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Nr. 107 Ministerrat, Wien, 13. August 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 13. 8.), Mecséry, Schmerling, Degenfeld, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Esterházy; abw. Pratobevera; BdR. Erzherzog Rainer 23. 8.

MRZ. 901 – KZ. 2680 –

Protokoll des zu Wien am 13. August 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze des Ministers des kaiserlichen Hauses und des Äußern Grafen v. Rechberg

I. Auflösung der Honvedvereine in Ungarn

Der Kriegsminister ist von dem Kommandierenden General in Ungern auf die Ausbreitung der Honvedvereine und deren Treiben mit dem Beisatze aufmerksam gemacht worden, daß dessen Einschreiten beim Tavernikus wegen Abstellung derselben unter dem Vorgeben abgelehnt worden sei, daß sie als bloße Unterstützungsvereine unbedenklich seien1. Indessen deuten ihre Bestrebungen, Geldmittel aufzubringen und die gewesenen Honveds förmlich zu konskribieren, auf die Absicht einer regelmäßigen militärischen Organisierung, um sich der im stillen gebildeten Revolutionsarmee vorkommendenfalls bedienen zu können. Da ein solches Vorgehen für die Sicherheit der Monarchie im höchsten Grade gefährlich erscheint, wenn demselben nicht, ehe es zu spät ist, Einhalt getan wird, so erbat sich der Kriegsminister die Weisung, ob nicht diese Vereine allgemein zu verbieten oder, falls von Seite der politischen Behörden nichts verfügt werden könnte oder wollte, dem Kommandierenden General die Vollmacht, gegen diese Vereine vorzugehen, zu übertragen sei. Er verwahrte sich gegen jede Verantwortlichkeit für die Folgen, wenn seinen Anträgen keine Folge gegeben werden sollte.

Der ungrische Hofkanzler bemerkte: Früher bestand kein Vereinsgesetz für Ungern. Es konnten also Vereine ohne Autorisation der Behörden gebildet werden. Nach dem gegenwärtig bestehenden Vereinsgesetze2 hat die Statthalterei die Vorlegung der Statuten dieser Honvedvereine angeordnet, und es liegt dermal wirklich ein Statut für den Preßburger Verein mit den Anträgen der Statthalterei darüber bei der ungrischen Hofkanzlei. Dasselbe erscheint an sich zwar unverfänglich. Allein der Hofkanzler verkennt nicht die diesen Vereinen zum Grunde liegende staatsgefährliche Tendenz und wäre gern bereit, zu deren Auflösung die Hand zu bieten, wenn er sich gegenwärtig einen Erfolg von seinem Einschreiten versprechen könnte. Aber nach dem von ihm eingeholten Gutachten vertrauenswürdiger Männer im Lande würde jetzt während des Landtags ein allgemeines Verbot der Sache der Vereine vielmehr einen erhöhten Aufschwung geben, und es würde, wie er überzeugt ist, kein hierauf gerichteter || S. 282 PDF || Befehl vollzogen werden. Selbst eine Übertragung der Vollmachten an die Militärbehörde [würde], abgesehen davon, daß dies nur bei Erklärung des Belagerungsstandes geschehen könnte, ohne gleichzeitige Mitwirkung der politischen Behörden wirkungslos sein. Der Hofkanzler gedächte daher vorerst, die Auflösung des Landtags, die binnen wenigen Tagen erfolgen dürfte, und die Konstituierung neuer verläßlicher Regierungsorgane abzuwarten, um sodann die Unterdrückung der Vereine mit Erfolg durchführen zu können.

In der Hauptsache teilte die Mehrheit des Ministerrates die Ansicht des Hofkanzlers. Insbesondere bemerkte der Polizeiminister , daß es vor allem nötig sei, die Regierungsgewalt in Ungern wiederherzustellen, ehe an die wirksame Unterdrückung dieser Vereine gedacht werden könnte. Nur dürfe inzwischen nichts verfügt werden, was irgendeine Zustimmung zu dem Bestande oder der Wirksamkeit der Vereine andeutete. Nachdem gegenwärtig die Hauptwirksamkeit der Vereine — Beschaffung von Geld und die Sammlung der Konskriptionslisten — bereits vollbracht ist, so würde selbst die militärische Gewalt gegenwärtig kein faßbares Objekt bei denselben finden als eben jene Listen und die Kassen, zu deren Wegnahme jedoch, wenn nicht der Belagerungsstand verhängt ist, wohl nur die politischen Behörden berufen wären. Und der Staatsminister setzte hinzu: Die Regierung muß entweder den Standpunkt des Diploms vom 20. Oktober in Ungern behaupten oder ihn, wenn sie Macht dazu hat, aufgeben. Letzteres dürfte nicht ratsam sein. Beharrt sie aber auf dem ersteren, so kann sie zwar den Landtag auflösen und dabei der Billigung Europas und vieler Tausender im Lande selbst versichert sein. Sie kann aber nicht die ungrische Verfassung und Verwaltung mit einem Schlage vernichten, sondern sie muß sich darauf beschränken, unter Aufrechthaltung der ersteren die letztere sukzessive zu reorganisieren. Sie wird sich dabei, wenn sie die nötigen Organe im Lande selbst nicht fände, vielleicht nichteingeborener Beamten bedienen, vielleicht, wenn offene Widersetzlichkeit einträte, den Belagerungsstand verhängen und eine Militärherrschaft einsetzen müssen. Allein gegenwärtig schon mit Militärgewalt gegen die Honveds einzuschreiten, würde nur dann gerechtfertigt sein, wenn diese selbst — was allerdings, um der Sache ein Ende zu machen, wünschenswert wäre — sich zu einem bewaffneten Aufstande hinreißen lassen sollten.

Von den minderen Stimmen — Finanz- und Handelsminister , dann Staatsratspräsident — wurde die Ansicht des Kriegsministers über die Notwendigkeit eines alsogleichen Eingreifens geteilt. Die Reorganisierung der Verwaltung in den einzelnen Komitaten — bemerkte der Finanzminister übereinstimmend mit dem Kriegsminister — wird sich wohl sehr in die Länge ziehen. Inzwischen gewinnen die Vereine Zeit, sich militärisch zu organisieren, zum bewaffneten Widerstande vorzubereiten, und die Regierung kommt dann mit ihren Maßregeln zu spät. Schon itzt ist der Zustand ein solcher, den sich keine Regierung gefallen lassen kann. Und der Staatsratspräsident setzte hinzu, daß das Festhalten der Regierung am Diplom vom 20. Oktober kein Hindernis sein könne, gegen Vereine von offenbar staatsgefährlichem Charakter schon gegenwärtig und unter Mitwirkung der Militärmacht einzuschreiten. Der Handelsminister endlich glaubte, daß unmittelbar nach Auflösung des Landtags die || S. 283 PDF || Aufhebung der Honvedvereine auszusprechen und die Durchführung der Maßregel in die Hände der Militärbehörde zu legen wäre.

Schließlich erklärte der ungrische Hofkanzler , daß er bereit sei, nach Auflösung des Landtags sogleich das allgemeine Verbot des Bestandes der Honvedvereine zu erlassen, die vorgelegten Statuten des Preßburger Vereins nicht nur nicht zu genehmigen, sondern die Statthalterei anzuweisen, daß sie diese Vereine nicht mehr dulde, über deren Kassen und Listen verfüge, und daß er hievon auch den Kriegsminister zu dem Ende in die Kenntnis setzen werde, damit gegen etwa vorkommende Renitenz mit militärischer Assistenz eingeschritten werde3.

II. Entwurf des königlichen Reskripts zur Beantwortung der Adresse des ungarischen Landtags

Gegenstand der Beratung war der von dem ungrischen Hofkanzler vorgelesene Entwurf des königlichen Reskripts, womit in Beantwortung der Adresse des ungrischen Landtags dessen Auflösung verfügt würde4.

Nach einigen vom Polizei - und vom Staatsminister beantragten, von dem ungrischen Hofkanzler angenommenen textuellen Modifikationen, welche sich vornehmlich auf die Erwähnung der formellen Gültigkeit der 1848er Gesetze, auf die „Bedenken des Landes“, auf die Stelle „den Wunsch, nach den alten Gesetzen zu regieren, in die Ferne gerückt“ etc. bezogen, erklärte sich die Majorität der Konferenz mit [dem] Entwurfe des ungrischen Hofkanzlers einverstanden.

Als seinen Ansichten nicht entsprechend erklärte ihn der Staatsratspräsident . Er fand darin außer einigen Phrasen nur die Anerkennung der alten ungrischen Verfassung und der 1848er Gesetze, aus welchen wieder nur bedenkliche Folgerungen gezogen werden würden, und vermißte darin gänzlich die Berufung auf das Diplom vom 20. Oktober und auf die Reichsverfassung vom 26. Februar, an denen festzuhalten Se. Majestät wiederholt erklärt haben. Seines Erachtens sollte im Reskript ausdrücklich gesagt werden, daß Se. Majestät den Landtag auflösen und im Interesse des öffentlichen Rechtes die nötigen Verfügungen treffen, nachdem der Landtag die Bedingungen nicht angenommen hat, unter denen Allerhöchstdieselben, ungeachtet der Ereignisse der Jahre 1848 und 1849, aus Allerhöchsteigener Bestimmung die ungrische Verfassung und Verwaltung wiederhergestellt haben, welche Bedingungen durch das kaiserliche Diplom vom 20. Oktober und die Verfassung vom 26. Februar festgesetzt worden sind. Der Finanzminister schloß sich der Ansicht des Staatsratspräsidenten an, und der Handelsminister war der Meinung, daß das Reskript überhaupt ganz kurz und ohne viele Phrasen abgefaßt sein sollte.

Hiergegen bemerkte der ungrische Hofkanzler , daß eine solche Kürze eines so wichtigen Aktenstückes gegen das Herkommen verstoßen würde. Gegen || S. 284 PDF || eine Form aber, wie sie vom Staatsratspräsidenten beantragt wurde, müßte er sich jedenfalls verwahren, weil er nicht glaubt, daß mit Wiederholung von Erinnerungen an Bestimmungen, die bisher im Lande auf so lebhaften Widerstand gestoßen, irgend etwas erreicht werden kann, vielmehr der Meinung ist, daß durch eine möglichst schonende Sprache noch eher Aussicht auf eine Vermittlung geöffnet bleibt, welche gänzlich abzubrechen sicher nicht im Interesse der Regierung wäre. Ein Reskript, welches in der vom Staatsratspräsidenten angedeuteten Form erlassen würde, vermöchte er als ungrischer Hofkanzler nicht gegenzuzeichnen und müßte, falls sie Ah. genehmigt würde, um Enthebung von diesem seinem Posten bitten. Minister Graf Esterházy , ganz des Hofkanzlers Ansicht teilend, setzte hinzu, in solcher Form könnte das Reskript nur dann erlassen werden, wenn die Regierung darüber im reinen ist, daß sie das, was sie Ungern gewähren will, nur mit Gewalt durchführen wolle. Ob die Regierung dies wolle und ob sie die Mittel dazu besitze, darüber könne er nicht urteilen. Er glaube also, daß der bisher beobachtete Gang der Versöhnung und Vermittlung nicht gänzlich aufgegeben, sondern in einer die Einheit der Monarchie wahrenden Weise weiter versucht, daher das Reskript in der vom ungrischen Hofkanzler vorgeschlagenen modifizierten Fassung angenommen werden sollte. Auch Minister v. Lasser fand gegen dieselbe aim allgemeinena kein Bedenken, indem, wenn der Landtag aufgelöst wird und die Regierung trachtetb, die Exekutive wie vor dem 20. Oktober wieder in die Hand czu bekommenc, gegen den milden Ton des Reskripts um so weniger etwas einzuwenden sein dürfte, als dadurch nicht dem Landtage zwar, wohl aber dem Lande die Aussicht auf eine Verständigung offenbleibt.

Nachdem sonach der Entwurf des Hofkanzlers — wie schon oben erwähnt — von der Mehrheit angenommen worden, glaubte der tg. gefertigte Minister des Äußern , anknüpfend an die Worte des Grafen Esterházy, bemerken zu sollen, daß die Regierung, sie möge den einen oder den anderen Weg einschlagen, sich vorerst über dasjenige einigen müsse, was nach Auflösung des Landtags in Ungern zu geschehen habe. Allein der ungrische Hofkanzler erklärte, hierwegen ohne vorläufige Rücksprache mit den Landesautoritäten schon jetzt einen Antrag nicht machen zu können, und der Staatsminister setzte hinzu, daß er erst dann, wenn ein solcher Antrag vorliegen werde, sich über denselben auszusprechen vermöge, indem er es unter den gegenwärtigen wechselvollen Verhältnissen für unmöglich halte, selbst nur auf einige Wochen voraus Politik zu machen.

III. Besetzung der Suttorina mit k. k. Truppen

Nachdem in der Suttorina5 Exzesse wider k. k. Untertanen verübt und der Verkehr gestört worden, hat der Kriegsminister dem tg. gefertigten Minister || S. 285 PDF || des Äußern den Vorschlag gemacht, die Grenze mit k. k. Truppen zu besetzen, um gemeinschaftlich mit den türkischen Truppen gegen die Exzedenten etc. einzuschreiten6. Ein solches gemein­schaftliches Vorgehen österreichischer mit den muhammedanischen Truppen gegen Christen schien jedoch dem Minister des Äußern bedenklich zu sein7, daher er den Vorschlag machte, den Statthalter und Kommandierenden in Dalmatien anzuweisen, daß er Truppen dahin disponiere, um dem Unwesen zu steuern, die Täter zu züchtigen, was um so unbedenklicher geschehen kann, als die Straße, wo derlei Exzesse vorkommen, eine österreichische Militärstraße ist.

Der Ministerrat fand gegen diesen Antrag nichts zu erinnern8.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 23. August 1861. Empfangen 23. August 1861. Erzherzog Rainer.