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Nr. 329a Grundzüge über den Standpunkt der Regierung rücksichtlich der Feststellung der staatsrechtlichen Verhältnisse der Monarchie – Entwurf des ungarischen Hofkanzlers, o. O., o. D. [Wien, März 1863] (Beilage zu: MRP-1-5-05-0-18630311-P-0329.xml) - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; Beilage zum MRProt. v. 11. 3. 1863.

MRZ. – KZ. –

[Tagesordnungspunkte]

1. Verfassungsmäßige Institutionen sollen auch fernerhin in allen Teilen des Reiches die Grundlage der Regierung bilden. Es ist hiebei nicht zu leugnen, daß in dieser Hinsicht die Behandlung der gemeinsamen Angelegenheiten die größten Schwierigkeiten bietet, und zwar vornehmlich deshalb, weil das ungarische Staatsrecht auch in dieser Beziehung den Ländern der ungarischen Krone unstreitig eine gewisse Selbständigkeit sichert, welche in dieser Ausdehnung bei den geänderten staatsrechtlichen Verhältnissen der Monarchie nicht mehr zulässig erscheint. Um nun dennoch den tiefbegründeten Ansichten der an ihre altehrwürdigen, durch die Pragmatische Sanktion anerkannten Rechte hängenden ungarischen Untertanen möglichst Rechnung zu tragen, nebstbei aber den Bedürfnissen der Einheit und der für die Großmachtstellung der Monarchie unabweislich notwendigen gemeinsamen Behandlung gemeinschaftlicher Angelegenheiten zu entsprechen, müßten in der dermaligen Gestaltung des weiteren Reichsrates einige Abänderungen vereinbart werden.

2. Diese Abänderungen lassen sich mit Rücksicht auf das Oberwähnte kaum in anderer Weise denken, als daß die gemeinsame legislative Behandlung der gemeinschaftlichen Angelegenheiten durch eine ständige Delegation geschehe, welche aus den beiden, einerseits die ungarischen, andererseits die deutsch-slawischen Länder repräsentierenden Körperschaften, d. h. aus vom ungarischen Landtage und dem jetzigen engeren Reichsrate zu wählenden Mitgliedern zu bestehen hätte. Um analog im Sinne der in dieser Hinsicht zu Recht bestehenden dies- und jenseitigen Insitutionen || S. 291 PDF || zu verfahren, könnte die erwähnte Delegation durch die freie Wahl aus den beiderseitigen Ober- und Unterhäusern gebildet werden. Diese auf eine bestimmte Zeitperiode gewählte Delegation würde analog den bereits in Wien und Pest bestehenden Institutionen abermals in zwei Häuser geteilt beraten, und deren Präsidenten wären durch Se. Majestät zu ernennen.

3. Der ständige Charakter dieses so zu bildenden weiteren Reichsrates müßte ganz deutlich ausgesprochen werden, um in der gemeinsamen Behandlung der Staatsinteressen die unerläßliche Kontinuität zu sichern.

4. Nachdem auf diese Weise für die gemeinsamen Interessen und Angelegenheiten der Monarchie eine gemeinsame konstitutionelle Behandlung ermöglicht wäre, erscheint es notwendig, die gemeinschaftlichen Angelegenheiten in objektiver Hinsicht klar darzustellen. Es muß jedoch vorausgeschickt werden, daß eine in das Detail eingehende genaue Präzisierung der gemeinsamen Angelegenheiten, so wünschenswert sie auch wäre, heute schon in aller Vollständigkeit deshalb kaum ausgesprochen werden kann, weil vielfältig einschlägige Nebenfragen sich als zur gemeinsamen Behandlung mitgeeignet erst durch allseitig erwogene Erörterung und teilweise selbst nur durch die Praxis herausstellen werden. In dieser Beziehung muß hier bemerkt werden, daß zur Präzisierung aller einschlägigen Fragen sowie auch überhaupt zur Feststellung des Organismus des neu zu gestaltenden weiteren Reichsrates eine Vordelegation ad hoc gedacht wird, welche aus dem engeren Reichsrate und dem ungarischen Landtag in gleicher Anzahl exmittiert, mit Intervenierung der Krone die Aufgabe hätte, alle gemeinsamen Angelegenheiten im Detail klarzustellen und überhaupt alles, was einigermaßen zur gemeinsamen Legislation gehören sollte sowie den Modus der Behandlung und alle diesfälligen Fragen zu erörtern und die Ergebnisse dieser kommissionellen Beratung hier in Wien im geeigneten Wege der Schlußfassung des engeren Reichsrates, in Pest durch Vorlage des Operats dieser Regnikolardeputation dem Landtage vorzulegen und nach erfolgter Ah. Sanktion in beiden Gesetzgebungen aufzunehmen. Die Zusammenstellung dieser Vordelegation wäre daher mit anderen Worten nichts anderes als ein Ausschuß der beiderseitigen Legislationen, dem die Lösung der oberwähnten Aufgabe zufiele, indem es sonst kaum zu erwarten ist, daß die ungarische Gesetzgebung dahin gebracht werden könnte, zur Begründung der neuen staatsrechtlichen Verhältnisse der Monarchie den Bestimmungen der Februarverfassung gemäß, wenn auch nur ad hoc, im weiteren Reichsrate zu erscheinen.

5. Jene Hauptmomente aber, deren Wesenheit als gemeinsame Angelegenheit in keinem Falle grundsätzlich in Frage gestellt werden darf, sondern als unabänderlich feststehend zu betrachten ist, müßten seitens der Krone im voraus mit Entschiedenheit ausgesprochen werden. Diese sind: die einheitliche Vertretung nach außen; die Sicherstellung und einheitliche Verwendung der Wehrkraft; die Beischaffung und Behandlung der für die gemeinsamen Zwecke erforderlichen Geldmittel; die Vertretung jener Handelsinteressen, welche entschieden auf die ganze Monarchie ihre Wirkung ausüben.

Ein großes Gewicht muß indessen auf den Umstand gelegt werden, daß hiebei das ungeschmälerte Majestätsrecht der Krone in der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten vollständig gewahrt bleibe, wie nicht minder darauf, daß die Gemeinsamkeit || S. 292 PDF || der Wehrkraft und Wehrverpflichtung als Korollar der Einheit der k. k. Armee und Marine, welche ohnehin selbstverständlich unter dem unmittelbaren Befehle Sr. Majestät als obersten Kriegsherrn gestellt ist und bleiben muß, entschieden ausgesprochen werde. Um aber diese Frage, was speziell Ungarn betrifft, definitiv regeln und feststellen zu können, müßte bei dem ersten ungarischen Landtage ein den weitgehendsten Forderungen entsprechender Normalkriegsstand wie auch dessen normale Komplettierung ein für allemal festgestellt werden.

6. Unter Aufrechthaltung des Grundsatzes, daß sich den gemeinsamen Staatskosten kein Land des Kaiserreiches entziehen könne, wäre der nach obiger Art gestaltete weitere Reichsrat mit entscheidender Stimme kompetent, das Reichsbudget jährlich festzustellen sowie überhaupt alle Angelegenheiten des Kreditwesens und der Steuern, insoweit die Interessen der Gesamtmonarchie eine Gleichartigkeit der letzteren erfordern, zu behandeln. Ausgenommen sind hievon selbstverständlich diejenigen Angelegenheiten, welche einerseits durch die Landesstatute der Autonomie der einzelnen Länder zugewiesen sind, und andererseits diejenigen, welche für Ungarn innerhalb des Wirkungskreises des ungarischen Landtages liegen.

7. Durch diese Kombination würden sich die größten Schwierigkeiten beheben, denn was die Landesverwaltung in den Ländern der ungarischen Krone betrifft, so dürfte sich wohl auf leichtere Weise ein Modus finden, welcher die berechtigten Wünsche dieser Länderteile befriedigen würde, ohne den Gang des notwendigen Zentralorganismus zu hemmen.

Mit Rücksicht auf das Vorerwähnte genüge nur die Bemerkung, daß hierdurch auf ein ungarisches Ministerium in Pest nicht abgezielt ist, indem ein solches ohne die Attribute der 48er Gesetze deren Anhänger nicht befriedigen würde, mit den Befugnissen dieser Gesetze aber zur reellen Kontinuität des 48er Standpunktes führen müßte.

8. Um aber die Erreichung dieser hochwichtigen Staatszwecke in Ungarn vorzubereiten, ist es vor allem nötig, den diesfalls notwendigen Erfolg eines ungarischen Landtages zu sichern.

Was das Land selbst und dessen provisorische Verwaltung betrifft, so ist es wohl nicht zu leugnen, daß letztere insoferne einen Erfolg für sich aufzuweisen vermag, als es außer Zweifel steht, daß im Gegensatze zu den im Jahre 1861 herrschend gewesenen politischen Auffassungen bedeutend ruhigere Gesinnungen an den Tag getreten sind, welche, obschon getragen von der Pietät zu der altehrwürdigen Verfassung und von dem nicht zu tadelnden Patriotismus, doch eine durchaus loyale, dynastische und entschieden konservativere Färbung täglich mehr anzunehmen scheinen. Das gegenwärtige Provisorium müßte daher in der Wesenheit aufrechterhalten und nicht nebenbei durch Maßnahmen beirrt werden, welche, ohne höhere Staatszwecke zu fördern, die eben gekennzeichnete bessere Stimmung schwächen oder gar untergraben würden. Es wäre vielmehr nötig, daß man dieses kaum erwachte Vertrauen noch viel entschiedener zu beleben trachtet und daß die Ah. Absichten Sr. Majestät einen derart wohlwollenden Ausdruck fänden, welcher das Land zu überzeugen geeignet wäre, daß die etwaige Alterierung der heimischen avitischen Verfassung eben nur durch die höchsten und unabweislichen Staatszwecke von der Nation gefordert wird.