MRP-1-5-05-0-18621215-P-0299.xml

|

Nr. 299 Ministerrat, Wien, 15. Dezember 1862 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 17. 12.), Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Esterházy, Mažuranić; abw. Rechberg, Pratobevera, Burger; BdR. Erzherzog Rainer 2. 1. 1863.

MRZ. 1102 – KZ. 4011 –

Protokoll des zu Wien am 15. Dezember 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Gesetzentwurf über die Gutsgebiete in Galizien

Der Staatsminister referierte über die bei den Landtagen in Galizien, Böhmen, Mähren und Schlesien einzubringenden Entwürfe von Gesetzen über die Gutsgebiete und verlas den anverwahrten Entwurf des Gesetzes für Galizien, Lodomerien und Krakaua, 1. Hierauf wurde der Auszug der staatsrätlichen Beratung2 des Gegenstandes || S. 112 PDF || verlesen, und der Staatsminister wendete sich sofort zur Erörterung der Differenzpunkte zwischen den beiderseitigen Anträgen, und zwar:

1. der prinzipiellen Frage über die Zulässigkeit von Gutsgebieten in Galizien. Es handelt sich aber nicht mehr darum, ob die Absonderung der Gutsgebiete dort einzuführen, sondern ob die bereits vorhandene Absonderung aufrechtzuhalten sei. Nun stimmen alle, welche eine genaue Kenntnis der galizischen Verhältnisse mit einer konservativen Gesinnung verbinden, in der Beziehung vollkommen überein, daß es dringend notwendig ist, die schlechten politischen Elemente von dem Bauernstande möglichst fernzuhalten. Daraus ergebe sich von selbst die Beantwortung der obigen Frage, weil durch den Eintritt des großen Grundbesitzers in die Gemeinde der erstere mit den Bauern in vielfache Berührung geraten und dadurch einen großen Einfluß gewinnen würde zum Nachteil der Regierung. Staatsrat Baron Halbhuber selbst habe in seinem Votum anerkannt, daß diesfalls den speziellen Verhältnissen Galiziens Rechnung getragen werden müsse. Hiernach glaube der Staatsminister, seinen au. Antrag festhalten zu sollen. Der Präsident des Staatsrates verkannte nicht die Schwierigkeiten, welche sich aus dem Bestande der Gutsgebiete ergeben werden. Allein, wenn man die galizischen Verhältnisse erwägt, gelangt man zur Überzeugung, daß diese Einrichtung dort mehr angezeigt ist als in allen übrigen Kronländern, und daher finde Votant gegen den Antrag des Staatsministers im Prinzip nichts zu erinnern. Von den übrigen Stimmführern wurde diesfalls auch keine Erinnerung erhoben.

2. In bezug auf die Normierung der Zuständigkeit zu den Gutsgebieten teile Ritter v. Schmerling die Meinung des Staatsratspräsidenten, daß diese einen Gegenstand des Heimatsgesetzes bildet, welches zur reichsrätlichen, und nicht zur landtäglichen Verhandlung gehört3. Es dürfte daher die vom Staatsrate vorgeschlagene Hinweisung auf diese Zuständigkeitsnormen aus dem Entwurf der Ah. Resolution zu entfallen haben. Der Polizeiminister bedauerte, nicht darüber im klaren zu sein, ob es in Galizien bereits Angehörige der Gutsgebiete gibt. Jedenfalls wird hierüber und über die Zuständigkeit zu diesen Gebieten eine allgemeine Norm zu erlassen sein. Der Staatsratspräsident bemerkte, daß, nachdem bis zur Zustandebringung eines Reichsgesetzes über diesen Gegenstand längere Zeit noch vergehen dürfte, die Regierung in den Fall kommen wird, nach § 13 hierüber provisorische Normen zu erlassen4.

Der Ministerrat trat dem Antrage des Staatsministers bei.

3. Der Staatsrat hat ferner beantragt, daß die bisherigen Gesetze über die Einpfarrung und Einschulung ausdrücklich aufrechterhalten werden sollen. Der Staatsminister betrachet dies als selbstverständlich, somit die ausdrückliche Erwähnung als überflüssig, und die Stimmenmehrheit teilte diese Meinung, während der Polizeiminister glaubte, daß ein Zusatz dieses Inhaltes der Deutlichkeit förderlich sein würde.

|| S. 113 PDF || Im Lauf der hierauf eröffneten Beratung über die speziellen Bestimmungen der einzelnen Gesetzartikel bemerkte der Präsident des Staatsrates , daß im § 1, Absatz 1, der Text durch Einschaltung der zufällig weggebliebenen Worte „und angrenzenden“ nach „gleichgearteten“ zu ergänzen wäre, was der Staatsminister bestätigte. Auf die vom Polizeiminister zum § 4 gestellte Frage, ob die ehmals rustikalen Enklaven der Gutsgebiete zu den letzteren gehören, antwortete der Staatsminister verneinend, und gab ferner zu § 8 die Auskunft, daß die Gutsgebiete keiner Gemeinde höherer Ordnung, als [d. h. außer] dem Landtage, unterstehen5. Es sollen aber auch überhaupt in Galizien keine Bezirksgemeinden gebildet werden, wozu kein Bedürfnis vorhanden ist und welche leicht zu einem gefährlichen Agitationsinstrumente mißbraucht werden könnten. Vorerst handelt es sich darum, dortlandes das Gemeindeleben der untersten Sphäre zur Entwicklung zu bringen, was immerhin Zeit fordern wird6.

II. Maßnahmen gegen das Räuberunwesen in Kroatien

Der Hofkanzler für Dalmatien, Kroatien etc. referierte über die in Kroatien sich in sehr bedenklicher und allgemein beunruhigender Weise vermehrenden Raubanfälle [sic!]. Ein Teil derselben scheint durch Individuen aus den angrenzenden ungarischen Komitaten verübt worden zu sein, welche zur Begehung dieser Verbrechen über die Drau setzen und später wieder zurückkehren7. Abhilfe tue da dringend not. Der Ban verspricht sich dieselbe vorzugsweise von der Verlegung eines Bataillons Jäger in die am meisten bedrohten kroatisch-slawonischen Landesteile, und Referent habe diese Bitte zur Ah. Kenntnis gebracht8. Allein Se. Majestät der Kaiser geruhten hierüber die Frage zu stellen, ob diese kostspielige Maßregel von sehr zweifelhaftem Erfolge nicht weit entsprechender durch Anwendung des in Ungarn neuestens eingeführten militärstandrechtlichen Verfahrens und der damit verbundenen Verschärfungen gegen Hehler und passiv sich verhaltende Gemeinden ersetzt werden könnte. Ah. beauftragt, den Gegenstand im Ministerrate zur Sprache zu bringen, müsse der Hofkanzler hiebei seine Meinung dahin aussprechen, daß die Anwendung der obgedachten, in Ungarn zweckmäßig befundenen Maßregeln unter den wesentlich verschiedenen Verhältnissen Kroatiens nicht angezeigt sein dürfte. Während man in Ungarn auf die älteren Strafgesetze zurückgegangen ist, besteht in || S. 114 PDF || Kroatien das österreichische Strafrecht noch in voller Rechtskraft9, und man weiß daselbst auch nichts von jener Terrorisierung der Gerichte, welche in Ungarn die Bestellung von Militärstandgerichten nötig machte. Die Anwendung des standrechtlichen Verfahrens auf Hehler, Teilnehmer und Vorschubleister sei dem österreichischen Strafgesetze fremd, könne daher den Zivilgerichten nicht aufgetragen werden, die Bestellung von Militärgerichten statt der Zivilrichter würde aber eine unverdiente Kränkung der letzteren sein. Endlich haben sich die kroatisch-slawonischen Gemeinden bis jetzt den Raubanfällen gegenüber noch nicht so passiv verhalten, daß die Verfügung so strenger Strafen erforderlich erscheine. Es fehle überhaupt in Kroatien nicht an pflichtgetreuen Zivilstandgerichten, noch an Gesetzen zur Bestrafung der Verbrecher, wohl aber daran, daß die Räuber nicht entdeckt und vor die Gerichte gestellt werden können, und in diesem Punkte tue Abhilfe not.

Der ungarische Hofkanzler äußerte, daß er eben wegen der juridischen Bedenken gegen die fraglichen exzeptionellen Maßregeln der Strenge drei Monate lang den diesfälligen Anträgen der ungarischen Landesbehörden widerstanden habe, hoffend, dem Räuberunwesen durch die gesetzlichen Mittel steuern zu können. Allein die während dieser Zeit stattgefundene erschreckende Vermehrung von Raubund Mordfällen habe ihn genötigt, zu jenen wirksameren Mitteln seine Zuflucht zu nehmen. Die Angst vor den Kriegsgerichten sei tatsächlich ein mächtiger Hebel zur Verhütung solcher Verbrechen, und die Raubzüge aus Ungarn nach Kroatien dürften schon eine Wirkung des Schreckens sein, welchen die ungarischen Kriegsgerichte einflößen; die Räuber suchen ein anderes Gebiet auf. Graf Forgách las hierauf die mehrerwähnte, in Ungarn erlassene Verordnung10 und beantragte, daß eine gleiche auch für die an Ungarn grenzenden kroatisch-slawonischen Komitate erlassen werde, da er nicht glaube, daß man ohne solche Maßnahmen in diesen Komitaten die öffentliche Sicherheit werde wiederherstellen können.

Im Laufe der hierüber gepflogenen längeren Erörterung erklärten sich der Präsident des Staatsrates und die Minister Graf Nádasdy , Ritter v. Schmerling und Baron Mecséry dagegen, daß so weitgehende Ausnahmen von der bestehenden Strafgesetzgebung, welche der zunächst kompetente kroatisch-slawonische Hofkanzler nicht notwendig findet, statuiert würden. Auf die Andeutung des Grafen Nádasdy, daß vielmehr eine Verstärkung der Militärmacht angezeigt wäre, erwiderte der Kriegsminister , daß von einer solchen Verstärkung – wenn man nicht das ganze Land mit Truppen besetzen will – fast gar kein Erfolg zu erwarten sei. Wenn der Ban die Absendung eines Bataillons beantragt, so sei dieses nur konsequent mit seinem Streben, überhaupt den Truppenstand in Kroatien zu erhöhen. FZM. Graf Degenfeld müsse daher sich mit dem Antrage des ungarischen || S. 115 PDF || Hofkanzlers vereinigen. Minister Graf Esterházy erblickt gleichfalls in den vom letzteren vorgeschlagenen Maßregeln ein Mittel zur Übung eines heilsamen Terrorismus, und der Handelsminister beruft sich in derselben Richtung auf seine eigenen in Oberösterreich gesammelten Erfahrungen11. Mit den gewöhnlichen Gesetzen langt man nicht mehr aus, wenn einmal das Übel solche Dimensionen angenommen hat wie in Ungarn und Kroatien. In der Veszprimer Diözese sind bereits an elf Pfarrern räuberische Attentate vorgenommen worden. Die Minister Ritter v. Lasser und Edler v. Plener traten dem kroatischen Hofkanzler bei und empfehlen insbesondere Verstärkung der Detektivmittel. Es entschied sich daher die Stimmenmehrheit der Minister fünf gegen vier dafür, daß in Kroatien gegen die Räuber die Zivilstandgerichte nach den bestehenden Gesetzen ihr Amt zu handeln hätten.

Der kroatisch-slawonische Hofkanzler sprach ferner seine Meinung dahin aus, daß, wenn in Kroatien eine solche Passivität der Gemeinden räuberischen Attentaten gegenüber wie in Ungarn Platz greifen sollte, die Verhängung von Geldstrafen eine geeignete Maßregel sein würde. Der Staatsratspräsident und Minister Graf Nádasdy sprachen sich gegen die Anwendung dieser exzeptionellen strengen Maßregel aus, während Minister Ritter v. Lasser erklärte, er müsse, was die Anwendung von Sicherheitsmaßregeln betrifft, in die Lokalkenntnis des für diese Maßregeln verantwortlichen politischen Chefs kompromittieren. Der Polizeiminister erinnerte, daß derlei außerordentliche Geldstrafen in Kroatien nicht ohne besondere Ermächtigung von Sr. Majestät verhängt werden konnten.

Schließlich erwähnte Hofkanzler Mažuranić eines wirksamen Detektivmittels, welches in der Erhöhung der Taglien für die Einbringung von gefährlichen Räubern besteht, ein Mittel, das sich wiederholt bewährt hat. Doch dürfte bei Einbringung von ungarischen Räubern auf kroatischem Boden die Taglia aus dem ungarischen Fonds bestritten werden und vice versa. Se. k. k. Hoheit geruhten zu bemerken, daß diese letztere Frage von den beteiligten Hofkanzlern im Wege des direkten Einvernehmens zu lösen sein werde. Übrigens behielten Höchstdieselben sich vor, das Ergebnis der heutigen Beratung zur Ah. Kenntnis zu bringen12.

III. Feierlicher Gottesdienst anläßlich der Schließung der Reichsratssession

Der Staatsminister teilte mit, daß der Kardinalerzbischof von Wien sämtliche Minister zu einer Donnerstag 9 Uhr früh stattfindenden kirchlichen Feier im Sankt Stephansdome eingeladen hat13.

|| S. 116 PDF || Die Beratung über den Entwurf eines Landesgesetzes die Kreisvertretung in Tirol betreffend erscheint in einem besonderen Protokolle14.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, 1. Jänner 1863. Empfangen 2. Jänner 1863. Erzherzog Rainer.