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Nr. 124 Ministerrat, Wien, 19. September 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 21. 9.), Erzherzog Ferdinand Maximilian, Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Esterháy, abw. Pratobevera; BdR. Erzherzog Rainer 5. 10.

MRZ. 923 – KZ. 3097 –

[Tagesordnungspunkte]

Protokoll des zu Wien am 19. September 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers

I. Verstärkung der Kriegsmarine

Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Ferdinand Maximilian referierten über die Ergebnisse der mit dem Vizeadmiral Freiherrn v. Dahlerup gepflogenen Beratungen bezüglich der unter den gegenwärtigen Verhältnissen nötig gewordenen Vermehrung der Kriegsmarine1. Das hierüber verfaßte und im Ministerrat vorgelesene Mémoire2 weist speziell nach, daß die sardoitalienische Marine bereits jetzt der österreichischen um acht Schiffe und 437a Geschütze überlegen ist und daß der ersteren im Laufe des Sommers noch zwei Panzerfregatten und eine Korvetteb (zusammen mit 131c Kanonen) zuwachsen || S. 377 PDF || werden, so daß dadurch das Übergewicht unseres Gegners noch bedeutend gesteigert würde. Bei der Unmöglichkeit, unsere Marine in Absicht auf Zahl der Schiffe und Geschütze auf die gleiche Höhe zu bringen, erübrigt nichts, als den Ersatz der Quantität in der Qualität der Schiffe zu suchen und daher mit größter Beschleunigung drei neue Panzerfregatten zu bauen, wie auch die Segelfregatten „Novara“ und „Schwarzenberg“ zu Propellern umzustalten3. An diese schon im Jahre 1862 mit einem Aufwand von 9,100.000 fl. zustande zu bringenden Bauten werden sich in den Jahren 1863 und 1864 noch weitere Herstellungen reihen, wodurch der Gesamtaufwand auf 16 Millionen Gulden steigen, unsere Flotte aber auch in den Stand gesetzt würde, den Angriffen der italienischen mit Erfolg die Spitze zu bieten. Als das dringendste bezeichnen Se. k. k. Hoheit die Herstellung der drei eisernen Schiffe, welche, wenn Anfang Oktober bestellt, bei Anwendung aller Tätigkeit binnen fünfeinhalb Monaten, das ist bis halben April, angefertigt sein würden und sohin beim Ausbruch eines Kriegs im Frühjahre ihre Überlegenheit den sardinischen Holzschiffen gegenüber geltend machen könnten. Ein Aufschub dieser Bestellung aber würde die Herstellung der Schiffe in verhältnismäßig größerer Weise verzögern, weil dann die jetzt günstige Zeit zum Holzbezuge etc. versäumt würde. Wir würden daher gerade im entscheidenden Augenblicke nicht kampfbereit sein, unsere Küsten wären preisgegeben und der Nachteil unersetzlich. Dagegen wären wir nach Vollendung der drei Panzerschiffe und Umstaltung unserer zwei großen Fregatten schon im Mai in der Lage, der sardinischen Flotte eine Seeschlacht mit der günstigen Chance zu liefern, Herren des Adriatischen Meeres zu bleiben.

Im Laufe der hierauf gepflogenen längeren Erörterung bemerkte der Finanzminister ungefähr folgendes: Unstreitig wäre es sehr zu wünschen, daß Österreich in der Entwicklung seiner Marine mit Sardinien stets gleichen Schritt halten könne. Allein es fehlen dazu die Geldmittel, und die Verstärkung unserer Seemacht wird unseren Gegner nur zu gleichen oder noch größeren Anstrengungen veranlassen, damit er sein Übergewicht behaupte, so daß dadurch eine Art Lizitation entsteht, bei der Österreich nach vielen Opfern doch schließlich wird innehalten müssen. Zunächst kann nur von den dringendsten, im Jahre 1862 zu vollendenden Schiffbauten die Rede sein. Denn was die späteren Jahre betrifft, so kann man doch wohl hoffen, daß dann die gegenwärtige Spannung in der italienischen Halbinsel dund in Europa überhauptd ihr Ende erreichen wird. Auf jeden Fall aber dürfte sich in jenen Jahren, wenn nicht schon jetzt, ein kräftigerer und jedenfalls wohlfeilerer Schutz unserer Küsten durch Allianzen erreichen lassen.

|| S. 378 PDF || Bisher sei stets von der Defensivkraft der österreichischen Marine ezum Schutze der Küstene und von deren Erhaltung die Rede gewesen, jetzt scheint man sie auch zur fAufnahme des Kampfes in offener Seef stärken zu wollen. Dies begründe die Annahme eines neuen Prinzips, welche wohl nicht ohne die reifste Erwägung Ah. genehmigt werden dürfte. Nebst diesen ihm ferner liegenden Erinnerungen müsse aber der Finanzminister wesentlich von seinem Standpunkte folgendes gegenwärtig halten: Wenn auch zugegeben würde, daß die Vornahme extraordinärer Marineauslagen bis zum Belaufe von neun Millionen im Jahre 1862 unausweichlich sei, könne dieselbe doch jetzt noch nicht definitiv beschlossen und mit Vorauslagen für Rechnung dieses Extraordinariums vorgegangen werden, da dasselbe doch erst im verfassungsmäßigen Wege bewilligt werden muß. Nun ist aber nicht anzunehmen, daß der Staatsvoranschlag dem kompetenten gesamten Reichsrate vor der zweiten Hälfte November werde vorgelegt werden, und dann beginne erst die Diskussion darüber. In bezug auf die so hochgegriffene Ziffer von neun Millionen aber halte Edler v. Plener sich verpflichtet, aufmerksam zu machen, daß das Defizit für 1862 auf 62 Millionen berechnet ist, dasselbe sich aber über 100 belaufen werde, wenn der Armeestand auch nur auf der gegenwärtigen Höhe verbleibt. Das in Rede stehende Extraordinarium würde noch eine weitere Erhöhung des Defizits begründen, dessen Bedeckung somit wesentlich erschwert wäre. Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Marineoberkommandant erwiderten: Für Österreich sei es von der höchsten Wichtigkeit, bei der Verstärkung seiner Flotte eine Priorität von mehreren Monaten vor Sardinien zu erzielen. Die hiezu erforderlichen technischen Bedingungen seien vorhanden, sobald die Bestellung rechtzeitig erfolgt. Nachdem aber mit Grund zu erwarten ist, daß der Reichsrat in Würdigung der Notwendigkeit der Schiffbauten das diesfällige Extraordinarium votieren werde, könnte man mit den Arbeiten schon im Monat Oktober beginnen und Akontozahlungen leisten, bis das Budget festgestellt ist. Die Auslagen verteilen sich übrigens auf ein ganzes Jahr und sind nicht in Silber zu bestreiten, was den Finanzen in zweifacher Beziehung eine Erleichterung gewährt. Der Minister des Äußern hielte es für angezeigt, die Prinzipienfrage zu erörtern, ob die österreichische Marine mit der Entwicklung der sardinischen völlig gleichen Schritt halten oder aber sich bloß auf die Erhaltung der streng notwendigen Defensivkraft beschränken solle. Dann frägt es sich: Was ist nötig, um die Defensive zu behaupten? Eine völlige Gleichstellung der beiderseitigen Seemacht scheine aber weder nötig noch selbst möglich, nachdem die im Besitze Sardiniens befindlichen Küsten ohne allen Vergleich ausgedehnter und dessen Häfen, Arsenale, Werften und Matrosen zahlreicher seien. Der Staatsminister erkennt sich zur Beurteilung der zum Grunde liegenden militärischen und technischen Fragen nicht kompetent. Doch scheint es ihm klar, daß eine wirksame Defensive manchmal nur durch rechtzeitige Ergreifung der Offensive erzielt werden kann. Da es aber hiebei auf den rechten Moment ankommt, so dürfte jeder Tag Aufschub in den || S. 379 PDF || Vorbereitungen vielleicht unersetzliche Nachteile herbeiführen. Es handelt sich gegenwärtig um eine Rüstung für den allerdringendsten Bedarf, und es tritt somit der Fall des § 13 des Staatsgrundgesetzes ein. Bei so dringenden Auslagen könne man nicht die noch lange Zeit erfordernde Zurücklegung des verfassungsmäßigen Weges abwarten, und die Verantwortlichkeit dafür kann mit Beruhigung übernommen werden. Soviel über den staatsrechtlichen Standpunkt — der freilich von dem der finanziellen Durchführbarkeit wesentlich verschieden ist. Der Finanzminister erwiderte, daß darin eben die Hauptschwierigkeit bestehe, denn es fehle ihm an verfügbaren Mitteln zur Deckung [der] fraglichen, ganz unerwarteten Auslagen in den nächsten Monaten. Mit Benützung aller Quellen könne er nur gerade den laufenden Dienst bis über den 1. Jänner 1862 hinaus bedecken. Dieser Bestimmung könne er nichts entziehen. Anderweitige Quellen aber werden sich erst dann erschließen, wenn der Reichsrat seine Mitwirkung zu einer Finanzoperation gewährt.

Se. k. k. apost. Majestät geruhten hierauf zu bemerken, daß — dieses vorausgesetzt —, um auf das praktische Feld zu gelangen, es am zweckmäßigsten wäre, zu prüfen, ob man den außerordentlichen Bedarf der Marine im Oktober und November nicht durch Reduktionen bei der Landarmee decken könnte.

Der Kriegsminister äußerte, daß bei der Armee in Italien allerdings noch Reduktionen möglich wären, namentlich wenn man nicht durch eine bedauerliche Komplikation gezwungen wäre, die Mannschaft der ungarischen Regimenter komplett bei den Fahnen zu behalten, ohne die deutschen Regimenter zurückziehen zu können. Der Minister des Äußern erklärte, er könne die Verantwortung für die Fortdauer friedlicher Verhältnisse nicht übernehmen. Die politische Situation sei im höchsten Grade unklar. Alle rüsten, und unerwartet schnell kann es irgendwo zum Kampfe kommen. Dem Polizeiminister erscheint es noch sehr fraglich, ob und wann Italien sich im Innern dergestalt konsolidieren werde, daß es daran denken kann, eine Macht wie Österreich ungestraft anzugreifen. Aus diesem Grund und bei der Schwierigkeit, die Marineextraordinarien in den nächsten Monaten zu decken, würde Baron Mecséry für deren wenigstens teilweisen Aufschub stimmen. Minister Ritter v. Lasser glaubte, daß man bis zu der kaum vor vier Monaten erfolgenden Feststellung des Budgets suchen sollte, die Auslagen für den Bau von etwa zwei Panzerschiffen aus vorhandenen Mitteln zu decken. Der Handelsminister kann den Antrag auf die Verstärkung unserer Kriegsmarine in der kürzesten Zeitfrist nur auf das wärmste unterstützten, da das Interesse unseres Seehandels es dringend erfordert, daß wir Herren des Adriatischen Meeres bleiben und die österreichische Kriegsmarine eine achtunggebietende Stellung behaupte. Präsident Baron Lichtenfels erinnert an die Verhandlungen im „verstärkten Reichsrate“ über die Kriegsmarine, worin auch Anhaltspunkte zur Rechtfertigung eines Vorgangs nach § 13 gefunden werden können4. Indes komme es freilich auf die Möglichkeit der Beischaffung der zum Bau erforderlichen Summen an. Bei der Unmöglichkeit, den Beschluß über eine ebenso dringende als wichtige Angelegenheit bis zur Erledigung || S. 380 PDF || der diesfälligen Budgetrubrik im Reichsrate aufzuschieben, würde der ungarische Hofkanzler glauben, daß einstweilen die Mittel zum Beginn der Schiffbauten durch Reduktionen an der Landarmee beizuschaffen wären. In einem ähnlichen Sinne sprach sich auch Minister Graf Esterházy aus.

Se. k. k. apost. Majestät geruhten schließlich, den Kriegsminister Ah. zu beauftragen, im Vernehmen mit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Marineoberkommandanten und dem Finanzminister auszumitteln, welche Summen für den in Rede stehenden Zweck durch Reduktionen bei der Armee erspart werden könnten5.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 4. Oktober 1861. Empfangen 5. Oktober 1861. Erzherzog Rainer.