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Nr. 228 Ministerrat, Wien, 2. Mai 1862 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 3. 5.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels 6. 5., Forgách, Esterházy; abw. Pratobevera; BdR. Erzherzog Rainer 16. 5.

MRZ. 1031 – KZ. 1380 –

Protokoll des zu Wien am 2. Mai 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Ah. Mißfallen über die Verletzung des Dienstgeheimnisses bezüglich der Ministerberatungen über die Ministerverantwortlichkeit

Nachdem Se. k. k. apost. Majestät erst in der Konferenz am 27. v. M. die trotz wiederholter Ah. Verbote noch stattfindenden Verlautbarungen über die Abstimmungen im Ministerrate rügend erwähnt hatten1, mußten Allerhöchstdieselben mit dem bittersten Gefühle in einem Wiener Journale dem Bericht über eben jene Konferenz begegnen2. Die Abstimmung einzelner Konferenzglieder ist darin mit einer Bestimmtheit angegeben, als ob dem Berichterstatter das Konferenzprotokoll vorgelegen wäre; zugleich ist sie aber tendenziös dargestellt, um die für nicht liberal geltenden Mitglieder des kaiserlichen Kabinetts zu terrorisieren. Se. Majestät der Kaiser fanden Allerhöchstsich dadurch veranlaßt, über die hier zum Grunde liegende neuerliche Verletzung des beschworenen Dienstgeheimnisses den Ah. Tadel mit der Erwartung auszusprechen, daß dieselbe sich nicht mehr wiederholen werde. Es sei nur einer gründlichen Beratung förderlich, wenn die verschiedenen Meinungen in den Konferenzen unumwunden ausgesprochen und motiviert werden. Aber durch Verlautbarung derselben außerhalb des Ministerrates schadet man der Regierung wesentlich, und es werden einzelne Stimmführer in den Journalen gewissermaßen auf den Pranger gestellt. Dies dürfe nie mehr geschehen, und die Minister müßten in Absicht auf die Beschlüsse nach außen stets als einig erscheinen3.

II. Zurückweisung weiterer Konzessionen bezüglich des Konstitutionalismus

Die Frage über die Ministerverantwortlichkeit ist durch die am 1. d. M. im Reichsrate mit Ah. Genehmigung abgegebene Erklärung zum Abschlusse gebracht und diese Verantwortlichkeit der kaiserlichen Willensmeinung gemäß abgegrenzt worden4. Se. Majestät der Kaiser können nicht umhin, Allerhöchstihren Ministern dringend ans Herz zu legen, allfälligen Versuchen zur Erwirkung weitergehender Konzessionen mit aller Entschiedenheit zu begegnen, indem man dadurch in eine || S. 439 PDF || gefährliche revolutionäre Bahn geraten müßte, die am Ende zur Reaktion führen würde5.

III. Journalpolemik dies- und jenseits der Leitha

Die Blätter dies- und jenseits der Leitha gefallen sich in Rekriminationen und einer gereizten Polemik. Wer den Anfang damit gemacht habe, ist nicht mehr zu ermitteln, gilt wohl auch gleich. Allein, zur Beruhigung der Gemüter und Beschwichtigung der nationalen Antipathien ist es dringend nötig, daß diesen aufreizenden Kontroversen ein Ende gemacht werde. Se. k. k. apost. Majestät geruhten daher, diese Sache der Einwirkung der Konferenzmitglieder Ah. zu empfehlen.

IV. Projekt des Bojaren Gregor Bassaraba Brancovano zum Bau einer Eisenbahn aus der Walachei nach Siebenbürgen

Aus Anlaß der Bitte des walachischen Bojaren Brancovano, eine Eisenbahn aus der Walachei über den Vulkánpaß in den siebenbürgischen Teil des Schyltales behufs des Steinkohlenbezuges fahren zu dürfen, geruhten Se. k. k. apost. Majestät Allerhöchstsich über den Stand der Verhandlungen wegen des Anschlusses der österreichischen an die walachischen und moldauischen Eisenbahnen Auskünfte erstatten zu lassen6.

Es gibt diesfalls drei Projekte mit verschiedenen Trassen und Anschlußpunkten. 1. Eine Ausrüstung der Staatsbahn von Temesvár über Lugos, wobei Siebenbürgen ganz unberührt bliebe; 2. eine Bahn von Arad über Hermannstadt an den Rotenturmpaß und 3. eine Bahn von Großwardein über Klausenburg und Kronstadt an den Ojtozpaß. Die letztere wäre in nationalökonomischer, militärischer und politischer Beziehung für Österreich am meisten vorteilhaft, aber leider so schwierig und kostspielig, daß nur wenig Aussicht vorhanden ist, das dazu nötige Kapital aufzubringen, während für die Trasse Arad—Hermannstadt—Rotenturm[paß] die Gründung einer Gesellschaft gesichert scheint. Die Verhandlungen darüber unter den Zentralbehörden sind noch nicht geschlossen, aber der Handelsminister glaubt, daß man sich durch die äußerst entfernte und ungewisse Aussicht auf den Bau der Linie 3 nicht abhalten lassen sollte, eine andere, wenn auch minder vorteilhafte Linie zu konzedieren, damit Siebenbürgen nicht länger vom österreichischen Eisenbahnnetz ausgeschlossen bleibe. Der Minister des Äußern awill die Frage, wo der Anschluß der Bahnen statthaben soll, hier nicht erörtern, glaubt aber, darauf aufmerksam machen zu müssen, daß eine Entscheidung dieser Frage sobald als möglich getroffen werdea, weil Anzeichen vorhanden sind, daß die Moldowlachen sonst ihre Schienenverbindung mit dem Norden unter Umgehung des österreichischen Territoriums werden erreichen wollen. bHiedurch würde Österreich von dem Handel mit jenem Teile des Orients mehr und mehr ausgeschlossen werden und dem Handel und der Industrie wesentliche Nachteile verursachenb .

|| S. 440 PDF || Nach längerer Besprechung der einschlägigen Verhältnisse geruhten Se. Majestät die Ah. Absicht auszusprechen, die Eingabe des Brancovano an den Handelsminister zur Äußerung namentlich auch über den Punkt gelangen zu lassen, ob diese Bitte unabhängig von der Verhandlung über die übrigen siebenbürgischen Bahnen behandelt werden könne7.

V. Bedenken gegen die Beratungsergebnisse der Kommission für den Bau des neuen Hafens von Triest

Der Kriegsminister referierte über die Bedenken, die FML. Graf Thun gegen die Ergebnisse der soeben abgehaltenen Hafenbaukommission in Triest erhoben hat. Diese Bedenken beziehen sich im wesentlichen darauf: 1. daß dieser großartige Bau in die Hände der französischen Südeisenbahngesellschaft gelegt werden soll, und 2. daß man eine Trasse des Hafendammes gewählt hat, wobei das Einlaufen feindlicher Kriegsschiffe ungeachtet des herzustellenden Forts nicht würde verhindert werden können und wobei der Schutz gegen die Meereswellen bei der Bora nicht erreicht würde.

Nach längerer Erörterung dieser Angelegenheit geruhten Se. Majestät Ah. zu beschließen, daß auf eine meritorische Würdigung dieser Bedenken im Ministerrate erst dann einzugehen sei, wenn das Operat der Lokalkommission dem Handelsministerium vorliegen wird8.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 14. Mai 1862. Empfangen 16. Mai 1862.