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Nr. 204 Ministerkonferenz, Wien, 22. August 1860 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. Erzherzog Wilhelm 27. 8., Erzherzog Rainer, (Rechberg 23./28. 8.), Thun, Nádasdy 23. 8., Gołuchowski 25. 8., Thierry 25. 8., Plener 23. 8., FML. Schmerling 26. 8.

MRZ. – KZ. 2838 –

Protokoll der Ministerkonferenz am 22. August 1860 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Verstärkung des Militärs in Dalmatien und im kroatischen Litorale

Se. k. k. apost. Majestät geruhten die bereits in der Ministerkonferenz am 16. l. M. beratene Frage über die Opportunität, schon dermal eine Verstärkung der Militärmacht in Dalmatien und dem nördlichen Litoral eintreten zu lassen, zur Sprache zu bringen1.

Der Ministerpräsident äußerte, er habe bei der ersten Beratung für einen Aufschub dieser Maßregel gestimmt, weil damals noch eine Aussicht vorhanden war, daß die neapolitanische Regierung den Angriffen Garibaldis mit einiger Energie und vielleicht nicht ohne Erfolg begegnen werde. Diese Aussicht ist mittlerweile geschwunden, nachdem Garibaldi mit einigen tausend Mann bereits gelandet ist und der Umsturz der legitimen Regierung schon binnen kurzem erfolgen kann2. Unter diesen Umständen müsse Graf Rechberg beantragen, daß die östlichen Küstenländer, insbesondere Fiume, durch eine vermehrte Truppenzahl gegen einen Handstreich der italienischen Revolutionärs gesichert werden. Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Wilhelm , welcher diese Maßregel vom militärischen Standpunkt für notwendig hält, beziffert die diesfälligen Kosten im ersten Monate auf 82.000 f. und in jedem der folgenden auf 52.000 f. Da die Standeserhöhung bei ungarischen Regimentern eintreten wird, so wird hiebei gleichzeitig der Vorteil erreicht, eine Anzahl von Urlaubern aus minder verläßlichen Komitaten herauszuziehen.

Der Minister des Inneren würde die Verstärkung unseres Truppenstandes an jener Küste noch nicht für dringend halten, indem Garibaldi, selbst wenn er sich der Stadt Neapel bemächtigt hat, noch in den Provinzen, insbesondere den Abruzzen, manchen Widerstand zu bekämpfen haben wird, so daß er wohl noch längere Zeit an keine überseeischen Expeditionen werde denken können. Der Kultusminister würde einen Aufschub von etwa acht Tagen angezeigt halten, binnen welcher Zeit die Verhältnisse in Neapel sich klären müssen. Auch der Reichsrat v. Plener war dieser Meinung, um zu der Mehrauslage, welche auch zum Teil in Silber zu bestreiten sein wird, erst dann zu schreiten, wenn sie unvermeidlich geworden ist.

Der Justizminister glaubt, daß man mit der in Rede stehenden Maßregel nicht zögern sollte, nachdem Garibaldi bereits über 20.000 Mann regulärer Truppen und || S. 381 PDF || zahlreiche Transportschiffe gebietet. Auch die Einberufung der ungarischen Urlauber sei sehr angezeigt. Der Polizeiminister , diese Meinung teilend, machte darauf aufmerksam, daß bis zum Eintreffen der Verstärkungen in Dalmatien mindestens 23 Tage vergehen werden.

Nachdem Se. Majestät der Kaiser Allerhöchstsich für die unverzügliche Truppenverstärkung zu entscheiden geruht hatten, wurde in Erwägung gezogen, ob man nicht durch einen Zeitungsartikel über Zweck und Umfang der militärischen Dispositionen dem Entstehen von übertriebenen und beunruhigenden Gerüchten vorbeugen solle, wie Graf Thun beantragte. Der Ministerpräsident, der Minister des Inneren und Reichsrat v. Plener waren dagegen der Meinung, daß der Zweck der Beruhigung sicherer erreicht werden dürfte, wenn erst den etwa auftauchenden übertriebenen Gerüchten eine offiziöse Berichtigung entgegengesetzt würde3.

II. Verstärkung der Armee im Venezianischen

Über die hierauf von Sr. Majestät dem Kaiser Ah. gestellte Frage, ob es nicht auch jetzt schon geraten wäre, unsere Armee im Venezianischen zu verstärken, zumal diese Disposition einen Zeitaufwand von 33–40 Tagen erfordern dürfte, äußerte der Ministerpräsident , daß ihm der Augenblick zu einer solchen Verfügung noch nicht gekommen zu sein scheine. Es sei zwar sehr schwer, heutzutage für die Ereignisse auch nur der nächsten Zukunft gutzustehen, aber Sardinien sei zu einem großen Feldzuge noch nicht gerüstet, und Frankreich sowie England dringen in dasselbe, nicht anzugreifen. Reichsrat v. Plener machte die finanzielle Notwendigkeit geltend, die Verstärkungen im Venezianischen erst bei vorhandener Notwendigkeit eintreten zu lassen, um den ohnehin kleinen Silberschatz nicht vorzeitig zu konsumieren4.

III. Umgestaltung von Segel- in Dampfschiffe und Rückberufung der Kriegsschiffe aus Syrien

Se. Majestät geruhten die Frage zu stellen, ob der Aufwand für die Umstaltung von Kriegssegel­schiffen in Propeller bei dem Reichsratskomitee in nähere Erwägung gezogen worden sei5. Reichsrat v. Plener gab die Auskunft, daß die diesfällige Dotation von einer Million nur im allgemeineren zur Sprache kam6. Der Leiter des Finanzministeriums könne es übrigens nur dringend bevorworten, diese Umstaltung aufzuschieben, um für bevorstehende, nicht präliminierte Auslagen die nötigen Geldmittel zu bewahren.

Bei diesem Anlasse erlaube er sich auch die Bitte, die k. k. Kriegsschiffe aus Syrien baldmöglichst zurückzuberufen, zumal sie dort viel mehr kosten als im Adriatischen Meere, || S. 382 PDF || wo ihre Gegenwart bald notwendig werden dürfte7. Se. k. k. Majestät geruhten den Minister­präsidenten zu beauftragen, daß er sich wegen dieser Zurückberufung mit der englischen Regierung in das vorläufige Einvernehmen setze8.

IV. Aufhebung mehrerer Waffenausfuhrverbote

Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Chef des Armeeoberkommandos referierte, daß gegenwärtig noch über mehrere österreichische Grenzen Waffenausfuhrverbote bestehen, welche durch keine politische Notwendigkeit motiviert sind und die andererseits den inländischen Waffenfabrikanten die Möglichkeit rauben, sich durch Ausfuhr ihrer Erzeugnisse einigen Ersatz für den immer spärlicher werdenden Absatz im Inlande, namentlich an die Militärverwaltung, zu verschaffen. Nebst den wichtigen nationalökonomischen Rücksichten auf verschiedene Zweige der österreichischen Fabriks- und Montanindustrie verdiene auch hiebei der Umstand erwogen zu werden, daß es vom militärischen Standpunkte sehr wichtig ist, die einheimischen Waffenfabriken nicht verkümmern zu lassen, damit selbe im eintretenden Falle wieder den Bedarf der Armee schnell, gut und nachhaltig zu decken imstande sind. Es dürften daher die noch bestehenden Verbote der Ausfuhr von Waffen nach Rußland, der Walachei, Serbien und Bosnien aufzulassen sein.

Se. Majestät der Kaiser nahmen keinen Anstand Ah. zu genehmigen, daß die Verhandlung wegen unverzüglicher Aufhebung der Waffenausfuhrverbote über alle Grenzen mit Ausnahme der italienischen eingeleitet werde9.

Am 20./28. August 1860. Rechberg. Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 3. September 1860.