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Nr. 150 Ministerkonferenz, Wien, 12. Mai 1860 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 14./21. 5.), Thun 16. 5., Nádasdy 17. 5., Gołuchowski 15. 5., Thierry 19. 5., FML. Schmerling 19. 5., Plener 19. 5.

MRZ. – KZ. 1674 –

Protokoll vom 12. Mai 1860 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten und Ministers des kaiserlichen Hauses und des Äußern Grafen Rechberg.

[I.] Die Maßregeln zur Behebung der Agitation unter den Evangelischen Ungarns (2. Beratung)

Der Justizminister las den infolge des von Sr. Majestät dem Kaiser in der Konferenz am 12. d.M. erhaltenen Ah. Auftrages verfaßten Entwurfa eines Ah. Handschreibens an den FZM. Ritter v. Benedek über die Reglung der protestantischen Kirchenangelegenheiten und die Behebung der Agitation unter den Evangelischen Ungarns und bemerkte, er habe sich dabei den Anträgen des Kultusministers wesentlich genähert, weil er sich überzeugt habe, daß die Abhaltung der Generalkonferenz nach dem Gesetz von 1791 der Synode vorausgehen muß1. In Details, namentlich auf die Zurücknahme der Superintendenz­einteilung (bei den Kalvinisten ganz, bei den Lutheranern teilweise), habe Graf Nádasdy nicht nötig erachtet einzugehen und sich darauf beschränkt, den kräftigsten Schutz der bereits koordinierten Superintendenzen auszusprechen. Dies schließe die Vorbringung von Wünschen auf eine andere Einteilung der übrigen Superintendenzen nicht aus.

Der Kultusminister erklärte, sich mit dem vorgelesenen Entwurfe weder in der Form noch in merito vereinigen zu können. In formaler Beziehung erscheine es ihm 1. nicht angemessen, daß b[der] Erlaßb nicht an den Kultusminister, sondern an den Landeschef gerichtet werde, cnachdem seine Wirksamkeit sich nicht bloß auf Ungarn, sondern auf alle Länder, für welche das Ah. Patent erlassen worden ist, erstreckt und der FZM. Benedek nicht in der Lage sei, auf bloßer Grundlage des vorgeschlagenen Ah. Handschreibens die Angelegenheit durchzuführenc . 2. Finde Graf Thun, daß der Ah. Erlaß nicht als erst durch die vom FZM. Ritter v. Benedek vorgetragenen Wahrnehmungen über Hindernisse in der Ausführung des Patents veranlaßt bezeichnet werden könne. Diese Hindernisse bestünden notorisch schon seit langer Zeit und seien auf verschiedenen Wegen, selbst in Adressen, zur Ah. Kenntnis gebracht worden. Die Ah. Beschlüsse dürften daher einfach und völlig wahrheitsgetreu durch den Wunsch Sr. Majestät motiviert werden, der vorhandenen Beunruhigung der Gemüter ein Ende zu machen.d In merito aber halte er einen bestimmen Ah. Ausspruch, daß die neue Superintendenzialeinteilung || S. 151 PDF || bei den Kalvinern ganz, bei den Lutheranern so weit sie die bereits koordinierten zwei Superintendenzen betrifft, aufgegeben werde, für unerläßlich. eDer von dem Justizminister vorgeschlagene Satz, daß auch die noch nicht koordinierten Kirchendistrikte sich in Konventen versammeln können, genüge in dieser Beziehung durchaus nicht; denn es handle sich nicht nur um die Frage, ob von der Forderung abgegangen werde, daß die Koordinierung der Gemeinden und Seniorate der Abhaltung von Super[intendenzial]konventen vorangehen solle, sondern auch darum, ob statt der im Patente vorgezeichneten die vorbestandenen Distrikte wieder zulässig seien. Überhaupt sei es unerläßlich, daß das Ah. Hand­schreiben die Willensmeinung Sr. Majestät und die Grenzen der Konzession deutlich enthalte. Durch die Art, wie gegenüber den im Monate Januar nach Wien gekommenen Deputationen vorgegangen wurde, sei den ungarischen Protestanten zu der Meinung Veranlassung gegeben worden, die von dem Kultusminister (immer infolge der eindringlichsten Beratungen in der Ministerkonferenz) getroffenen Maßregeln und angestrebten Ziele werden von dem Herrn Ministerpräsidenten und von Sr. Majestät nicht unbedingt gebilligt, was nicht wenig zu der dermaligen Verwickelung beigetragen hat. Wenn jetzt durch Ah. Handschreiben große Konzessionen gemacht werden, aber in einer unbestimmten Weise, sodaß der Kultusminister genötiget sei, sich erst genauer über ihre Bedeutung auszusprechen und dabei nicht unbedingt geschützt zu sein gegen die neuerliche Verdächtigung, als handle er nicht im Sinne Sr. Majestät, so sei seine Stellung eine ganz und gar unhaltbare. Er könne daher unmöglich die Ausführung eines Ah. Handschreibens übernehmen, in welchem nicht klar ausgesprochen ist, wie weit von den Bestimmungen des Ah. Patents vom 1. September abgesehen werde.e

Der Justizminister erwiderte, daß er, insofern Graf Thun auf diesen Ah. Ausspruch einen so großen Wert legt, dagegen keine weitere Erinnerung erheben und auch den vorgeschlagenen formalen Modifikationen seines Entwurfes nicht entgegentreten wolle. Die einzige, aber allerdings wesentliche Differenz unter den beiderseitigen Meinungen bestehe daher nur in der Frage über die vorläufige Verhandlung mit den 24 Deputierten der Konvente, gegen die sich Graf Nádasdy aus den bereits in der Konferenz am 12. d. M. entwickelten und von der Stimmenmehrheit als entscheidend anerkannten Motiven erklären müsse. Diese Männer seien nicht als Deputierte zur Generalkonferenz gewählt, sondern als „Protektoren zur Wiederherstellung des alten Zustandes“ – und zwar ohne Vollmacht. Viele Monate würden mit Verhandlungen nutzlos verstreichen und währenddem die Aufregung nicht beschwichtigt werden.

Der Kultusminister erblickt dagegen in diesen Deputationen fdas Mittel, eine Verständigung der Konvente mit der Regierung formell zu ermöglichen.f Auf diesem Wege allein könne noch manches erreicht werden, was für die Regierung von Wichtigkeit ist, gnachdem man zu dem Geständnis genötigt sei, den einfachen Weg der Gesetzgebung und der Durchführung der erlassenen Gesetze nicht weiter verfolgen zu können.g nachdem man zu dem Geständnis genötigt sei, den einfachen Weg der Gesetzgebung || S. 152 PDF || und der Durchführung der erlassenen Gesetze nicht weiter verfolgen zu können. Man muß sich mit einflußreichen Parteimännern ins Einvernehmen setzen, hwie es ehedem in Ungarn üblich warh . Dies ist’s, was der Kultusminister unter dem Ausdrucke „paktieren“ versteht, der hie und da Anstand erregt hat. Daß die Deputierten keine Vollmacht besitzen, schade nichts, da man ja von ihnen keine bindenden Zusicherungen, keine Beschlüsse fordern wird. Den Zeitverlust glaube der Kultusminister nicht so hoch anschlagen zu sollen. iDie Sache lasse sich einmal nicht überstürzen; er halte eine zweimalige Verständigung, erstens mit Abgeordneten der faktischen Distrikte über die definitive Einteilung vor der Wahl von Superintendenten, sodann mit einer eigentlichen Generalkonferenz unter Teilnahme der Superintendenten über die Zusammensetzung der Synode für unerläßlich, wenn noch auf irgend eine Ordnung gehalten werden soll.i Andererseits müsse er aufmerksam machen, daß eine schnelle Einberufung der Synoden die Gemüter noch keineswegs beruhigen jund Frieden zwischen der Regierung und den Protestanten nicht herstellen werde, wenn die Synode unter dem Einflusse der triumphierenden Oppositionspartei und den dermaligen ungeordneten Kirchenzuständen hervorwächst und daher aus lauter Gliedern besteht, deren Wunsch es ist, der Regierung Verlegenheiten zu bereiten. Es werde unter solchen Umständenj diese Einberufung selbst vielmehr erst das Signal zu noch größeren Bewegungen und Verlegenheiten der Regierung sein, wenn schwierige Fragen wie das Ehegesetz, das Schulwesen und endlich die Parität der Konfessionen zur Diskussion kommen.

Der Minister des Inneren versprach sich von den konfidentiellen Verhandlungen mit Deputierten und Parteimännern keinen reellen Nutzen. Einen großen Wert würde er auf möglichste Klarheit des Ah. Ausspruches legen, ohne jedoch den Ah. Willen über den Schutz der Koordinierten in so scharfer, drastischer Weise auszudrücken wie im Entwurfe. Der Minister der Polizei und FML. Ritter v. Schmerling , dann Reichsrat v. Plener sprachen sich im selben Sinne aus, letzterer mit dem Beisatze, daß den Koordinierten auch die Rückkehr zu dem früheren Zustande ausdrücklich freizustellen wäre, was die Minister des Kultus und der Justiz als selbstverständlich annahmen. Der Ministerpräsident , dem Justizminister beitretend, wies auf die Notwendigkeit hin, den Agitationen in Ungarn baldigst zu steuern, da sich im Orient die Verhältnisse verwickeln2.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 30. Mai 1860.