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Nr. 23 Ministerrat, Wien, 5. März 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 5. 3.), Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg 9. 3., erhalten Pratobevera 9. 3.; abw. Vay, Szécsen; BdR. Erzherzog Rainer 11. 3.

MRZ. – KZ. 739 –

Protokoll der zu Wien am 5. März 1861 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Totenfeier in Lemberg für die bei den Warschauer Unruhen gefallenen Polen

Der Staatsminister brachte zur Kenntnis der Konferenz, daß er über Anfrage des galizischen Statthaltereipräsidiums in betreff der beabsichtigten Abhaltung einer Totenfeier in Lemberg für die bei dem Warschauer Krawall gefallenen Polen1 dringlichkeitshalber im telegraphischen Wege geantwortet habe, daß diese und jede andere ähnliche Demonstration zu verbieten sei.

II. Besetzung der Statthalterstelle in Galizien durch FML. Graf Mensdorff

Der Staatsminister referierte über die Besetzung der Statthalterstelle in Galizien. Von den Landeseingeborenen ist keiner geeignet. Im Lande selbst erwartet man, einen höhergestellten Militär auf diesen Posten zu bekommen. Der Staatsminister gedächte daher, den in jeder Beziehung vollkommen qualifizierten FML. Grafen Mensdorff dazu vorzuschlagen, und stellte an den Kriegsminister die Anfrage, ob neben Graf Mensdorff ein anderer General als Landeskommandierender zu bestellen oder ob ihm selbst auch diese Funktion zu übertragen sei. Der Kriegsminister sprach sich zur Vermeidung von Inkonvenienzen für das letztere aus, und es vereinigte sich die Konferenz in dem Antrage, den Grafen Mensdorff zum Statthalter und kommandierenden General in Galizien vorzuschlagen. Der bezügliche au. Vortrag an Se. Majestät würde von beiden Ministern einvernehmlich erstattet werden2.

III. Besetzung der Kreishauptmannstelle in der Bukowina durch Hofrat Martina

Die Parteistellung, welche der ehemalige Kreishauptmann in der Bukowina eingenommen hat, macht dessen Belassung daselbst untunlich, also eine Veränderung nötig. Im Lande wünscht man den vormaligen Landespräsidenten Graf Rothkirch zurück. Allein nachdem der Grundsatz angenommen worden, in den Ländern, deren frühere selbständige politische Administration aufgelassen wurde, || S. 131 PDF || nur einen Landeschefa mit Hofratscharakter zu bestellen, so kann um der Folgerung für die anderen in obigem Verhältnisse befindlichen Länder willen für die Bukowina kein Mann gewählt werden, der wie Graf Rothkirch als Geheimer Rat und vormaliger Landespräsident einen höheren als den systemisierten Rang und Charakter besitzt. Unter diesen Umständen würde der Staatsminister den disponiblen Hofrat Martina aus Temesvár, der sich dort als tüchtig, energisch und taktvoll bewährt hat, auch Walachisch kann, für den in Rede stehenden Posten in Vorschlag bringen, wogegen nichts erinnert wurde3.

IV. Errichtung eines provisorischen Gebäudes für den Reichsrat

Alle Bemühungen, für das Haus der Abgeordneten ein passendes Lokale in den zur Zeit bestehenden Gebäuden der Inneren Stadt zu finden, sind erfolglos geblieben. Es erübrigt sonach nichts, als ein provisorisches Gebäude bvor dem Schottentorb für diesen Zweck zu errichten. Der Staatsminister legte die bezüglichen Pläne vor und beantragte die Genehmigung des Baues in thesi, sich vorbehaltend, der Kosten wegen, welche, wie Minister v.f Lasser bemerkte, samt Einrichtung auf ca. 120.000 fl. kämen, mit dem Finanzminister sich ins Einvernehmen zu setzen.

Dieser erklärte zwar, dem Antrage nicht entgegentreten zu können, wenn schlechterdings kein anderes Auskunftsmittel gefunden werden sollte. Er machte aber auf die höchst bedrängte Lage der Finanzen aufmerksam, die bei dem Umstande, daß sie mit so vielen neuen, nicht präliminierten Auslagen belastet werden und aus Ungern nicht nur nichts erhalten, sondern sogar noch Geld dahin schicken müssen (erst vor wenigen Tagen eine halbe Million), mit einem neuen, unter den gegenwärtigen Verhältnissen sehr empfindlichen Opfer verschont werden möchten. Der Staatsminister erwiderte, daß dieses Opfer unvermeidlich sei, jedoch sich durch die Betrachtung verringere, daß das neue Haus, mindestens für drei Jahre berechnet, im ganzen nicht mehr kosten würde als die Miete, Adaptierung und Einrichtung einer anderen Lokalität für diesen Zeitraum, wenn sie wirklich aufzutreiben gewesen wäre.

Die Konferenz fand sonach gegen den Antrag des Staatsministers nichts einzuwenden4.

V. Silberagiovergütung für die österreichischen Diplomaten im Ausland

Als im September v. J. das Silberagio auf 23% gestiegen war, wurde den im Auslande verwendeten k. k. Diplomaten, deren Bezüge in Banknoten im Nennwerte angewiesen werden, zu einiger Ausgleichung ihrer Einbuße infolge Konferenzbeschlusses || S. 132 PDF || vom 15. Oktober 1859 5 von Sr. Majestät eine Aufzahlung von 15% für die beiden letzten Quartale 1860 bewilligt6. Gegenwärtig ist das letzte Quartal abgelaufen, aber die Gründe, welche jene Aufzahlung veranlaßten, bestehen nun bei dem Stande des Silberagios von 47—50% in noch höherem Maße. Es liegen nun von verschiedenen Gesandtschaften Berichte vor, welche die mißliche Lage darstellen, in welche sie und ihr Personale durch dieses Verhältnis geraten sind, und worin sie für die Dauer desselben um Abhilfe bitten. Der Minister des Äußern beschränkte sich darauf, den Bericht des k. k. Gesandten in Dresden zu lesen, welcher die Einbuße an seinen Bezügen mit monatlich 131 Talern berechnet7, und führte das Beispiel des Gesandten in Karlsruhe an, welcher an seiner Besoldung von 12.000 fl. in Banknoten durch das Agio 5760 verliert, so daß ihm von 6240 fl. nach weiterem Abzuge von 2160 fl., die er seinem Sekretär als Entschädigung für die gebührende freie Station bezahlen muß, 4180 fl. erübrigen. Ist es möglich, mit einem solchen Einkommen als k. k. Gesandter zu bestehen? Die Bezüge der Diplomaten sind gegenwärtig noch so wie zur Zeit der Kaiserin Maria Theresia bemessen. Sie erscheinen also unter den seither geänderten Preisverhältnissen überhaupt an [und] für sich als kaum mehr hinreichend zur Bestreitung der mit der Repräsentation verbundenen notwendigen Auslagen. Sie werden aber vollends unzulänglich bei der Entwertung des Papiergeldes. Sie wurden im Jahre 1812 unter ähnlichen Finanzkalamitäten in Silber entrichtet, und auch gegenwärtig wird das im Auslande stehende k. k. Militär so wie die Finanzbeamten und Diener, die jenseits der sächsischen Grenze stationiert sind, in Silber bezahlt. Gleiches Recht für alle! Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, und die Erhaltung des Dekorums dem Auslande gegenüber fordert, daß man den Diplomaten die Mittel gewähre, ihre Stellung mit Anstand zu behaupten. Sonst nötigt man sie, zu resignieren oder Schulden zu machen, für die dann doch zuletzt das Ärar einstehen muß. Der Minister des Äußern sah sich daher zu dem Antrage verpflichtet, den im Auslande angestellten Diplomaten für die Dauer der Agioverhältnisse quartaliter eine Aufzahlung zu bewilligen, welche nach dem Durchschnittskurse des Silbers in dem betreffenden Quartal festzusetzen und nach Abzug von 10% in Banknoten zu erfolgen wäre, dergestalt, daß, wenn z. B. der Durchschnittskurs des Silbers im Quartal mit 50% entfiele, das Aufgeld mit 40% in Banknoten zu entrichten sein würde.

Der Finanzminister verkannte nicht das Gewicht der angeführten Motive, sie treten aber seines Erachtens auch bei den Beamten im Innern ein, denn auch diese erhalten, was der Kriegsminister ebenfalls mit Hinweisung auf den Unterschied der Preise aller Lebensbedürfnisse bestätigt, jetzt nicht mehr das, was sie früher hatten. Die Berufung auf das im Ausland stationierte Militär oder die wenigen Beamten an der sächsischen Grenze kann hier wohl nicht Platz greifen, weil die Löhnung der einzelnen so gering ist, daß keiner damit leben könnte, wenn sie nicht in Silber bezahlt würde. Nicht so verhält es sich mit den Bezügen der Diplomaten. || S. 133 PDF || Ein Aufgeld, das der Hälfte derselben gleich- oder nahekäme, wäre ein für die Finanzen unerschwingliches Opfer. Alles, was der Finanzminister zugestehen könnte, wäre die Erhöhung des früheren Aufgelds von 15 auf 20%. Der Polizeiminister bemerkte: Rechtlichen Anspruch hätten die Diplomaten auf das volle Gehalt in Silber. Wenn jedoch der Finanzminister erklärt, nicht mehr als ein Aufgeld von 20% in Banknoten geben zu können, so entfalle jede weitere Diskussion hierüber.

Unter diesen Verhältnissen vereinigten sich alle übrigen Stimmführer mit der Meinung des Finanzministers für das Aufgeld von 20% — bis auf Minister v. Lasser , welcher sich der Ansicht des Ministers des Äußern für eine gleitende Skala, als den wirklichen Wertverhältnissen ange­messener, mit der einzigen Modifikation anschloß, daß nicht ein fixer Abzug von 10% des Aufgeldes angenommen, sondern überhaupt ein Drittel von dem ermittelten Quartaldurchschnittsbetrage abgerechnet [wird], also 66% des dreimonatlichen Durchschnittsagiobetrags erfolgt werden8.

VI. Vertragsmäßige Ablösung des Stader Zolles

Gegen den Antrag des Ministers des Äußern , die zur Ablösung des Stader Zolles vertragsmäßig auf Österreich fallende Tangente von 1273 Talern aus dem Staatsschatze zu erfolgen, ergab sich von keiner Seite eine Einwendung9.

VII. Bildung eines unter die Verwaltung des Kriegsministeriums zu stellenden Fonds aus den Militärbefreiungstaxen

Der Kriegsminister referierte seinen Antrag wegen Bildung eines selbständigen, unter die Verwaltung des Kriegsministeriums zu stellenden Fonds aus den Militärbefreiungstaxen. Bisher wurden diese Taxen an das Finanzministerium abgeführt und von diesem die Zulagen für die reengagierten Militärs und deren Abfertigung mit den festgesetzten Beträgen nach vollendeter Dienstzeit erfolgt. Künftig sollen die Taxen unter die Verwaltung des Kriegsministeriums gestellt, die davon entfallenden Reengagierungsauslagen von diesem bestritten, die inzwischen disponibel bleibenden Gelder aber unter den gegenwärtigen, für den Ankauf von zinstragenden Papieren günstigen Verhältnissen statt wie bisher zu laufenden Staatsbedürfnissen verwendet zu werden, durch Ankauf von Staatsobligationen || S. 134 PDF || oder Bankpapieren fruktifiziert werden, so daß daraus ein eigener Fonds entstände, dessen Ertrag zur Vermehrung der Reengagierungen und zur besseren Dotierung der Reengagierten zu verwenden wäre.

Im Grundsatze war der Finanzminister nicht dagegen. Nur bezüglich eines Punktes ergab sich ihm ein Bedenken. Der Kriegsminister beantragte nämlich, daß von dem Zeitpunkte, an welchem diese neue Einrichtung mit Ah. Genehmigung ins Leben träte, nicht nur die neu einzuzahlenden Befreiungstaxen mit Vorteil und Lasten auf den neuen Fonds übergehen, sondern daß demselben auch jene Taxen, welche in dem letzten, jenem Zeitpunkte unmittelbar vorangegangenen Monate an das Finanzministerium abgeführt worden sind oder abgeführt werden sollten, überlassen werden mögen, um damit die eben günstige Konjunktur zur Fruktifizierung dieser Gelder benützen und somit einen Grundstock des neuen Fonds bilden zu können. Der Finanzminister besorgte nun von dieser Forderung die Konsequenz, daß er hiernach auch zur Hinausgabe jener Einstandsgelder verpflichtet werden könnte, welche von der daran bisher eingegangenen Gesamtsumme von ca. drei Millionen Gulden nicht für Reengagierungszwecke, sondern für andere laufende Staatsbedürfnisse den diesfalls in der Finanzverwaltung bestehenden Grundsätzen gemäß verwendet worden sind, und daß er außerdem noch alle auf den bisher erhaltenen Taxen haftenden Verpflichtungen bis zu deren gänzlicher Tilgung zu tragen haben werde. Nach der Versicherung des Kriegsministers besteht jedoch dieses Bedenken nicht. Die Lasten, welche für die bisher Reengagierten zu tragen sind, blieben zwar allerdings dem Finanzministerium, für die künftig zu Reengagierenden übernimmt der Fonds mit den Taxen auch die darauf haftenden Verpflichtungen und spricht vom Finanzministerium weiter nichts an, als daß es ihm die einen Monat vor der Aktivierung des Fonds eingehenden Befreiungstaxen zu dem oben bezeichneten Zwecke mit Vorteil und Last abtrete, cweil die Entscheidung dieser Angelegenheit nur durch administrative Weitläufigkeiten so in die Länge gezogen wurde, daß der größte Nutzen dieser Maßregel dem Kriegsministerium entzogen wurde, ohne daß dem Finanzministerium dadurch — außer der momentanen Einkassierung der in der Zwischenzeit eingelaufenen Beiträge — ein reeller Nutzen zugegangen wärec, im übrigen aber nur diejenigen Leistungen übernehme, welche für die bis dahin wirklich Reengagierten entfallen. Minister v. Lasser setzte erläuternd hinzu: Ideell bildet die Summe der bisher erlegten Militärbefreiungstaxen vom Standpunkte der stellungspflichtigen Bevölkerung aus schon dermal einen Fonds, aus welchem die Reengagierungsgelder und Zulagen gezahlt werden sollten. Natürliche Ersparnisse ergeben sich dabei durch die verschiedenen im Gesetze vorgesehenen Zufälle, wodurch die Leistungspflicht erlischt oder erleichtert wird. Andere Ersparnisse entstanden aber vornehmlich dadurch, daß überhaupt weniger Leute reengagiert wurden, als für welche die Taxen erlegt worden sind. Der vorliegende Ausweis tut dar, daß für 3842 Mann, welche das Einstandsgeld zahlten, nur 1800 Mann wirklich gestellt worden sind. Sollte nun das Finanzministerium zur Herausgabe der hierdurch ersparten, jedoch längst anderweitig verwendeten Gelder oder zur || S. 135 PDF || nachträglichen Leistung der für so viele abgängige Mann erforderlichen Zulagen und Abfertigungen verhalten werden, so wäre dies allerdings eine schwere Last für die Finanzverwaltung. Allein dies liegt auch nicht in der Absicht des Kriegsministers, sondern nur, daß die bisher für die bereits wirklich Reengagierten erforderlichen Zahlungen und jene, welche sich für die bis zum letzten Monat vor der Aktivierung des neuen Fonds Reengagierten ergeben, für Rechnung des Finanzministeriums, alle weiteren auf Rechnung des neuen Fonds geleistet werden. Die oben erwähnte eigentliche Natur des Fonds aber, als aus dem Vermögen der Stellungs- bezüglich der Steuerpflichtigen gebildet, macht es wünschenswert, daß auch dem Ministerium des Inneren, bezüglich also dem Staatsministerium als Zentralbehörde der politischen Verwaltung, einiger Einfluß auf die Bildung und Konstituierung des Fonds zugestanden werde — was bei Zusammensetzung der hierzu zu berufenden Kommission der Kriegsminister berücksichtigen zu wollen sich vorbehieltd .10

Im übrigen werden der Kriegs- und der Finanzminister über die weiteren Details dieser Angelegenheit [sich] verständigene .

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 11. März 1861. Empfangen 11. März 1861. Erzherzog Rainer.