da es wünschenswert ist, über das wichtige Sistierungsrecht bei Überschreitung des Wirkungskreises nicht den geringsten Zweifel übrig zu lassen, geruhten || S. 149 PDF || Se. k. k. apost. Majestät den Minister Ritter v. Lasser Ah. zu beauftragen, den § 73 in dieser Art zu ergänzen, was auch sofort geschah9.

IV. Gesetzentwurf über die Gutsgebiete in Galizien

Se. Majestät der Kaiser geruhten hierauf, einige Aufklärungen über die Bestimmungen des beiliegenden Gesetzentwurfes, die galizischen Gutsgebiete betreffende, Ag. entgegenzunehmen10.

Über die Frage, ob es nicht angezeigt wäre, die Sonderung der Gutsgebiete obligatorisch auszusprechen, äußerte der Staatsminister , daß ein Zwang in dieser Richtung, und zwar bloß in Galizien allein, nicht am Platz sein dürfte. Auch haben die Grundsätze über das Gemeindewesen im allgemeinen festgesetzt, ein Landesgesetz werde bestimmen, ob und inwiefern der große Grundbesitz aus der Gemeinde ausgeschieden werden könne. Andererseits haben die galizischen großen Grundbesitzer selbst auch Gründe zu wünschen, durch diese Ausscheidung aus der Jurisdiktion des Gemeindevorstandes zu treten, sodaß die Sonderung auch ohne Zwang in ausgedehnter Weise stattfinden rücksichtlich fortdauern werde. Minister Dr. Hein fügte bei, daß die großen Grundbesitzer umso weniger nach der Inkorporierung streben dürften, als sie auch ohne dieselben viel Einfluß auf die Gemeinden üben können.

V. Gesetzentwurf über die Gemeindeordnung und Gemeindewahlordnung für Galizien und die Bukowina

Über das Allerhöchstenortes geäußerte Bedenken, daß die galizische Gemeindeordnung § 11 mit Rücksicht auf die Verhältnisse und Bildungsstufe der ländlichen Bevölkerung etwas zu kompliziert sei, glaubte der Staatsminister darauf hindeuten zu sollen, daß es sich in praxi nicht sowohl um eine pünktliche Durchführung der Formen des Gesetzes, als um ein energisches Handeln des Gemeindevorstandes handeln wird. Von der Aufnahme eigener besoldeter Gemeindebeamten werde in den meisten Fällen schon deswegen keine Rede sein, weil es den Gemeinden in der Regel an den dazu nötigen Geldmitteln fehlt.

Se. Majestät geruhten den Minister Ritter v. Lasser Ah. zu beauftragen, in dieser Gemeindeordnung sowie in jener für die Bukowina11 die Bestimmungen wegen der Militärs sowie wegen der Virilstimmen mit den bezüglich der übrigen Länder bereits Allerhöchstenortes festgesetzten Modifikationen in Einklang zu bringen.

Ferner geruhten Allerhöchstdieselben auf einen in dem § 20 der Gemeindewahlordnungen für beide Länder unterlaufenen Schreibfehler aufmerksam zu machen, wonach im 1. Absatze statt „Gemeinderate“ zu setzen sein wird „Gemeindebeigeordneten“12.

VI. Versetzung des Triester Bürgermeisters Stefan v. Conti zum Oberlandesgericht in Innsbruck

Nachdem der Staatsminister zur Ah. Kenntnis gebracht hat, daß es jetzt an der Zeit wäre, die bereits früher beschlossene Versetzung des Triester Bürgermeisters in das Ratsgremium des Oberlandesgerichtes zu Innsbruck13 ins Leben treten zu lassen, geruhten Se. Majestät den Minister Dr. Hein Ah. aufzufordern, das diesfalls Nötige nunmehr zu veranlassen14.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 17. Jänner 1863. Empfangen 17. Jänner 1863. Erzherzog Rainer.