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Nr. 224 Ministerrat, Wien, 23. April 1862 — Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Schurda; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 23. 4.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Lichtenfels, Forgách, Esterházy; außerdem anw. Kalchberg; abw. Wickenburg, Pratobevera; BdR. Erzherzog Rainer 9. 5.

MRZ. 1028 – KZ. 1344 –

Protokoll I des zu Wien am 23. April 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Haltung Österreichs zum preußisch-französischen Handelsvertrag

Der Minister des Äußern referiert das Ergebnis der Beratung über die gemäß des Ministerratsbeschlusses vom 11. April l. J. an die Ministerialkommission (Zollkommission) || S. 407 PDF || gestellten Fragen bezüglich der handelspolitischen Verhältnisse Österreichs zum Deutschen Zollverein1.

Die erste Frage, lautend, „ob der Eintritt Österreichs mit seinem Gesamtgebiete in den Zollverein, wie er in der ausgesprochenen Absicht des Zoll- und Handelsvertrages vom 19. Februar 1853 2 lag und in politischer Beziehung große Vorteile bieten würde, auch heute noch von der kaiserlichen Regierung angestrebt und ob, wenn sich dazu wider Erwarten ein günstiger Anlaß ergeben sollte, derselbe ohne weiters ergriffen werden könne“, wurde dahin beantwortet, daß gleichwie von den beteiligten Ministerien wiederholt einstimmig die Ansicht ausgesprochen wurde, Österreich könne und solle mit seinem Gesamtgebiete in den Deutschen Zollverein eintreten, auch die Zollkommission dieser Ansicht sei, jedoch nur in der Voraussetzung, daß der preußisch-französische Handels- und Zollvertrag3 von Seite des Zollvereines nicht zur Annahme gelangt. Erfolge das Gegenteil, so müsse die Zollkommission sich einstimmig dahin aussprechen, daß es für Österreich fortan unmöglich sei, dem Zollverein beizutreten, denn die durch jenen Vertrag vorgezeichneten und zur Annahme in den allgemeinen vereinsländischen Tarif bestimmten Zollsätze, welche Österreich für den Fall des Eintrittes in den Zollverein auch für sich annehmen müßte, wären gleich verderblich für die Industrie wie für die Finanzen Österreichs und würden das ganze österreichische Zollsystem in eine verderbliche Abhängigkeit von Frankreich bringen4. Über die zweite Frage: „Soll, nachdem das sogleiche Eingehen auf die Zolleinigung mit Deutschland bedenklich ist, die Erneuerung des gedachten, mit Preußen und den übrigen Zollvereinsstaaten abgeschlossenen Vertrages vom Jahre 1853 auch über den Termin des 31. Dezember 1865 5 hinaus angestrebt werden, oder eine Abänderung desselben, und in welcher Richtung?“, äußerte die Kommission: Da sie unter der Voraussetzung, daß der preußisch-französische Vertrag rückgängig gemacht und der deutsche Zollverein auf seinen gegenwärtigen Grundlagen erneuert wird, sich für den Eintritt Österreichs in den Zollverein entschieden hat, so müsse sich dieselbe folgerecht in noch höherem Maße für die Fortsetzung und weitere Ausbildung des Februarvertrages aussprechen. Hingegen sei, wenn jene Voraussetzung nicht eintritt, die Fortbildung oder Fortsetzung des Februarvertrages für Österreich geradezu unmöglich. || S. 408 PDF || Die beiden weiteren Fragen: „Muß sich Österreich, falls diese Vertragsgrundlage (jene des Februarvertrages) ganz verlassen werden müßte, alsdann auf sich selbst zurückziehen und kann es — unerachtet der mit solcher Isolierung verbundenen politischen Nachteile — nur noch eine von dem übrigen Deutschland abgetrennte Zoll- und Handelspolitik wie vor dem obigen Vertrag in Aussicht nehmen, oder darf es endlich eine eigene Zolleinigung oder ein ähnliches Verhältnis mit denjenigen deutschen Regierungen, welche auf eine Auflösung des gegenwärtigen Zollvereines gefaßt wären, von jetzt an erstreben; unter welchen Bedingungen; und könnte nicht dabei auf die Grundlage des im Jahre 1852 vorbereiteten Vertragsentwurfes zurückgegangen werden?“6, glaubte die Kommission in der Beantwortung zusammenfassen zu sollen, weil sie eben zwei gegenüberstehende Alternativen enthalten, ob nämlich, im Falle eine Einigung sich nicht herstellen ließe, das gänzliche Zurückziehen Österreichs auf sich selbst oder die Einigung mit einigen der Zollvereinsstaaten angezeigt erscheine. Die Kommission war einstimmig der Ansicht, daß Österreich, ehe es sich zu einer solchen sowohl vom politischen als merkantilen Standpunkte stets bedenklichen Isolierung entschließt, wenn seine Zolleinigung mit dem gesamten Zollverein wegen des Widerstandes Preußens nicht durchzusetzen wäre, allerdings den Versuch wagen sollte, eine Zolleinigung mit möglichst vielen der bisherigen Zollvereinsstaaten zustande zu bringen. Gelinge es, eine größere Zahl dieser Staaten und namentlich jener, von welchen die Erhaltung der Kontinuität seines Zollgebietes abhängt wie Hannover, Braunschweig, Hessen etc., zur Nichtannahme des preussischen Vertrages mit Frankreich zu bestimmen, dann ist Hoffnung vorhanden, Preußen zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Es ist auch die Frage in Erwägung gezogen worden, ob in dem Falle, daß bloß Bayern und Württemberg sich an Österreich anschließen, während alle übrigen Vereinsstaaten bei Preußen ausharren würden, dennoch die partielle Lostrennung Österreichs vom Zollverein angezeigt erscheine, und es haben sich bezüglich dieser Frage alle Kommissionsmitglieder bejahend ausgesprochen, nur der Vorsitzende war der Meinung, daß eine solche partielle Vereinigung für Österreich sehr nachteilig und nur dann anzustreben wäre, wenn außer Bayern und Württemberg wenigstens auch noch die beiden Hessen und Nassau zur Lostrennung vom Zollverein bestimmt werden könnten.

Nach dieser Vorauslassung äußerte Graf Rechberg weiter, aus diesem Gutachten der Ministerialkommission resultiere, daß für Österreich der Eintritt in den Zollverein unmöglich ist, sobald der preußisch-französische Vertrag zustandekommt, daß auch unter dieser Voraussetzung an eine Erneuerung des Februarvertrages nicht zu denken ist und daß es daher sehr wünschenswert ist, den Anschluß der Zollvereinsstaaten an den preußisch-französischen Handels- und Zollvertrag zu verhindern. Eine Zolleinigung mit dem gesamten Zollverein ist offenbar nicht zu || S. 409 PDF || erreichen und es bleibe, wenn man eine Isolierung Österreichs verhüten will, nur der Weg, von Seite Österreichs mit aller Kraft dahin zu wirken, daß möglichst viele der Zollvereinsstaaten dem Vertrage Preußens mit Frankreich die Zustimmung versagen. Um aber hier mit Erfolg operieren zu können, halte es Graf Rechberg vor allem für notwendig, daß diesen deutschen Regierungen, um sie gegen die bei Auflösung des gegenwärtigen Zollvereines sie bedrohende Verlassenheit zu schützen, von Österreich eine Zolleinigung in Aussicht gestellt, zugleich aber ihnen die Versicherung gegeben werde, daß sie durch ihren Anschluß an Österreich durchaus keinen materiellen Nachteil erleiden, sondern ihre bisherigen Verhältnisse aufgrund der ausgedehntesten gegenseitigen Verkehrserleichterungen aufrecht erhalten werden sollen. Ohne eine solche Garantie könnte sich der Minister des Äußern keinen ersprießlichen Erfolg versprechen, zumal bekanntlich auf alle diese Regierungen von Seite Preußens und Frankreichs ein gewaltiger Druck geübt wird, um sie zum Beitritte zu stimmen, und er müsse daher den hohen Ministerrat bitten, ihn zu der gedachten Zusicherung schon jetzt ermächtigen zu wollen.

Der Finanzminister findet eine solche ausgedehnte, die Übernahme der ganzen Last auf Österreich in sich schließende Zusage für etwasa bedenklich, zumal Österreich bei seinen dermaligen Verfassungseinrichtungenb nicht imstande ist, diesen Staaten schon jetzt die cmit finanziellen Opfern und baren Geldauslagen verbundenec Fortdauer ihrer bisherigen Zolleinnahmen dohne und vor der reichsrätlichen Zustimmungd zu garantieren. Auch sei es umso weniger angezeigt, schon in diesem Augenblicke eine solche Garantie auszusprechen und sich in der Sache so tief einzulassen, ewo man die Größe des Objektes noch gar nicht kennt. Auch abgesehen vom finanziellen Punkte sind Zollangelegenheiten als solche Gegenstände der reichsrätlichen Verhandlung. Man könnte daher gegenwärtig höchstens im allgemeinen die Geneigtheit der Regierung zur Behandlung der Angelegenheit [in] der vom Herrn Minister des Äußern angedeuteten Weise aussprechen, müsse sich aber hüten, mehr zu versprechen als man halten könnee wo man die Größe des Objektes noch gar nicht kennt. Auch abgesehen vom finanziellen Punkte sind Zollangelegenheiten als solche Gegenstände der reichsrätlichen Verhandlung7. Man könnte daher gegenwärtig höchstens im allgemeinen die Geneigtheit der Regierung zur Behandlung der Angelegenheit [in] der vom Herrn Minister des Äußern angedeuteten Weise aussprechen, müsse sich aber hüten, mehr zu versprechen als man halten könne. Der Minister des Äußern erwiderte, daß er keineswegs beabsichtige, diese Angelegenheit, wenn es zu dem besondern Abschlusse mit den Regierungen kommen wird, der kompetenten Behandlung zu entziehen, daß es sich aber hier jetzt nur darum handelt, diesen Regierungen die Zolleinigung an Österreich offen zu halten und ihnen im voraus zu sagen, daß ihnen dieser Anschluß keinen Schaden bringen wird, worauf ein umso größeres Gewicht gelegt werden müsse, als es nur auf diesem Wege gelingen kann, eine Separatzolleinigung zustande zu bringen und hiedurch Preußen zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Auch handle es sich nicht um eine förmliche || S. 410 PDF || Garantie, sondern vielmehr um eine Verheißung, daß diese Staaten durch das Mitgehen mit Österreich nichts zu fürchten haben. Der Sektionschef v. Kalchberg zeigt in näherer Auseinandersetzung, daß eine gänzliche Isolierung Österreichs in merkantiler Beziehung vom größten Schaden wäre, daher alles daran zu setzen sei, dieselbe zu verhüten, und meint ferner, daß die Erklärung, zu der der Minister des Äußern die Ermächtigung verlangt, keineswegs so bedenklich erscheine, um selbe zu verweigern, zumal es sich bloß um eine Zusage handelt, auf deren Grundlage die Vorarbeiten in Gang gebracht werden sollen, ohne daß hiedurch der Ratifikation des Vertragswerkes vorgegriffen werde. Der Staatsminister , von dem politischen Gewichte dieser Frage vollkommen überzeugt, glaubt den Anschauungen, die ein Zustandebringen des preußisch-französischen Vertrages als sehr gefährlich darstellen, auf das lebhafteste beipflichten zu sollen und ist somit prinzipiell dafür, daß der Minister des Äußern in dem angedeuteten Sinne vorgehe und den deutschen Regierungen die besagte Zusicherung gebe. Dieser Meinung schlossen sich auch alle übrigen Mitglieder des Ministerrates an8.

II. Antwortschreiben des Bischofs von Budweis bezüglich der Verfassungsfeier

Der Staatsminister brachte zur Sprache, daß der Bischof von Budweis Jirsík auf das ihm bezüglich seiner Haltung in Ansehung der Verfassungsfeier vom Staatsministerium zugekommene Schreiben in einer verletzenden Weise geantwortet habe9.

Nachdem Ritter v. Schmerling diesen Brief vorgelesen hatte, erinnerte er, daß der Bischof Jirsík von dem gewesenen Kultusminister Grafen Thun ganz besonders empfohlen und namentlich hervorgehoben wurde, daß er keiner Partei angehöre und von den loyalsten Gesinnungen beseelt ist. In diesem Anbetrachte habe man diesen Bischof einer besondern Berücksichtigung [für] würdig gehalten und ihm eine Aufbesserung seiner Einkünfte derart zuteil werden lassen, daß ihm ein Gut sehr billig verpachtet und, als dieses Verhältnis gelöst werden mußte, ein Zuschuß von jährlich 3000 fl. aus dem Staatsschatze Ag. bewilligt wurde, welche Gnadengabe im März 1861, wo sie abgelaufen war, abermals auf weitere drei Jahre Ah. erneuert worden ist. Dieses alles zeige, daß der genannte Bischof doch auch den Staat || S. 411 PDF || braucht und nicht — wie er jetzt schreibt — von demselben ganz unabhängig ist und für seine Handlungen nur Gott und seinem Gewissen verantwortlich ist. Ein solcher Ton dürfte denn doch nicht von der Regierung mit Stillschweigen übergangen werden, und der Staatsminister würde daher beantragen, daß der Inhalt dieses Schreibens zur Ah. Kenntnis gebracht werde und der Staatsminister sich die Ag. Ermächtigung erbitte, dem Bischof Jirsík das Ah. Mißfallen ausdrücken zu dürfen.

Der Minister des Äußern und der ungarische Hofkanzler glaubten unter Berufung auf ihre bei der ersten Beratung in dieser Angelegenheit10 abgegebene Meinung auch heute denselben Standpunkt festhalten und sich gegen den Antrag des Staatsministers aussprechen zu sollen. Ebenso der Minister Graf Esterházy , indem er fsich heute in seiner schonf bei der ersten Beratung ggeäußerten Meinung, daß nämlich der Regierung in dieser Angelegenheit schwerlich das letzte Wort bleiben dürfte, nur noch bestärkt fühle und daherg heute nur wiederholt sein Bedauern ausdrücken könne, daß man in der Sache so weit gegangen ist.

Dagegen waren alle übrigen Stimmführer, somit die überwiegende Mehrheit des Ministerrates, mit dem Antrage des Staatsministers einverstanden, wobei nur Graf Nádasdy in bezug auf den Ausdruck „Ah. Mißfallen“ bemerkte, daß es ihm angemessener scheine, dieses Wort nicht zu gebrauchen, sondern lieber diese Ah. Rüge in etwas gelindere Form zu kleiden11.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Laxenburg, am 8. Mai 1862. Empfangen 9. Mai 1862. Erzherzog Rainer.