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Nr. 210 Ministerrat, Wien, 11. März 1862 — Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 13. 3.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Esterházy; abw. Pratobevera; BdR. Erzherzog Rainer 25. 3.

MRZ. 1012 – KZ. 863 –

Protokoll I des zu Wien am 11. März 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Schreiben an den Erzbischof von Prag und an die Bischöfe von Budweis und Königgrätz über die Weigerung, den 26. Februar kirchlich zu feiern

Der Staatsminister las den Entwurf des von ihm nach dem Ministerratsbeschluß vom 6. d. M. zu erlassenden Schreibens an den Kardinalerzbischof von Prag über die von ihm ausgegangene motivierte Ablehnung einer kirchlichen Feier des 26. Februar.

Dieser Entwurf zerfällt in drei Teile: 1. Der Ausdruck des Befremdens und mißbilligenden Bedauerns über die Weigerung des Kardinals. 2. Die Kritik der für seine Weigerung vorgebrachten Motive. 3. Die Erwartung, daß in künftigen Fällen dem Wunsch der Abhaltung kirchlicher Funktionen dieser Art bereitwillig werde entsprochen werden. Die gleichzeitig an die zwei anderen, im gleichen Fall befindlichen böhmischen Bischöfe zu erlassenden Schreiben des Staatsministers würden eine ähnliche Fassung erhalten und daraus nur der Passus wegzulassen sein, der sich auf den Erlaß des Prager Erzbischofs aus Anlaß der für Havlíćek beabsichtigten Totenfeier bezieht. Dieser erzbischöfliche Erlaß „gegen den selbstsüchtigen Mißbrauch kirchlicher Funktionen zu Agitationsmitteln, zu Kundgebungen demonstrationssüchtiger Parteien und zur Erreichung von Zwecken, die mit der katholischen Lehre im Widerspruch stehen“, wurde gleichfalls dem ganzen Inhalte nach vorgelesen1.

Der Minister des Äußern erklärte, er müsse sich heute, ebenso wie bei der ersten Beratung, überhaupt gegen eine solche, den Bischöfen zu erteilende Zurechtweisung aussprechen. Werden Handlungen unternommen, welche gegen die Verfassung gerichtet sind, muß die Regierung allerdings dagegen einschreiten. Aber hier ist keine solche Handlung, sondern nur die Weigerung vorgekommen, Freudenbezeugungen über die Erlassung der Staatsgrundgesetze kundzugeben. Diese Weigerung erfolgte nicht über [eine] Aufforderung der Regierungsbehörden, sondern über ein Ansinnen des Landesausschusses. Freudensbezeugungen müssen spontan sein, sonst haben sie keinen Wert und sind vom Übel. Ja, ein Zwang in der || S. 333 PDF || angedeuteten Richtung kann nur die Durchführung der Verfassung erschweren. Es ist nämlich vorauszusehen, daß, wenn die beantragten Zurechtweisungen der Bischöfe erfolgen, der der ganze Klerus — selbst die verfassungfreundlichen Priester miteingeschlossen — sich aus Korporationsgeist wie ein Mann in das der Regierung entgegengesetzte Lager begeben wird. Aus diesen gouvernementalen und politischen Gründen sei Graf Rechberg prinzipiell gegen die Erlassung der vorgelesenen Schreiben. Minister Graf Nádasdy äußerte, daß er, wenn der Kardinal und die Bischöfe sich auf die einfache Ablehung des Ansinnens beschränkt hätten, ebenfalls gegen die Zurechtweisung stimmen würde; allein, die Ablehnung war nicht eine einfache, sondern sie erfolgte unter Anführung von ganz unstatthaften Motiven; die Motivierung ist ferner kein Geheimnis geblieben, sondern sie hat ihren Weg in die Journale gefunden. Sie ist selbst im fernen Siebenbürgen bekannt geworden, wo man aus den Auslassungen eines so hoch gestellten Kirchenfürsten gefolgert hat, daß es mit der Durchführung der Februarverfassung kein Ernst sein könne. Wenn die Regierung bei dieser Sachlage die Kundgebungen der böhmischen Bischöfe mit Stillschweigen übergeht, aso wird man glauben, der Klerus werde für berechtigt gehalten, ähnliche Begründungen kundzugeben, während es vielmehr aus politischen Gründen wichtig erscheint, den ohnehin nur kleinen Teil des ungelehrigen Klerus zu einer wenigstens stillschweigenden Anerkennung seines unpassenden Demonstrierens zu bringena . Der Polizeiminister findet es gleichfalls notwendig, daß die Regierung sich den drei Bischöfen gegenüber ausspreche, glaubt aber, daß der erste Teil des Entwurfs, der den Ausdruck des „mißbilligenden Bedauerns“ enthält, übergangen und nur beiläufig gesagt werde, „die Regierung will auf die nähere Erörterung der erfolgten Ablehnung nicht eingehen“. Dagegen wären die unstatthaften Motive, um die es sich hier vorzugsweise handelt, in der vom Staatsminister beantragten Weise zu erörtern, so daß über die Auffassung der Regierung kein Zweifel obwalten kann. Der Kriegsminister äußerte, der dritte Teil, worin die Erwartung bereitwilligen Entsprechens in Zukunft ausgesprochen wird, scheine entbehrlich zu sein, im übrigen trete er der Meinung der Vorstimme bei. Minister Graf Nádasdy sprach sich im selben Sinne aus. Graf Wickenburg, Baron Mecséry und Baron Lichtenfels stimmten für die Weglassung des dritten Teiles, der nicht streng nötig ist, aber den Erzbischof vielleicht am empfindlichsten berühren würde, während die Minister Ritter v. Lasser und Edler v. Plener sich mit dem vom Staatsminister vorgelesenen maßvollen Texte völlig einverstanden erklärten. Graf Forgách blieb bei seiner schon früher geäußerten Meinung, welche mit der des Ministers des Äußern übereinstimmt. Minister Graf Esterházy würde den Vollzug der beantragten Maßregel wegen deren vorauszusehenden nachteiligen bund für die Regierung nur kompromittierendenb Wirkungen höchlichstc bedauern und machte aufmerksam, || S. 334 PDF || daß ein aus Prag anonym eingesendeter und im Volksfreund2 abgedruckter, sehr mildernder Artikel über die Ablehnung der kirchlichen Feier vielleicht schon als eine Retraktierung angesehen werden könnte, so daß weitere Schritte nicht nötig wären.

Schließlich vereinigte sich der Staatsminister mit den Anträgen des Polizei- und des Kriegsministers und ersuchte den ersteren, die von ihm angedeutete neue Redaktion des ersten Teiles vornehmen zu wollen.

Am Schlusse der heutigen Beratungen kam der Minister des Äußern abermals auf den Punkt I zurück, um gegen die Erlassung der Schreiben an die Bischöfe entschieden Verwahrung einzulegen. Diese Maßregel sei im Grund nichts als ein Zwang zur Unterdrückung jeder Opposition gegen den 26. Februar. Auf diesem Weg aber werde man für die Verfassung keine Freunde gewinnen. Eine hervorragende Persönlichkeit wie Kardinal Fürst Schwarzenberg werde sich durch ein solches Schreiben nicht einschüchtern lassen, sondern vielmehr dahin getrieben werden, sich an die Spitze der Opposition zu stellen. Im vertraulichen Wege mündlicher Verhandlung — wozu Graf Rechberg bereit sei — würde sich weit Ersprießlicheres erreichen lassend, 3.

II. Gesetzentwurf über die Gleichberechtigung der Sprachen in Böhmen

Der Staatsminister referierte, ein Abgeordneter des böhmischen Landtages, Seidl, habe beim Landtage den Vorschlag eines Gesetzes über die Gleichberechtigung der beiden Landessprachen eingebracht4, welches vom Landtage kollektiv mit vielen anderen Vorschlägen — ohne Verhandlung und ohne daß der Statthalter5 in der Lage war, sich darüber zu äußern — an den Landesausschuß geleitet worden ist.

Der Ausschuß fand sich veranlaßt, über dieses, auch den inneren Dienst der Behörden in sprachlicher Beziehung normierende Gesetz das Oberlandesgericht, die Finanzlandesdirektion und die Statthalterei zu vernehmen. Die beiden erstgenannten Landesbehörden erklärten — infolge der ihnen von den Ministerien zugekommenen Weisungen6 — nicht berufen zu sein, der Landesvertretung Gutachten zu erstatten, sondern sie könnten denselben nur die etwa benötigten statistischen || S. 335 PDF || Daten mitteilen. Von Seite der Statthalterei würde aber eine solche einfache Ablehnung nicht genügen, und es erscheine vielmehr nötig, daß die Regierung dem Landesausschuß ihre Stellung gegenüber dem mitgeteilten Gesetzvorschlage darlege und sofort ausspreche, daß der Landtag nicht kompetent sei, ein solches Gesetz als Landesangelegenheit in Beratung zu ziehen. Der § 18 der Landesverfassung7 enthalte nämlich gar nichts, woraus gefolgert werden könne, daß die Sprachenfrage eine „Landesangelegenheit“ bildet, worüber zu beraten der Landtag die Initiative ergreifen kann. Diese Angelegenheit gehört vielmehr zu denjenigen, bezüglich welchen dem Landtag nach § 19 nur das Petitionsrecht zusteht. Der Staatsminister las den Gesetzentwurf8 vor und zeigte, daß derselbe durch die darin enthaltenen eingehenden Normierungen über den Gebrauch der Sprachen im inneren Dienste der lf. Behörden in die Exekutive eingreift. Der böhmische Landtag könne nur um die Erlassung eines Reichsgesetzes über die Sprachenfrage bitten, und der Regierung bleibt es anheimgestellt, einen Gesetzvorschlag hierüber einzubringen, wenn sie das Bedürfnis dazu vorhanden findet.

Der Polizeiminister äußerte, daß die Sprachenfrage an sich allerdings eine wichtige Angelegenheit des Landes bilde. Indessen sei dieselbe, sofern sie den Verkehr der Behörden mit den Parteien betrifft, bereits in der einfachsten und billigsten Weise dahin geregelt, daß die Bescheide auf böhmische Eingaben böhmisch, auf deutsche in deutscher Sprache hinauszugeben seien und daß die Parteien bei allen Ämtern auch mündliche Ansuchen in der einen oder anderen Sprache vorbringen können9. Hiemit ist allen gerechten Wünschen entsprochen. Alle Normen über den inneren Dienst aber gehören in den Bereich der Exekutive, welche sie nach Rücksichten der administrativen Opportunität erlassen hat und auch ferner erlassen muß. Dieses würde dem Landesausschusse zu eröffnen sein, ohne jedoch die delikate Frage der Kompetenz dabei zu berühren. Minister Ritter v. Lasser teilte die vom Staatsminister eüber die Auslegung der Landesordnungene entwickelten Ansichten, glaubte aberf, es wäre dem Ausschuß gnicht schon jetzt seitens der Statthalterei eine umständliche Deduktion mitzuteilen, sondern — vorbehaltlich der seinerzeit in dem Landtage nötigen Ausführung — dermalen nur andeutungsweise zu bemerkeng, daß, wenn man die Erlassung eines Reichsgesetzes über diesen Gegenstand für notwendig findet, der Landtag darum zu petitionieren habe. Die Geschäftssprache der lf. Behörden im inneren Dienst falle unzweifelhaft ganz in den Bereich der Exekutive. hAuch für den Verkehr mit den Parteien reichen die bestehenden Normen aush . Anders sei es allerdings mit der Geschäftssprache der Gemeindebehörden iund mit dem Verkehre lf. Ämter mit den Gemeinden. Hiefür die Geschäftssprache festzustelleni und mit dem Verkehre lf. Ämter mit den Gemeinden. || S. 336 PDF || Hiefür die Geschäftssprache festzustellen, darin liege eine große Schwierigkeit. Der ungarische Hofkanzler muß die Sprachenfrage — auch abgesehen von den Ländern der ungarischen Krone — als eine Landesangelegenheit erkennen und den Landtag nach § 19 als kompetent zu deren Beratung betrachten. Jedenfalls würde diese Kompetenz dann nicht zu bestreiten sein, wenn Se. Majestät der Kaiser über eine Petition des Landtages denselben mit der Beratung eines Gesetzes über diesen Gegenstand beauftragen. Aus diesem Grunde würde es besser sein, in der Antwort an den Ausschuß die Kompetenzfrage unberührt zu lassen, zumal das ganze Land wie ein Mann sich gegen die Bestreitung der Kompetenz erheben werde. Der Präsident des Staatsrates sieht nicht ab, wie ein die Geschäftssprache der Behörden regelndes Gesetz verfassungsgemäß auf einem Landtage beraten werden kann. An der Art und Weise, wie die Sprachenfrage in einem Land gehandhabt wird, sei nicht bloß dieses Land, sondern das ganze Reich beteiligt. Von demselben Grundsatze ist man auch in Preußen ausgegangen, als es sich um die Festsetzung der Geschäftssprache in der Provinz Posen handelte. Sobald man die Sprachenfrage als innere Landesangelegenheit behandelt, gibt man die Einheit Österreichs auf! Die Regierung kann daher nichts anderes tun, als — wenn sich ein gerechtfertigter Wunsch nach einem neuen Gesetz kundgibt — einen Entwurf dem Reichsrate vorzulegen. Minister Graf Esterházy , der sich übrigens in dieser Frage für inkompetent erklärte, neigte sich zu den von Baron Lichtenfels entwikkelten Ansichten. Der Kriegsminister erklärte sich für die Meinung des Ministers Ritter v. Lasser, während die Minister der Finanzen und des Handels dem Staatsminister beitraten. Minister Graf Nádasdy fand jein Eingehen der Regierung in die Sprachenfrage wegen ihrer möglichen Einwirkung auf die verschiedenen Nationalitäten in Ungarn, Siebenbürgen und Kroatien in diesem Augenblick umso bedenklicher, da die Böhmen sicher nicht die Gleichberechtigung mit den oben genannten Nationen in der Regelung dieser Frage verlangen können, daherj er einer dilatorischen Behandlung vor allem den Vorzug geben würde. Schließlich äußerte der Staatsminister , daß er sich über die Form der an den böhmischen Landesausschuß zu richtenden Erklärung mit dem Minister der Polizei verständigen werde, dessen diesfällige Ansichten er im wesentlichen teile10.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Venedig, 21. März 1862. Empfangen 25. März 1862. Erzherzog Rainer.