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Nr. 259 Ministerkonferenz, Wien, 5. Jänner 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 5. 1.), Mecséry 12. 1., Schmerling, Degenfeld, Plener 14. 1., Lasser 15. 1., Szécsen 18. 1., Szőgyény 18. 1., Mažuranić 19. 1.; außerdem anw. Šokčević.

MRZ. – KZ. 106 –

Protokoll der zu Wien am 5. Jänner 1861 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.

[I.] Ah. Kabinettschreiben an den Banus von Kroatien betreffend den ungarischen Landtag

Gegenstand der Beratung war der Entwurf eines Ah. Kabinettschreibens, welches gemäß der in der Konferenz vom 2. d. M. besprochenen Anträge des ungrischen Hofkanzlers über die Einberufung des ungrischen Landtags an den Banus von Kroatien zu erlassen beantragt wurde1.

In diesem Entwurfe wird der Ban aufgefordert, die Einleitung zur Berufung der kroatisch-slawonischen Landeskongregation unverzüglich zu treffen, und ihm mitgeteilt, daß zugleich die Einleitung zum ungrischen Landtage getroffen werde, zu welchem behufs der Beratung und Verständigung über das staatsrechtliche Verhältnis Kroatiens zu Ungern auch Kroatien und Slawonien von Sr. Majestät durch den ungrischen Hofkanzler im Sinne des Ah. Kabinettschreibens vom 20. Oktober werden berufen werden, endlich, daß die Murinsel dem Zalader Komitate wieder einverleibt werde.

Gegen diese Bestimmungen nun bemerkte der Banus , 1. daß es nach dem Inhalte der Ah. Kabinettschreibens vom 20. Oktober und 5. Dezember v. J.2 keine kroatisch-slawonische Landeskon­gregation mehr gebe, sondern diese Versammlung als eigentliche Landesvertretung den Titel „Landtag“ zu führen habe, welche Bezeichnung für alle Kronländer der Monarchie gelte; 2. daß, nachdem gegenwärtig keine Verbindung Kroatiens und Slawoniens mit Ungern mehr besteht und das künftige staatsrechtliche Verhältnis dieser Königreiche zueinander im Sinne der Ah. Verfügungen vom 20. Oktober erst nach Beratung und Verständigung der beiderseitigen Landtage von Sr. Majestät entschieden werden soll, von einer Berufung Kroatiens und Slawoniens auf den ungrischen Landtag durch den ungrischen Hofkanzler keine Rede sein könne, sondern eine derartige Einladung oder Aufforderung dazu nur von dem kroatischen Hofdikasterium auszugehen habe; endlich 3. daß er bezüglich der Reinkorporierung der Murinsel sich auf das hierwegen in der Konferenz vom 2. d. M. Gesagte beziehen und darauf bestehen müsse, daß vor der definitiven Entscheidung hierüber die am 15. d. [M.] zusammentretende Banalkonferenz die Gründe der Ansprüche Kroatiens auf diese Insel erörtern und der || S. 238 PDF || Ah. Schlußfassung unterziehen möge. Der Präsident des kroatischen Hofdikasteriums beantragte noch weiters die Weglassung der Stelle in dem Ah. Kabinettschreiben, wo angeordnet wird, daß der kroatische Landtag vor dem ungrischen abzuhalten ist, weil eine solche Bestimmung auf dem gegenwärtig nicht mehr geltenden historischen Standpunkte der staatsrechtlichen Verbindung der Königreiche mit Ungern fußt und somit der erst auszutragenden Frage über das künftige staatsrechtliche Verhältnis vorgreifen würde. Höchstens könnte die Abhaltung des ersten kroatischen Landtages vor dem ungrischen empfohlen werden.

Der zweite ungrische Hofkanzler erklärte vor allem, daß er sich nicht für berechtigt halte, ohne Zustimmung des ersten Hofkanzlers von dessen Anträgen abzugehen. Zur Rechtfertigung derselben führte er an: Ad 1. der Titel „Landeskongregation“ sei der gesetzliche; dessen Änderung könne nur nach Vereinbarung mit dem ungrischen Landtage erfolgen. Ad 2. sei schon in der Konferenz vom 2. d. M. auseinandergesetzt worden, daß der erste ungrische Landtag ohne Berufung Kroatiens und Slawoniens unmöglich sei; es müsse also darauf bestanden werden. Sie könne aber nur durch den ungrischen Hofkanzler erfolgen, weil es sich um den ungrischen Landtag handle. Indessen unterläge es keinem Anstande, diese Berufung, welche im Sinne der Ah. Verfügungen vom 20. Oktober nur zu dem Zwecke der wechselseitigen Verständigung über das künftige staatsrechtliche Verhältnis der Königreiche erfolgend dieser Verständigung in keiner Weise vorgreift, von Seite des ungrischen Hofkanzlers im Wege des kroatischen Hofdikasteriums an den Ban gelangen zu lassen. Ad 3. über die Zugehörigkeit der Murinsel zum Zalader Komitat sei jede weitere Vernehmung überflüssig. Sie gehörte 200 Jahre dazu und kam bei der im Jahre 1790 in verschiedenen Teilen Ungerns vorgenommenen Grenzregulierung gar nicht in Frage, weil das Recht Ungerns auf sie für zweifellos galt. Der zwölfjährige faktische Besitz derselben durch Kroatien kann in dem Rechte Ungerns nichts ändern, und dieses erwartet mit Zuversicht, daß sie ihm von Sr. Majestät werde zuerkannt werden. Wozu also noch eine weitere Verhandlung? Kroatien gewinnt dabei nichts, in Ungern aber würde jede weitere Verzögerung der Anerkennung seines unzweifelhaften Rechtes nur Mißstimmung erzeugen. Ist ein ganzes Land, die Woiwodina, durch eine administrative Verfügung dem Königreiche wieder zurückgegeben worden, so kann dies wohl auch mit dem kleinen Fleck geschehen. Im übrigen müßte der Hofkanzler bitten, daß, was immer bezüglich des Ah. Kabinettschreibens an den Ban beschlossen werden sollte, doch der Entwurf der Ah. Entschließung, welche an den ungrischen Hofkanzler zu ergehen hätte, unverändert beibehalten werden möge.

Minister Graf Szécsen hielt ebenfalls die Vernehmung des ersten ungrischen Hofkanzlers in dieser Sache für wünschenswert, glaubte indes, daß vorderhand von der Berufung Kroatiens und Slawoniens an den ungrischen Landtag, so notwendig deren auch in der Ah. Entschließung auf den Vortrag des ungrischen Hofkanzlers erwähnt werden muß, doch im Kabinettschreiben an den Ban Umgang genommen werden könnte, indem es dazu an der Zeit sein werde, wann der ungrische Landtag selbst wird einberufen werden. Im übrigen schloß er sich den Ansichten des zweiten Hofkanzlers an und entgegnete auf das Bedenken des Präsidenten des kroatischen Hofdikasteriums über die Abhaltung des kroatischen Landtags vor dem ungrischen, daß hiermit nicht gemeint war, es müsse künftig jeder kroatische Landtag vor dem ungrischen abgehalten werden, sondern nur, || S. 239 PDF || daß dies bei dem ersten zu geschehen habe, um von ihm die Deputierten wählen zu lassen, welche zur Vereinbarung der staatsrechtlichen Frage mit der Deputation des ungrischen Landtags seinem Antrage vom 2. d. M. gemäß zu unterhandeln haben.

Nach der Ansicht des Staatsministers entfällt jedes Bedenken hierwegen schon dadurch, daß der König zu bestimmen hat, wann der Landtag zu halten sei. In der Hauptsache gab der Staatsminister seine Meinung dahin ab: Gegen das Bestreben, die alte ungrische Verfassung in ihrer Gänze wieder aufleben zu machen, müsse die Konferenz den Standpunkt des Ah. Diploms vom 20. Oktober festhalten. Auf diesem kann nicht zugegeben werden, daß der ungrische Landtag ganz in der Weise wie bis 1848 zusammentrete. Und da insbesondere das Verhältnis Kroatiens zu Ungern der Verständigung beider Landtage und der hiernach erfolgenden Ah. Entscheidung vorbehalten ist, so folgt daraus, daß ein ungrischer Landtag im Sinne der Ah. Verfügungen vom 20. Oktober auch ohne Beteiligung Kroatiens daran möglich und zulässig sei. Es ist auch bei dem Bestande dieser Ah. Bestimmungen nicht denkbar, daß vor der endlichen Lösung der staatsrechtlichen Frage kroatische Deputierte am ungrischen Landtage werden erscheinen wollen. Derselbe Standpunkt muß hinsichtlich der Territorialfragen festgehalten werden; auch diese müssen im wechselseitigen Einvernehmen gelöst werden; und wie ein ungrischer Landtag ohne Kroaten gedacht werden kann, ebenso kann er es ohne Murinsel und ohne die Siebenbürger Komitate3. Indessen wäre der Staatsminister gerade nicht entgegen, daß sich bezüglich der Murinsel an den vom Ban angedeuteten Vermittlungsweg gehalten werde. Die Banalkonferenz tritt Mitte Jänner zusammen, sie kann sich sogleich mit der Begründung der Ansprüche Kroatiens auf die Insel beschäftigen und ihre Anträge der Ah. Schlußfassung in kürzester Frist vorlegen, sodaß die Ah. Entscheidung darüber noch lange vor dem erst Ende März in Aussicht stehenden Zusammentritt des ungrischen Landtags erfolgen kann. Inzwischen möge der ungrische Hofkanzler die Einleitung treffen, daß für den Zalader Komitat eine solche Anzahl von Deputierten bestimmt werde, wie sie entfiele, wenn die Insel demselben bereits einverleibt wäre; wird die Einverleibung dann wirklich entschieden, so können ihr dann die auf sie entfallenden Ablegaten aufgeteilt werden. In diesem Sinne möge daher die Ah. Entschließung an den ungrischen Hofkanzler, an den Ban aber nur der Ah. Auftrag ergehen, er möge bei der Mitte Jänner zusammentretenden Banalkonferenz die Ansprüche Kroatiens auf die Murinsel ungesäumt in Verhandlung nehmen und das Resultat derselben Sr. Majestät mit aller Beschleunigung vorlegen, sodann aber alle Einleitungen treffen, damit die kroatisch-slawonische Landesvertretung sobald als möglich zusammenkomme.

Hiermit war sofort auch die Mehrheit der Konferenz einverstanden3.

|| S. 240 PDF || Minister Ritter v. Lasser konnte übrigens nicht umhin, bezüglich der Einbeziehung der siebenbürgischen Komitate Kraszna, Zaránd etc. zum ungrischen Landtage zu bemerken, daß dieselbe die Konstituierung dieser Komitate im ungrischen Sinne voraussetze, mithin sie ebenfalls den administrativen Desorganisierungsprozeß werden mitmachen müssen, welchem die ungrischen Komitate zum größten Nachteil der Finanz- und Justizverwaltung unterworfen worden sind4. Der zweite ungrische Hofkanzler bemerkte hierüber, daß dies nicht in der Absicht der ungrischen Hofkanzlei liege, vielmehr die Anordnung vorbehalten sei, daß sich bezüglich der Administration in diesen Komitaten mit der siebenbürgischen Hofkanzlei werde in das Einvernehmen gesetzt werden. Der Staatsminister wünschte, es möge hiebei der bestimmte Ausspruch erfolgen, daß die Einbeziehung dieser Komitate nur zum Behufe der Landtagswahlen stattfinde, daß aber im übrigen alle administrativen Einrichtungen bis auf weiters aufrecht zu bleiben haben5.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 7. Jänner 1861.