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Nr. 211 Ministerrat, Wien, 11. März 1862 — Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Schurda; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 11. 3.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Esterházy; abw. Pratobevera; BdR. Erzherzog Rainer 2. 4.

MRZ. 1013 – KZ. 841 –

Protokoll II des zu Wien am 11. März 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Ah. Handschreiben über die Nichteinberufung des ungarischen Landtags

Der ungarische Hofkanzler referierte unter Berufung auf die in der unter dem Ah. Vorsitze am 7. d. M. abgehaltenen Konferenz1 gepflogene Erörterung der Frage wegen der Notwendigkeit einer Ah. Kundgebung bezüglich der Unmöglichkeit der Einberufung des ungarischen Landtages, daß er dem Ah. Auftrage gemäß das diesfalls zu erlassende Ah. Handschreiben verfaßt habe2. Graf Forgách las diesen hierneben angeschlossenen Entwurfa und bemerkte, daß der Staatsminister, welchem er diese Fassung mitgeteilt habe, zwei Abänderungen wünsche, und zwar soll es Zeile 18 statt „über die Feststellung der staatsrechtlichen Verhältnisse desselben“ heißen „über die Durchführung der von Mir festgestellten staatsrechtlichen Verhältnisse“, ferner soll Zeile 33 hinter den Worten „staatsrechtlichen Fragen“ eingeschaltet werden „und zur verfassungsmäßigen Mitwirkung bei Entscheidung anderer, das Wohl des Landes berührender Angelegenheiten“. Was nun diesen letzteren Zusatz betrifft, so finde Graf Forgách gegen denselben umso weniger etwas einzuwenden, als diese Ergänzung nur zur besseren logischen Motivierung dient. Belangend aber die erstere Abänderung so könne der ungarische Hofkanzler zwar nicht leugnen, daß das, was der Staatsminister wünscht und durch seine Textierung ausdrückt, faktisch richtig ist, allein es dürfte dieser Ausdruck bei der gegenwärtigen Stimmung nur Beunruhigung verursachen und es würde somit der eigentlichen Absicht der Ah. Erklärung, nämlich die Gemüter bezüglich der Einberufung des Landtages zu beruhigen, nicht entsprochen werden. Aus diesem Grunde könnte sich also Graf Forgách mit dem Vorschlage des Staatsministers nicht vereinigen, dagegen würde er für den Fall, als man seine diesfällige Fassung für bedenklich hält, keinen Anstand nehmen, den ganzen Passus wegzulassen, wornach sich dann der ganze Ah. Erlaß bloß auf die Konstatierung der Unmöglichkeit der dermaligen Einberufung des Landtages und auf den Ausdruck der Hoffnung zur baldigen Ermöglichung dieser Einberufung beschränken würde.

Der Staatsminister erinnerte, daß ihm der Gedanke, es handle sich nicht um die Feststellung der staatsrechtlichen Verhältnisse Ungarns zu den übrigen Ländern, || S. 338 PDF || sondern um die Durchführung der bereits von Sr. Majestät in dieser Beziehung festgestellten staatsrechtlichen Verhältnisse, zu dem von ihm vorgeschlagenen Texte geführt habe. Wenn aber der ungarische Hofkanzler den ganzen Passus aus dem Ah. Handschreiben weglassen will, dann halte er die Sache für ganz unverfänglich und würde sich damit einverstanden erklären, obgleich er sich der Überzeugung nicht entschlagen könne, daß eine offene und klare Erklärung in dieser Sache einen sehr guten Eindruck im In- und Auslande machen würde. Der Polizeiminister sieht nicht ein, was mit einer solchen Erklärung überhaupt sowohl im Inlande als dem Auslande, namentlich den Engländern gegenüber, die bekanntlich bei allem nur ihre materiellen Vorteile berechnen und sich dann dorthin neigen, wo das Fazit hinfällt, gewonnen werden soll. Wenn aber schon eine derlei Ah. Kundgebung erfolgen soll, so würde er wohl die Fassung des Staatsministers vorziehen, in zweiter Linie aber für die Weglassung des ganzen Passus stimmen. Der Kriegsminister sprach sich für die Textierung des Staatsministers aus. Desgleichen auch der Minister des Äußern mit der Bemerkung, daß er die Ansicht des Baron Mecséry bezügliche Englands nicht teilen könne, zumal er aus verläßlichen Quellen die Überzeugung schöpfe, daß es dort gewiß einen großen Eindruck machen werde, wenn gesagt wird, daß die Regierung die staatsrechtlichen Verhältnisse Ungarns auf dem gesetzlichen Wege zu lösen gesonnen ist. Der Minister Graf Nádasdy äußerte, daß ihm schon auf den ersten Blick einige Stellen des vorgelesenen Entwurfes aufgefallen sind, die er beanständen müßte. Nachdem aber dieses Ah. Handschreiben ihm zu wichtig zu sein scheint, als daß er, ohne dasselbe bfrüher gelesen zu haben, infolge eines mündlichen Vortrages, ohne die Worteb genau prüfen zu können, sogleich darüber sein Urteil abgebe, so müsse er sich vorläufig auf den Wunsch beschränken, daß ihm ein Exemplar mitgeteilt und die Beratung hierüber verschoben werde. Der Minister Ritter v. Lasser und der Finanzminister erklärten, daß sie für den Fall, als die Frage wegen Erlassung des in Rede stehenden Ah. Handschreibens noch eine offene wäre, sich gegen eine solche Ah. Kundgebung aussprechen würden, zumal sie die Notwendigkeit hiezu nicht einsehen und es für ganz unpassend halten, daß sich Se. Majestät wegen der verstrichenen Einberufungsfrist rechtfertigen sollen. Ist jedoch diese Frage bereits gelöst, dann glauben diese beiden Minister für die Textierung des Staatsministers stimmen, in erster Linie aber dem Vorschlage des Grafen Nádasdy auf vorläufige Mitteilung des Entwurfes beitreten zu sollen. Ein gleiches Votum gab der Staatsratspräsident ab, hinzufügend, daß nach der ursprünglichenc Fassung des ungarischen Hofkanzlers geradezu das Oktoberdiplom und die Februarverfassung in Frage gestellt sein würden. Der Handelsminister und der Minister Graf Esterházy hielten dagegen die fragliche Erklärung für eine politische Notwendigkeit und sprachen sich bezüglich des Textes für die Weglassung des mehrerwähnten Passus aus.

Se. k. k. Hoheit konkludierten dahin, daß der ungarische Hofkanzler die nötigen Exemplare des von ihm verfaßten Entwurfes anfertigen und auf der Nebenspalte || S. 339 PDF || mit den Abänderungen des Staatsministers versehen lassen soll und [daß er] den Gegenstand in der nächsten Ministerratssitzung nochmals zur Sprache zu bringen haben wird3.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Venedig, 31. März 1862. Empfangen 2. April 1862. Erzherzog Rainer.