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Nr. 195 Ministerrat, Wien, 14. Februar 1862 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Rechberg 15. 2.), Mecséry, Nádasdy, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Esterházy, FML. Schmerling; abw. Degenfeld, Pratobevera, Forgách; BdR. Rechberg 23. 2.

MRZ. 999 – KZ. 517 –

Protokoll des zu Wien am 14. Februar 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Beschluß des Abgeordnetenhauses bezüglich der Unterstützung für die Bewohner der durch Überschwemmung heimgesuchten Gegenden; Erklärung der Regierung

Se. k. k. apost. Majestät geruhten, die im Abgeordnetenhause am 12. d. M. stattgefundenen Verhandlungen über die den durch Überschwemmung Verunglückten zu gewährenden Unterstützungen zur Sprache zu bringen. Das Haus hat nämlich über Antrag von Giskra und Genossen den Beschluß gefaßt, die Regierung zu ermächtigen, daß sie aus Reichsmitteln die Summe von 200.000 fl. zur Unterstützung der durch die Wassernot heimgesuchten Königreiche und Länder verwende1. Se. Majestät erkennen in diesem Beschluß einen die bloß legislativen Befugnisse des gedachten Faktors der Gesetzgebung überschreitenden verfassungswidrigen Übergriff in die Exekutive, und Allerhöchstdieselben geruhen, den Ministerrat aufzufordern, Anträge zu stellen, in welcher Weise diese Angelegenheit wieder in das verfassungsmäßige Geleise gebracht werden könne.

Im Laufe der hierüber gepflogenen Beratung äußerte der Polizeiminister , der in Rede stehende, seiner Konsequenzen für künftige Fälle wegen allerdings sehr bedenkliche Beschluß des Abgeordnetenhauses könnte seines verfassungswidrigen Charakters dadurch entkleidet werden, wenn man ihn als eine einfache Meinungsäußerung, als den Ausspruch der Bereitwilligkeit auffaßt, die zur Unterstützung der Verunglückten nötigen Summen im Budget nachträglich zu bewilligen. Durch diese Auffassungsweise würde der Beschluß in einem solchen Licht erscheinen, daß die Regierung selbst dem Herrenhause empfehlen könne, sich demselben anzuschließen. Die im zweiten Satze des Giskraschen Antrages unberufenerweise ausgesprochene Erwartung, daß die Regierung die Anträge zur umfassenden Abhilfe für die Notlage ehestens vor das Haus bringen werde, habe bereits durch die vom Staatsminister sofort gegebene Erklärung, daß auf Ah. Befehl eine Kommission ihre Tätigkeit zur Abhilfe in der gegenwärtigen Kalamität ehestens beginnen werde, ihre Erledigung erhalten. Der Staatsminister beklagte, daß er den fraglichen Antrag, der nach einer langen und für ihn anstrengenden Debatte zu vorgerückter Stunde von mehr als 100 Abgeordneten der ministeriellen Partei selbst ganz unerwartet eingebracht wurde, nicht sogleich in der vollen, von Sr. Majestät Ah. bezeichneten Tragweite, sondern in der Tat nur als ein von Humanitätsrücksichten eingegebenes Entgegenkommen bezüglich der Bewilligung nötiger Geldmittel || S. 262 PDF || aufgefaßt habe2. Durch eine in der heutigen Sitzung des Herrenhauses von der Regierung in dem vom Polizeiminister angedeuteten Sinne abzugebende Erklärung würde diese Angelegenheit am einfachsten in das verfassungsmäßige Geleise zurückgerührt werden können.

Nachdem Se. k. k. apost. Majestät zu bemerken geruht hatten, daß diese Erklärung aber noch vor Eröffnung der Debatte über die Mitteilung des Abgeordnetenhauses zu geben sei, um dem Beschlusse des Hauses die gewünschte Richtung zu geben und unliebsamen Diskussionen vorzubeugen, las der Polizeiminister die von ihm verfaßten Entwürfe: 1. der namens der Regierung abzugebenden Erklärung, und 2. eines daran durch ein Mitglied des Herrenhauses zu knüpfenden Antrages. In der Erklärung wird ausgesprochen, daß die Regierung mit Befriedigung ihrem eigenen Gedanken in der Mitteilung des Abgeordnetenhauses begegnet. Die Regierung betrachtet nämlich den Beschluß dieses Hauses als eine Zusicherung, daß dasselbe geneigt sei, bei endgiltiger Feststellung des Jahreserfordernisses zur Unterstützung der durch die Überschwemmung heimgesuchten Gegenden nebst der auf Grundlage der dermaligen Budgetvorlagen im verfassungsmäßigen Wege festzusetzenden Summe der Ausgaben noch einem mit 200.000 fl. veranschlagten Erfordernisbetrage bzw. einer dahin gerichteten Vorlage der Regierung seine Zustimmung zu erteilen. Durch eine ähnliche Kundgebung werde das Herrenhaus beweisen, daß die Gesamtheit freudig einsteht, wo es gilt, dem einzelnen Teile des Vaterlandes die helfende Hand zu reichen und den wohlwollenden Ah. Absichten entgegenzukommen. Der Antrag an das Herrenhaus geht dahin, im Beschlusse des anderen Hauses sowohl als in der Erklärung der Regierung das Bestreben zu erkennen, die Notlage in den von der Überschwemmung heimgesuchten Gegenden zu lindern. Das Herrenhaus zähle seine Mitwirkung dabei innerhalb des ihm von Sr. Majestät zugewiesenen Wirkungskreises zu seinen schönsten Aufgaben und erkläre im vorhinein, daß es seinerzeit keinen Anstand nehmen werde, die Einbeziehung des vom Abgeordnetenhause mit 200.000 fl. veranschlagten Erfordernisses in die Gesamtsumme des Jahresvoranschlages für 1862 als gerechtfertigt anzuerkennen.

Minister Ritter v. Lasser referierte, daß es nach den von ihm eingezogenen Erkundigungen den Antragstellern nicht in den Sinn gekommen sei, einen Eingriff in die Exekutive zu versuchen. Ihre Absicht sei gewesen, einerseits der Kalamität gegenüber ein Lebenszeichen zu geben und andererseits die rechte Seite des Hauses dahinzubringen, daß sie entwedera einem so plausiblen Antrage im Widerspruch mit ihren Prinzipien, bsich an finanziellen Beschlüssen nicht zu beteiligen, beitrete oder durch die Ablehnung des Humanitätsaktes sich mißliebig macheb, 3. || S. 263 PDF || Ein Konflikt zwischen beiden Häusern aus dem gegenwärtigen Anlasse sei daher durchaus nicht zu besorgen. Mit der Textierung der vorgelesenen Entwürfe einverstanden, würde der Minister nur noch beantragen, daß die Summe von 200.000 fl. sowohl in der Erklärung als im Antrage nicht als ein fixer, sondern bloß als „vorläufig“ veranschlagter, somit nach Maßgabe der Umstände auch zu überschreitender Betrag bezeichnet werde, cweil der zweite Teil des Beschlusses des Abgeordnetenhauses eigentlich nur bezweckte, dem Ministerium zu insinuieren, daß man auch auf viel weiter gehende Inanspruchnahme der Finanzen gefaßt seic . Der Polizeiminister nahm die entsprechende Modifikation in den Texten sogleich vor und sämtliche Stimmführer waren mit der Einbringung der Regierungserklärung sowohl als des Antrages im Herrenhause einverstanden, indem dadurch dem Beschlusse vom 12. d. M. die Eigenschaft eines Eingriffs in die Exekutive und somit eines gefährlichen Präjudizes entzogen wird.

Se. k. k. apost. Majestät geruhten die vom Ministerrate au. beantragte Behandlung dieser Angelegenheit Ah. zu genehmigen, und es wird hiernach die Erklärung vom Staatsminister verlesen, die Einbringung des Antrages aber durch den Fürsten Colloredo eingeleitet werden4.

In Hinsicht auf die der Kommission beizuziehenden Mitglieder der beiden Häuser brachte der Staatsminister zur Ah. Kenntnis, daß er diese Wahl bereits getroffen und in der diesfälligen Mitteilung an die Präsidien beider Häuser ausdrücklich gesagt habe, daß die Gewählten „zur Erteilung des Beirates“ der Kommission beigezogen werden.

II. Vorläufiger Abschluß der Verhandlungen mit der Nationalbank

Der Finanzminister referierte, es sei ihm gelungen, die Verhandlungen mit der Direktion der Nationalbank in der letzten Nacht zu einem vorläufigen günstigen Abschluß zu bringen, und daß die Direktion damit einverstanden ist, zwei Drittel der deponierten Lose vom Jahr 1860 an die Finanzen zurückzustellen5.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 22. Februar 1862. Erhalten 23. Februar 1862. Rechberg.