MRP-1-5-04-0-18621015-P-0271.xml

|

Nr. 271 Ministerrat, Wien, 15. Oktober 1862 — Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 16. 10.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Esterházy, FML. Schmerling; abw. Degenfeld, Pratobevera, Burger; BdR. Erzherzog Rainer 24. 10.

MRZ. 1075 – KZ. 3231 –

Protokoll I des zu Wien am 15. Oktober 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Widerlegung tendenziöser Zeitungsartikel gegen Österreichs Anschluß an den Deutschen Zollverein

Der Verein österreichischer Industrieller hat, wie der Minister des Äußern referierte, den Beschluß gefaßt, den Anschluß Österreichs an den Zollverein durch Agitation in der inländischen Presse zu bekämpfen. Nachdem dazu auch entsprechende Geldmittel verwendet werden, zeigen sich bereits in der Mehrzahl der gelesensten Zeitschriften Artikel, welche, mit dieser Tendenz geschrieben, das Publikum bearbeiten1. Graf Rechberg hält es für sehr nötig, daß man sich dem gegenüber nicht passiv verhalte, weil sich dann zu den Schwierigkeiten, welche die Regierung diesfalls im Ausland zu besiegen hat, noch Hindernisse im Inlande gesellen würden.

Der Staatsminister sicherte zu, daß er darauf bedacht sein werde, in den geeigneten Journalen, zu welchen der Finanzminister vorzugsweise das Fremden-Blatt rechnet, eine Reihe von Artikeln für den Anschluß erscheinen zu lassen2. Übrigens hätte sich ja der Reichsrat, dessen Stimme hiebei ganz kompetent erscheint, entschieden für den Anschluß ausgesprochen.3 Auf den Anwurf des Finanzministers , daß man auch eine neue Erklärung, aetwa eine entsprechende Interpellationa || S. 285 PDF || des Abgeordnetenhauses, nach Beendigung des deutschen Handelstages4 prorogieren könnte, erwiderte der Polizeiminister , daß er sich davon weniger Eindruck verspreche als von dem fortgesetzten Erscheinen gut geschriebener Zeitungsartikel. Der Handelsminister äußerte auch seinerseits, für solche Artikel sorgen zu wollen. Die Opposition gehe hauptsächlich von den stets unzufriedenen und stets mit den Lieferungen zurückbleibenden großen Eisenindustriellen, dann den Seiden- und Baumwollfabrikanten aus.

II. Gesetzentwurf zur Verbesserung des Vergleichsverfahrens

Minister Ritter v. Lasser referierte über den neuesten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Vorschriften über das Vergleichsverfahren bei Zahlungseinstellungen protokollierter Handels- und Gewerbsleuteb, 5 Zur Abhilfe der großen Übelstände, zu welchen das Vergleichsverfahren mißbraucht wird, hat man cteils schon in dem früheren und teils erst in dem neuen Entwurf folgende neue Bestimmungenc aufgenommen:

a) daß die Protokollierung der Firma bereits ein Jahr vor Eröffnung des Vergleichsverfahrens stattgefunden haben muß (§ 1), b) daß der Manifestationseid vom Schuldner angeboten werden müsse (§ 4) und c) daß der Konkurs sogleich auszuschreiben ist, wenn sich zeigt, daß die Geschäftsbücher gar nicht oder mangelhaft geführt wurden (§ 9). Ferner müßten in den § 23d neue Bestimmungen aufgenommen werden, um die von beiden Häusern des Reichsrates abgelehnten Bestimmungen des § 35 (im ersten Regierungsentwurfe)6 in einer Weise zu modifizieren, welche das neue Gesetz dem Reichsrate annehmbar macht, ohne den von der Regierung festgehaltenen Grundsatze zu derogieren, durch dessen Aufgeben indirekt das Vergleichsverfahren annulliert werden würde. Im übrigen wurde der mit dem Reichsrat vereinbarte (am 24. September 1861 aber zurückgenommene)7Entwurf größtenteils textuell beibehalten. Die im Wege der Beratung mit fünf Mitgliedern des Abgeordnetenhauses e(Mühlfeld, Schindler Taschek, Kaiser, Brosche)e fund anderen Sachverständigenf soeben erst vereinbarten Bestimmungen des § 23 a), b), c), d), e), f) bezielen insbesondere auch eine Sicherstellung der Gläubiger für den Fall, wenn der Schuldner den durch den Vergleich begründeten Verbindlichkeiten || S. 286 PDF || nicht nachkommt (c), und eröffnen auch den nicht angemeldeten Gläubigern die Möglichkeit, unter gewissen Bedingungen nachträglich die Befriedigung ihrer Forderungen ganz oder zum Teil zu verlangen (d). Der auf diese Weise modifizierte Gesetzentwurf dürfte im Reichsrate angenommen werden.

Der Präsident des Staatsrates beleuchtete vorerst näher, inwiefern der neueste Entwurf der Regierung von dem ersten gauch noch darin abweicht, daß in demselben zur Annahme des Vergleiches nur die Zustimmung derg Majorität der angemeldeten Forderungen dem Betrage nach gefordert wurde, während man sich in dem neuesten Entwurfe auch dem Antrage des Reichsrates konformiert hat, nebst dem noch die Zustimmung der Mehrzahl der Gläubiger (nach Individuen) zu fordern. Gegen die Bestimmungen der §§ 23 a), b) und c) finde Freiherr v. Lichtenfels im wesentlichen nichts zu erinnern. Der unter c) eingeschlagene Mittelweg zum Schutz der Gläubiger dürfte auch das mutwillige Eröffnen von Vergleichsverfahren steuern. Allerdings besteht dabei die Inkonsequenz, daß diejenigen Gläubiger, welche absolut gehindert waren anzumelden, insoferne schlechter daran sind als diejenigen, die freiwillig sich der Anmeldung enthielten; daß die letzteren im vorgesehenen Falle des ersten Absatzes die Befriedigung ihres Anspruches im vollen Betrage verlangen können, hwährend die ersteren bloß Perzente gleich den verglichenen Gläubigern ansprechen könnenh . Die Bestimmungen d) und e) haben allerdings ihre angreifbaren Seiten, doch wolle der Staatsratspräsident sich nicht gegen dieselben, wohl aber gegen den ganzen § 23 f) erklären. Dieser Paragraph setzt nämlich einen Fall voraus, der füglich nicht eintreten kann, indem die Gläubiger während der Dauer der Vergleichsverhandlungen noch nicht die Gewißheit haben können, welches das Ergebnis derselben für sie sein werde. Bei diesem Umstande entfalle auch die Notwendigkeit, von Hemmung der Verjährung durch solche Klagen undi von der Zustellung der diesfälligen Eingaben zuhanden des Gerichtskommissärs zu sprechen. Schließlich bemerkte Freiherr v. Lichtenfels, er vermisse in dem ihm mitgeteilten Entwurf, § 13, die Bestimmung, daß Sachen bei der zweiten Feilbietung, unter dem Schätzungswert, nur mit Zustimmung der Pfandgläubiger veräußert werden dürfen. Das Herrenhaus habe diesen Zusatz zu dem bezüglichen § 20 des jvom Abgeordnetenhause amendiertenj älteren Entwurfesk zur Wahrung der Pfandrechte beantragt und werde ohne Zweifel bei der Beratung des neuesten Entwurfes darauf zurückkommen. Im Laufe der hierüber gepflogenen, längeren Erörterung äußerte Minister Ritter v. Lasser , es sei ihm nicht entgangen, daß die neuen Bestimmungen in Beziehung auf größere Konsequenz etwas zu wünschen übrig lassen. Allein behufs einer billigen Beurteilung dieses Entwurfes müsse man erwägen, daß er das Ergebnis eines Kompromisses entgegengesetzter Meinungen ist, durch welchen Kompromiß den sonst endlosen || S. 287 PDF || Diskussionen ein Ende gemacht und den Übelständen der Gegenwart, worüber plötzlich ein allgemeines, wohl sehr übertriebenes Hallo ausgebrochen ist, in kürzester Zeitfrist abgeholfen werden soll. Der Staatsminister habe den wiederholten konfidentiellenl Verhandlungen mit den Abgeordneten in den letzten Tagen beigewohnt und dem vorliegenden mühsam errungenen Resultate beigestimmt. Ritter v. Lasser sei übrigens bereit, die vom Staatsratspräsidenten beantragten Modifikationen vorzunehmen. Der Staatsminister erklärte, daß er seines Ortes gegen diese Modifikationen, nachdem sie der Referent adaptiert hat, nichts einwenden will. Das Bessere sei oft der Feind des erreichbaren Guten, und man könne sich bei dem letzteren umsomehr beruhigen, als das in Rede stehende Gesetz ohnehin nur als ein Provisorissimum zu betrachten kommt.

Die übrigen Stimmen traten gleichfalls dem Minister Ritter v. Lasser bei8.

III. Differenzen der beiden Häuser des Reichsrates wegen der mit dem Pressegesetz zusammenhängenden Strafgesetznovelle

Der Bericht der gemeinschaftlichen Kommission von Abgeordneten beider Häuser zum Zwecke der Vereinbarung der Differenzen in den Beschlüssen, die Entwürfe des Preßgesetzes, des Strafverfahrens in Preßsachen und die Strafnovelle betreffendm, ist bereits gedruckt und wird vom Reichsrate demnächst in Beratung gezogen werden9. Minister Ritter v. Lasser hält es daher für notwendig, die || S. 288 PDF || Frage zur Beratung zu bringen, welche Stellung die Regierung bei der Debatte über den Artikel V der Strafnovelle einzunehmen habe, um die Majorität für einen, den gouvernementalen Maximen doch einigermaßen entsprechenden Antrag zu gewinnen. Dieses dürfte nach der Meinung des Referenten dadurch zu erreichen sein, wenn die Regierung sich dem Antrage des Abgeordneten Waser etwas nähert, wobei dann ungefähr 16 Stimmen mehr gewonnen werden könnten. Während nämlich das Abgeordnetenhaus die Verfolgung von Ehrenbeleidigungen von Amts wegen dann nicht zugeben wollte, wenn der strafbare Angriff auf einen öffentlichen Beamten oder andern Funktionär oder Seelsorger in bezug auf ihre Berufshandlungen erfolgt ist, nund in der letzten Kommission die Majorität (sechs Mitglieder des Herrenhauses und ein Abgeordneter) sich für die Ex-officio-Verfolgung der Ehrenbeleidigungen gegen öffentliche Beamte und Diener, Militärs und Seelsorger erklärten, beantragte Waser, die Beleidigungen der Beamten und Militärso ex officio verfolgen zu lassen und schließt nur Seelsorger und Amtsdiener von diesem Schutze aus. Ferner wollte dieser Abgeordnete, daß es den Beleidigten während der ganzen Dauer des mit seiner Zustimmung angestrengten Verfahrens gestattet sein soll, von der Klage zurückzutreten10. Auf dem gleichen Schutz für die Seelsorger müsse die Regierung natürlich festhalten. Dagegen könnten die Diener umso leichter ausgeschlossen werden, als für dieselben in der Regel nicht die Gründe sprechen, welche bei den Beamten eintreten, und als das Ministerium selbst bei Wahl des Ausdrucks „Funktionäre“ nicht daran gedacht hatte, die Diener darunter zu subsumieren. Ferner würde Referent keinen Anstand nehmen, dem Beleidigten das Recht zuzuerkennen, in jedem Stadium der Strafverhandlung zurückzutreten, wofern durch dieses Zugeständnis bei der Debatte „ein Geschäft“ im Interesse der Regierung gemacht werden könnte.

Der Präsident des Staatsrates äußerte, der Hauptgegenstand des Streites im Abgeordnetenhause sei der Schutz der Seelsorger. Diesen kann die Regierung nicht aufgeben, und die übrigen Konzessionen würden nur wenig fruchten. Dem Beleidigten könne man paber auch nichtp das Recht einräumen, in jedem Stadium zurückzutreten, da der Staatsanwalt die Beleidigung im öffentlichen Interesse verfolgt, und der Beamte oft durch Privatrücksichten — vielleicht selbst da und dort durch Geldanerbietungen — bewogen werden würde, von der Klage abzustehen. Das Ministerium dürfe in dieser Kontroverse das Herrenhaus, welches die Interessen der Regierung bei diesem Artikel mit Energie vertreten hat, nicht im Stich lassen. Der Staatsminister ist in Absicht auf die Seelsorger ganz der gleichen Meinung; was den Rücktritt betrifft, so müsse man auch andererseits erwägen, daß ja die Klage ungeachtet des beteiligten öffentlichen Interesses nicht ohne Zustimmung des Beleidigten eingebracht werden kann, daher der letztere auch im Laufe || S. 289 PDF || des Verfahrens Rücksicht verdiene, zumal im Lauf der Untersuchung die Sache eine unvorhergesehene Wendung nehmen kann, welche den Rücktritt gebieterisch fordert. Indessen teilt Ritter v. Schmerling die Meinung des Staatsratspräsidenten, daß sich damit „kein großes Geschäft“ machen lassen würde.

Nach längerer Erörterung der diesfalls obwaltenden rechtlichen und parlamentarischen Verhältnisse vereinigten sich die mehreren Stimmen mit dem Antrage des Freiherrn v. Lichtenfels, wonach nur die Amtsdiener auszufallen hätten und dem Beleidigten der Rücktritt nach eingebrachter Klage nicht mehr freizustellen ist11.

[IV.] Die Beratungen über die Konkurrenzgesetze erscheinen in einem besonderen Protokoll
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, den 24. Oktober 1862. Empfangen 24. Oktober 1862. Erzherzog Rainer.