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Nr. 95 Ministerrat, Wien, 15. Juli 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. ( Erzherzog Rainer 16. 7.), Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Pratobevera, Lichtenfels; BdR. Rechberg 25. 7.

MRZ. 886 – KZ. 2345 –

Protokoll des zu Wien am 15. Juli 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Protokolle des oberösterreichischen Landtags: 1. beschränkterer Wirkungskreis des Landesausschusses; 2. Einberufung eines außerordentlichen Landtags; 3. kurrente Behandlung gewisser Geschäfte im Ausschuß

Der Staatsminister hat die Verhandlungsprotokolle der ersten Session des oberösterreichischen Landtages nach vorläufiger Beratung im Ministerrate vom 8. Juni 1861 zur Ah. Kenntnisnahme unterbreitet. Hierüber ist unterm 9. d. M. die Ah. Entschließung dahin erfolgt, es sei noch die Frage in Erwägung zu || S. 209 PDF || ziehen, ob die Bestimmungen der §§ 8, 10 und 37 der vom oberösterreichischen Landtage beschlossenen Instruktion für den Landesausschuß mit den §§ 27, 29 und 8 der Landesordnung, dann ob die Bestimmung des § 2 der laut desselben Protokolls beschlossenen Geschäftsordnung mit dem § 42 der Landesordnung im Einklang steht. Der Staatsminister habe seine diesfälligen Anträge im Wege der Ministerkonferenz au. zu erstatten, und er erstatte daher hierüber sein Referat1.

1. Der Landtag hat in seiner Instruktion für den Landesausschuß den Wirkungskreis des letzteren allerdings etwas enger begrenzt, als er in der Landesordnung festgesetzt worden ist, doch dürfte es an sich nicht bedenklich erscheinen, wenn der Mandatar (der Landtag) sich einige Geschäfte zur eigenen Behandlung reserviert. Der Staatsratspräsident äußerte, daß, wenngleich die fraglichen Reservationen nicht wichtig sein mögen, die Sache doch eine prinzipielle Bedeutung habe, indem dadurch das von Sr. Majestät festgesetzte Mandat des Ausschusses modifiziert wird. Änderungen dieser Art könnten nur durch ein Landesgesetz ausgesprochen werden. Der Polizeiminister trat dieser Meinung vollkommen bei und bemerkte, es sei durchaus nicht wünschenswert und in den Ländern mit gemischten Nationalitäten selbst gefährlich, die administrative Kompetenz der Landtage auf Unkosten der Ausschüsse zu erweitern. Der Staatsminister erklärte sich hierauf mit einer Erledigung im Sinne des Freiherrn v. Lichtenfels einverstanden, und auch von den übrigen Stimmen wurde gegen den diesfälligen au. Antrag nichts erinnert.

2. Die dem Landesausschusse in der Instruktion eingeräumte Befugnis, nötigenfalls die Ah. Einberufung eines außerordentlichen Landtages zu beantragen, fände der Staatsminister mit dem § 8 der Landesordnung ganz vereinbarlich; zweckmäßig, weil selbst dringende patriotische Beschlüsse manchmal nur auf einem außerordentlichen Landtage rechtzeitig gefaßt werden könnten (z. B. Errichtung von Freikorps); und auch ungefährlich, weil die wirkliche Einberufung doch ganz dem Ah. Ermessen anheimgestellt bleibt. Sämtliche Stimmführer traten daher der Meinung des Staatsministers bei, daß diese Bestimmung der Amtsinstruktion nicht zu beanständen sei.

3. Daß laut der Geschäftsordnung für den Ausschuß nicht absolut alle Geschäfte kollegial verhandelt werden müssen, scheint dem Staatsminister mit dem § 42 der Landesordnung nicht in direktem Widerspruch zu sein. Neben den wichtigeren Geschäften laufen ja in der Regel auch manche sogenannte kurrentive ein, welche einer Kollegialberatung nicht bedürfen und die dadurch ohne Not aufgehalten werden würden. Der Staatsratspräsident gab dies zu, äußerte jedoch das Bedenken, daß auf diese Weise auch wichtige Gegenstände absichtlich kurrenter erledigt werden könnten. Minister Ritter v. Lasser stimmte dem || S. 210 PDF || Antrag des Staatsministers bei, und auch von anderer Seite wurde keine Erinnerung dagegen erhoben2.

II. Protokolle des galizischen Landtags: 1. Kassierung der Wahl des Polizeidirektors Joachim Chomiński; 2. Landesvoranschlag; 3. Kreditverein; 4. Immunität der Landtagsabgeordneten; 5. Vorlesungssprache an der Krakauer Universität; 6. Katastralarbeiten; 7. Aufhebung einer Verordnung betreffend das Erdöl; 8. Erklärung über die Aufhebung der Urbariallasten

Der Staatsminister referierte über den Inhalt der Protokolle der ersten Session des galizischen Landtages3, aus welchen er folgende Beschlüsse heraushob:

1. Die Kassierung der Wahl des Lemberger Polizeidirektors Reichsrat Chomiński zum Abgeordneten. Da derselbe als Beamter das Domizil in Lemberg hat, ist die Kassierung unrechtmäßig erfolgt, und es gedenkt Ritter v. Schmerling wegen der bereits nah ausgeschriebenen Neuwahl hierüber einen besondern au. Vortrag an Se. Majestät zu erstatten, womit man allseitig einverstanden war4.

2. Die Ausarbeitung eines eigenen Landespräliminares für 1862. Hievon hätte es abzukommen, nachdem es dazu dem Landtage an der physischen Zeit fehlt und von der Regierung bereits ein solches fertiges Präliminare dem Landtage vorgelegt wurde5.

3. Über den galizischen Kreditverein müssen vor allem die Beschlüsse der Generalversammlung des Vereines abgewartet werden6.

4. Der Beschluß wegen der Immunität der Landtagsabgeordneten wird durch das bezügliche Reichsgesetz seine Erledigung erhalten7.

|| S. 211 PDF || 5. Die Anstellung von Professoren zum polnischen Vortrage an der Krakauer Universität. Dieses Petitum wird erfüllt werden8.

6. Einstellung der Katastralarbeiten in Galizien. Dieser Beschluß wird zur Erledigung an den Finanzminister geleitet9.

7. Der Beschluß wegen [Aufhebung der] Überweisung der Naphthagewinnung in die Kompetenz der Montanbehörden wäre an das Handelsministerium zu girieren10.

8. Der über eine Motion des Grafen Potocki gefaßte Beschluß einer feierlichen Erklärung, daß alle Staatsbürger vor dem Gesetze gleich sind und die Urbariallasten für immer aufgehoben bleiben, gehört zwar gar nicht zur Kompetenz des Landtages und entbehrt auch jeder gesetzlichen Veranlassung. Allein da sich daran kein Antrag und somit keine praktische Folge knüpft, so glaubt der Staatsminister, daß es angemessen sein dürfte, diesen Gegenstand ganz mit Stillschweigen zu übergehen. Eine Ah. Weisung darüber würde ihn nur wieder aus der Vergessenheit ziehen, welcher er bereits anheimgefallen ist11. Die Minister || S. 212 PDF || Baron Mecséry und Ritter v. Lasser teilten diese Meinung, letzterer mit dem Bemerken, diesem Beschlusse dürften die damals unter den galizischen Adeligen herrschenden Besorgnisse vor Exzessen der Bauern zum Grunde gelegen sein. Die mehreren Stimmen erkannten dagegen mit dem Finanzminister in diesem Beschlusse eine Anmaßung, welche man nicht gelten lassen könne. Der Adel will sich dadurch abermals das Verdienst der Robotaufhebung — wie 1848 — vindizieren, während diese Wohltat vom Throne ausgegangen ist12.

9. Die vom Landtage beantragte Führung der Adelsmatrikel durch den Landtagsausschuß dürfte nach der Meinung des Staatsministers keinem Anstande unterliegen. Die Regierung hat kein Interesse, dieses früher vom ständischen Ausschuß besorgte Geschäft an sich zu ziehen13. Der Ministerrat war hiemit einverstanden.

III. Auflösung des Istrianer Landtags

Die zahlreichen loyalen Adressen von Istrianer Stadt- und Landgemeinden haben deutlich erkennen lassen, daß die tadelnswerte Haltung des dortigen Landtages nicht der Ausdruck der öffentlichen Stimme war. Die vom Staatsminister noch weiters an verläßlicher Quelle eingezogenen Erkundigungen lassen keinen Zweifel, daß der Landtag bei einer zweckmäßig eingeleiteten Neuwahl viele gute Elemente in sich vereinigen würde. Ritter v. Schmerling gedächte daher, die Auflösung des renitenten Landtages und die Vornahme neuer Wahlen au. zu beantragen, und würde glauben, daß dieses sowie die Einberufung mittels eines kaiserlichen Patentes zu geschehen hätten.

Der Ministerrat war hiemit einverstanden14.

IV. Geleitschein für Waffensendungen

Der Staatsminister brachte zur Kenntnis der Ministerkonferenz, daß die Fortdauer geheimer Waffensendungen nach Ungarn es zur Notwendigkeit gemacht haben, das Waffenpatent15 in seiner ganzen Strenge zu reaktivieren und darauf zu dringen, daß selbst Sendungen von weniger als sechs Stück Waffen mit dem „Geleitscheine“ begleitet sein müssen. Hierüber wird eine gemeinschaftliche || S. 213 PDF || Verordnung des Staatsministers, dann der Minister des Krieges und der Polizei ergehen16.

V. Interpellationen: Regelung des Konkurrenzsystems bei Schulbauten; disponible Beamte in Siebenbürgen

Der Staatsminister referierte über die von ihm beabsichtigte Beantwortung von zwei Interpellationen: a) Des Abgeordneten Groß wegen Regulierung der Konkurrenz zu Schulbauten17. Antwort: Über die Regulierung der Schul- und Kirchenbauten ist ein Gesetzvorschlag bereits vollendet, und derselbe wird den verschiedenen Landtagen zur Verhandlung vorgelegt werden. b) Des Abgeordneten Baron Petrinó, ob die in Siebenbürgen disponibel gewordenen Beamten aus der Bukowina in ihre Heimat zurückversetzt werden. Antwort: Die Regierung betrachte die Verfügung über Staatsbeamte als ausschließend zu ihrem Ressort gehörig, doch wolle sie die Beruhigung geben, daß jeder Disponible in sein Kronland zurückversetzt wird.

Gegen diese Beantwortungen ergab sich keine Erinnerung18.

VI. Interpellation wegen Abhaltung einer großen Industrieausstellung in Wien

Der Handelsminister referierte, er wolle die Interpellationa wegen Abhaltung einer großen Industrieausstellung dahin beantworten: Die Regierung würde der Abhaltung einer österreichisch-deutschen Industrieausstellung zu Wien im Jahre 1864 nicht entgegentreten, wofern eine Privatgesellschaft alle diesfälligen Einleitungen auf ihre Kosten zu übernehmen bereit ist.

Gegen diese Beantwortung wurde von niemand etwas erinnert19.

VII. Interpellationen: Befassung des Reichsrates mit der Konzessionsurkunde für die Südliche Staatseisenbahngesellschaft; Bergwerk in Přibram

Der Finanzminister referierte über die Interpellation des Abgeordneten Schindler und Genossen, ob die neue Konzessionsurkunde für die Südliche Staatseisenbahngesellschaft vor der Ah. Sanktion dem Reichsrate vorgelegt wird und ob die diesfälligen unbewegliches Staatsvermögen berührenden Rechtsbeziehungen ohne Zustimmung des Reichsrates ins Leben treten sollen. Da die Veräußerung der Südlichen Staatseisenbahn schon vor dem 20. Oktober 1860 stattgefunden hat, gehören die diesfällige Konzessionsurkunde und die Durchführung des Vertrages nicht vor das Forum des Reichsrates, und in diesem Sinne wird auch die Beantwortung der Interpellation im Abgeordnetenhause erfolgen20.

Über die Interpellation von Dvořák und Genossen betreffend die Ausbeutung der Silberwerke zu Přibram und die Reservierung der Zbirower Waldungen für dieselben wird der Finanzminister nach dem Einlangen der diesfalls abgeforderten Berichte sich äußern21.

VIII. Modifikation der Weinsteuer

Der Staatsminister brachte die ihm von allen Seiten zukommenden Beschwerden gegen die Weinsteuer22 zur Sprache. Die Landtage von Steiermark, Ober- und Niederösterreich sowie in Tirol haben dagegen remonstriert. Es sei in politischer Hinsicht von hoher Wichtigkeit, diesen Grund einer fortdauernden allgemeinen Unzufriedenheit zu beseitigen.

Es ergab sich hierüber eine längere Erörterung, wobei die Minister Graf Degenfeld, Graf Wickenburg, Graf Rechberg und Baron Pratobevera aus eigenen Wahrnehmungen die durch die Weinsteuer hervorgerufene Mißstimmung bestätigten und der Polizeiminister die Schwierigkeiten erörterte, welche einer gerechten Verteilung der Steuern im Innern der Gemeinden entgegenstehen. Der Finanzminister zeigte die Gerechtigkeit des Prinzips der Besteuerung der ganzen Weinkonsumtion, erinnerte, daß die Durchführung desselben in Ungarn keine Schwierigkeiten geboten hatte, versicherte, daß sich die Finanzbehörden bei Abfindungen möglichst kulant und durchaus nicht vexatorisch benehmen, und führte schließlich an, daß ihm weder aus Tirol noch aus Böhmen und Mähren Beschwerden zugekommen seien. Indessen sei einmal das Vorurteil gegen diese gerechte und keineswegs überspannte Steuer allenthalben vorhanden, und die Politik mache es rätlich, diesem Geschrei gegenüber einige Konzessionen zu machen. Der Minister habe sich daher mit dieser Angelegenheit bereits ernsthaft beschäftigt, und er werde darüber im Ministerrate referieren. Mit Hinblick auf diese in Aussicht stehenden Modifikationen der Weinsteuer seien auch schon die Abfindungsverhandlungen für 1862 eingestellt worden23.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 23. Juli 1861. Erhalten den 25. Juli 1861 [Rechberg].