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Nr. 237 Ministerkonferenz, Wien, 2. Dezember 1860 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Ransonnet (RS. Klaps); VS. Kaiser; BdE. und anw. Erzherzog Rainer 11. 12., (Rechberg 5. 12.), Gołuchowski 7. 12., Mecséry 7. 12., Degenfeld 8. 12., Lasser 9. 12., Szécsen, Šokčević [BdE. fehlt], Szőgyény, Plener 10. 12.; abw. Vay.

MRZ. – KZ. 4032 –

Protokoll der Ministerkonferenz am 2. Dezember 1860 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Bitten der Banalkonferenz: 1. Geschäftssprache bei der Statthalterei und bei der Banaltafel, 2. Bildung einer kroatischen Hofkanzlei, 3. Organisierung der Komitate, 4. Wiedervereinigung Dalmatiens mit Kroatien

Se. Majestät der Kaiser geruhten die vier durch eine Deputation gestellten Bitten der kroatischen Banalkonferenz als den Gegenstand der Konferenzberatung Ah. zu bezeichnen1.

1. Der Gebrauch der kroatischen Sprache im Dienste der Landesstelle und der Banaltafel auf dieselbe Weise wie jener der ungarischen Sprache bei der Statthalterei zu Ofen2. Gegen diese Bitte wurde von keiner Seite eine Erinnerung erhoben, und Se. k. k. apost. Majestät geruhten Allerhöchstsich für deren unmittelbare Gewährung Ag. zu entscheiden.

2. Ausscheidung der kroatischen Angelegenheiten aus den Agenden des Staatsministeriums und provisorische Übertragung derselben wie auch der administrativen Justizgeschäfte an eine eigene kroatische Hofkanzlei, deren Chef Mitglied der Ministerkonferenz ist. Der Banus motivierte die Ah. Gewährung dieses sehnlichen Wunsches durch die politische Notwendigkeit, Kroatien für die Zeit, welche bis zur Entscheidung seines Verhältnisses zu Ungarn verlaufen wird, gewissermaßen auf einen neutralen Boden zu stellen. Die oberste Leitung der kroatischen Angelegenheiten mag nun bei dem Staatsministerium bleiben oder an die ungarische Hofkanzlei abgetreten werden, man wird im Lande damit stets unzufrieden sein, weil man besorgen wird, daß diese Leitung nicht unparteiisch, sondern im Sinne des Anschlusses an die eine oder die andere Ländergruppe stattfindet. Se. Majestät der Kaiser dürften daher diese wesentlich beruhigende Einrichtung, welche jedenfalls nur ein Provisorium wäre, Ag. zu genehmigen geruhen.

Der Ministerpräsident und der Staatsminister erhoben gegen die Bildung einer kroatischen Hofkanzlei die Bedenken, daß dieselbe 1. eine Abänderung der strenge festzuhaltenden Ah. Bestim­mungen vom 20. Oktober begründe, 2. daß hieraus Exemplifikationen hervorgehen würden, und 3. daß der kroatischen Geschäfte relativ zur Stellung || S. 123 PDF || und zum Personale einer „Hofkanzlei“ viel zu wenig wären. Die Beunruhigung im Lande dürfte sich aber einfach durch die Ah. Anordnung beheben lassen, daß der Banus zur Beratung der Kroatien betreffenden Organisations­angelegenheiten stets in die Ministerkonferenz einberufen werde. Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Rainer stimmte ebenfalls gegen die Bildung einer kroatischen Hofkanzlei. Minister Graf Szécsen bedauert, daß der Hofkanzler Baron Vay bei der Beratung dieser wichtigen Angelegenheit nicht zugegen sei. Wenn auf diese Bitte eingegangen werden sollte, erschiene möglichste Vorsicht in der Form nötig, um in Ungarn nicht zu verletzen und auch durch das Verhandeln mit einer Konferenz nicht ein gefährliches Präcedens zu begründen. Vielleicht läge ein Auskunftsmittel darin, eine kroatische Sektion des Staatsministeriums directe der Ministerkonferenz unterzustellen. Der Hofkanzler v. Szőgyény würde aus ähnlichen Gründen wie die Vorstimmen raten, dem nicht vom kroatischen Landtage, sondern von der Banalkonferenz ausgegangenen Wunsche nicht zu willfahren, indem man in der Gewährung bereits eine negative Präjudizierung des künftigen Verhältnisses von Kroatien zu Ungarn wird erkennen wollen. Kroatien habe nie eine Kanzlei gehabt, nur in den [siebzehnhundert]siebenziger Jahren bestand ein „Consilium Croatico-Slavonico-Dalmaticum“3.

Der Polizeiminister , Minister v. Lasser und Reichsrat v. Plener fanden dagegen, daß die Bildung einer kroatischen Zentralbehörde mit dem Wesen der Ah. Bestimmungen vom 20. Oktober nicht im Widerspruche stehe und daß die Verhältnisse, welche eine zeitweise Isolierung der obersten Leitung als nötig erscheinen lassen, hier so exzeptionell sind, daß darauf keine Beispielsfolgerungen gebaut werden können. Der politische Standpunkt sei hiebei der entscheidende und dürfte die vom administrativen Standpunkte dagegen zu erhebenden Anstände weitaus überwiegen.

Der Banus FML. Baron Šokčević klärte auf, daß die nach uralten Gewohnheiten von ihm zusammengesetzte Banalkonferenz gemäß des usus nicht unberechtigt erscheine, ihre Bitten Sr. Majestät dem Kaiser durch den Ban zu Füßen zu legen. Es wird nur eine provisorische administrative Isolierung des Landes gewünscht, damit es, frei von dem Einflusse der Nachbarländer, sich über die Anschlußfrage entscheiden könne. Gegenwärtig sei Kroatien diesfalls Siebenbürgen gegenüber im Nachteile4. Andererseits gehen auch die Begehren nicht so weit, daß für den Präsidenten der kroatischen Zentralbehörde permanent Sitz und Stimme in der Ministerkonferenz angestrebt werde. Man begnügt sich vielmehr damit, daß er den Beratungen in kroatischen Angelegenheiten beigezogen werde, um in der Konferenz den eigentümlichen Verhältnissen des Landes die geeignete Berücksichtigung zu verschaffen.

|| S. 124 PDF || Nach längerer Erörterung der Frage geruhten Se. k. k. apost. Majestät Allerhöchstsich dafür zu entscheiden, daß eine kroatische Hofkommission mit einem Hofkommissär an der Spitze zur Leitung der bisher im Staatsministerium behandelten kroatischen Angelegenheiten, dann der administrativen Justizsachen bestellt werde. Der Hofkommissär hätte seine Vorträge direkt an Se. Majestät zu erstatten und würde in den Ministerkonferenzen bei Beratung kroatischer Angelegenheiten Sitz und Stimme erhalten. Der Minister Graf Szécsen wurde von Sr. Majestät Ah. beauftragt, den Entwurf des über die Bitten der Banalkonferenz an den Ban zu richtenden Ah. Handschreibens zu verfassen.

3. Baldige Konstituierung der Komitate und Wahl der Obergespäne.

Nachdem von keiner Seite dagegen eine Erinnerung erhoben wurde, geruhten Se. Majestät der Kaiser die Ah. Absicht auszusprechen, dieser Bitte Ag. zu willfahren, jedoch in der Art, daß bei der territorialen Abgrenzung der Komitate die dermaligen Landesgrenzen beobachtet würden, wogegen es keinem Anstande unterliege, im Inneren Kroatiens auf die früheren Komitatsgrenzen zurückzugehen.

4. Wiedervereinigung Dalmatiens, dann der ehemals kroatischen Distrikte Istriens wie auch der exkroatischen Inseln im Quarnero mit Kroatien.

Der Staatsminister fand die Ansprüche auf Istrien zu weitgehend, staatsrechtlich nicht begründet und zudem, ohne Vernehmung der Istrianer, nicht erfüllbar. Die Ansprüche auf Wiedervereinigung Dalmatiens sind auch keineswegs auf alle Bestandteile dieses Kronlandes nachweisbar, welches mit dem „kroatischen Dalmatien“ nicht ganz identisch ist. Manche Teile des letzteren sind nicht im Besitze Österreichs, andererseits haben Ragusa, Cattaro und einige Teile des exvenezianischen Dalmatiens niemals zu Kroatien gehört. Bei diesem Umstande, und da das heutige Dalmatien ein selbständiges Kronland ist und somit eine eigene Landesvertretung zu erwarten hat, könne der Staatsminister nicht darauf einraten, daß die sogenannte Wiedervereinigung, zumal ohne Vernehmung der Dalmatiner Landesvertretung, bloß über einseitiges Begehren der Banalkonferenz Allerhöchstenortes verfügt werde. Ferner wäre auch die Entscheidung über den Anschluß Kroatiens an Ungarn vor dieser Vernehmung abzuwarten.

Der Polizeiminister sprach sich in ähnlicher Weise aus und glaubte, es dürfte bloß die Ah. Geneigtheit zu dieser Vereinigung, wenn sie von Dalmatien gewünscht werden würde, ausgesprochen werden. Der Ministerpräsident fand die Vereinigung dieses Kronlandes, in welchem rührige revolutionäre Elemente nach Italien gravitieren, mit Kroatien aus politischen Gründen wünschenswert. Nichtsdestoweniger schiene es nicht unbedenklich, jetzt durch Stellung der Anschlußfrage in Dalmatien Agitationen hervorzurufen. Der Kriegsminister würde jedenfalls die Entscheidung über diesen Punkt bis zu dem Zeitpunkte vertagen, wo über den Anschluß Kroatiens an Ungarn entschieden sein wird. Das Experiment einer Abstimmung im Lande über die Anschlußfrage dürfte gegenwärtig bei der geringen Bildungsstufe der Morlaken ein gewagtes sein. Wie will man den Wünschen dieser Bevölkerung Worte leihen? Der Leiter des Justizministeriums erkannte die Vereinigung Dalmatiens mit Kroatien als vom allgemeinen österreichischen Standpunkte wünschenswert an. Selbst in Ungarn könnte die Maßregel wegen der Aussicht auf diesen weiteren Zuwachs nur willkommen sein. Eine staatsrechtliche Notwendigkeit, die Bevölkerung Dalmatiens – eines durch Ereignisse der neuen Zeit aus heterogenen Elementen zusammengewürfelten künstlichen Konglomerats – vorläufig zu befragen, || S. 125 PDF || scheine zwar nicht vorhanden zu sein. Ein gegenwärtig hierüber zu fassender Ah. Beschluß würde [aber] in dem Patente vom 7. April 1850 (mit dem kroatischen Landtagsabschiede, RGBl. [Nr. 244/1850] S. 995, Abschnitt 5) einen Anhaltspunkt finden, indem damals Ah. ausgesprochen worden ist, daß über den Anschluß Dalmatiens und die Bedingung desselben von den Abgeordneten Dalmatiens und der kroatisch-slawonischen Landeskongregation, vorbehaltlich der Ah. Sanktion, verhandelt werden soll. An dies anknüpfend, dürfte die eigentliche Entscheidung dem Zeitpunkte vorbehalten werden, wo die Anschlußfrage an Ungarn entschieden sein wird. Hiezu dürfte seinerzeit nicht die Einberufung eines Landtages auf Grundlage eines zu erlassenden Statuts, sondern bloß die Erlassung einer Wahlordnung für aAbgeordnete aus Dalmatiena notwendig werden. Minister Graf Szécsen tritt im wesentlichen den Ansichten der Vorstimme bei, da er im Diplom vom 20. Oktober, worin die Aufrechthaltung der Individualität aller Kronländer nicht ausgesprochen wurde, kein Hindernis dagegen erblickt. Bei dem Akte der Vereinigung müsse seinerzeit die Untrennbarkeit dieses Teiles von der Monarchie bnach der Pragmatischen Sanktionb gehörig gewahrt werden. Reichsrat v. Plener findet den vom Minister Ritter v. Lasser angedeuteten Anhaltspunkt ganz angemessen, hätte aber doch staatsrechliche Bedenken dagegen, die Vereinigung ohne Anhörung des Landes auszusprechen. Se. k. k. Hoheit der Herr Erzherzog Reichsratspräsident teilte gleichfalls diese Meinung, cindem er seine Ansicht dahin aussprach, daß er nicht glaube, daß es nach Erlassung des Diplomes vom 20. Oktober d. J. angezeigt sei, eine so weitgehende Entscheidung über die künftige Stellung eines Kronlandes zu treffen, ohne dessen gesetzliche Vertreter hierüber gehört zu haben.c

Der Staatsminister erinnerte daran, daß das Königreich Dalmatien nach dem Diplom vom 20. Oktober, wovon es auch ein Exemplar erhalten wird, Anspruch auf Verleihung eines eigenen Landesstatuts habe. Die administrative Vereinigung beider Länder biete große Schwierigkeiten5. Der Banus bemerkte, daß in Kroatien bloß die Vereinigung der Administration in ihren Spitzen gewünscht werde.

Nachdem der Ministerpräsident bemerkt hatte, daß FML. Mamula, obgleich ein Slawe, gegen die Vereinigung Dalmatiens eingenommen sei und es sehr angezeigt wäre, vor der definitiven Entscheidung über die Frage seine auf genaue Kenntnis der Verhältnisse gestützte Meinung zu vernehmen, geruhten Se. k. k. apost. Majestät die Ah. Absicht auszusprechen, denselben nach Wien einzuberufen. Einstweilen sei der Banalkonferenz die Ah. Geneigtheit auszusprechen, die Wiedervereinigung Dalmatiens nach Anhörung der Bewohner desselben zu bewilligen6.

II. Widerlegung der Gerüchte über den Verkauf Venedigs

Se. Majestät der Kaiser geruhten auf die Notwendigkeit hinzuweisen, den stets neu auftauchenden Behauptungen, daß Österreich Venetien verkaufen solle und werde, || S. 126 PDF || ein bestimmtes Dementi entgegenzusetzen7. Diese Gerüchte gehen aus den Blättern des Auslandes in die österreichischen über und schaden uns wesentlich. Daß Österreich seiner militärischen Stellung wegen Venetien um keinen Preis aufgeben könne, habe selbst eine Autorität aus dem feindlichen Lager, Marschall Niel, anerkannt8.

Der Ministerpräsident führte weiters an, daß der fortdauernde Besitz Venedigs für Österreich nicht bloß eine Sache des Ehrenpunktes und der strategischen Opportunität, sondern selbst des wohlverstandenen finanziellen Interesses sei, indem man bei Aufgebung dieses Landes zum Schutze der benachbarten Kronländer ausgedehnte Befestigungen an den neuen Staatsgrenzen mit ungeheurem Aufwande aufführen, diese Plätze armieren und mit zahlreichen Besatzungen versehen müßte, was weit mehr als den zu erzielenden Kaufpreis ausmachen würde.

Der Staatsminister glaubte, daß es, nach dem in der „Donau“ bereits gegebenen Dementi9 genügen dürfte, den Journalen die wiederholte Besprechung des Verkaufes zu verbieten. Der Polizeiminister würde jedoch eine positive Erklärung in der Wiener Zeitung jedenfalls für wirksamer halten. Der Leiter des Finanzministeriums legte einen hohen Wert darauf, daß der Artikel nichts Provozierendes enthalte, woraus man kriegerische Velleitäten folgern könnte. Man dürfte sich darauf beschränken, zu sagen, daß die Gerüchte über das Bestehen von Verhandlungen wegen des Verkaufs von Venedig unwahr seien. Der Ministerpräsident , der diese Erklärung mancherlei Deutungen zulassend und nicht positiv genug fand, behielt sich vor, darüber einen positiveren Artikel zu entwerfen.

Se. Majestät der Kaiser geruhten Ah. zu befehlen, daß die Zeitungen, die nach Veröffentlichung des Artikels noch den Wunsch eines Verkaufes von Venedig aussprechen sollten, zu bestrafen seien10.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 14. Dezember 1860.