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Nr. 287 Ministerrat, Wien, 24. November 1862 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 26. 11.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Esterházy, Burger; abw. Pratobevera; BdR. Erzherzog Rainer 1. 12.

MRZ. 1091 – KZ. 3654 –

Protokoll des zu Wien am 24. November 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Landesgesetze über die Gemeindeordnung und Gemeindewahlordnung

Se. k. k. apost. Majestät geruhten über die zur Ah. Resolution vorliegenden Entwürfe von Landesgesetzen über die Gemeindeordnung und Gemeindewahlordnung in den Kronländern Aufklärungen und nähere Motivierungen einzelner Bestimmungen Allerhöchstsich erstatten zu lassen1.

Aus diesem Anlasse brachte der Staatsminister unter anderm auch zur Ah. Kenntnis, daß nebst dem böhmischen auch der mährische, schlesische, tirolische und dalmatinische Landesausschuß die Organisierung einer Bezirksvertretung gewünscht habe, das Ministerium aber für Dalmatien deswegen keinen Gesetzentwurf ausgearbeitet habe, weil dieses arme Land kaum die Mittel haben wird, die Kosten || S. 60 PDF || der Landesvertretung zu bestreiten, und der Statthalter sich gegen die Bildung eines weiteren, kostspieligen Zwischengliedes ausgesprochen hat2.

Die unterlassene Spezifikation der Gegenstände des übertragenen Wirkungskreises (§ 28 [Gemeindeordnung]) motivierte der Staatsminister durch die allgemein anerkannte Unmöglichkeit einer vollständigen Aufzählung, zumal diese Gegenstände nach Zeit und Ort wechselnder Natur sind und bleiben müssen.

Die Amtsdauer der Gemeindeausschüsse konnte, wie der Staatsminister weiters bemerkte, im § 20 unbedenklich bloß auf drei Jahre beschränkt werden, weil ja die Wiederwahl gestattet ist und selbst bei einer vollständigen Erneuerung des Ausschusses auf dem flachen Lande kaum große administrative Schwierigkeiten sich ergeben dürften, nachdem die dortigen Geschäfte einfacher Art sind.

Se. Majestät geruhten, die Bestimmungen über das Wahlrecht der Militärs und deren Eintritt in die Gemeindevertretung, welche Punkte bereits auch den Gegenstand einer Meinungsverschiedenheit im Schoße des Ministerrates gebildet haben3, einer eindringlichen Beratung Ah. zu unterziehen, und zwar nach den diesfälligen drei Hauptkategorien der Militärpersonen, nämlich a) diejenigen, welche nach § 16 der Gemeindeordnung wegen der Höhe ihres Steuerzensus in der Gemeinde das Recht haben, auch ohne Wahl in den Gemeindeausschuß als Mitglieder einzutreten, b) die Militärpersonen, welche nach §1.1 der Wahlordnung als steuerpflichtig von ihrem Realbesitze, Gewerbe oder Einkommen wahlberechtigt wären, und jene, c) die laut § 1.2.c, als zur sogenannten Intelligenz gehörig, ohne Rücksicht auf eine Steuerzahlung wahlberechtigt sein würden.

Im Verlauf der über die Kategorie a) gepflogenen Beratung glaubte der Staatsminister beantragen zu sollen, daß den Militärpersonen die Teilnahme an der Gemeindevertretung durch einen Bevollmächtigten zu gestatten wäre, weil sie bloß dadurch in der Lage sind, ihre wichtigsten materiellen Interessen als große Grundbesitzer zu wahren und sich vor nachteiligen Beschlüssen der Gemeindevorstände zu schützen. Kann ein Militär, der großen Grundbesitz hat, von seiner Virilstimme gar keinen Gebrauch machen, so wäre derselbe wegen seines Standes offenbar im Nachteil: er wäre in Gemeindeangelegenheiten gewissermaßen kontumaziert. Wesentliche Nachteile oder Konflikte dürften dagegen nicht zu besorgen sein, wenn ein Militär sich durch einen mit der nötigen Umsicht gewählten Bevollmächtigten im Ausschuß vertreten läßt und demselben geeignete Instruktionen erteilt. Zudem sollen ja in den Gemeindeausschüssen keine politischen, sondern Verwaltungsangelegenheiten verhandelt werden. Se. k. k. apost. Majestät geruhten, die Bestimmungen des § 16 der Gemeindeordnung im Interesse des großen Grundbesitzes Ah. zu genehmigen.

Bezüglich der Kategorien b) und c) erklärte der Kriegsminister , sich gegen die Zuerkennung eines aktiven oder passiven Wahlrechtes verwahren zu müssen. Das Hineinziehen von Offiziers, Militärbeamten und Parteien, ja selbst der Mannschaft mit Einschluß der Urlauber und Reservemänner, in politische Wahlkörper oder in Gemeindeausschüsse || S. 61 PDF || bringe Kollisionen mit der Dienstpflicht, Kompromittierungen des Militärcharakters und mancherlei andere Übelstände hervor, denen man vorbeugen sollte. Der Staatsminister glaubte zwar, daß für die Kategorie b) ähnliche Verhältnisse wie für die Kategorie a) sprächen. Indessen könne wohl die Ausnahme bei der letzeren durch die Rücksicht auf das sonst preisgegebene Interesse des großen Grundbesitzers plausibel motiviert werden. Der Minister des Äußern schloß sich bezüglich der Inkompatibilität des Wahlrechtes mit dem Offizierscharakter ganz der Meinung des Kriegsministers an, wobei er sich auf die in Kroatien gemachten Erfahrungen berief4.

Nachdem Se. Majestät der Kaiser Allerhöchstsich dafür auszusprechen geruht hatten, daß alle im aktiven Dienste befindlichen Militärpersonen mit Einschluß der Mannschaft (selbst der beurlaubten) vom aktiven und passiven Wahlrecht nach den Kategorien b) und c) ausdrücklich im Gesetze auszuschließen seien, entspann sich noch eine Diskussion, ob und inwiefern die Reservemänner zu dem Aktivstande zu rechnen seien oder nicht. Der Kriegsminister glaubte, diese Frage unbedingt bejahend beantworten zu müssen, während der Minister Ritter v. Lasser zwischen den zur Fahne einberufenen und den zu Hause befindlichen Reservemännern unterscheiden zu sollen glaubte, indem die letzteren nicht als aktive Militärs gelten könnten. Se. k. k. apost. Majestät geruhten Allerhöchstsich für diese letztere Ansicht zu entscheiden, und dabei darauf hinzuweisen, daß der Reservemann daheim der Ziviljurisdiktion untersteht, ohne Regimentsbewilligung heiraten kann etc. und daß Allerhöchstdieselben in der prinzipiell freieren Stellung des Reservisten keine unnötige Beschränkung eintreten zu lassen beabsichtigen. Der Kriegsminister brachte hierüber sofort in Antrag, daß dann wenigstens im Gesetze ausgesprochen werde, daß das Wahlrecht eines zur Fahne einberufenen Reservemannes ebenso als ruhend zu betrachten sei, wie das der aktiven Militärs überhaupt5.

Der Staatsminister erhielt schließlich den Ah. Auftrag, sämtliche hier einschlägigen Paragraphen der Gemeindeordnung und -wahlordnung einer genauen Revision zu unterziehen, damit selbe mit den von Sr. Majestät zu a, b und c Ah. genehmigten Bestimmungen genau in Einklang gebracht werden.

Die Bestimmung des § 38, wonach der Ausschuß über Beschwerden gegen Verfügungen des Gemeindevorstandes in Angelegenheiten des selbständigen Wirkungskreises zu entscheiden hat, wurde von Sr. Majestät einer besonderen Erwägung aus dem Gesichtspunkte unterzogen, ob diese Überordnung des Ausschusses nicht der Stellung des Vorstandes sowohl als der wünschenswerten Behandlung der Geschäfte abträglich sei. Der Staatsminister hält diese Überordnung deswegen für nötig, weil ja die Gemeinde als solche verantwortlich ist und ihr daher die entsprechende Macht über ihre exekutiven Organe – wozu auch der Gemeindevorstand gehört – nicht verweigert werden kann. Der Präsident des Staatsrates bemerkt, || S. 62 PDF || das Korrektiv gegen allfällige Mißbräuche liege im 2. Absatz des § 38, worin der § 93 berufen wird. Dieser letztere bestimmt nämlich, wann die politischen Behörden und wann der Landesausschuß über Beschwerden gegen Verfügungen des Gemeindeausschusses zu entscheiden hat. Insbesondere gehören zur Kompetenz der Bezirksbehörde alle Berufungen in Fällen, wo der Ausschuß oder der Gemeindevorstand bestehende Gesetze verletzt oder fehlerhaft angewendet hat. In ähnlicher Weise sprach sich Minister Ritter v. Lasser aus, welcher erinnerte, daß die Bestimmung des § 38 schon im Gemeindegesetze vom Jahre 18496 erscheint und zu keinen Anständen geführt hat. Der Marineminister bestätigte dies, mit dem Beifügen, daß man sich im Schoße des Ausschusses über die Amtsgestion gütlich zu verständigen pflegt.

Die Bestimmung des § 76, wonach bei gewissen Einkäufen, Umlagen etc. die Zustimmung von wenigstens 3/4 der Wahlberechtigten einzuholen ist, wurde infolge Ah. Aufforderung von den Ministern Ritter v. Schmerling und Ritter v. Lasser dadurch motiviert, daß sich diese schon 1849 getroffene Anordnung bewährt hat und selbe bei wichtigeren Angelegenheiten, wie die fraglichen, angezeigt erscheint. Übrigens pflegt man diese Zustimmung häufig nicht durch Versammlung der Wahlberechtigten, sondern durch Kurrende einzuholen.

Im 1. Absatz des § 81 wäre infolge einer Ah. Bemerkung der größeren Deutlichkeit wegen zu setzen: „Beschlüsse des Gemeindeausschusses“.

Über eine Allerhöchstenortes gestellte Frage äußerte der Staatsminister , die mündliche Abgabe der Wahlstimmen sei deswegen angeordnet worden, weil man sich im Jahre 1848 von den vielen Mißbräuchen überzeugt hat, wozu die Abgabe von Wahlzetteln führt.

Der Grund, warum die Steuerquote, welche nach § 16 Anspruch auf eine Virilstimme im Gemeindeausschuß gibt, zwischen ¼ und 1/10 nach Ländern variiert, liegt nach der vom Staatsminister gegebenen Aufklärung in dem verschiedenen Ausmaße des ehemals dominikalen Grundbesitzes, welches in einigen Kronländern durchschnittlich so gering ist, daß die großen Grundbesitzer hie und da des Vorteils einer Virilstimme gar nicht teilhaftig geworden wären, wenn man allgemein eine höhere Steuerquote als 1/10 dazu gefordert hätte.

Nachdem in Görz und Istrien auch Juden ansässig sind, geruhten Se. k. k. apost. Majestät auf die Notwendigkeit aufmerksam zu machen, im § 19.1 zu setzen „Geistliche aller Konfessionen“7.

II. Höhe des Beitrags für die modenesischen Truppen im Jahre 1863

Der Kriegsminister referierte, er habe die von Sr. k. k. apost. Majestät im Ministerrate am 17. d. M.8 gutgeheißene Erklärung wegen des Beitrags für die modenesischen Truppen im Jahre 1863 im Finanzausschusse des Abgeordnetenhauses abgegeben9. Da jedoch gemäß dieser Erklärung noch im Lauf der gegenwärtigen Session eine diesfällige nachträgliche Vorlage beim Abgeordnetenhause eingebracht werden soll, sei es an der Zeit, über die Summe, welche als Dotation für 1863 in Anspruch genommen werden soll, einen Beschluß zu fassen. Graf Degenfeld wisse nicht, ob bei den Unterhandlungen mit dem Herzoge etwas darüber festgesetzt worden ist.

Minister Graf Esterházy erwiderte, daß eine Summe nicht festgesetzt wurde und Se. kaiserliche Hoheit vielmehr erwarten, daß der zu gebende Beitrag österreichischerseits einfach bekanntgegeben werde, wonach der Herzog seine weiteren Einrichtungen zu treffen gedenkt.

Der Finanzminister stimmt in Absicht auf die Dringlichkeit vollkommen dem Kriegsminister bei. Das Abgeordnetenhaus wartet auf die Vorlage, welche gleich nach Beendigung der Butgetdebatten, die etwa zwei Tage dauern werden, einzubringen wäre. Bezüglich des Betrages schlägt der Minister eine halbe Million Gulden für das ganze Jahr vor, nachdem das Votum des Hauses nur für einen bedeutend ermäßigten Betrag zu gewinnen sein wird und von Seite des Herzogs keine Einsprüche zu erwarten sind. Mit dem Anspruch auf eine gegen 1862 verminderte Dotation erklärten sich alle Stimmführer einverstanden, und Ritter v. Lasser bevorwortete wie der Finanzminister die Bechränkung auf 500.000 fl., während der Marineminister glaubte, daß man adie Anmeldung dieser Nachtragspost einstweilen auch nur approximativ auf den obigen Betrag stellen unda sich unter Berufung auf die noch schwebenden Verhandlungen jetzt noch jeden ziffernmäßigen Anspruchs enthalten könnte. Allein der Polizeiminister besorgte, aus einem solchen Vorgang ähnliche Rügen entstehen zu sehen, wie sie jüngst auf die Marinedotationsgebarung geworfen wurden10. Se. k. k. Majestät geruhten zu bemerken, daß 500.000 fl. genügen dürften, doch wären allenfalls 600.000 fl. zu begehren, wenn man voraussieht, daß der Reichsrat unter allen Umständen einen Abstrich zu machen gedenkt. Der Kriegsminister, der Minister des Äußern und der ungarische Hofkanzler stimmten in dieser Voraussicht für die höhere Summe von 600.000 fl.11.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 1. Dezember 1862. Empfangen 1. Dezember 1862. Erzherzog Rainer.