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Nr. 275 Ministerkonferenz, Wien, 24. Jänner 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. Erzherzog Rainer, (Rechberg 27. 1.), Mecséry 27. 1., Schmerling, Degenfeld 29. 1., Vay 29. 1., Plener 30. 1., Lasser 1. 2., Szécsen 6. 2., Mažuranić 10. 2.

MRZ. – KZ. 466 –

Protokoll der Ministerkonferenz am 24. Jänner 1861 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Wiedervereinigung der Murinsel mit Ungarn

Der Präsident des kroatisch-slawonischen Hofdikasteriums las infolge Ah. Aufforderung eine Übersetzung der Repräsentation der Banalkonferenz, worin sie sich nicht für kompetent erklärt, den Ah. gewünschten Nachweis der Ansprüche Kroatiens auf die Murinsel zu geben und bittet, daß diese Territorialfrage unter Aufrechthaltung des Status quo an die Landtage der beiden Länder zur Verhandlung gewiesen werde1. Der Präsident findet diese auch vom Ban unterstütze Bitte durch den Geist und Wortlaut des Ah. Handschreibens vom 20. Oktober 1860 2 vollkommen gerechtfertigt, indem die Territorialfrage offenbar zu jenen Verhältnissen gehöre, welche Se. Majestät der Beratung und Verständigung der beiderseitigen Landtage zuzuweisen geruhen werden. Schließlich las der Präsident den Entwurf eines in diesem Sinne an den Ban zu richtenden Ah. Handschreibens.a

Der ungarische Hofkanzler bevorwortete dringend die baldige Entscheidung dieser Streitfrage zugunsten Ungarns. Er stellt in Abrede, daß überhaupt noch eine Territorialfrage zwischen Ungarn und Kroatien schwebend sei. Das an Baron Vay am 20. Oktober erlassene Ah. Handschreiben3 habe die alten Komitatsgrenzen, somit auch jene des Zalader Komitats, wiederhergestellt, welche letzteren ohnehin nur via facti durch einen ministeriellen Beschluß aus administrativen Rücksichten verrückt worden seien4. Kroatien solle die Murinsel ohne Sträuben zurückstellen, so wie Ungarn die Bezirke von Ruma und Illok proprio motu zurückgestellt habe5. Das Zalader Komitat kann sich ohne Muraköz nicht konstituieren, und wenn man diesem gerechten Anspruche nicht willfahrt, habe der Hofkanzler nicht den Mut, vor den ungarischen Landtag zu treten. Minister Graf Szécsen bemerkte vor allem, daß man in den Ah. Erlässen vom 20. Oktober eine || S. 305 PDF || Entscheidung über die Murinsel vergeblich suchen werde, denn nach den damals unter dem Ah. Vorsitze gepflogenen Beratungen wurde die Verfügung über diesen Bezirk als offen bleibende Frage behandelt6. In neuerer Zeit habe diese Frage eine besondere Wichtigkeit erhalten, welche es nicht rätlich macht, deren Entscheidung erst von dem Einvernehmen der Landtage abhängig zu machen. Bei der vor kurzem darüber gepflogenen Konferenzberatung7 habe der Ban selbst nur mehr gebeten, daß vorerst die Banalkonferenz pro forma zur Begründung der Ansprüche aufgefordert und nicht sofort entschieden werde. Gegenwärtig stellt sich Baron Šokčević auf einen anderen Standpunkt, wobei er in eine Inkonsequenz gerät. Nachdem nun die Banalkonferenz dem Ah. Befehl nicht Folge geleistet hat, dürfte das Hofdikasterium Ah. angewiesen werden, den Beweis zu supplieren und hierauf sofort die Ah. Entscheidung erfolgen. Der Staatsminister findet die Rechtsbasis des zweihundertjährigen und durch keinen Landtagsbeschluß alterierten Besitzes hier so entschieden zugunsten Ungarns sprechend, daß er sich nur für eine Ah. Entschließung auf die Reinkorporierung erklären könne. Die Sache war schon bei der letzten Konferenzberatung spruchreif und ist es noch. Man wollte niemals die Entscheidung weder von der Banalkonferenz noch von den Landtagen abhängig machen. Ritter v. Schmerling sehe übrigens bei seinem au. Antrage noch ganz von den durch Baron Vay geltend gemachten Opportunitätsgründen ab. Der Polizei-, der Kriegs- und der Finanzminister, dann Ritter v. Lasser stimmten mit dem Staatsminister, letzterer mit dem Bemerken, daß, wenn Bács-Bodrogh, Temes, Krassó, Torontal, Kővár, Zaránd etc. etc. jetzt inkorporiert wurden, nicht wohl abzusehen sei, warum bloß Murakőz von der Zurückstellung ausgenommen sein soll.

Der Ministerpräsident äußerte, daß, wenn einerseits diese Reinkorporation in Ungarn lebhaft gewünscht wird, dieselbe in Kroatien dagegen einen peinlichen Eindruck hervorbringen werde. Man dürfe sich bei Beurteilung dieser Angelegenheit nicht ausschließend auf den rechtlichen Standpunkt stellen; man müsse erwägen, daß, wie die Sachen jetzt in Ungarn stehen, der Ah. Beschluß der Reinkorporierung dort das Werk der Pazifizierung gewiß nicht fühlbar fördern werde, während andererseits die Krone den Nationalgefühlen der Kroaten und Slawonier verletzend entgegentreten würde. Graf Rechberg beantrage daher, eine Ah. Entscheidung über diesen Gegenstand jetzt noch nicht zu erlassen8.

Se. k. k. apost. Majestät geruhten den Antrag der Stimmenmehrheit Ah. zu genehmigen9.

II. Anarchische Beschlüsse des Heveser Komitats

Se. Majestät der Kaiser geruhten der Konferenz mitzuteilen, daß nach dem vom kommandierenden General in Ofen erhaltenen Berichte10 das Heveser Komitat eine Steuer von 40.000 f. zur Aufstellung einer Zahl von 400 Panduren ausgeschrieben, das Gesetz, wonach Urlauber ohne Bewilligung nicht heiraten dürfen, aufgehoben und noch andere ähnliche Beschlüsse gefasst hat. Diesen anarchischen Zuständen müsse ein Ende gemacht werden.

Der ungarische Hofkanzler versicherte, er warte nur noch das Einlangen eines Berichts aus Erlau ab, um einen königlichen Kommissär dahin abzusenden; übrigens sei das Heveser Komitat bereits reif zur Verhängung des Belagerungszustandes. Minister Graf Szécsen fügte bei, daß die ungarische Hofkanzlei telegraphische Berichte über die vorfallenden ungesetzlichen Ereignisse nicht vor deren Konstatierung als Anlaß tiefgreifender Maßregeln ergreifen könne11.

III. Frage, ob für Tirol, Salzburg, Kärnten und Steiermark neue Landesstatute zu erlassen wären (2. Beratung)

Nachdem in der Konferenz am 23. d. M.12 die Frage, ob nicht auch für die vier Kronländer, welche bereits Landesstatute nach dem Grundsatze der Ständevertretung erhalten haben, zugleich mit den demnächst für die übrigen deutsch-slawischen Länder zu erlassenden, auf dem Grundsatze der Interessenvertretung beruhenden Statuten neue, ebenfalls auf der letzteren Basis beruhende Statute zu erlassen wären, beraten, aber dabei kein einstimmiger Antrag erzielt worden ist, geruhten Se. k. k. apost. Majestät diesen Gegenstand zur wiederholten Erörterung zu bringen. Hiebei geruhten Se. Majestät zu bemerken, Allerhöchstdieselben hätten bei der jüngst erfolgten Modifizierung der Wahlordnung ausdrücklich beigefügt, daß in den anderen Punkten die erlassenen Statute aufrechterhalten werden sollen13. Die etwa wünschenswerten Änderungen dieser vier Statute könnten später auf anderem legalen Wege über spontane Anträge der Landtage selbst oder über Regierungsvorlagen an dieselben erfolgen, ohne daß dazu die von der Majorität beantragte, dem Ansehen und der Stabilität Ah. Erlässe überhaupt abträgliche Zurücknahme der vor drei Monaten erlassenen Statute erforderlich wäre.

Der Staatsminister versicherte, er sei völlig durchdrungen von der Notwendigkeit, in dem neuen staatlichen Organismus der Monarchie möglichst nach Stabilität zu streben. Er erkennt es als ein Gebot der politischen Klugheit, an den Ah. festgesetzten Normen || S. 307 PDF || nicht ohne Notwendigkeit zu rütteln, aber eben in dem vorliegenden Falle müsse er die Notwendigkeit als vorhanden anerkennen, die vier fraglichen Statute durch neue zu ersetzen. Er glaubt, daß sich dies am naturgemäßesten und einfachsten, selbst vielleicht ohne spezielle Zurücknahme der älteren, dann bewirken ließe, wenn Ah. Se. Majestät das neue Reichsratsstatut und die Statute der gesamten deutsch-slawischen Kronländer mit einem Male als den Schlußstein des Ausbaus der Monarchie (mit Ausnahme der ungarischen Länder) zu erlassen geruhen würden. Daß die für Steiermark, Kärnten, [Salzburg] und Tirol erlassenen Statute in diesen Ländern nicht befriedigt haben, sei Tatsache. Die Wahlordnung ist wohl durch Ah. Beschluß geändert worden, aber es werde auch notwendig, die Grundlagen der Vertretung in den vier Kronländern übereinstimmend mit den bei den übrigen geltenden Prinzipen zu ändern, widrigens sich die Mehrzahl der Bevölkerung dieser Länder als politisch zurückgesetzt betrachten würde. In Salzburg und Kärnten würde eine solche Änderung an der Zusammensetzung des Landtages faktisch wenig ändern, nachdem so ziemlich dieselben Personen, bloß in anderer Gruppierung, als Vertreter der Interessen erscheinen würden, welche jetzt nach der Standeseigenschaft dazu berufen erscheinen. In Steiermark würde bei Annahme des neuen Prinzipes nur der unbegüterte ständische Adel entfallen. Bedeutender würden allerdings die Folgen der Änderung in Tirol sein, wo bis jetzt das ständische Element des Regularklerus und des Adels eine althergebrachte ansehnliche Stellung einnahm, die nun wesentlich alteriert würde. Indessen walten ähnliche Verhältnisse in Böhmen, wo doch das neue System der Interessenvertretung seine Anwendung finden wird. Die Frage steht jetzt eigentlich so: Sollen bei dem in nächster Aussicht stehenden Ausbau der Staatsverfassung im Sinne des Diploms die vier Kronländer eine Ausnahme von dem sonst überall gleichförmig beobachteten System bilden und sollen daher bei der diesfälligen Publikation seinerzeit die vier Landesstatute mit Stillschwiegen übergangen werden? Der Staatsminister könne dafür durchaus nicht stimmen.

Der Polizeiminister erkennt es als wünschenswert, wenn die sämtlichen Landesstatute gewissermaßen aus einem Gusse erscheinen, und er würde daher auch keinen Anstand nehmen, an den vier Statuten noch mehr als die Wahlordnung zu ändern. Doch dürfte dies ohne Widerruf der ganzen Statute durch partielle Änderung zu erreichen sein. Der Ministerpräsident war ebenfalls der Meinung, daß man die erlassenen vier Statute im ganzen aufrecht erhalten solle und jetzt bloß einzelne, unvermeidlich gewordene Änderungen daran vorzunehmen wären. Diese Statute tragen die Ah. Unterschrift, bestimmte Rechte sind durch dieselben verliehen worden, und deren einseitige Schmälerung wäre eine Verletzung des Diplomes. Insbesondere würden der Adel und die Klöster in Tirol mit Recht über Verkürzung klagen können. Minister Graf Szécsen äußerte, daß strenge Konsequenz des Organismus in allen Teilen bei großen Maßregeln wie das ins Lebenrufen der Landtage allerdings sehr wichtig sei, und er habe daher die gleich nach dem 20. Oktober ohne neuerliche Beratung erfolgten Publikationen von Landesstatuten lebhaft bedauert. Allein, sie bestehen! Politische Rechte sind dadurch zuerkannt worden, und der Minister sehe daher nicht ab, daß und wie man dieses ungeschehen machen könne, wenn die beteiligten Landtage nicht damit einverstanden sind. Graf Szécsen glaubt daher, daß die allerdings wünschenswerten Änderungen der Statuten den vier Landtagen gleich bei ihrem ersten Zusammentreten als Regierungsvorlagen mitzuteilen wären.

|| S. 308 PDF || Der Staatsminister bestritt diese Meinung, indem er seine Überzeugung dahin aussprach, daß Se. Majestät der Kaiser die aus Allerhöchstihrer Machtvollkommenheit erflossenen Statute bis zum Zusammentreten des ersten Landtages ebenfalls aus Ah. Machtvollkommenheit modifizieren könne; und im vorliegenden Falle erscheine es aus politischen Gründen vollkommen angezeigt, daß die Krone von diesem Rechte zur Herstellung der Gleichheit im Systeme der Landesvertretung Gebrauch mache. Für das Ansehen der Ah. Normen über den Landtag ist deren Allerhöchsteigene Änderung aus einem ausgesprochenen, so plausiblen Grunde nach der Meinung des Staatsministers noch weniger abträglich, als wenn der Antrag auf dieselbe Änderung von dem Landtage spontan ausgeht, oder wenn die Regierung bei der Eröffnung der vier Landtage selbst eine Vorlage wegen Änderung der vor vier Monaten gegebenen Statuten macht.

Der ungarische Hofkanzler verspricht sich von einer homogenen Einrichtung aller deutsch-slawischen Landtage einen guten Eindruck in Ungarn. Der Kriegsminister glaubt, man werde im allgemeinen nicht befremdend finden, daß der in der Person des Staatsministers eingetretene Wechsel auch eine Modifikation der von seinem Vorfahrer erlassenen, mit seinem System nicht im Einklang stehenden Statute nach sich gezogen habe. Minister Ritter v. Lasser ist mit einer bloß teilweisen Modifizierung der vier Statute nicht einverstanden, wobei man nur Stückwerk bekäme, ebensowenig mit der Einbringung von Regierungsvorlagen, wodurch die Statute modifiziert würden. Man zwingt dadurch einen Teil der alten Stände gewissermaßen zu einem politischen Selbstmorde. Die Agitation in Tirol gegen das Statut sei keine gemachte. Dort sowie in den drei anderen Kronländern werde diese Agitation durch den Bestand der Statute wach erhalten. Er könne daher nur mit dem Staatsminister au. auf deren Zurücknahme antragen. Der Minister bitte Se. Majestät, Allerhöchstsich von dieser Maßregel nicht durch die Rücksicht auf Tirol alleine abhalten zu lassen. Es dürfte sich für dieses Land ein Ausweg zur Vermittlung finden lassen. Die Stifte bleiben als große Grundbesitzer jedenfalls von Einfluß; auch der Kuratklerus behielte so wie jetzt seinen großen, wenngleich indirekten politischen Einfluß. Nur die relativ kleine Fraktion des besitzlosen Adels würde verlieren. Der Finanzminister findet es vom allgemeinen sowie vom spezifisch finanziellen Standpunkte dringend notwendig, daß durch einen großartigen, in allen Teilen konsequenten Schlussakt, wie ihn der Staatsminister andeutet, der Agitation ein Ende gemacht und die Wiederkehr von Ordnung, Sicherheit und Stabilität wenigstens in den deutsch-slawischen Ländern verbürgt werde. Die Zeit ist drangvoll: möge man nicht die Sache der Form zum Opfer bringen!14

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 12. Februar 1861.