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Nr. 177 Ministerkonferenz, Wien, 16. Juni 1860 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 16. 6.), Thun 19. 6., Nádasdy 19. 6., Gołuchowski 20. 6., Thierry 20. 6., Plener 20. 6., FML. Schmerling 20. 6.

MRZ. – KZ. 1996 –

Protokoll der zu Wien am 16. Juni 1860 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.

I. Austritt des Reichsrates Grafen Barkóczy aus dem Komitee für das Grundbuchsgesetz

Nach einer von Sr. k. k. Hoheit dem Herrn Erzherzog Reichsratspräsidenten dem Ministerpräsidenten zugekommenen Eröffnung hat Reichsrat Graf Barkóczy seinen Austritt aus dem Komitee über die Grundbuchsfrage angezeigt, weil er in derselben überstimmt worden1. Se. k. k. Hoheit wünschten das Gutachten der Konferenz zu vernehmen, was hiernach zu verfügen sei. Der Ministerpräsident war der Meinung, es sei das Prinzip nicht zuzulassen, daß ein Komiteemitglied, weil es mit seiner Meinung in der Minorität geblieben, also aus politischen Gründen austreten könne, indem dadurch jede Komiteeberatung vereitelt werden könnte.

Indessen erkannte die Konferenz an, daß diese Angelegenheit als ein Internum des verstärkten Reichsrates nur durch dessen Präsidenten vor der ganzen Versammlung zur Entscheidung gebracht werden könne. Sie war daher nach dem Antrage des Ministers des Inneren der Meinung, es wären Se. k. k. Hoheit zu bitten, den aWunsch des Grafen Barkóczy, aus dem Komitee zu treten, auf die Tagesordnung der nächsten Plenarsitzung zu setzen, in welcher sodann ein anderes Mitglied des nämlichen Komitees die Unstatthaftigkeit eines so gestalteten Austritts entwickeln und den Antrag auf Zurückweisung stellen kanna .

Der Ministerpräsident wird dies zur höchsten Kenntnis Sr. k. k. Hoheit bringen2.

II. Vorlagen über Organisierung der Gemeinde- und Landesvertretung an den verstärkten Reichsrat

Bei diesem Anlasse bemerkte der Leiter des Finanzministeriums , es sei der allgemeine Wunsch der Mitglieder des verstärkten Reichsrates, denen es um die Erhaltung und Befestigung der Reichseinheit ernstlich und aufrichtig zu tun ist, daß ihnen einige Mitteilungen darüber gemacht werden mögen, welche Maßregeln die Regierung || S. 256 PDF || in Absicht auf die wichtigsten Angelegenheiten der inneren Organisation, insbesondere der Bezirksgemeinden und Landesvertretungen zu treffen gedenke, um einerseits eine Garantie gegen das Auseinandergehen der Kronländer, andererseits feste Grundlagen zur Feststellung eines das Gleichgewicht zwischen Einnahme und Ausgabe herstellenden Budgets zu erhalten. Der Leiter des Finanzministeriums glaubte in der Gewährung dieses billigen Wunsches das Mittel einer Verständigung zwischen Regierung und verstärktem Reichsrat und des engeren Anschließens desselben an erstere zu erblicken, während er von der Verweigerung besorgt, daß die aus den Provinzen berufenen Mitglieder Wien unbefriedigt verlassen und das Gefühl des Mißbehagens und der Unsicherheit über die künftige Neugestaltung Österreichs mit nach Hause nehmen würden.

Der Minister des Inneren erklärte sich gegen jede derartige Vorlage oder Mitteilung an den verstärkten Reichsrat, und zwar formell aus dem Grunde, weil die Gemeindeverfassungen und Landesver­tretungsentwürfe teils noch in der Ausarbeitung begriffen sind, teils, so weit sie bereits ausgearbeitet und vorgelegt sind, derzeit noch der Ah. Sanktion Sr. Majestät entbehren3, mithin nicht als Akte der Regierung, sondern nur als Projekte der betreffenden Minister angesehen werden können; dann, weil die Entwürfe der Landesstatute insbesondere, sobald sie mit Ah. Genehmigung hinausgegeben sein werden, zunächst den auf ihrer Grundlage zu berufenden Landesvertretungen selbst Gelegenheit geben sollen, etwaige Wünsche und Bitten um Modifikationen vorzubringen, die dann ohnehin nach dem Bestimmungen des Statuts für den verstärkten Reichsrat wiederum Gegenstand seiner Beratung sein würden. Materiell aber stände jeder derartigen Mitteilung das Bedenken entgegen, daß selbe vom verstärkten Reichsrate zum Gegenstand eingehender Erörterung und Kritik gemacht, hierdurch sein gesetzlicher Standpunkt und die ihm zugewiesene Aufgabe verrückt und dem offenbaren Streben, sich als Assemblée constituante zu gerieren, Nahrung gegeben werden würde. Dies aber kann die Regierung unmöglich zulassen. Der Justizminister , im wesentlichen mit dem Minister des Inneren einverstanden, würde, so weit es sein Ressort betrifft, keinen Anstand nehmen, dem verstärkten Reichsrate dasjenige mitzuteilen, wozu er durch Ah. Entschließung Sr. Majestät ermächtigt worden ist, nämlich zu Anträgen über die Einführung von Friedensgerichten, wie sie in Ungern und Siebenbürgen bestehen4, zur Ausdehnung der Wirksamkeit der Notare als Gerichtskommissäre5, zur Einführung der Mündlich- und Öffentlichkeit bei den Merkantilgerichten und eventuell im ganzen Zivilprozesse etc.6, alles Maßregeln, von denen sich eine Vereinfachung der Geschäfte, sohin eine Verminderung der lf. Gerichtsbeamten, also eine Herabsetzung des Justizbudgets erwarten läßt. Er würde aber auch zugleich bemerken, daß diese Erwartungen sich erst nach einigen Jahren realisieren können, daß daher der verstärkte Reichsrat derzeit || S. 257 PDF || sich darauf beschränken möge, den Staatsvoranschlag pro 1861, der schon in wenigen Monaten zur Ausführung kommen muß, so, wie er vorliegt, zu begutachten. Der Polizeiminister schloß sich ganz dieser Ansicht an, und der Ministerpräsident trat jener des Minister des Inneren unbedingt bei.

Der Kultusminister endlich, mit dem FML. Ritter v. Schmerling sich vereinigte, verkannte nicht die Richtigkeit des vom Minister des Inneren erhobenen formellen Bedenkens. Er habe darum bseinerzeit immer auf das dringendste davor gewarnt und dagegen gestimmtb, den verstärkten Reichsrat zu berufen, bevor die Regierung über die Grundprinzipien der Organisierung der Gemeinden und der Konstituierung der Landtage mit sich vollkommen im klaren ist. cIn der Sache selbst halte er den Wunsch der Reichsräte nach einer Mitteilung über Absichten der Regierung bezüglich der organisatorischen Fragen für einen so gerechtfertigten, daß er darin noch keinen Beweis einer Absicht, die dem Reichsrat vorgezeichneten Schranken zu durchbrechen, – so wenig verbürgt werden könne, daß bei einzelnen nicht auch diese Absicht im Spiele sei – erblicken könne. Nachdem vorläufig das Defizit im Staatshaushalte nicht beseitiget werden könnte, führe die dem verstärkten Reichsrate gestellte Aufgabe, über die Herstellung des Gleichgewichtes zu beraten, unvermeidlich zu der Erwägung, durch welche Änderungen in den organischen Einrichtungen weitere Ersparungen ermöglicht werden können, und wenn der verstärkte Reichsrat nicht in dieser Beziehung eine Initiative ergreifen will, so erübrige seinen Mitgliedern nichts, als um Mitteilungen über die Absichten der Regierung zu ersuchen. Wenn übrigens auch das Detail der Gemeindegesetze und Landesstatute Angelegenheit der einzelnen Länder ist, so läßt sich doch nicht verkennen, daß die Prinzipien, nach welchen bei deren Verfassung vorgegangen wird, eben jetztc zu den allerwichtigsten Reichsangelegenheiten gehören. dEs sei deshalb nicht notwendig, die Landesstatute als Vorlagen zur Beratung an den verstärkten Reichsrat zu leiten, was auch nicht verlangt werde. Allein, dem Votanten scheine es höchst wünschenswert, ja, er sehe darin den einzigen Ausweg aus den großen Schwierigkeiten der gegenwärtigen Lage, daß es gelinge, sich mit den einflußreichsten Gliedern des verstärkten Reichsrates über die organisatorischen Fragen im vertraulichen Wege zu verständigen, sodaß bei dem Schlusse der Session die bezüglichen Verordnungen mit Aussicht auf eine günstige Aufnahme erlassen werden könntend .7

III. Regelung der Verhältnisse der südlichen und zentralitalienischen Eisenbahn

Die südliche Staatseisenbahn ist der privaten (französischen) [südlichen] Staatseisen­bahngesellschaft um 100 Millionen österreichische Lire (wovon 70 Millionen in Raten, || S. 258 PDF || 30 Millionen aber dann zu zahlen sind, wann ihr Erträgnis 7% rein übersteigt) gegen dem überlassen worden, daß der Staat 51/5% der Ablösungssumme und des Anlagekapitals der noch auszubauenden Strecken garantiere8. Außerdem hat sie die italienische Zentraleisenbahn erworben9, für welche von den fünf Regierungen Österreich, Modena, Parma, Toskana und Kirchenstaat ein Reinerträgnis von 6½ Millionen [Lire] garantiert worden10 und der Abgang von Österreich vorschußweise zu decken ist (1,900.000 Lire hätte es am 1. Juli 1860 zu zahlen)11. Im Zürcher Frieden wurde an den diesfälligen Bestimmungen nichts geändert12; doch haben sich, namentlich durch die faktische Gestaltung der zentralitalienischen Staaten, solche Verhältnisse herausgestellt, welche es der Gesellschaft selbst wünschenswert machen, einige Modifikationen vorzuschlagen. Sie hat daher dem Leiter des Finanzministeriums ihre diesfälligen Propositionen übergeben, deren wesentliche Punkte sind: 1. Trennung der venezianischen Linien bis zur Lombardie von den lombardischen, dann von der italienischen Zentraleisenbahn, und Beschränkung der österreichischen Garantie auf die österreichischen Linien, sodaß dadurch der Vertrag mit den vier italienischen Staaten außer Kraft träte. 2. Beschränkung ihrer Verpflichtung zur Zahlung der letzten Ablösungsrate nach Maß des 7% übersteigenden Erträgnisses auf den venezianischen Teil der Eisenbahn. 3. Trennung des Verwaltungsrates in der Art, daß für die österreichischen Linien der Verwaltungsrat in Wien, für die italienischen (venezianischen ausgenommen) der Verwaltungsrat in Mailand unabhängig bestellt und nur für gemeinsame Angelegenheiten, z. B. Aufnahme von Anleihen zur Vollendung der auszubauenden Strecken etc., eine Generalversammlung an einem dritten Ort berufen werden13.

Der Leiter des Finanzministeriums hob vor allem hervor, ob nicht die Annahme dieser Propositionen, insbesondere der Aufhebung des Vertrags mit den vier italienischen Staaten, eine bedenkliche Anerkennung des dermaligen faktischen Zustandes der Annexion involviere14. Nachdem aber der Minister des Äußern dieses Bedenken mit der || S. 259 PDF || Bemerkung behoben hatte, daß es sich hier lediglich um den Abschluß eines Vertrags mit der Gesellschaft handle und die letztere bezüglich der dabei noch intervenierenden italienischen Staaten sich halten möge, an wen sie wolle, sonach die k.k. Regierung hierwegen niemals mit der sardinischen in Berührung kommen würde, erklärte der Leiter des Finanzministeriums , daß unter den obwaltenden Verhältnissen die Propositionen annehmbar erscheinen, nur wäre gegen die sub 3. erwähnte Zusammentretung der zwei Verwaltungsräte an einem dritten, wahrscheinlich ausländischen Orte, Verwahrung einzulegen und die Gelegenheit zu einigen Stipulationen über Abkürzung der Fristen zum Ausbau einiger inländischer Strecken, dann wegen Verzichtleistung der Gesellschaft auf die Zollbegünstigung beim Schienenbezuge etc. zu benützen.

Der Leiter des Finanzministeriums gedächte daher, den Proponenten mit Zustimmung der Konferenz zu eröffnen, die Regierung sei geneigt, über die vorgelegten Propositionen mit der Gesellschaft in nähere Unterhandlung zu treten. Zu diesem Behufe wäre aber eine vorläufige genaue Prüfung des Details und der Konsequenzen der Vorschläge nötig, daher er den Minister des Äußern ersuchte, den Geheimen Rat Baron Meysenbug einzuladen, daß er sich dieser Aufgabe gemeinschaftlich mit dem Referenten des Finanzministeriums Sektionsrat Maly unterziehe.

Der Minister des Äußern wird hierwegen das Erforderliche verfügen15.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Laxenburg, 23. Juni 1860.