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Nr. 91 Ministerrat, Wien, 4. Juli 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 5. 7.), Rechberg, Mecséry, Vay, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Szécsen, Plener, Wickenburg, Pratobevera 13. 7., Lichtenfels; BdR. Rechberg 25. 7.

MRZ. 879 – KZ. 2355 –

Protokoll des zu Wien am 4. Juli 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Genehmigung der Beschlüsse der Judexkurialkonferenz

Der ungarische Hofkanzler referierte, daß es dem Grafen Apponyi bereits gelungen sei, gemäß Ah. Auftrages die Zustimmung der beiden Häuser zu den Anträgen der Judexkurialkommission in bezug auf die Wiederherstellung der altungarischen Zivil- und Strafgesetzgebung (mit Ausnahme des Preßgesetzes) zu erwirken. Der Judex Curiae habe das ganze Operat dem Landtage als provisorischen Regierungsbeschluß vorgelegt, und beide Tafeln haben dieser von ihnen kommissionaliter behandelten Vorlage zugestimmt1. Baron Vay las hierauf || S. 186 PDF || seinen au. Vortrag über diesen Gegenstand, worin er sich die Ah. Genehmigung und die Ermächtigung zur Kundmachung unter Festsetzung eines bestimmten Termins und ohne rückwirkende Kraft erbittet2.

Minister Graf Szécsen stimmt den Anträgen des Hofkanzlers in allen Punkten mit dem Bemerken bei, daß die ganze Maßregel nur im Vollzug bereits gegebener Ah. Befehle beantragt wird. Der Staatsminister äußerte, daß er jetzt so wie bei den früheren Beratungen3 dieser Angelegenheit prinzipiell einen ganz anderen Standpunkt einnehme als die ungarische Hofkanzlei, nachdem er in dem beantragten Schritte eine Abweichung vom 20. Oktober erkennen müsse. Die ganze bestehende Gesetzgebung in Zivil- und Strafsachen — mit Ausnahme des Berggesetzes, Wechselgesetzes, Stempelgesetzes, dann der Gesetze über die Grundentlastung und die Avitizität, dann das Grundbuchswesen — soll abrogiert werden! Die Folgen, welche ein solcher legislativer Rückschritt für Ungarn haben müsse, wolle er nicht erörtern, so wie es auch einleuchtend ist, daß die Bewohner der übrigen Kronländer, welche im Laufe des letzten Dezenniums in vielfache Geschäftsbeziehungen zu Ungarn getreten sind, dadurch wesentlich leiden werden, wenn auch erklärt wird, daß die Wiedereinführung der ungarischen Gesetze keine rückwirkende Kraft haben solle. Indessen, nachdem beide Häuser sich bei der allerdings nicht landtäglichen Beratung des Operats damit einverstanden erklärt haben und da die österreichischen Gesetze in Ermanglung von Gerichtshöfen, welche damit vertraut sind und sie in Vollzug bringen wollen, faktisch bereits außer Kraft gesetzt sind, wolle der Staatsminister gegen das beantragte Provisorium, wodurch wenigstens dem bedauerlichen Juristitium ein Ende gesetzt würde, keine Einwendung erheben. Der Minister Ritter v. Lasser würde gegen den Antrag stimmen müssen, wenn die Frage noch offen wäre, aweil damit der Standpunkt des Ah. Diploms vom 20. Oktober in betreff der Justizgesetze aufgegeben wird, weil die bestehenden Justizgesetze abgeändert würden, ohne daß der Weg der Gesetzgebung dazu betreten wird, und weil damit nur dem jetzigen ungarischen Landtage, ohne ihn als Faktor der Gesetzgebung benützt zu haben, doch das Verdienst zuteil würde, die Beseitigung der österreichischen Gesetze bevorwortet zu haben. Allein wenn es richtig ist, daß Se. Majestät bereits die Zusicherung erteilt haben, die Judexkurialkonferenzbeschlüsse, wenn sie vom Landtage angenommen werden, zu genehmigen, dann habe die Frage selbst aufgehört, eine offene zu seina weil damit der Standpunkt des Ah. Diploms vom 20. Oktober in betreff der Justizgesetze aufgegeben wird, weil die bestehenden Justizgesetze abgeändert würden, ohne daß der Weg der Gesetzgebung dazu betreten wird, und weil damit nur dem jetzigen ungarischen Landtage, ohne ihn als Faktor der Gesetzgebung benützt zu haben, doch das Verdienst zuteil würde, die Beseitigung der österreichischen Gesetze bevorwortet zu haben. Allein wenn es richtig ist, daß Se. Majestät bereits die Zusicherung erteilt haben, die Judexkurialkonferenzbeschlüsse, wenn sie vom Landtage angenommen werden, zu || S. 187 PDF || genehmigen, dann habe die Frage selbst aufgehört, eine offene zu sein; und in der weiteren Erwägung, daß eine bwenn auch minder guteb Justiz doch besser ist als gar keine, wolle er gegen den Antrag keine Erinnerung erheben. Er könne aber nicht unterlassen, darauf aufmerksam zu machen, daß das Verfahren in Urbarialangelegenheiten4 vollständig auf die österreichische Zivilprozeßordnungc basiert ist dund daß, nachdem die Grundregulierungsvorschriften bei dem Wiederaufleben der ungarischen Justizformen aufrechterhalten werden sollen, arge Verwirrungen im Urbarialrechtsverfahren zweifellos entstehen werdend . Minister Baron Pratobevera findet es, so wie bei der früheren Beratung, höchst beklagenswert, daß so viele und wichtige Gesetze auf einmal und mit solcher Hast beseitigt werden. Zudem gebe es gar kein kodifiziertes ungarisches Strafrecht, sondern es gelte diesfalls nur der Usus. Andererseits sei es dem Minister auch nicht einleuchtend, wie die Grundbuchsgesetzgebung mit dem ungarischen Privatrecht in Einklang gebracht werden soll. Indessen evermöchte er, wenn die Ah. Willensmeinung als bestehend angenommen werden muß, unde bei den auch von den Vorstimmen hervorgehobenen Opportunitätsrücksichten dem Antrage nicht entgegenzutreten. In demselben Sinn sprach sich auch der Polizeiminister funter ausdrücklicher Verwahrung gegen die Annahme, als sei die Wiederherstellung der ungarischen Gesetze im wirklichen Interesse des Landes und der Gesamtmonarchie gelegenf, mit Hinblick auf frühere Ah. Beschlüsse aus.

Der Staatsratspräsident äußerte, er könne dem Antrage des ungarischen Hofkanzlers nicht beitreten. Vor allem habe er das Bedenken, ob es denn auch angemessen erscheine, daß Se. Majestät diesen Akt eines Landtags genehmigen, der Allerhöchstdieselben noch nicht einmal als König von Ungarn anerkannt hat. Jedenfalls wäre es angezeigt, noch abzuwarten, ob der Landtag nicht vielleicht schon aus Anlaß der Adresse aufgelöst werden muß. In der Wiederherstellung der ungarischen Gesetzgebung mit ihrem nach Person, Ort und Usus verschiedenen Privatrechte könne Freiherr v. Lichtenfels nur die Wiedereinführung der alten Konfusion und die Vernichtung des Privatkredites erblicken. Die Minister des Äußern und des Krieges teilen vollkommen das Bedenken des Staatsratspräsidenten gegen die Genehmigung eines Antrags des ungarischen Landtags, solange er in seiner dermaligen Haltung verharrt. g[Der Minister des Äußern] schließt sich dem Votum des Herrn Präsidenten des Staatsrates aus dem doppelten Grunde an, weil er es für ganz unstatthaft halten muß, einen Antrag des Landtags zu erledigen, ehe die Antwort auf das königliche Reskript erfolgt ist, und weil überhaupt in dem gegenwärtigen Stadium jede künftige Verfügungen der Regierung präjudizierende Maßregel vermieden werden muß.g [Der Minister des Äußern] schließt sich dem Votum des Herrn Präsidenten des Staatsrates aus dem doppelten Grunde an, weil er es für ganz unstatthaft halten muß, einen Antrag des Landtags zu erledigen, ehe die Antwort auf das königliche Reskript erfolgt || S. 188 PDF || ist, und weil überhaupt in dem gegenwärtigen Stadium jede künftige Verfügungen der Regierung präjudizierende Maßregel vermieden werden muß. Der Finanzminister , ebenfalls den Vorstimmen beitretend, sieht voraus, daß der Zustand des Landes durch die Wiedereinführung obsoleter Gesetze noch trauriger werden wird. Er kenne nicht die Details des Judexkurialoperats, her könne daher auch kein Urteil für oder gegen die Annahme mit Beruhigung abgebenh, soviel aber scheint ihm gewiß, daß durch die Ergreifung dieses Auskunftsmittels für den Augenblick der Kredit in Ungarn vernichtet werde. Edler v. Plener macht übrigens darauf aufmerksam, daß man nicht bloß die Aufrechthaltung „des Stempelgesetzes“, sondern „der Stempel- und Gebührengesetze“ aussprechen sollte. Der erstere Ausdruck sei zu eng. Übrigens könne man sich nicht verhehlen, daß faktisch mit dem ABGB. und dem österreichischen Gerichtsverfahren auch indirekt die darauf basierten Stempel- und Gebührengesetze außer Kraft gesetzt werden. Der Handelsminister warnt vor jeder Überstürzung dieser hochwichtigen Angelegenheit und stimmt dem Freiherrn v. Lichtenfels und dem Finanzminister bei. Der Staatsminister iundMinister v. Lasseri und Minister v . Lasser erklärten, daß sie aus den vom Staatsratspräsidenten geltend gemachten Rücksichten ebenfalls für die Ajournierung der Ah. Entscheidung stimmen.

Der ungarische Hofkanzler und Graf Szécsen glaubten, daß es auf den Aufschub von ein paar Tagen gar nicht ankomme. Nachdem jedoch Se. k. k. apost. Majestät Allerhöchstselbst die möglichste Beschleunigung dieser Sache anzuempfehlen geruhten, baten diese Stimmführer, der durchlauchtigste Vorsitzende wolle das obwaltende Verhältnis zur Ah. Kenntnis bringen5.

II. Ernennung des Franz Seraphin Graf Kuefstein zum Vizepräsidenten des Herrenhauses

Der Staatsminister brachte zur Kenntnis der Konferenz, daß er im Vernehmen mit dem Fürsten Carl Auersperg den Grafen Kuefstein zum Vizepräsidenten des Herrenhauses au. beantrage, worüber von keiner Seite etwas bemerkt wurde6.

III. Ernennung des Carl Fürst Lobkowitz zum Statthalter und des Carl Graf Coronini zum Statthaltereivizepräsidenten in Innsbruck, ferner des Franz Freiherr v. Spiegelfeld zum Landeschef in Salzburg

Nachdem Se. k. k. Hoheit Herr Erzherzog Karl Ludwig von der Stelle eines Statthalters in Tirol Ah. enthoben zu werden wünschen, kommt die Wiederbesetzung dieses Postens zu erwägen. Der Staatsminister gedächte eventuell hiefür den gewesenen Statthalter in Niederösterreich Fürsten Lobkowitz in Antrag || S. 189 PDF || zu bringen, an dessen Seite der Hofrat zu Triest Graf Coronini wegen seiner genauen Kenntnis der Verhältnisse in Südtirol zum „Vizepräsidenten“ Ag. zu ernennen sein dürfte7. Hofrat Baron Spiegelfeld zu Innsbruck wäre auf den erledigten Posten eines Landeschefs zu Salzburg zu versetzen und der daselbst als Landeshauptmann fungierende Graf Gourcy als Rat bei einer Statthalterei einzuteilen, wobei ihm der Eiserne Kronorden Ag. zu verleihen sein dürfte, damit seine bloß aus Dienstrücksichten stattfindende Abberufung von Salzburg jeden Anschein einer Ah. Ungnade verliere8.

Der Ministerrat war mit diesen vom Staatsminister eingehend motivierten Anträgen völlig einverstanden9.

IV. Ernennung eines Gesandten der Vereinigten Staaten am kaiserlichen Hof; Entsendung des FML. Móric Graf Pálffy nach Konstantinopel

Der Minister des Äußern brachte zur Kenntnis, daß die Vereinigten Staaten infolge der diesseitigen Rekusierung des Mr. Burlingame den Mr. Davies zum Gesandten am kaiserlichen Hofe ernannt haben10; dann, daß FML. Graf Pálffy zur Beglückwünschung des Sultans Abdul Azis nach Konstantinopel Allerhöchstenortes abgesendet werden wird11.

V. Kommissionelle Beratungen über eine gemeinsame deutsche Ziviljustizpflege

Minister Baron Pratobevera referierte über die Anfrage des Bundespräsidialgesandten Baron Kübeck, was er auf die Anträge des Freiherrn v. d. Pfordten12 wegen kommissioneller Beratung einer gemeinsamen deutschen Gesetzgebung für eine Erklärung abzugeben habe. Eine Kommission zur Beratung des Obligationsrechtes sollte in Dresden und eine zweite Kommission für das Zivilverfahren in Hannover zusammentreten. Baron Kübeck hält es für in politischer Hinsicht wünschenswert, daß Österreich sich bei diesen zwei Kommissionen beteilige. Der Minister bemerkte, daß die Pläne in Absicht auf die Einheit der deutschen Justizpflege selbst so weit gehen, einen gemeinsamen Obersten Gerichts- und Kassationshof zu bestellen. Zudem koinzidiert dieser Vorschlag mit dem bei uns selbst in Angriff genommenen legislativen Arbeiten. Unter diesen Umständen, glaubt Baron Pratobevera, müsse man sich jedenfalls bei Erklärung unserer Bereitwilligkeit zur Teilnahme an den Kommissionen die größte Freiheit vorbehalten, mit unserer eigenen Gesetzgebung im verfassungsmäßigen || S. 190 PDF || Wege vorzugehen. Der Minister des Äußern würde einen sehr großen Wert darauf legen, daß die Kommissionen österreichischerseits, ohne sich jedoch zu binden, beschickt würden, wobei man sagen würde: „Der österreichische Kommissär werde beauftragt, den Standpunkt Österreichs zu wahren.“ Es liegt im österreichischen Interesse, jden preußischen Bestrebungen gegenüberj den Bund zu stärken und zu beweisen, daß etwas durch den Bund geschehen könne. Wenn wir dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen, kommt nichts zustande. Der Staatsratspräsident erkannte, daß Österreich sich durch die Beteiligung an den fraglichen Kommissionen mit den deutschen Regierungen in Kontakt erhalten müsse.

Nachdem sonst von keiner Seite etwas erinnert wurde, forderten Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Rainer die Minister Graf Rechberg und Baron Pratobevera auf, sich wegen des diesfalls an Se. Majestät zu erstattenden au. Vortrages miteinander in das direkte Einvernehmen zu setzen13.

VI. Ernennung des Anastas Weidlich zum Finanzlandesdirektor in Graz

Der Finanzminister referierte, daß er statt des pensionierten Ritters v. Fluck den Finanzlandesdirektor zu Temesvár Weidlich, der binnen kurzem in Disponibilität verfallen wird, bei Sr. Majestät zur Versetzung in gleicher Eigenschaft nach Graz zu beantragen gedenke. kWeidlich hat jedoch in Temesvár, solange es die gegenwärtigen Verhältnisse dort notwendig machen, zu verbleiben.k Der Ministerrat war mit diesem umständlich motivierten Vorschlage einverstanden14.

VII. Aufnahme eines neuen Anlehens

Der Finanzminister referierte, es sei ihm gelungen, von dem für 1861 präliminierten Defizit von 65 Millionen Gulden einen großen Teil aus verschiedenen vorhandenen Quellen zu bedecken, so daß nur mehr etwa 25 Millionen im Wege eines Anlehens beizuschaffen sein werden. Verhandlungen sind darüber mit Bankiers im Zuge, und die Bedingungen, welche der Minister zur Kenntnis der Konferenz brachte, gestalten sich nicht ungünstig. Allein nachdem die wünschenswerte verfassungsmäßige Genehmigung des gesamten Reichsrates vorläufig || S. 191 PDF || nicht zu erhalten sein wird, so fragt es sich, in welcher Art vorzugehen sein wird, um das öffentliche Vertrauen auf dieses Anlehen möglichst zu stärken. Soll man sich bei Auflegung des Anlehens bloß auf § 13 der Reichsverfassung berufen, oder soll der Finanzminister nicht wenigstens den Gegenstand vor dem Abschlusse zur Kenntnis der beiden Häuser des eben tagenden engeren Reichsrates bringen und eine Art Vertrauensvotum von demselben auf diesem Wege erwirken?

Der Staatsminister behielt sich vor, diese Sache in reife Überlegung zu ziehen und seine Meinung in der Konferenz bei einer späteren Sitzung darzulegen15.

VIII. Interpellation über den Ausbau der Kärntner Eisenbahn; Antrag des Abgeordneten Alfred Skene auf Abänderung der Gewerbeordnung

Der Handelsminister brachte zur Kenntnis, es sei heute im Abgeordnetenhause an ihn die Interpellation eingebracht wordenl, ob die Zweigbahn nach Kärnten schon im Jahre 1863, wie zugesichert wurde, oder erst 1865 werde vollendet werden. Hierauf ist der Minister in der angenehmen Lage, zu antworten, daß auf die Vollendung der Eisenbahn im Jahre 1863 mit Gewißheit gerechnet werden kann16.

Über den eingebrachten Antrag des Abgeordneten Skene wegen der Genossenschaften gedächte Minister Graf Wickenburg zu antworten, daß das Ministerium die Frage über den freien oder zwangsweisen Eintritt in die Genossenschaften als eine offene betrachte und selbe mithin der freien Erörterung des Reichsrates anheimgebe. Gegen diese Beantwortung der Interpellation und die Äußerung über den Antrag Skenes wurde von keiner Seite eine Erinnerung erhoben17.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Laxenburg, den 25. Juli 1861. Praes[entatum] 25. Juli 1861. Rechberg.