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Nr. 156 Ministerrat, Wien, 23. November 1861 — Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 24. 11.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Esterházy, Breisach; abw. Plener, Pratobevera; BdR. Erzherzog Rainer 1. 12.

MRZ. 959 – KZ. 3777 –

Protokoll I des zu Wien am 23. November 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Teilweise Besetzung des Sanitätshafens in Triest durch die k. k. Kriegsmarine

Der Handelsminister las seinen au. Vortrag vom 19. d. M. über die seit dem 24. Oktober d. J. plötzlich und ohne vorläufige Mitteilung — weder an die zunächst kompetente Zentralseebehörde noch an das Handelsministerium — stattgefundene Okkupierung des Triester Seelazaretts durch k. k. Kriegsschiffe, welche Maßregel als für die Sanitäts- und Handelsverhältnisse des Freihafens sehr bedenklich bereits auch den Gegenstand einer Interpellation von Girardelli und Genossen im Abgeordnetenhaus gebildet habe1.

Laut der hierüber mit dem Marineoberkommando gepflogenen Rücksprache geht das letztere von der Ansicht aus, es könne diese Angelegenheit nur Grund zu Verhandlungen zwischen dem Kriegsministerium und dem Marineoberkommando bieten, da es sich vorläufig bloß darum handle, daß die bis jetzt von der Armee okkupierten Räumlichkeiten des Lazaretts in Hinkunft von der Marine benützt werden. Diese Ansicht sei aber unrichtig, indem das Seelazarett eine hochwichtige und unentbehrliche Sanitätsanstalt bildet, welche seit ihrer Gründung bis jetzt stets ein Eigentum der Zivilverwaltung war und dem Kriegsministerium lediglich precario modo seit 1859 einige dermal entbehrliche Räumlichkeiten bloß zeitweise, auf Widerruf im Fall des Bedarfs, eingeräumt worden sind. Durch die wenn auch teilweise Verwendung des Kontumazhafens und der Gebäude zu Marinezwecken werde aber die momentane Verfügbarkeit des Lazaretts im Falle eines plötzlichen Bedarfs aufgehoben, somit die strenge Handhabung der Kontumazvorschriften in Triest unmöglich gemacht, sodaß den aus diesem Hafen auslaufenden Schiffen die freie pratica in anderen Häfen, zum empfindlichen Nachteil des Handels, entzogen werden würde. Graf Wickenburg könne nicht annehmen, daß die Okkupierung des fraglichen Lazaretts für die Marine unumgänglich nötig sei, nachdem der letzteren nebst dem Arsenal zu Venedig noch die großartigen neuen Etablissements in Pola zu Gebote stehen und nötigenfalls auch die weiten Räume des Lloydarsenals in Triest zu Schiffbauten in Anspruch genommen werden könnten. Die vom Marineoberkommando vorgeschlagene Absperrung eines Teils des Kontumazhafens durch eine schwimmende Barrikade würde den Zweck einer völligen || S. 50 PDF || Isolierung verdächtiger Schiffe keineswegs in völlig beruhigender Weise erfüllen, wie gemachte Erfahrungen bereits bewiesen haben. In dem Bewußtsein der ihm obliegenden Verantwortlichkeit halte sich der Handelsminister verpflichtet, diese Verhältnisse Sr. Majestät au. gegenwärtig zu halten und erlaube sich au. in Antrag zu bringen, daß es von der eingetretenen teilweisen Benützung des Seelazaretts in Triest von Seite der Kriegsmarine wieder abzukommen habe, wodurch nicht ausgeschlossen würde, der Armeeverwaltung die derselben in jenem Lazarette zeitweilig eingeräumten Magazinsräumlichkeiten unter den bisherigen Bedingungen zur weiteren Benützung ferner zu überlassen.

Der Kriegsminister bestätigte die Angaben des Handelsministers über die Modalitäten, unter welchen eine Artielleriebatterie samt Bespannungen dermal zeitweise im Lazarettsgebäude untergebracht ist, und bemerkte, er müsse den größten Wert auf die Fortdauer dieser Unterkunft legen, da es an anderweitigen Räumen hiezu nicht bloß in Triest, sondern selbst in dessen weiterer Umgebung gänzlich mangle.

Der Linienschiffskapitän Ritter v. Breisach a gab zu, daß bei der Vorverhandlung ein Formfehler dadurch unterlaufen sei, daß über die Widmung des Lazaretts zu Marinezwecken keine Rücksprache mit dem Handelsministerium gepflogen wurde. Der Grund davon dürfte teils in der Unkenntnis der vom Handelsminister berührten Eigentumsverhältnisse, teils in der Eile zu suchen sein, womit die für die Marine dringend nötigen Bauten der Panzerfregatten behandelt werden müssen. Was das Wesen der Frage — die unerläßliche Notwendigkeit des ganzen Kontumazhafens etc. für den Sanitätsdienst — betrifft, müsse Oberst Breisach einige Umstände anführen, welche jene Behauptung zweifelhaft erscheinen lassen.

Seit mehr als einem Dezennium ist der Kontumazhafen nicht mehr ausschließend zu Sanitätszwecken in Anspruch genommen worden. Kriegsschiffe und Lloydschiffe waren jahrelang dort stationiert und wurden daselbst ausgebessert. Die Strenge der Kontumazvorschriften hat seit langer Zeit folge der verminderten Gefahr aus dem Orient bedeutend abgenommen, und für den Fall sehr bedenklicher Gesundheitszustände in anderen Häfen bestehe noch immer das auch in früheren Zeiten so häufig angewendete Auskunftsmittel, verdächtige Schiffe in das Lazarett von Poveglia bei Venedig zu senden. Ein weiteres Lazarett stehe in Fiume zu Gebot. Für minder gefährliche Fälle könne der durch die Barrikade abgesperrte Teil des Triester Kontumazhafens samt den dazu reservierten Gebäuden gute Dienste leisten. Ja, es erscheine vielmehr nicht einmal rätlich, sehr verdächtige Schiffe in einem Hafen unterzubringen, der einem volkreichen Stadtteil und der Eisenbahn so nahe liegt wie der fragliche. Das ruhige Becken des Lazaretts sei für den Bau der Panzerschiffe vorzüglich geeignet, und wollte man hiezu die Docks des Lloydarsenales mieten, so würde dies mit einer großen Auslage für den Staatsschatz verbunden sein. Im nächsten Frühjahre müßten ohnehin diese Schiffsbauten vollendet sein, sodaß die Okkupation nicht von längerer Dauer wäre. Der ungarische Hofkanzler glaubte, daß die teilweise Überlassung des Seelazaretts an die Kriegsmarine jetzt ebensowenig als früher Schwierigkeiten oder Gefahren || S. 51 PDF || bieten dürfte. Schiffe mit Verdacht von gelbem Fieber etc. könne man nach Poveglia weisen und battimenti di provenienza brutta in dem reservierten Teil des Triester Kontumazhafens, allenfalls mit besonderer Überwachung durch die sogenannten spie, unterbringen.

Nachdem von beiden Seiten ein unabweisbares Bedürfnis der fraglichen Lazarettslokalitäten behauptet und dafür Gründe angeführt werden, deren volles Gewicht sich nur an Ort und Stelle über Vernehmung der kompetenten Behörden und Sachverständigen ermessen läßt, glaubte der Minister des Äußern , es werde am schnellsten und sichersten zum Ziele eines befriedigenden Arrangements führen, wenn hiezu eine Kommission in Triest delegiert werde. Es handle sich nicht darum, unfruchtbare Prozesse zu führen, sondern das Beste des Ah. Dienstes zu fördern.

Sämtliche Stimmführer traten diesem Antrage bei, und Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Rainer forderte den Handelsminister auf, sich wegen der Zusammensetzung dieser Kommission mit dem in Wien weilenden Statthalter Freiherrn v. Burger bund dem Vorstande der Marinekanzlei Linienschiffskapitän Breisachb ins Vernehmen zu setzen2.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 29. November 1861. Empfangen 1. Dezember 1861. Erzherzog Rainer.