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Nr. 101 Ministerrat, Wien, 29. Juli 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Rechberg 31. 7.), Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Forgách, Esterházy, Lichtenfels; abw. Erzherzog Rainer, Pratobevera; BdR. Rechberg.

MRZ. 895 – KZ. 2556 –

Protokoll des zu Wien am 29. Juli 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. apost. Majestät

I. Interpellation über die kurhessische Frage

Se. k. k. apost. Majestät geruhten, die vom Abgeordneten Rechbauer im Reichsrate gestellte Interpellation über die Stellung Österreichs in Absicht auf die kurhessische Frage zur Sprache zu bringen1. Diese Beantwortung sei zu benützen, || S. 257 PDF || um völlig klar und entschieden auszusprechen, daß dem Reichsrate verfassungsgemäß kein Recht zusteht, auf die Behandlung der auswärtigen Angelegenheiten Einfluß zu nehmen. Die Notwendigkeit, die auswärtigen Angelegenheiten von der Kompetenz des Reichsrates auszuschließen, sei bereits in der Ministerkonferenz am 11. Februar d. J.2 anerkannt, die Aufnahme einer ausdrücklichen negativen Bestimmung hierüber in das Reichsratsstatut aber nicht erforderlich befunden worden, da dort die Gegenstände, wobei der Reichsrat mitzuwirken hat, vollständig aufgeführt wurden und somit kein begründeter Zweifel obwalten könne. Dieser Antrag erhielt die Ah. Genehmigung, und am 28. Februar geruhten Se. Majestät noch, insbesondere den Mitgliedern Allerhöchstihres Ministerrates das feierliche Versprechen abzunehmen, jede Einmischung des Reichsrates in die Führung der auswärtigen Geschäfte auf das entschiedenste zurückzuweisen. Se. Majestät hegen die Überzeugung, daß es nicht möglich ist, die äußeren Geschäfte des Kaiserstaates entsprechend zu führen, wenn den nach Parteimanövern und Leidenschaften wechselnden Majoritäten des Reichsrates auf dieselben ein Einfluß zuerkannt wird.

Im Laufe der hierauf über die Textierung der Antwort auf die Interpellation gepflogenen längeren Erörterung wurden drei diesfällige Entwürfe vorgelesen, zwei vom Minister des Äußern und einer vom Staatsminister3. Se. Majestät der Kaiser geruhten jedoch, an allen diesen Entwürfen zu beanständen, daß darin bloß die Ingerenz des engeren Reichsrates abgelehnt wird, während es vielmehr, um den sonst sicher wiederkehrenden Interpellationen und Anträgen zu begegnen, unerläßlich ist, sich jetzt schon überhaupt über die Inkompetenz des Reichsrates, ohne Unterschied seiner Zusammensetzung, auszusprechen. Mit derselben Entschiedenheit werden seinerzeit Interpellationen über streng militärische Angelegenheiten zurückzuweisen sein4.

|| S. 258 PDF || Der ungarische Hofkanzler äußerte, daß er auch vom ungarischen Standpunkte eine solche unumwundene Erklärung des Ministeriums im gegenwärtigen Augenblick als sehr erwünscht betrachten müßte, um die Meinung zu entkräften, daß „der deutsche Reichsrat“ die äußere Politik der Monarchie und somit auch Ungarns influenzieren werde. Der Finanzminister machte auf den Unterschied aufmerksam, der zwischen einer Ingerenz in der Exekutive und einer bloßen Interpellation bestehe. Der engere Reichsrat habe nicht einmal einen Einfluß auf die Finanzgesetzgebung, gleichwohl nehme der Finanzminister keinen Anstand, Interpellationen über finanzielle Gegenstände zu beantworten. aEs sei zweifellos, daß der Reichsrat auf die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten keinen Einfluß zu nehmen habe. Ebensowenig habe er aber auch auf die Leitung der inneren Angelegenheiten, auf die Finanzverwaltung usw. einen Einfluß zu nehmen. Fragen, interpellieren könne aber der Reichsrat in allen Angelegenheiten der Regierung, indem gerade die Exekutive, nämlich die Verwaltung, die Führung des Dienstes, das Feld für Interpellationen an die Männer der Regierung, an die Minister, bilde. In Gesetzgebungssachen gibt es keine Interpellation, allerdings aber in der Anwendung der Gesetze, in der Leitung des Dienstes, in der Führung der Politik. Es könne daher in einem konstitutionellen Staate der Reichsvertretung das Recht zur Interpellation in irgendeinem Zweige der Regierung prinzipiell nicht abgesprochen werden, daher die diesfällige prinzipielle Begründung in der projektierten Interpellations­beantwortung dem Finanzminister unrichtig und jedenfalls unzweckmäßig erscheint. Eine andere Frage sei, ob der interpellierte Minister die konkrete Interpellation wirklich zu beantworten habe. Hier können allerdings Gründe der Ablehnung bestehen, aber nicht nur bei dem Minister des Äußern, sondern ebensogut bei allen übrigen. Allein eine prinzipiell auszusprechende Unstatthaftigkeit der Interpellationen in Sachen des auswärtigen Dienstes sei in keiner Weise zulässig und wird den schlimmsten Eindruck machen.a Der Staatsminister bemerkte hierauf, daß in derlei Fällen aber die Beantwortung der Interpellation nicht als Pflicht begehrt werden könne. In diesem Sinne habe Ritter v. Schmerling bei Beantwortung der Interpellation über die Wiederanstellung der Beamten aus der Bukowina eine Verwahrung eingelegt, und die Antwort des Ministers des Äußern auf die Rechbauersche Interpellation dürfte auch mit einer ähnlichen Verwahrung beginnen, z. B.: „Obgleich die Leitung und Behandlung der auswärtigen Angelegenheiten nach den Bestimmungen des Staatsgrundgesetzes der verfassungsmäßigen Mitwirkung des Reichsrates nicht zugewiesen ist, bin ich doch in der Lage, die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses dahin zu leiten, daß nach den bereits publizierten Aktenstücken über die kurhessische Verfassungsfrage etc.“

Nachdem der Handelsminister sich im gleichen Sinne ausgesprochen hatte, geruhten Se. k. k. apost. Majestät, diese Textierung des Eingangs mit dem Beisatze Ah. zu genehmigen, daß der weitere Inhalt beiläufig nach dem ersten vom Grafen Rechberg vorgelesenen Entwurf in bündiger Fassung zu textieren sei. Über Antrag des Finanzministers wurde die bei Beantwortung von || S. 259 PDF || Interpellationen nicht gewöhnliche Berufung auf die Zustimmung der übrigen Minister gestrichen5.

II. Ah. Handschreiben wegen Einberufung des siebenbürgischen Landtags

Se. k. k. apost. Majestät geruhten zu eröffnen, daß Allerhöchstdieselben ein Handschreiben an den Präsidenten Baron Kemény wegen baldigster Abhaltung des siebenbürgischen Landtags soeben zu erlassen geruht haben und daß Allerhöchstdieselben der schleunigen Erstattung der hierauf Bezug habenden Anträge entgegensehen6.

III. Zeitungsartikel über ein angebliches Attentat gegen Kaiser Franz I

Der Minister des Äußern erinnerte an den in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ vom 23. d. M. enthaltenen Artikel, worin aus Anlaß des Attentats gegen den König von Preußen zu Baden-Baden in empörender Weise von einem zu Baden in Niederösterreich gegen Se. Majestät Kaiser Franz angeblich unternommenen Attentate gesprochen wird und der mindestens einer faktischen Berichtigung bedarf7.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 11. August 1861. Praes [entatum]. Rechberg.