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Nr. 148 Ministerrat, Wien, 6. November 1861 — Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Schurda; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 6. 11.), Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Esterházy, Rizy; außerdem anw. Geringer; abw. Forgách, Pratobevera; BdR. Erzherzog Rainer 20. 11.

MRZ. 952 – KZ. 3621 –

Protokoll I des zu Wien am 6. November 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Entwurf eines geänderten Wuchergesetzes

Staatsrat Baron Geringer referierte das staatsrätliche Gutachten über den au. Vortrag des Ministers und Leiters des Justizministeriums Freiherrn v. Pratobevera vom 24. Juli l. J. (Präs. Z. 600) die Bitte enthaltend, den ausgearbeiteten Gesetzesentwurf über die Änderung der Wucherstrafgesetzea dem engeren Reichsrate vorlegen, || S. 8 PDF || die Frage aber, ob die Aufhebung oder ob und welche Erhöhung der Zinstaxe wünschenswert erscheine, der Beantwortung der Landtage vorbehalten zu dürfen1. Hiernach würde die beabsichtigte Reform der Wuchergesetze in zwei Teile zerfallen, nämlich in den strafgerichtlichen und in den zivilrechtlichen Teil. Der Staatsrat findet eine solche Teilung und die Regelung des strafrechtlichen Teiles noch vor der Regulierung des zivilrechtlichen Teiles nicht angemessen. Werden im Zivilrechte Zinsbeschränkungen festgesetzt und Bestimmungen gegeben, welche Vorteile sich der Darleiher zu bedingen berechtigt ist, so sei das Strafgesetz durch diese Beschränkungen gebunden, und es handle sich für dieses nur um die Grenzen der Strafandrohung und um den Umfang, innerhalb welcher die Überschreitungen jener Beschränkungen und Bestimmungen strafbar sein sollen. Wenn aber das Fundament selbst schwankend und die Frage der Zinstaxe Gegenstand einer weiteren Erörterung ist, so dürfte es der Gesetzgebungspolitik nicht entsprechen, vor der grundsätzlichen Lösung dieser Frage die strafrechtlichen Bestimmungen einer prinzipiellen Änderung zu unterziehen. Anlangend die beantragte Vernehmung der Landtage über die Zinstaxe, so bestimme der § 11 des Grundgesetzes vom 26. Februar 1861, „daß Gegenstände der Gesetzgebung, welche den im engeren Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern gemeinsam sind, schon nach Art. III des Diploms vom 20. Oktober 1860 zum verfassungsmäßigen Wirkungskreise des engern Reichsrates gehören“. Die Justizgesetzgebung sei für die im engeren Reichsrate vertretenen Angelegenheiten offenbar eine gemeinsame Angelegenheit. Daß der Zustand der Geldverhältnisse in den verschiedenen Ländern des Kaiserreiches faktisch ein verschiedener ist, sei ohnehin bekannt, und es wäre daher in dieser Beziehung die Vernehmung der Landtage ganz überflüssig. Vom Standpunkte der politischen und Rechtseinheit wäre es nicht minder beklagenswert, diese Rechtseinheit in dem Zweige des Zinsenmaßes von Kapitalien zu zerreißen und die einzelnen Länder in Absicht auf die rechtliche Beurteilung der Zulässigkeit der Zinsenhöhe zueinander gewissermaßen in ein internationales Verhältnis zu stellen und weitern Separationsgelüsten Boden zu geben. Der Staatsrat ist somit einhellig der Meinung, daß der vorliegende Gesetzentwurf sowie jede Erörterung über die Abänderung der Wuchergesetze und über die Aufhebung oder Erhöhung der Zinstaxe gegenwärtig auf sich zu beruhen habe.

|| S. 9 PDF || Der zur Abgabe seiner Meinung aufgeforderte Sektionschef Dr. Rizy erklärte, für die Anträge des Leiters des Justizministeriums hier umso weniger etwas anführen zu können, als er für seine Person die vom Freiherrn v. Pratobevera in dieser Sache entwickelten Ansichten nicht teilt, vielmehr der Anschauung des Staatsrates beipflichtet, daß der jetzige Augenblick nicht dazu geeignet ist, mit einer solchen Maßregel hervorzutreten. Der Staatsratspräsident , der Ansicht des Staatsrates beipflichtend, hob hervor, daß ein Eingehen in den Antrag, die Erörterung der Frage wegen Aufhebung oder Erhöhung der Zinstaxe den Landtagen vorzubehalten rücksichtlich nach den verschiedenen Ländern einen verschiedenen Zinsfuß gesetzlich festzustellen, nichts anderes hieße, als die Rechtseinheit gewaltsam zu zerreißen, wo es dann wohl besser wäre, die Gesetzgebung den Föderalisten gleich preiszugeben. In dem vom Justizminister vorgelegten Gesetzentwurf erblickt er ein Operat, welches niemanden befriedigen dürfte, indem durch ein solches Gesetz für die freie Konkurrenz der Kapitalien nichts getan sein, den Wucherern selbst aber durch die Finger gesehen würde.

Der Finanzminister bemerkte: Es handelt sich hier vor allem um die Frage, ob in bezug auf den Zinsfuß und Wucher mit einer Gesetzgebung jetzt vorzugehen sei oder nicht, und in dieser Beziehung könne er sich den Vorstimmen nicht anschließen. Die Geldverhältnisse haben seit der Zeit, wo das Wuchergesetz erlassen worden ist, einen bedeutenden Umschwung erhalten; für die primitive Zeit mag diese patriarchalische Bevormundung im Handel eine ganz gute Vorsorge gewesen sein, nun aber, bei den ganz geänderten Verhältnissen, bei dem gegenwärtigen Bestande so vieler Geldinstituteb und Kreditanstalten, cbei der Entwicklung der Geldgeschäftec müssen diese veralteten Gesetze fallen, ja es wäre heutzutage geradezu lächerlich auszusprechen, daß der Zins ein gewisses Maß haben müsse. dDer Satz, daß Geld Ware sei, könne nicht eine bloße Phrase genannt werden, sondern müsse als ernste Wahrheit gelten, und so wenig die Gesetze gegen Kornwucher, die Satzungen und Preistaxen für gewisse Konsumtibilien aufrechterhalten werden konnten, so sei auch die Zinstaxe längst dem Todesurteile verfallen, welches die neuere Volkswirtschaft und Finanz, welches die Wissenschaft und Praxis gegen dieselbe gefällt haben. Es sei aber auch nicht nur zeitgemäß, sondern dringend notwendig, zur Aufhebung der Wuchergesetze zu schreiten, um den dermal gehemmten Fluß der Kapitalien frei zu machen und die bisher im Börsespiele gefangenen Gelder in nutzbringender Weise der Agrikultur und Industrie zuzuführen. Eine Gefährdung des Staatsschatzes und namentlich der Staatsschuld sei durchaus nicht abzusehen, denn schon itzt gewähren die freien Geldgeschäfte höhere als die gegenwärtigen gesetzlichen Zinsen, und die Staatsschuld leidet dadurch nicht, und zwar einfach deshalb nicht, weil sie selbst die höchsten (sogenannten) Wucherzinsen gibt. Sind doch itzt schon die Hypothekarkreditabteilungen der Bank gesetzlich vom Wuchergesetze dispensiert, ist doch das ganze Wechsel- und Diskontgeschäft eine Paralysierung aller wuchergesetzlichen Bestimmungen, ohne daß hiedurch der Staatskredit benachteiligt wird. Auch bei gewöhnlichen Geldleihgeschäften wird die Zinstaxe sehr klug und geschickt umgangen, zeuge deren die seltenen Entdekkungsfälle von Wucherhandlungen. Darum ist es besser, ein nicht haltbares Verbot lieber aufzulassend Der Satz, daß Geld Ware sei, könne nicht eine bloße Phrase genannt werden, sondern müsse als ernste Wahrheit gelten, und so wenig die Gesetze gegen Kornwucher, die Satzungen und Preistaxen für gewisse Konsumtibilien aufrechterhalten werden konnten, so sei auch die Zinstaxe längst dem Todesurteile verfallen, welches die neuere Volkswirtschaft und Finanz, welches die Wissenschaft und Praxis gegen dieselbe gefällt haben. Es sei aber auch nicht nur zeitgemäß, sondern dringend notwendig, zur Aufhebung der Wuchergesetze zu schreiten, um den dermal gehemmten Fluß der Kapitalien frei zu machen und die bisher im Börsespiele gefangenen Gelder in nutzbringender Weise der Agrikultur und Industrie zuzuführen. Eine Gefährdung des Staatsschatzes und namentlich der Staatsschuld sei durchaus nicht abzusehen, denn schon itzt gewähren die freien Geldgeschäfte höhere als die gegenwärtigen gesetzlichen Zinsen, und die Staatsschuld leidet dadurch nicht, und zwar einfach deshalb nicht, weil sie selbst die höchsten (sogenannten) Wucherzinsen gibt. Sind doch itzt schon die Hypothekarkreditabteilungen der Bank gesetzlich vom Wuchergesetze dispensiert, ist doch das ganze Wechsel- und Diskontgeschäft eine Paralysierung aller wuchergesetzlichen Bestimmungen, ohne daß hiedurch der || S. 10 PDF || Staatskredit benachteiligt wird. Auch bei gewöhnlichen Geldleihgeschäften wird die Zinstaxe sehr klug und geschickt umgangen, zeuge deren die seltenen Entdekkungsfälle von Wucherhandlungen. Darum ist es besser, ein nicht haltbares Verbot lieber aufzulassen. Er für seine Person könne sich daher im allgemeinen nur für die gänzliche Freigebung des Geldverkehres und für die Beseitigung aller gesetzlichen Beschränkungen des Zinsfußes aussprechen. Belangend den vorliegenden Gesetzentwurf, so könnte der Finanzminister die Art und Weise desselben auch nicht gutheißen und er macht in dieser Beziehung den Vorschlag, auf den nach den in der Ministerkonferenz vom 5. Juni 1860 gefaßten Beschlüssen verfaßten und von dem damaligen Justizminister2 vorgelegten Patentsentwurf über die Aufhebung der Wuchergesetze3 zurückzugehen, welches Gesetz nach seiner Überzeugung ganz geeignet sein dürfte, den Geldmarkt zu erleichtern und den Geldbedürftigen zu helfen. Der Minister des Äußern und der Minister Graf Esterházy stimmten mit dem Finanzminister, ebenso der Handelsminister , welcher dabei bemerkte, daß, wenn die Regierung mit der Vorlage eines solchen Gesetzes zögert, das Abgeordnetenhaus sich daranmachen wird und es daher geratener ist, diese Angelegenheit selbst in der Hand zu behalten. Der Minister Ritter v. Lasser ist entschieden gegen den vorliegenden Gesetzentwurf und stimmt in Absicht auf die folgerichtige Behandlung dieser Sache und Nichtzuweisung an die Landtage mit dem Staatsrate. Soweit es sich aber um die Frage handelt, ob diese Angelegenheit gegenwärtig auf sich zu beruhen habe, oder doch ein diesfälliges Gesetz erlassen werden soll, könne er nur für das letztere stimmen. Bei den gegenwärtigen Verhältnissen bestehe dieser Schranken ohnehin nicht mehr. Die Befürchtungen, daß bei der gesetzlichen Aufhebung der Zinsbeschränkung eine allgemeine Erhöhung aller Zinsen eintreten und eine Geldkrisis die unvermeidliche Folge sein werde, hält v. Lasser nicht für begründet, indem nach seiner Ansicht der Geldmarkt von andern Verhältnissen als edem Gesetze über den Zinsfuße abhängig ist. Er müßte folglich wünschen, daß der Status quo der diesfälligen Gesetzgebung nicht festgehalten, sondern schon jetzt ein den gegenwärtigen Anforderungen entsprechendes Gesetz vorbereitet werde, in welcher Beziehung er — gleich dem Finanzminister — das bereits im vorigen Jahre im Ministerrate beratene Patent empfehlen würde. Nur müßte dasselbe einer neuerlichen Prüfung und Revision unterzogen werden und der geeignete Zeitpunkt wahrgenommen werden, wann mit demselben als Vorlage an das Haus hervorzutreten wäre.

Der Staatsminister , von der Ansicht ausgehend, daß die Wuchergesetze in der Tat eine Antiquität geworden sind und daß sich keine Täuschung darüber zu machen ist, daß diese Gesetze einen besondern praktischen Wert [nicht] haben, || S. 11 PDF || hob hervor, daß es sich nicht um die Frage handelt, ob die Wuchergesetze aufzuheben sind, indem dieses ohne allen Zweifel ist, sondern um die Frage, ob überhaupt ein Zinsmaß als gesetzlich aufzustellen, oder alle gesetzlichen Beschränkungen aufzuheben sind. Das plötzliche Aufgeben eines jeden Zinsfußes könnte allerdings eine Stockung herbeiführen, diesem könnte aber seines Erachtens dadurch vorgebeugt werden, wenn gleichzeitig Provinzialbanken, Sparkassen usw. geschaffen würden, welche durch die von ihnen auszugebenden Wertpapiere den Geldmarkt im rechten Geleise zu erhalten imstande sein werden. Indem sich somit der Staatsminister der Meinung des Ministers v. Lasser und seinem Vorschlage in bezug auf das gedachte frühere Patent anschließt, wünscht er nur noch, daß nebst der Revision dieses Patentsentwurfes auch überhaupt die Frage der Zinsenbeschränkung nach allen Richtungen geprüft und ausgearbeitet werde. fDer Kriegsminister enthielt sich der Meinungsäußerung in dieser Angelegenheit.f Der Kriegsminister enthielt sich der Meinungsäußerung in dieser Angelegenheit. Der Polizeiminister , im wesentlichen mit den beiden Vorstimmen einverstanden, glaubte die Frage erörtern zu sollen, welche Wirkung die plötzliche Aufhebung der Wuchergesetze und der bisherigen Zinsenbeschränkungen für den Grundbesitz und namentlich für den kleinen Grundbesitzer haben würde, wobei er zu der Überzeugung kommt, daß eine solche Maßregel für die Interessen der Grundbesitzer sehr schädlich wäre. Unter Anführung von praktischen Beispielen weiset er nach, daß die Aufhebung eines jeden Zinsfußes gleich nicht möglich ist und daß, wenn die Aufhebung aller gesetzlichen Zinsenbeschränkungen ausgesprochen werden soll, alle Vorbedingungen hiezu vorhanden sein müssen, solange aber diese fehlen, eine gesetzliche Stabilisierung des Zinsfußes angestrebt werden muß, indem sonst die Grundbesitzer den oft wechselnden Konjunkturen zum Opfer fallen würden.

Nach einer kurzen Debatte über die bei dieser Maßregel in Betracht zu ziehenden Verhältnisse der Kapitalisten und der Grundbesitzer wurden die Schmerling-Lasserschen Anträge angenommen, und Se. k. k. Hoheit faßten schließlich den Beschluß dahin, daß das Justizministerium diese Angelegenheit auf Grundlage des vom Grafen Nádasdy im Juni 1860 vorgelegten Patentes einer neuerlichen eindringlichen Prüfung und allseitigen Erörterung zu unterziehen und sodann vorzulegen hat4.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, 19. November 1861. Empfangen 20. November 1861. Erzherzog Rainer.