MRP-1-5-03-0-18611207-P-0166.xml

|

Nr. 166 Ministerrat, Wien, 7. Dezember 1861 — Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 10. 12.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Esterházy; außerdem anw. Geringer; abw. Forgách, Pratobevera; BdR. Erzherzog Rainer 21. 12.

MRZ. 969 – KZ. 4064 –

Protokoll II des zu Wien am 7. Dezember 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Olmützer Domkapitel: Ah. Bestätigung der Wahl des August Baron Bartenstein zum Domizellardomherrn; Besetzung der erledigten Domizellardomherrenstellen; Einrücken des Domizellardomherrn Gustav Graf Belrupt in die Kapitularresidenz mit Nachsicht der Nostrifikation des theologischen Doktorgrades

Staatsrat Baron Geringer referierte über den Vortrag des Staatsministers vom 21. Oktober 1861 1 betreffend a) die Ah. Bestätigung der Wahl des August Baron Bartenstein zum Domizellardomherrn von Olmütz, b) das Einrücken des Olmützer Domizellardomherrn Gustav Grafen Belrupt in die Kapitularresidenz, und c) die Besetzung der bei demselben Kapitel erledigten Domizellardomherrnstellen2.

|| S. 98 PDF || Der Staatsminister hat die Ah. Genehmigung seiner Anträge in folgendem Resolutionsentwurfe formuliert: „Indem Ich in Anbetracht der von Ihnen dargestellten Verhältnisse die im Jahre 1853 vollzogene Wahl des August Freiherrn v. Bartenstein zum Domizellardomherrn von Olmütz zu bestätigen und die Einrückung des Olmützer Domizellardomherrn Gustav Grafen Belrupt in die Kapitularresidenz mit Nachsicht der Nostrifikation des von demselben erlangten theologischen Doktorgrades nachträglich zu genehmigen finde, hat es im übrigen bei Meinen Entschließungen vom 7. Dezember 1849 und 31. Dezember 1854 3 zu verbleiben, und wird es Ihnen obliegen, das Geeignete einzuleiten, damit die über die Olmützer Kapitelfrage bei dem Heiligen Stuhle schwebenden Verhandlungen zu Ende gebracht werden.“4 Der Staatsrat ist mit dem Schlußsatze des Entwurfes, der auch die Nichtbesetzung der vier Domizellarstellen involviert, einverstanden, weicht aber zu a) und b) von der Meinung des Staatsministers ab.

a) Der Grund, aus welchem der 1853 eigenmächtig vorgenommenen Wahl des Baron Bartenstein zum Domizellar in Olmütz die Ah. Bestätigung im Jahre 1854 sowie 1861 versagt worden ist5, besteht nämlich, wie der Staatsrat bemerkt, noch immer unverändert fort. Auch heute noch würde diese Bestätigung mit der den 1849 versammelten Bischöfen erteilten Ah. Zusicherung der kräftigsten Unterstützung ihrer Beschlüsse über die Aufhebung des Instituts der Domizellardomherrn6 im Widerspruche stehen und den von der Regierung angestrebten Ausgang der in Rom hierüber schwebenden Verhandlungen kompromittieren. Das Kapitel, welches ungeachtet dieser ihm bekannten Verhältnisse die Wahl gleichsam durch einen Handstreich durchzusetzen für gut befunden hatte, mag es nur sich selbst zuschreiben, wenn die Ah. Bestätigung ausbleibt. Was aber Baron Bartenstein persönlich betrifft, so ist er durch die in der Zwischenzeit erlangte jedenfalls besser dotierte Pfründe eines Probstes in Nikolsburg ohnedies genügend bedacht, und eine Ausnahme zu seinen Gunsten erscheine bei dem nicht befriedigenden Erfolg seiner philosophischen Studien mit Hinblick auf die statutenmäßigen Erfordernisse nicht angezeigt. Endlich machen die vom Olmützer Kapitel schon seit Jahren in Rom angesponnenen Intrigen gegen die Aufhebung des Instituts der exklusiv adeligen Olmützer Domizellare eine etwas strengere Beurteilung der vorgekommenen Eigenmächtigkeiten rätlich. Der Staatsrat beantragt daher zu a) folgende Ah. || S. 99 PDF || Resolution: „Bezüglich des Freiherrn von Bartenstein bleibt es bei Meinen Entschließungen vom 31. Dezember 1854 und 22. Jänner 1861.“7 Der Präsident des Staatsrates erklärte, dem Beschluß des Staatsrates vollkommen beizutreten. Der Staatsminister verkennt keineswegs das Gewicht der vorgebrachten Gründe, glaubt aber, diese Sache auch von einer anderen Seite beleuchten zu sollen. Vor allem müsse Ritter v. Schmerling bekennen, daß er die sogenannten „adeligen Domkapitel“ für nicht so nachteilig hält, als die bischöfliche Versammlung, sondern vielmehr glaubt, daß es sehr wünschenswert wäre, solche Pflanzschulen für die Besetzung hoher Kirchenwürden durch Adelige beizubehalten. Die Fortschritte des demokratischen Geistes unter dem Klerus ist eine Tatsache, und zwar eine bedauerliche. Wenn man den Söhnen aus Adelsfamilien die Aussicht auf schnellere Erreichung von Domherrenstellen nimmt und sie zur vieljährigen, obskuren aund mit Entbehrungen aller Art verbundenena Laufbahn eines Kaplans und Landpfarrers gleich den Söhnen der Bürger und Bauern verhält, so ist mit Gewißheit vorauszusehen, daß die Zahl der dem geistlichen Stand sich widmenden Adeligen eine verschwindend kleine werden und das bäuerliche Element beinah alle Stellen besetzen wird. Man würde sich aber einer großen Täuschung hingeben, wenn man glauben wollte, daß die dem Adel bisher vorbehaltenen Kanonikate fortan allein nach Verdienst würden vergeben und somit die kirchlichen Interessen wesentlich gefördert werden …8 Die Frage ist freilich jetzt bereits insofern Allerhöchstenorts entschieden, als die Regierung die diesfällige Bitte der Bischöfe unterstützt. Allein in Rom nimmt man fortwährend Anstand, darauf einzugehen, und während des Verlaufs der Jahre droht das Olmützer Kapitel nach und nach auszusterben. Das Bestreben des Kapitels, ein Interimistikum mit Festhaltung des jahrhundertelang geltenden Prinzipes der adeligen Geburt zu schaffen, findet der Staatsminister begreiflich, wenn er gleich die dazu eingeschlagenen Wege nicht billigen kann. Was speziell Baron Bartensteins Ernennung zum Domizellar betrifft, so ist dessen vor acht Jahren vorgenommene Wahl vom Kultusministerium wenn auch aus Versehen, aber dennoch unleugbar ohne Anstand zur Kenntnis genommen worden. Die wiederholte Ah. Weigerung, diese Wahl zu bestätigen, war eine scharfe Rüge des unter dem verstorbenen Erzbischof stattgefundenen und tadelnswerten Vorganges. Es dürfte daher gegenwärtig an der Zeit sein, die Ah. Gnade für Recht gelten zu lassen. Der Staatsminister aber finde sich umso mehr bestimmt, einen Ah. Gnadenakt hier zu bevorworten, als er durch einen abweislichen Antrag den im Herrenhause einflußreichen Erzbischof von Olmütz9 nicht verstimmen möchte. Minister Graf Esterházy stimmte dem Antrage des Staatsministers bei, indem er, wie ihm die Stimmung der römischen Kurie bekannt ist, nicht besorgt, daß || S. 100 PDF || ein solcher Gnadenakt dort irgendeinen Anstoß erregen würde. Die übrigen Stimmen im Ministerrate vereinigten sich bmit Ausnahme des mit dem Staatsratspräsidenten stimmenden Finanzministersb cund des Handelsministersc bezüglich des Punktes a) gleichfalls mit dem Staatsminister.

b) Zu der vom Staatsminister beantragten Ah. Nachsicht der Nostrifikation des vom Domizellar Grafen Belrupt in Rom erhaltenen theologischen Doktorgrades und zu einer diesfälligen Ausnahme von den Bestimmungen des Statuti Capituli Olomucensis findet der Staatsrat, wie Baron Geringer umständlich auseinandersetzte, umso weniger einen genügenden Grund, als zu dieser sogenannten Nostrifikation keineswegs die Ablegung aller rigorosen Prüfungen, sondern bloß die eines kurzen colloquii an einer österreichischen Universität erforderlich ist, und als diese Bedingung dem Grafen Belrupt bei seinen angerühmten Eigenschaften keine Schwierigkeit bieten kann. Der Präsident des Staatsrates äußerte, er teile noch heute diese Meinung. Man habe früher von Olmütz aus versucht, das Einrücken des obgenannten Domizellars in ein Kanonikat ohne Ah. Genehmigung zu vollziehen. Jetzt unterwerfe man sich dieser Notwendigkeit, strebe aber nach einer anderweitigen Ausnahme! Schließlich machte Baron Lichtenfels auf den Widerspruch aufmerksam, daß der Fürsterzbischof den älteren Domizellar Baron Henniger wegen mangelhafter Qualifikation vom Vorrücken ausgeschlossen sehen will, zugleich aber beantragt, daß dem Domizellar Grafen Belrupt der Nachweis des Besitzes der Qualifikation nachgesehen werde. Der Staatsminister glaubte, unter diesen Verhältnissen auf seinem Antrage nicht weiter bestehen zu sollen, und die Majorität des Ministerrates vereinigte sich mit dem Antrage des Staatsrates, welcher im folgenden Resolutionsentwurfe ad b) seine Formulierung erhielt: „Bezüglich [der Einrückung] des Grafen Belrupt in die Kapitularresidenz ist Mir der Antrag wieder vorzulegen, wenn derselbe dem gesetzlichen Erfordernisse der Nostrifikation seines Doktorgrades Genüge geleistet haben wird.“ Der Handelsminister würde mit Hinblick auf das Alter, die Eigenschaften und einflußreiche Stellung des Grafen Belrupt die Ag. Nachsicht der Nostrifikation zu beantragen sich erlauben10.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 20. Dezember 1861. Empfangen 21. Dezember 1861. Erzherzog Rainer.