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Nr. 216 Ministerrat, Wien, 25. März 1862 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Schurda; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 25. 3.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling (nur bei I anw.), Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Esterházy; außerdem anw. Geringer (nur bei II anw.), Müller (nur bei II anw.); abw. Pratobevera, Forgách; BdR. Erzherzog Rainer 4. 4.

MRZ. 1020 – KZ. 957 –

Protokoll des zu Wien am 25. März 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Interpellation wegen eines Leitartikels der „Presse“ über die politische Haltung einiger Bischöfe

a Gegenstand der Beratung war die Beantwortung der in der Sitzung des Herrenhauses vom 18. März l. J. vom Fürsten Jabłonowski und Genossen an den Polizeiminister überreichten Interpellation wegen des in dem Journal „Presse“ am 1. März l. J. erschienenen, die politische Haltung einiger Bischöfe angreifenden Leitartikels1 und worin am Schlusse die Interpellanten die Frage stellen, „ob die Regierung gesonnen sei, gegen die genannte Zeitung wegen ihrer die Achtung vor der katholischen Kirche, ihrer Institutionen und Gebräuche verletzenden Ausschreitungen nach Maßgabe der noch bestehenden Preßgesetze vorzugehen“2.

Nachdem der Polizeiminister die Stelle aus dem besagten Journalartikel, welche zu der Interpellation Veranlassung gab, verlesen hatte, bemerkte er, daß die Staatsanwaltschaft gleich am 1. März den Inhalt dieses Artikels mit Rücksicht auf die bestehenden Strafgesetze einer gründlichen Erörterung unterzogen habe, als deren Resultat sich herausstellte, daß derselbe nach dem Strafgesetze keinen genügenden Anhaltspunkt zu einer Verfolgung von amtswegen biete und daß für ein Einschreiten wegen der in diesem Artikel gegen bestimmte Personen gerichteten Angriffe das gesetzlich erforderliche Substrat einer Privatklage mangelte. Der Oberstaatsanwalt war derselben Ansicht. Der Polizeiminister gedenkt daher, in seiner Beantwortung diese tatsächliche Erklärung vorauszulassen und weiter zu sagen, daß, nachdem die Aktion der kompetenten Regierungsorgane in der bezeichneten Richtung geschlossen war, es sich nur noch um die Erwägung handeln konnte und auch dermal handeln kann, ob nicht von einer durch das Preßgesetz ermöglichten administrativen Maßregel Gebrauch gemacht werden sollte. Allein, abgesehen von der Frage, ob die in § 22 des Preßgesetzes formulierten Bedingungen für eine || S. 366 PDF || solche Maßregel3 in dem erwähnten Artikel gefunden werden, abgesehen davon, daß nicht alles, was außerhalb des Kreises des Gebilligten liegt, auch deswegen schon die durch die Gesetze gezogene Grenze des Erlaubten überschreitet, müsse der Polizeiminister auf die Erkärung hinweisen, welche die Regierung in der 89. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 18. Dezember v. J. aus Anlaß einer dort gestellten Interpellation abgegeben hat4. Diese Erklärung, erinnerte Freiherr v. Mecséry noch, besagte nämlich, daß die Regierung das System der Verwarnungen aufgegeben hat.

Sowohl der Staatsminister als alle übrigen Stimmen des Ministerrates waren mit dieser Beantwortung einverstanden.

II. Organisierung des Marineministeriums

b Der Handelsminister referierte über die Organisierung des Marineministeriums5.

Er begann mit der Verlesung seines diesfälligen au. Vortrages, worin die unter Zuziehung von Fachmännern sowohl in Beziehung auf die innere Einrichtung des neuen Ministeriums als auch auf die Stellung des Marinekommandanten vereinbarten Anträge entwickelt sind6. Der allgemeine Wirkungskreis des neu kreierten Marineministeriums werde derselbe sein, wie er bereits für die andern Ministerien festgestellt ist, daher in dieser Beziehung keine Verfügung notwendig erkannt wurde. Über den besonderen Wirkungskreis dieses Ministeriums und des durchlauchtigsten Erzherzogs Marinekommandanten wurden die entsprechenden Entwürfe ausgearbeitet und es sind dieselben bereits im Staatsrate einer Erörterung unterzogen worden, wobei sich prinzipiell keine Anstände, wohl aber einige Bemerkungen und Amendements zu den einzelnen Paragraphen ergeben haben7.

Als hierauf der Staatsrat Baron Geringer zum Referate über diese vereinbarten Entwürfe schritt, wurde gleich anfänglich von Seite des Kriegsministers in bezug auf die gemäß der Vorlage proponierte Stellung des durchlauchtigsten Erzherzogs Marinekommandanten das Bedenken geltend gemacht, daß sich dieses Projekt, abgesehen davon, daß man über die Sache noch nicht ganz im klaren zu sein scheint und daher vor allem erst dieser Punkt beleuchtet und genau präzisiert werden sollte, schon vornehinein im Hinblicke auf das unvermeidliche Ineinandergreifen der Administrations- und Militärfragen als etwas in der Praxis kaum Durchführbares darstellen und nur zu einem Dualismus führen dürfte8. Außerdem || S. 367 PDF || glaubte aber der Minister Ritter v. Lasser darauf aufmerksam machen zu sollen, daß, nachdem es sich in der vorliegenden Angelegenheit auch um Prinzipienfragen handelt, vor allem diese zur Erörterung gezogen und daß überhaupt zur gehörigen Information der Konferenzmitglieder vorerst die Unterschiede zwischen dem bisherigen Systeme und den neuen Einrichtungen hervorgehoben, so wie auch die ganze Stellung des Marineministeriums genau fixiert werden sollte, bevor man zu der paragraphenweisen Beratung der vorgelegten Entwürfe schreitet. Ritter v. Lasser würde daher beantragen, daß die heutige Beratung zu sistieren und sofort der Handelsminister einzuladen wäre, vorläufig den ganzen Akt oder doch wenigstens die gedachten Entwürfe den Mitgliedern des Ministerrates mitzuteilen. Der Finanzminister erklärte sich mit diesem Vorschlage umso mehr einverstanden, als er ohnehin in der Lage sei, von seinem Standpunkte aus es beanstanden zu müssen, daß diese Organisierungsangelegenheit, die denn doch auch eine Etatfrage ist, ihm früher nicht mitgeteilt worden ist, obschon der bestehenden Vorschrift gemäß alle derlei Gegenstände stets im Einvernehmen mit dem Finanzministerium zu verhandeln und auch bisher verhandelt worden sind, weshalb er auch nicht bloß um die Mitteilung der Entwürfe, sondern der ganzen Begründung rücksichtlich des erstatteten au. Vortrages bitten müßte.

Nachdem auch von den übrigen Stimmführern der Konferenz eine vorläufige Mitteilung der Sache als notwendig erkannt wurde, fanden Se. k. k. Hoheit die weitere Beratung zu sistieren und den Grafen Wickenburg aufzufordern, zu veranlassen, daß die fraglichen Entwürfe lithographiert und an die Konferenzmitglieder verteilt werden, dem Finanzminister aber nebstbei der au. Vortrag mitgeteilt werde9.

III. Berichte des Finanzausschusses zur Regierungsvorlage über die dringenden Finanzmaßnahmen und zum Gesetz über die Kontrolle der Staatsschuld

Der Finanzminister referierte, in dem Berichte des Finanzausschusses über die Rechtfertigung der seit dem Oktoberdiplome ohne verfassungsmäßige Zustimmung des Reichsrates ergriffenen Finanzmaßregeln10 werde die ministerielle Darlegung als nicht vollständig bezeichnet, weil sie sich nämlich nicht a) auf die Mehrausgabe von Hypothekaranweisungen11 und b) auf die Vermehrung der schwebenden Schuld durch die Depotgeschäfte erstreckt, und es frage sich nun, wie sich bei der diesfälligen Verhandlung im Hause von Seite des Finanzministers zu benehmen sein wird.

Edler v. Plener neigte sich zwar anfänglich ad a) zu der Meinung, daß, nachdem die Ag. Bewilligung zu der gedachten Mehrausgabe von Hypothekaranweisungen vor dem 17. Dezember v. J. erteilt wurde, diese Maßregel außer dem Bereiche der || S. 368 PDF || Kompetenz des Reichsrates liege12, bei der hierüber gepflogenen Erörterung machte sich jedoch die Ansicht allseitig geltend, daß diese Maßregel wohl nach § 13 zu rechtfertigen gewesen wäre, daher der Finanzminister diesbezüglich die Rechtfertigung zu ergänzen und nachzutragen haben wird13. Ad b) war der Finanzminister der Meinung, daß die Depotgeschäfte nicht in die schwebende Schuld gehören, sondern daß dies Geschäfte sind, die ihrer Natur nach dem administrativen Dienste angehören. Durch die Depotgeschäfte werde auch keineswegs die schwebende Schuld vermehrt, zumal dies bloß Vorschußgeschäfte sind, die sich noch im Laufe des nämlichen Verwaltungsjahres abwickeln. In dieser Richtung würde sich daher der Finanzminister erklären, und es war die Konferenz damit einverstanden14.

Ferner referierte der Finanzminister, daß im Finanzausschusse die Ansicht herrsche, daß, wenn im verfassungsmäßigen Wege ein Anlehen aufgelegt werde, ein Teil der Obligationen aber nicht begeben werden sollte, dieser Teil nicht durch Verkauf realisiert werden dürfe, sondern hiezu wieder ein besonderes Gesetz im verfassungsmäßigen Wege erwirkt werden müsse. Juridisch möge dies wohl nicht unrichtig sein, aber sicher praktisch nicht durchführbar, denn das seien Operationen, die bei der nächsten passenden Gelegenheit rasch ins Werk gesetzt werden müssen, während auf dem obigen Wege von vornehinein alles vereitelt wäre. Der Finanzminister gedenkt daher, in dieser Sache an dem Standpunkte festzuhalten, daß cdie Anbringung des Restes eines bereits bewilligten Anlehens in die Administrative gehört und er hiernach bei der Debatte vorgehen werdec . Dem Ministerrate ergab sich dagegen keine Erinnerung, nur wurde gewünscht, daß diese Sache nicht selbst provoziert, sondern abgewartet werden sollte, bis es etwa im Hause zur Sprache kommen sollte15.

Hierauf brachte der Finanzminister noch zur Sprache, daß laut des vorliegenden Berichtes des Finanzausschusses über die Regierungsvorlage betreffend „die Kontrolle der Staatsschuld durch den Reichsrat“16 zu § 12 des vom Finanzausschusse vorgelegten Gesetzesentwurfes von der Minorität des Ausschusses die Ansicht vertreten werde, daß hier anstatt des nach der Ansicht der Majorität eingefügten Satzes || S. 369 PDF || „soweit die verfassungsmäßigen Beschränkungen es zulassen“ alle die Verfassung bildenden Staatsurkunden, und zwar das Ah. Handschreiben vom 17. Juli 1860 17, das Diplom vom 20. Oktober 1860 18 und das Staatsgrundgesetz vom 26. Februar 1861 19 ausdrücklich aufzuzählen sind, weil sich durch diese Aufzählung der Beurteilung der verfassungsmäßigen Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Staatsanlehens sichere Anhaltspunkte bieten. Da nun dieses offenbar dahin gehe, daß eine Vermehrung der Staatsschuld nach § 1320 nur im Falle deiner Kriegsgefahrd und sonst nicht vorgenommen werden kann, und nachdem dieses eine edie Regierung in die größten Verlegenheiten versetzende und nach Umständen, z. B. bei inneren Unruhen, bei Steuerverweigerung, unmöglich machende Beschränkung, jedenfalls aber einee Auslegung der Verfassung wäre, so glaubt der Finanzminister, daß, wenn dieser Minoritätsantrag nicht mit Stillschweigen übergangen, sondern in die Debatte des Hauses gezogen werden sollte, die Regierung bestimmt dabei zu verbleiben hätte, daß das Februarpatent die Bestimmung des Ah. Handschreibens vom 17. Juli nicht aufgenommen habe, mithin eine Berufung darauf in dem fraglichen Paragraphe nicht zulässig erscheine21. Was aber die nach der Majorität angenommene Fassung des § 12 betrifft, so dürfte sich nach der Meinung des Finanzministers mit derselben begnügt werden, da der Ausdruck „verfassungsmäßige Beschränkungen“ in nichts vorgreift. Bei der Erörterung hierüber konnte zwar die formelle Richtigkeit der Minoritätsauffassung finsoweit die Februarverfassung sich auf das Oktoberpatent und letzteres bezüglich der Anleihen ausdrücklich auf das Ah. Handschreiben vom 17. Juli 1860 bezieht und beruftf, nicht bestritten werden, allein, nachdem es als zweifellos erkannt wurde, daß, so wie man in diesem einen Punkte zugestehen würde, die Februarverfassung habe nur soweit Giltigkeit als sie mit dem Ah. Handschreiben vom 17. Juli und dem Oktoberdiplome übereinstimmt, man die ganze Verfassung erschüttern würde, hat man sich geeinigt, daß, im Falle diese Sache zur Sprache kommen sollte, die Regierung an dem Standpunkte || S. 370 PDF || festhalten werde, daß der § 13 [des Grundgesetzes] allein maßgebend ist und das gedachte Ah. Handschreiben keinen Einfluß hat22.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 4. April 1862. Empfangen 4. April 1862. Erzherzog Rainer.