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Nr. 73 Ministerrat, Wien, 27. Mai 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 28. 5.), Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Szécsen, Plener, Wickenburg, Pratobevera, Lichtenfels, Szőgyény; abw. Vay; BdR. Erzherzog Rainer 8. 6.

MRZ. 856 – KZ. 1806 –

Protokoll des zu Wien am 27. Mai 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Einstellung der Vorschüsse an die Komitate in Ungarn

Der Finanzminister referierte über eine zwischen der ungarischen Hofkanzlei und ihm bestehende Meinungsverschiedenheit in bezug auf einen Vorschuß von 22.000 fl. zur Deckung der Komitatsauslagen für den Monat Juni in Aba-Ujvár. Die Hofkanzlei bevorwortet diese Vorschußleistung nach dem Beispiele früherer Vorgänge und da der Obergespan Graf Péchy eine sehr loyale Haltung beobachtet und auch bisher keine Umlage pro cassa domestica comitatus angeordnet hat1. Der Finanzminister verkennt nicht die persönliche Rücksichtswürdigkeit des Grafen Péchy, welcher übrigens die Sistierung der Steuerzahlung in Aba-Ujvár doch nicht verhindert hat, hält es aber für eine Gewissenssache, aus den Zuflüssen der übrigen Länder noch weiter Dotationen für die renitenten Komitate flüssigzumachen. Man nimmt sie freilich nur als Vorschüsse für Rechnung des ungarischen Landesfonds in Anspruch: aber wo ist eine Aussicht auf Ersatz || S. 81 PDF || aus diesem Landesfonds, dessen Kassen geleert sind und der bei der fast ganz sistierten Zahlung der Steuern und ihrer Zuschläge vorderhand gar keine Aussicht hat, nur die kurrenten Auslagen zu bestreiten, geschweige erst die erhaltenen und noch zu behebenden Vorschüsse zu ersetzen. Mußten doch im laufenden Monate an die Nationalbank für von derselben bezahlte Kupons ungarischer Grundentlastungsobligationen aus den Zentralfinanzen eine Million Gulden vergütet werden! Es handelt sich jedoch nicht bloß um diesen Vorschuß von 22.000 fl., sondern prinzipiell um die Frage, ob nicht überhaupt alle Vorschußleistungen an die Komitate, wo keine Steuern mehr eingehen, einzustellen wären, da die finanzielle Lage des Staates es nicht gestattet, dieses nicht bloß der gesetzlichen Ordnung, sondern selbst der einfachsten Billigkeit widersprechende Verhältnis länger fortzusetzen. aWenn die Komitate ihre Auslagen durch eigene Umlagen decken, sei dies das geringere Übel.a

Der Hofkanzler v. Szőgyény teilte den Inhalt eines ihm soeben vom Obergespan Grafen Péchy zugekommenen Telegramms mit, wonach in einer heute abgehaltenen Konferenz die Ausschreibung einer Komitatssteuer für unvermeidlich erklärt wurde. Es handle sich nicht um eine Begünstigung für den genannten Obergespan, dessen Rücktritt jedenfalls sehr bedauerlich wäre, sondern darum, ob man die in der Komitatsinstruktion zugesicherten Vorschußleistungen an die Komitatskassen2 überhaupt einstellen oder fortsetzen will. Bisher habe man aber denjenigen Komitaten, welche sich wie Aba-Ujvár infolge des erlassenen Verbots der eigenmächtigen Steuerausschreibungen enthielten, Vorschüsse ohne Anstand bewilligt. Dies soll jetzt aufhören. Allerdings seien die Zusicherungen der Vorschüsse nur in der Voraussetzung erfolgt, daß die Steuern eingehoben werden würden, und so hänge alles mit der leidigen Steuerfrage zusammen, bwelche weiter mit den großen politischen Fragen in Zusammenhang steht. Gibt es für diese eine friedliche Lösung, so werde dadurch auch die Steuerfrage ihre Regelung erhalten, wo nicht, so werde derselbe Weg, welcher bezüglich der allgemeinen Lage des Landes zu gehen sein wird, auch zur Hereinbringung der Steuern führenb . Zur einstweiligen Lösung der Steuerfrage machen sich gegenwärtig zwei verschiedene Tendenzen geltend: von der einen Seite will man einen Landtagsbeschluß wegen Sistierung der Steuerzahlungen durchsetzen, während andere versuchen wollen, den Landtag zu bestimmen, daß er den Jurisdiktionen rate, die Steuern zu entrichten. Minister Graf Szécsen verkennt nicht das Gewicht der Gründe, welche den Finanzminister zu seinem Antrage bestimmen. Allein er glaube doch nicht, daß es angezeigt wäre, jetzt schon nach diesem Antrag vorzugehen. Die Steuerfrage muß im Landtage binnen wenigen Tagen auf die eine oder andere Art entschieden werden. Bis dahin könnte man mit den Vorschußleistungen fortfahren, denn je mehr die Komitate in ihrem Unrecht sind, desto besser ist’s für die Stellung der Regierung. Man könnte zwar || S. 82 PDF || den Beschluß über die Einstellung der Vorschüsse mit königlichem Reskript unter Angabe der Motive sofort vor den Landtag bringen, aber Graf Szécsen fände diesen Schritt nicht zeitgemäß und würde die königliche Erklärung über diesen Punkt lieber mit der Erledigung der bevorstehenden Adresse in Verbindung bringen.

Der Staatsminister kann die Lösung der ungarischen Verwicklung noch nicht als nahe betrachten und daher auch nicht raten, mit den Vorschußleistungen fortzufahren. Soll man einem Lande, welches seinem Monarchen gegenüber eine solche Stellung eingenommen hat und sich schon in einem insurrektionellen Zustand befindet, noch pekuniäre Unterstützungen leisten? Soll man die Komitatsbehörden besolden, welche die Steuereinhebung nicht nur nicht besorgen, sondern vielmehr durch allerlei Mittel offen hintertreiben, ja selbst schon da und dort die Finanzbeamten in Ausübung ihres Dienstes hindern und verhaften3? Soll die Regierung noch länger den gegen sie organisierten Widerstand selbst bezahlen? Die Verantwortung für ein solches Vorgehen könnte der Staatsminister nicht übernehmen. Der Kriegsminister , im wesentlichen mit dem Staatsminister einverstanden, fand nur, daß der spezielle Fall mit dem Aba-Ujvárer Komitate nicht der geeignete Anlaß wäre zur allgemeinen Einstellung der Vorschüsse. Minister Graf Rechberg fand die Einstellung der Vorschüsse völlig dadurch gerechtfertigt, daß die Obergespäne ihre bei Übernahme der Würde beschwornen Pflichten in Absicht auf die Steuereinhebung unerfüllt gelassen haben. cWenn von einem Beschlusse des Landtages gesprochen werde, so müsse er bemerken, daß die Komitatsbeamten die Organe der königlichen Regierung seien, für welche ein Beschluß des Landtages erst dann Giltigkeit und bindende Kraft erhalte, wenn der gedachte Beschluß die königliche Sanktion erhalten habe. Ohne diese Sanktion seien diese Beschlüsse für die Beamten nicht bindend. Er trage daher darauf an, daß diese Beamten angehalten werden, ihre Pflicht zu erfüllen, die königlichen Steuern einzuheben, und daß, wenn dies geschehen, der Vorschuß bewilligt werde.c Der Finanzminister gab infolge einer vom Handelsminister gestellten Frage Aufklärung über die Gründe, warum das vom Minister Freiherrn v. Mecséry vorgeschlagene Auskunftsmittel, die Komitate mittels Anweisungen auf die Steuerquoten zu dotieren, noch nicht in Anwendung gebracht worden sei. Es war nämlich mittlerweilen die Steuereinhebung mittels ambulanter Finanzorgane unter Anwendung von Militärexekution versucht worden4 — ein Mittel, welches leider infolge der dagegen bisher angewendeten und sich stets mehr entwickelnden Renitenz bald ganz erfolglos werden dürfte. Jedenfalls wird aber die Dotation mittels Zahlungsanweisungen mancherlei erhebliche praktische Schwierigkeiten bieten.

Was aber den Gegenstand der Frage betrifft, formulierte der Finanzminister schließlich seinen Antrag dahin, daß die Einstellung der Vorschüsse für Landesauslagen || S. 83 PDF || in Ungarn vorderhand bloß auf die Dotationen der Komitate, und zwar derjenigen, beschränkt bleibe, welche die Steuereinhebung nicht betreiben. Diejenigen Komitate, in welchen, wie z. B. im Wieselburger, das Steuereinhebungsgeschäft seinen gewöhnlichen, wenn auch nur mittelmäßigen Fortgang haben würde, sollen auch weiters mit Vorschüssen beteilt werden. Minister Graf Szécsen fand, daß der dergestalt formulierte Antrag der Billigkeit mehr entspräche, und die übrigen Minister dwie auch der Staatsratspräsidentd erklärten sich mit demselben völlig einverstanden. Diese Angelegenheit wird Sr. Majestät dem Kaiser zur definitiven Ah. Entscheidung vorgelegt werden. Dem Obergespan Grafen Péchy wird aber der Hofkanzler vorläufig telegraphieren, es sei keine Aussicht auf Erfolgung eines Vorschusses, wenn keine Steuern gezahlt werden5.

Nachdem der Kriegsminister die Eventualität einer Interpellation über das Verhalten der Wachen Beleidigungen gegenüber zur Sprache gebracht hatte, wurde beschlossen, dies in der nächsten Sitzung zu beraten6.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Laxenburg, den 7. Juni 1861. Empfangen 8. Juni 1861. Erzherzog Rainer.