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Nr. 15 Ministerrat, Wien, 24. Februar 1861 — Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 24. 2.), Rechberg, Mecséry, Schmerling, Degenfeld, Plener, Wickenburg, Lasser, Szécsen 27. 2., Pratobevera 28. 2., Szög yény, Mažuranić 1. 3.; abw. Vay; BdR. Erzherzog Rainer 4. 3.

MRZ. – KZ. 668 –

Protokoll I der zu Wien am 24. Februar 1861 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Beschickung des Reichsrates aus Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien und Slawonien

Gegenstand der Beratung war der Antrag des Ministers Grafen Szécsen , daß in Beziehung auf § 7 des Statuts für die Reichsvertretung gleichzeitig mit der Publikation des letzteren von Sr. Majestät zwei Ah. Kabinettsschreiben erlassen und publiziert werden, und zwar an Se. k. k. Hoheit den Herrn Erzherzog Rainer zur Anweisung der Präsidenten der siebenbürgischen Hofkanzlei und des kroatisch-slawonischen Hofdikasteriums, dann an den ungrischen Hofkanzler, damit alle drei ihre Anträge erstatten, in welcher Weise im Einvernehmen mit den betreffenden Landtagen die Wahl der Abgeordneten aus Ungern, Siebenbürgen und Kroatien zum Reichsrate für dessen erste, auf den 29. April festgesetzte Versammlung vorzunehmen wäre, nachdem die definitive Feststellung des Wahlmodus der Entscheidung im verfassungsmäßigen Wege vorbehalten bleibt1. Minister Graf Szécsen kann zwar nicht verbürgen, hofft aber, daß ein solcher vermittelnder Schritt, welcher der Teilnahme Ungerns an der Reichsvertretung den Schein der Oktroyierung benähme, geeignet sein dürfte, die Landtage desto eher zur freiwilligen Wahl ihrer Vertreter im Reichsrate aoder zu irgendeiner anderen Ausgleichunga zu bestimmen. Sollte diese Hoffnung getäuscht werden, so bleibe wohl nichts anderes übrig, als unmittelbare Befehle diesfalls zu erlassen. Die Regierung aber hätte die Befriedigung, nichts unversucht gelassen zu haben, um eine Ausgleichung im gütlichen Wege zu bewirken. Der zweite ungrische Hofkanzler erklärte sich in der Hauptsache mit dem Antrage einverstanden. Da die endgültige Feststellung der Teilnahme Ungerns an der Reichsvertretung im verfassungsmäßigen Wege unter den obwaltenden Umständen nicht so bald zu erwarten, die Berufung des Reichsrates aber dringend ist, so erscheint die angetragene Maßregel zur Bewirkung einer provisorischen Entsendung der ungrischen Abgeordneten zur ersten Reichsratsversammlung als sehr zweckmäßig. Nur bezüglich der Form ergäbe sich das Bedenken, daß eine unmittelbare Aufforderung des ungrischen Hofkanzlers an den Landtag dem ungrischen Staatsrechte nicht entsprechen, vielmehr der neueren Idee eines ungrischen Ministeriums Raum geben würde. Der ungrische Hofkanzler schlug daher vor, die bezügliche Stelle in dem Entwurfe des Ah. Kabinettsschreibens dahin abzuändern: Der ungrische Hofkanzler habe Sr. Majestät seine Anträge zu erstatten, wie unter Mitwirkung des Landtages vor der definitiven verfassungsmäßigen Feststellung des Wahlmodus || S. 99 PDF || die Beschickung des Reichsrates mit ungrischen Abgeordneten zu bewirken wäre. Präsident v. Mažuranić erklärte, daß die definitive Feststellung über die Art der Beteiligung Kroatiens an der Reichsvertretung ebenfalls nur im verfassungsmäßigen Wege erfolgen könne. Was dagegen die erste provisorische Beschickung des Reichsrates betrifft, so würde er für Kroatien allein den unmittelbaren Befehl Sr. Majestät für genügend gehalten haben. Wenn jedoch für Ungern der vom Grafen Szécsen gemachte Vorschlag angenommen wird, so könnte Kroatien dabei nicht umgangen werden, weil eine ungleichartige Behandlung Anlaß zur Unzufriedenheit und zur Agitation im Lande geben würde. Aus dieser Rücksicht trat er daher dem Antrage bei. Der Staatsminister bemerkte: Die zum § 7 des Reichsratsstatuts von der Konferenz angenommenen Zusätze beheben seines Erachtens alle Bedenken; die definitive Regelung der Beteiligung der genannten Königreiche an der Reichsvertretung ist darin ausdrücklich der verfassungsmäßigen Mitwirkung der Landtage vorbehalten. Sie können nicht umhin einzusehen, daß ein Gesetz hierwegen bis zum 29. April, als dem Tage des Zusammentritts des Reichsrates, zustande zu bringen unmöglich ist, daß daher die Regierung von dem Rechte Gebrauch machen muß, ein Provisorium im administrativen Wege zu treffen. Unter diesen Umständen hätte daher der Staatsminister geglaubt, daß die vom Grafen Szécsen beantragte Aufforderung unterbleiben könnte. Soll sie indessen als ein Kommentar zu den Bestimmungen des § 7 hinausgegeben werden, so hätte er dagegen nichts einzuwenden, nur müßte sie präziser dahin abgefaßt werden: Der Kanzler und die Präsidenten werden angewiesen, ihre Anträge über die Art und Weise zu erstatten, in welcher die Landtage aufzufordern seien, im Sinne des § 7 des Reichsratsstatuts die Wahlen zum Reichsrate vorzunehmen.

Mit dieser Modifikation des Textes erklärten sich sowohl Graf Szécsen als auch der ungrische Hofkanzler und Präsident v. Mažuranić einverstanden.

Minister v. Lasser sprach sich in erster Linie überhaupt gegen die Erlassung der angetragenen Ah. Kabinettsschreiben aus. Sie sind, wie schon der Staatsminister bemerkte, durch die Zusätze zum § 7 des Reichsratsstatuts entbehrlich gemacht. Mit diesem Zusatze im Statute habe man ohnehin bereits auf Ungern eine Rücksicht genommen, welche eigentlich über die mit dem kaiserlichen Diplom vom 20. Oktober gemachten Zugeständnisse hinausgehe, indem sie den drei ohnehin vor allen anderen bevorzugten Ländern eine neue Konzession, die Vereinbarung eines provisorischen Reichsratswahlmodus zwischen Regierung und Landtag, gewähren, welche den einzelnen übrigen Königreichen und Ländern nicht zugestanden bsei und nach dem Wortlaute und Geiste der Ah. Erlässe vom 20. Oktober 1860 lediglich ein Gegenstand der in der kaiserlichen Machtvollkommenheit beruhenden Entscheidung zu sein hätte. Es frage sich nun bei den heute beantragten Erlässen, ob damit etwas auch noch über den Artikel 7 des Reichsratsstatuts weiter Hinausgehendes gesagt werden wolle oder nicht. Im ersteren Falle würde Votant, da ihm schon genug Rücksicht auf Ungern genommen scheine, prinzipiell sich dagegen erklärenb sei und nach dem Wortlaute und Geiste der Ah. Erlässe vom 20. Oktober 1860 lediglich ein Gegenstand der in der kaiserlichen Machtvollkommenheit beruhenden Entscheidung zu sein hätte2. Es frage sich nun bei den heute beantragten Erlässen, ob damit etwas auch noch über den Artikel 7 des || S. 100 PDF || Reichsratsstatuts weiter Hinausgehendes gesagt werden wolle oder nicht. Im ersteren Falle würde Votant, da ihm schon genug Rücksicht auf Ungern genommen scheine, prinzipiell sich dagegen erklären. Beabsichtigt man jedoch dies nicht, soll die angetragene Verfügung bloß den Zweck haben, zu veröffentlichen, daß die Chefs der Zentralstellen dieser drei Länder aufgefordert wurden, ihre Anträge zu erstatten, wie die betreffenden Landtage zur Wahl der Abgeordneten aufzufordern seien, so vermag Minister v. Lasser nicht einzusehen, welche Wirkung diese Kundgebung inner- oder außerhalb der Länder haben sollte. Indem er daher überhaupt gegen den Antrag des Grafen Szécsen stimmt, glaubt er auch über die Form der Entwürfe, wenn deren Genehmigung in thesi beliebt wird, einige Bemerkungen machen zu sollen. Vor allem erschiene es ihm nicht hinlänglich begründet, warum ein Ah. Kabinettsschreiben unmittelbar an den ungrischen Hofkanzler, das andere wegen Siebenbürgen und Kroatien aber an Se. k. k. Hoheit gerichtet werden soll. Sind doch die Präsidenten der siebenbürgischen Hofkanzlei und des kroatischen Hofdikasteriums so gut wie der ungrische Hofkanzler in den ihre Länder betreffenden Angelegenheiten unmittelbar Sr. Majestät unterstehende Chefs der ihrer Leitung anvertrauten Hofstellen. Auch ist die Vereinigung Kroatiens und Siebenbürgens mit Ungern zur Zeit noch nicht ausgesprochen. Es entfällt somit jeder Grund, für eine und dieselbe Verfügung einen verschiedenen Weg einzuschlagen. Weiters erscheint ihm die im Entwurf enthaltene Motivierung der Verfügung zu umständlich. Es dürfte genügen, auf den im § 7 des Reichsratsstatuts enthaltenen Vorbehalt der definitiven Regelung der Angelegenheit und auf den Umstand hinzuweisen, daß der erste Landtag mit Rücksicht auf die ihm bevorstehenden anderweitigen Aufgaben und auf den kurzen Termin, der für die erste Reichsratsversammlung anberaumt ist, nicht imstande sein wird, bis dahin ein Gesetz hierüber zu vereinbaren. Endlich dürften die besonderen in Siebenbürgen bestehenden Verfassungsverhältnisse in der bezüglich dieses Landes zu erlassenden Verfügung einer speziellen Berücksichtigung und vorsichtigen Textierung bedürfen. Der Kriegsminister vereinigte sich mit der Ansicht der Vorstimme, ebenso der Finanzminister , welcher weiters bemerkte, daß, wenn schon die angetragenen Ah. Kabinettsschreiben erlassen würden, sie doch gleichmäßig unmittelbar an die betreffenden Chefs gerichtet und keinenfalls publiziert werden sollten. Denn das Verhältnis der beiden Präsidenten zu Sr. Majestät ist dasselbe wie jenes des ungrischen Hofkanzlers, und, wenn Graf Szécsen einwendet, daß letzterer permanentes Mitglied des Ministerrates ist, und hiermit die formelle Ungleichheit des Auftrages motiviert, so dürfte zu entgegnen sein, daß auch die beiden Präsidenten in Angelegenheiten, welche auf ihre Länder Bezug haben, dem Ministerrate angehören und daß es sich hier eben um eine solche Angelegenheit handelt. Und was die Veröffentlichung der gedachten Erlässe betrifft, so betrachtet der Finanzminister die letzteren als ein Internum zwischen Sr. Majestät und den betreffenden Chefs, von dessen Veröffentlichung weder Zweck noch Wirkung abzusehen ist. Der Handelsminister wäre mit Rücksicht auf den von den ungrischen Stimmführern geltend gemachten Umstand, daß das so gestaltete Vorgehen der Regierung in den betreffenden Ländern zur Beruhigung und Befriedigung gereichen würde, nicht gegen die Erlassung der angetragenen Ah. || S. 101 PDF || Kabinettsschreiben. Sie müßten jedoch nach dem Einraten des Ministers v. Lasser vorsichtig abgefaßt werden. Minister Freiherr v. Pratobevera war mit Minister v. Lasser und dem Finanzminister um so mehr einverstanden, als er besorgt, daß die gedachten Erlässe eine Landtagsverhandlung provozieren dürften, deren Ende nicht abzusehen sein und die Beschickung der ersten Reichsratsversammlung von Seite der in Rede stehenden Länder vereiteln würde. Der Polizeiminister stimmte mit dem Staatsminister und würde auch gegen die Veröffentlichung der bezüglichen Erlässe nichts einwenden, da sie nichts als eine Erläuterung des § 7 des Statuts sein sollen, mithin ein Nachteil von ihrer Verlautbarung nicht zu besorgen, ihre Geheimhaltung aber ohnehin nicht zu erwarten ist. Auch der Minister des Äußern fand dagegen nichts zu erinnern.

Der Staatsminister faßte zum Schlusse sein Votum dahin zusammen, daß er in erster Linie zwar gegen die Erlassung der angetragenen Ah. Kabinettsschreiben stimme, daß er jedoch, falls dieselbe beliebt würde, nicht dagegen sei, wenn klar ausgesprochen wird, daß die betreffenden Chefs ihre Anträge an Se. Majestät zu erstatten haben, wie die Landtage zur Beteiligung an den Reichsratswahlen aufzufordern seien (ob z. B. in Ungern aus beiden Landtagskörpern oder nur aus einem zu wählen sei), daß, wenn Se. Majestät hierüber entschieden haben werden, die der Ah. Entscheidung entsprechende Aufforderung an die Landtage zu ergehen habe und, falls die Aufforderung erfolglos bliebe, mit der Oktroyierung werde vorgegangen werden. Minister Graf Szécsen setzte hinzu: Diese Auffassung entspreche auch seiner Absicht. Sie macht den Standpunkt deutlich, den die Regierung in dieser Sache einhalten sollte, um womöglich von vornehinein den Erfolg zu sichern. Wäre die Berufung des Reichsrates nicht so dringend und könnte man die Beteiligung Ungerns daran entbehren, so möchte das bloße Festhalten an den Bestimmungen des § 7 genügen. Allein dem ist nicht so. Es muß also wenigstens der Versuch einer vorläufigen Verständigung gemacht werden. Nachdem jedoch gegen seinen Antrag überhaupt prinzipielle Bedenken erhoben worden, erklärte er, denselben zurückzuziehen. Der [zweite] ungrische Hofkanzler nahm denselben jedoch wieder auf, in der Überzeugung, daß derselbe ein willkommenes Mittel ist, auf einem schonenden Wege die Ungern für ein Institut zu gewinnen, welches, während es allen übrigen Ländern Rechte gewährt, die sie nie besessen, Ungern allein Rechte entzieht, die es früher verfassungsmäßig geübt hat. Übrigens wäre auch seines Erachtens das Ah. Kabinettsschreiben wie an den ungrischen Hofkanzler so auch an die beiden Präsidenten unmittelbar zu richten.

Se. k. k. Hoheit konkludierten sonach in erster Linie nach der Mehrheit der Stimmen gegen die Erlassung der Ah. Kabinettsschreiben, in zweiter Linie für deren Abänderung im Sinne des Staatsministers3.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 3. März 1861. Empfangen 4. März 1861. Erzherzog Rainer.