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Nr. 234 Ministerrat, Wien, 26. Mai 1862 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 30. 5.), Mecséry, Nádasdy, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Esterházy, FML. Schmerling; abw. Degenfeld, Pratobevera; BdR. Rechberg 12. 6.

MRZ. 1038 – KZ. 1630 –

Protokoll des zu Wien am 26. Mai 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministers des kaiserlichen Hauses und des Äußern Grafen Rechberg.

I. Übereinkommen mit der Nationalbank wegen Deckung des Defizits für 1862

Der Finanzminister referierte über das Ergebnis der Verhandlungen mit der Nationalbank, um sie zu bestimmen zu gestatten, daß unabhängig von dem Hauptübereinkommen über die Bankfrage schon jezt eine Partie Obligationen des Lottoanlehens von 1859 aus den Depositen an die Finanzverwaltung erfolgt werde, um durch deren Verkauf die zur Deckung des Defizits für 1862 nötigen 50 Millionen Gulden herbeizuschaffen1. Gegen die Sache wird von Seite der Bankdirektion keine Erinnerung erhoben, wohl aber gegen die beabsichtigte Modalität, daß das diesfällige Übereinkommen erst nachträglich der Genehmigung des Reichsrates unterzogen werde. Denn die Behandlung, welche das Februarübereinkommen bei der „verfassungsmäßigen Verhandlung“ erfährt, lasse es der Direktion als unumgänglich nötig erscheinen, daß im gegenwärtigen Fall der entgegengesetzte Weg eingeschlagen werde: daß nämlich der Finanzminister sich vorläufig die gesetzliche Ermächtigung zum Abschlusse eines Übereinkommens innerhalb gewisser Grenzen erwirke und daß das hiernach abgeschlossene Übereinkommen sofort || S. 33 PDF || und ohne weitere Ingerenz des Reichsrates in Wirksamkeit trete2. Nachdem die Bankdirektion diese Modalität als notwendige Vorbedingung gestellt hat, der Finanzminister dieselbe auch als zweckmäßig, weil zeitersparend, betrachten mußte, glaubte er, seine früheren in der Ministerkonferenz beratenen Anträge über diesen Gegenstand modifizieren zu sollen und hat hiernach einen neuen Gesetzentwurf verfaßt, welcher sofort seinem ganzen Inhalte nach im Ministerrate verlesen wurde. Der Minister begleitete jeden der fünf Artikel des Entwurfes mit den nötigen Aufklärungen und Motiven und erwähnte insbesondere, daß und warum darin die Eventualitäten zu berücksichtigen waren: a) wenn das Übereinkommen mit der Bank wegen vorschußweiser Erfolgung der Depositen nicht zustande käme, und b) wenn das Hauptübereinkommen nicht zum Abschluß käme3.

Der Staatsrat habe bei Beratung des Gegenstandes gegen diese neuesten ministeriellen Anträge im wesentlichen keine Erinnerung erhoben, sondern nur auf einen Schreibfehler im au. Vortrag, welcher zur Einbegleitung dient, dann darauf aufmerksam gemacht, daß im Gesetzentwurf statt „Mein Finanzminister“ — konform mit den Texten anderer Finanzgesetze — zu setzen wäre „Der Finanzminister“. Edler v. Plener habe die diesen ganz richtigen Andeutungen entsprechenden Rektifikationen bereits selbst vorgenommen4. Der Präsident des Staatsrates findet unter diesen Umständen gegen die dermaligen Anträge nichts mehr zu erinnern, wobei er bemerkt, daß der Gesetzentwurf allerdings manche Punkte noch unbestimmt lasse, eine solche Latitüde aber zur entsprechenden Führung der Unterhandlungen für die Regierung nützlich, ja notwendig sei. Über die vom Minister Ritter v. Lasser aufgeworfene Frage, ob der Verkauf dieser Obligationen nicht durch Hinausgabe von Salinenhypothekarscheinen vermieden werden könnte, äußerte der Finanzminister , daß er überhaupt die weitere Erhöhung der schwebenden Schuld um etwa 50 Millionen als sehr bedenklich betrachten müßte. Hinzu komme aber noch, daß die Nachfrage nach derlei Papieren keineswegs eine so lebhafte sei, um hoffen zu können, daß man selbe auch nur nach und nach in solchen Massen unterbringen werde. Die Stimmung im Finanzausschusse sei dem vorliegenden Projekte günstig sowie auch der erklärten Absicht der Bankdirektion, in Bälde eine weitere Partie solcher 1859er Lose behufs der schnelleren Verminderung des Banknotenumlaufes zu veräußern. Edler v. Plener könne von seinem Standpunkte gegen diesen der Valutaverbesserung || S. 34 PDF || nützlichen Vorgang nichts einwenden, zumal das ganze Verkaufsgeschäft der verlosbaren Obligationen in seiner Hand bliebe.

Sämtliche Stimmführer erklärten sich schließlich mit den heute referierten Anträgen des Finanzministers einverstanden, welcher letztere noch auf die äußerste Dringlichkeit des Gegenstandes hinwies, die es ihm äußerst wünschenswert mache, durch eine baldige Ah. Resolution in den Stand gesetzt zu werden, den Gesetzentwurf vor den Reichsrat zu bringen5.

II. Differenzen zwischen dem Abgeordneten- und dem Herrenhaus betreffend das Gesetz zur Ergänzung des allgemeinen und des Militärstrafgesetzes

Der Präsident des Staatsrates referierte über einige zur Ausschußberatung im Herrenhause vorliegende Beschlüsse des Abgeordnetenhauses, wodurch Amendements des erstgedachten Hauses abgelehnt werden, und zwar a) die Amendements zur Strafgesetznovelle, wonach 1. Anklageschriften nicht eher publiziert werden können, als davon vor Gericht Gebrauch gemacht worden ist, und 2. überhaupt während des gerichtlichen Strafverfahrens nichts veröffentlicht werden darf, was auf die gerichtlichen Verhandlungen einen beirrenden Einfluß nehmen kann. Freiherr v. Lichtenfels fände keinen Grund, daß die Kommission des Herrenhauses von diesen Amendements abgehe, zumal selbst der Ausschuß des Abgeordnetenhauses denselben beigetreten ist. Der Ministerrat war hiemit einverstanden6. b) Das Abgeordnetenhaus hat aus dem Entwurf des Gesetzes zur Ergänzung des allgemeinen und [des] Militärstrafgesetzes den Zusatz Art. V beseitigt, wonach die ämtliche Verfolgung von Ehrenbeleidigungen auch dann stattzufinden hat, wenn der strafbare Angriff 1. gegen ein Mitglied des Reichsrates oder eines Landtages, gegen einen öffentlichen Beamten, einen Militär oder Seelsorger in Beziehung auf deren Berufshandlungen, 2. gegen einen Zeugen oder Sachverständigen in Beziehung auf ihre Aussagen vor den Behörden gerichtet war. Hiernach würden alle derlei Fälle nur als Privatklagen zu behandeln sein7! Freiherr v. Lichtenfels fände die Stellung, in welche Landtagsabgeordnete, Beamte etc. hiedurch gerieten, eine so nachteilige, daß er auf ein Nachgeben über diesen Punkt nicht einraten könnte.

|| S. 35 PDF || Vielleicht aber, daß ein vom Sektionschef Rizya in Aussicht gestelltes Auskunftsmittel über die Schwierigkeiten hinüberhilft. Jedenfalls muß die Formulierung desselben abgewartet werden. Am Ende wird die Kontroverse durch Zusammentretung von Delegierten beider Häuser beigelegt werden müssen. Doch dürfte der Anwurf dazu von Seite des Abgeordnetenhauses abgewartet werden, welches die Durchbringung der einschlägigen Gesetze lebhaft zu wünschen scheint, was im Herrenhause nicht der Fall ist.

Der Polizeiminister teilte vollkommen die Ansichten des Staatsratspräsidenten und wies noch auf das letzte Auskunftsmittel hin, wonach der Vorgesetzte eines Beamten darüber zu entscheiden hätte, ob die Amtsehre desselben durch einen Angriff dergestalt gelitten habe, daß der Staatsanwalt die gerichtliche Verfolgung einzuleiten hat. Auf die Frage des Ministers Ritter v. Lasser , welche Haltung die Regierungsorgane im Herrenhause seinerzeit bei Beratung dieser Kontroversen anzunehmen hätten, erwiderte Freiherr v. Lichtenfels , diese Frage beantworte sich wohl durch den Umstand, daß die Amendements des Herrenhauses den eigenen Anträgen der Regierung konform sind. bLasser erklärte sich somit einverstanden, daß bezüglich der ämtlichen Verfolgung von Ehrenbeleidigungen gegen Reichsrats- und Landtagsabgeordnete schon dermalen dem Abgeordnetenhause nachgegeben, bezüglich der Beamten und anderen öffentlichen Funktionäre noch die ursprüngliche Ansicht festgehalten, eventuell aber bei einer gemeinschaftlichen Reichsratskommission in diesem Punkte möglichst konzediert, hinsichtlich der Art. VII und VIII des Entwurfes aber jedenfalls die Regierungsvorlage festgehalten werde, für welche auch bereits der Ausschuß des Abgeordnetenhauses gestimmt hatteb, 8.

III. a) Antrag des Fürsten Karl Jabłonowski wegen Änderung der Geschäftsordnung des Herrenhauses; b) künftiger Steuersatz auf Branntwein

Der Präsident des Staatsrates besprach den vom Fürsten Jabłonowski und Konsorten gestellten Dringlichkeitsantrag, wonach der erste Satz im fünften alinea der Geschäftsordnung des Herrenhauses folgendermaßen zu lauten hätte: || S. 36 PDF || „Kein Redner darf über denselben Gegenstand öfter als einmal sprechen, wer jedoch einen Antrag gestellt und vor der Debatte begründet hat, darf im Verlauf der Debatte über denselben noch einmal sprechen.“ Man will über diesen Antrag noch vor dem Beginn der Beratung über Steuergesetze beschließen, was natürlich auf letztere eine aufschiebende Wirkung äußern wird, die der Regierung unwillkommen sein muß9.

Der Minister des Äußern fand, daß die vom Fürsten Jabłonowski vorgeschlagene Modifikation der Geschäftsordnung billig und der Gründlichkeit der Beratung förderlich sei. Auch der Staatsminister würde es nur als erwünscht betrachten, wenn die Führung eingehender Diskussionen im Herrenhause erleichtert würde, zumal man gegen dasselbe den Tadel erheben hört, daß es die Gesetze oft ganz oder fast ohne Diskussion annehme. In ähnlichem Sinne äußerte sich der Polizeiminister , welcher nachwies, daß der vom Herrenhause über den fraglichen Antrag zu fassende Beschluß bloß der Ah. Sanktion und nicht der Zustimmung des anderen Hauses bedürfe, sodaß bei gehöriger Beschleunigung der Aufschub der Beratung des Branntweinsteuergesetzes nur wenige Tage dauern dürfte. Unter diesen Verhältnissen erklärte der Finanzminister , sich dem Fürst Jabłonowskischen Antrag gegenüber ganz passiv verhalten zu wollen. Insofern sich aber Symptome zeigen, daß das Herrenhaus der Majorität nach gegen dieses Gesetz gestimmt ist, müsse der Minister bemerken, daß er geneigt wäre, am Steuersatze den bereits im Abgeordnetenhause bestrittenen Bruchteil von drei Zehnteln Kreuzer aufzugeben, wenn durch dieses relativ nicht sehr bedeutende Zugeständnis die Durchbringung des Gesetzes bewirkt werden könnte10.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Laxenburg, 7. Juni 1862. Empfangen 7. Juni 1862. Erzherzog Rainer.