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Nr. 42 Ministerrat, Wien, 2. April 1861 — Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet (RS. Klaps); VS. Kaiser; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 3. 4.), Rechberg, Mecséry, Vay, Schmerling, Szécsen 4. 4., Szőgyény; BdR. Erzherzog Rainer 11. 4.

MRZ. 816 – KZ. 1139 –

Protokoll II des zu Wien am 2. April 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Wiedereinführung der alten ungarischen Justizgesetze

Se. Majestät der Kaiser geruhten den Ah. Wunsch auszusprechen, bei der heutigen Konferenz eine Einigung der divergierenden Ansichten über die Anträge des Judex Curiae erzielt zu sehen, und es wurden sofort die von Sr. kaiserlichen Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzoge Rainer verfaßten Entwürfe diesfälliger Ah. Erlässe vorgelesen1.

Der zweite ungarische Hofkanzler v. Szőgyény äußerte, er kenne nicht die Motive, welche bei dem Entwurfe dieser Erlässe zum Grunde liegen, allein er halte sich verpflichtet, Sr. Majestät gewichtige Bedenken gegen einige darin enthaltene Bestimmungen au. gegenwärtig zu halten. Die vom Grafen Apponyi beantragte Wiedereinführung der ungarischen Justizgesetze ist eine Maßregel, die dermal bloß vom Standpunkte der Opportunität beurteilt werden kann. Sie involviert keine höhere politische Frage, denn sie tut dem Diplom vom 20. Oktober keinen Abbruch und ist keine eigentliche Oktroyierung, nachdem nur die alten Gesetze wiederaufleben. Andererseits streiten aber für die Wiedereinführung wichtige Opportunitätsrücksichten. Nur auf diesem Wege kann in Ungarn der gegenwärtigen Rechts- und Straflosigkeit, der Unsicherheit bei allen Geschäften, namentlich auch bei Verfassung von Testamenten, ja selbst bei Ausstellung von Vollmachten, ein Ende gemacht werden. Durch die Aufrechthaltung der bisherigen Gesetze bis zum Zustandekommen eines von Sr. Majestät sanktionierten Landtagsgesetzes wird die bestehende Konfusion sich möglicherweise noch bedeutend verlängern. Was nützen Gerichtshöfe, wenn man ihnen die Gesetze nicht gibt, nach denen sie allein sprechen können? Es ist auch mit Gewißheit vorauszusehen, daß die Komitatsgerichte in Zivil- und Strafsachen sich nur nach den alten Gesetzen werden benehmen wollen, und selbst die Septemviraltafel dürfte am Ende, bei dem redlichsten Willen zu gehorchen, dem Andrange nicht zu widerstehen vermögen. Der im Entwurfe enthaltene Ah. Befehl würde daher im öffentlichen Interesse nichts nützen und, weil nicht befolgt, dem Ansehen der Krone selbst nachteilig sein. Mit der neuerdings eingeschärften Aufrechthaltung der bestehenden Gesetze steht aber die einseitige Restitution der alten Strafgesetze in Absicht auf Hochverrat im schneidenden Gegensatze, und, da jedermann den Zweck dieser ausnahmsweisen Restitution erkennen würde, kann sie nur den unangenehmsten Eindruck hervorbringen, so wie die königliche Tafel dadurch in die peinliche Lage versetzt würde, das ungarische Recht bloß in odiosis handhaben || S. 247 PDF || zu dürfen. Hofkanzler v. Szőgyény müsse sich daher wiederholt für die Ah. Genehmigung der Anträge des Judex Curiae erklären.

Nachdem der erste ungarische Hofkanzler und Minister Graf Szécsen erklärt hatten, die Bedenken des zweiten Kanzlers vollkommen zu teilen und auch ihrerseits die Anträge des Grafen Apponyi neuerdings unterstützen zu müssen, geruhten Se. k. k. apost. Majestät die Ah. Absicht auszusprechen, aus den Ah. Erlässen die neuerliche Hinweisung auf die bestehenden Gesetze und die teilweise Restitution der alten Strafgesetze wegzulassen. Allein es bleibe doch noch immer eine wesentliche Differenz zwischen dem Ah. Beschlusse und dem Antrage des Grafen Apponyi übrig, daß ihm nämlich die schon jetzt ausgesprochene Ah. Ermächtigung zur eventuellen Oktroyierung der alten Gesetzgebung nach Maßgabe der Wendung, welche die landtäglichen Verhandlungen nehmen, Allerhöchstenorts nicht zuerkannt werde. Se. Majestät können die Notwendigkeit, jetzt schon diese Ermächtigung zu erteilen, um so weniger einsehen, als Aussichten vorhanden sind, daß der Landtag die Proposition der Herstellung der alten Gesetze in Bausch und Bogen ohne Diskussion annehmen werde und Paul Nyary einen Antrag in diesem Sinne einbringen will.

Der Staatsminister findet keinen Grund, heute schon eine so weitgehende Ermächtigung zu erteilen. Die Sache wäre vielmehr erst eintretenden Falles in Erwägung zu ziehen, und es könnte ja bei besonderer Dringlichkeit die Ah. Ermächtigung selbst auf telegraphischem Wege eingeholt werden. Übrigens müsse er bekennen, daß, selbst wenn der Landtag eine schiefe Richtung verfolgt, die Regierung Gründe haben dürfte, mit der fraglichen Oktroyierung zurückzuhalten. Denn einmal ist ja der Landtag selbst im Unrecht, wenn er durch Winkelzüge die Herstellung eines geordneten Rechtszustandes verzögert, und ladet dadurch den öffentlichen Tadel auf sich; dann ist es auch zu bezweifeln, ob ein Landtag von schlechter Tendenz sich diese Oktroyierungsmaßregel wird gefallen lassen wollen. Wird dann mehr Willfährigkeit zum Gehorsam gegen königliche Anordnungen vorhanden sein als bisher? Der Polizeiminister teilte diese Ansichten. Minister Graf Szécsen äußerte, er sei überzeugt, daß Graf Apponyi von der erhaltenen Ah. Ermächtigung nur im letzten Augenblicke und im Interesse der Krone Gebrauch machen würde. Dies wäre z. B. der Fall, wenn ein Deputierter sich auf gefährliche Weise in hochverräterischer Art geriert. Sobald die alten Gesetze wiederhergestellt werden, kann er vor Gericht gezogen werden. Der Polizeiminister glaubt, hierbei in Zweifel ziehen zu sollen, ob die alten Gesetze in solchen Fällen auch strenge werden gehandhabt werden. Der Minister des Äußern erklärte, nicht zu begreifen, warum Graf Apponyi auf die vorläufige Erteilung der in Rede stehenden Ermächtigung einen so großen Wert legt, da er sie ja im eintretenden Falle wird erwirken können. Graf Szécsen versichert, daß er sich bereits sehr bemüht habe, den Grafen Apponyi dahin zu bringen, daß er auf diese Ermächtigung verzichte. Es sei ihm aber nicht gelungen, da der Judex Curiae darin einen Beweis des Ah. Vertrauens erblickt, ohne den er seinen Posten nicht ausfüllen könne. Baron Vay bemerkte, Graf Apponyi sei in der Überzeugung von Wien fortgegangen, daß er diese Ah. Ermächtigung erhält, und habe sich selbst darüber in Pest bereits offiziell ausgesprochen. Geht seine Erwartung || S. 248 PDF || nicht in Erfüllung, so ist sehr zu besorgen, daß er aus dem Amte tritt, was in diesem Augenblicke, wo er den Mittelpunkt der loyalen politischen Tätigkeit in Pest bildet und da es nicht nur an einem entsprechenden Ersatz fehlt, sondern auf seine Resignation noch andere folgen dürften, sehr zu bedauern wäre.

Se. Majestät der Kaiser geruhten, den Minister Graf Szécsen aufzufordern, daß er den Grafen Apponyi durch Darlegung der vorhandenen Gründe bestimme, von dem Anspruche auf die in Rede stehende Ermächtigung abzustehen. Graf Szécsen wird diesen Versuch machen, erklärt jedoch, im Falle des Mißlingens die Verantwortlichkeit für die Folgen nicht übernehmen zu können2.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 10. April 1861. Empfangen 11. April 1861. Erzherzog Rainer.