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Nr. 117 Ministerkonferenz, Wien, 29. Februar 1860 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. Erzherzog Wilhelm, Erzherzog Rainer, (Rechberg 6. 3.), Thun 7. 3., Bruck 7. 3., Nádasdy 7. 3., Gołuchowski 7. 3., Thierry 8. 3., Schmerling 8. 3. Teildruck (I): WALTER, Zentralverwaltung III/4, Nr. 25.

MRZ. – KZ. 797 –

Protokoll der Ministerkonferenz am 29. Februar 1860 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Patent und kaiserliche Verordnung über die Verstärkung des Reichsrates

Se. k. k. apost. Majestät geruhten zu befehlen, daß der ministerielle Entwurf des Ah. Patentes über die Verstärkung des Reichsrates, welcher Entwurf einige Modifikationen erhalten hat, in seiner neuen Gestalt der Konferenzberatung unterzogen werde1. Derselbe wurde daher seinem ganzen Inhalte nach vorgelesen. Die Erinnerungen, welche sich hiebei ergaben, sind im wesentlichen folgende:

Der Absatz 3 im § 1 erhielt mit Ah. Genehmigung folgende Textierung: „Einige Männer, welche sich in unserem Zivil- und Militärdienste oder in anderer Weise ausgezeichnet haben.“ Die Notwendigkeit, für Tirol mit Vorarlberg drei ao. Reichsräte zu bestellen, wurde in reife Erwägung gezogen und von Sr. Majestät Allerhöchst dahin entschieden, daß für Tirol zwei und für Vorarlberg ausdrücklich ein ao. Reichsrat zu bestimmen seien. Dieser Landesteil habe nämlich schon 1816 eine besondere ständische Vertretung erhalten, die auch bei der Huldigung repräsentiert war. Auch jetzt werde eine getrennte Vertretung beantragt. Dieses kleine Land habe zudem ganz andere industrielle Interessen als das eigentliche Tirol. Bei Erörterung der Frage, ob nicht Istrien im Reichsrate besonders zu vertreten wäre, wurde dagegen geltend gemacht, daß in diesem Lande die Elemente zu einer selbständigen Landesvertretung nicht vorhanden sind und es daher angezeigt sei, für dasselbe mit Görz und Gradiska nur eine Landesvertretung, welche allenfalls in Triest zu versammeln wäre, und sohin nur einen ao. Reichsrat zu bestimmen. Dieser Antrag erhielt die Ah. Genehmigung, wie auch die Bestimmung eines Reichsrates für die Stadt Triest mit ihrem Gebiete. Die Festsetzung von sechs Reichsräten für Ungarn statt fünf wurde durch die Absicht motiviert, für Ofen-Pest einen eigenen Reichsrat zu bestimmen, so daß dadurch die Bestellung eines Reichsrates für jeden der fünf Abteilungsbezirke nicht beirrt würde.

Die Frage über lebenslängliche oder bloß zeitliche Funktion der von Sr. Majestät laut § 1 ad 2. und 3. zu ernennenden Reichsräte, bildete den Gegenstand einer längeren Erörterung. Der Justizminister stimmte für eine bloß sechsjährige Amtsdauer, um sich nachteiliger Elemente oder altersschwacher Individuen entledigen zu können. Zugleich wies der Minister auf die gleichfalls bloß zeitliche Ernennung der Regalisten beim siebenbürgischen Landtag hin. Die Minister der Finanzen und der Polizei, sich ebenfalls zu dieser Ansicht neigend, glaubten einverständlich mit dem Ministerpräsidenten, || S. 470 PDF || daß die Frage hier noch offen gelassen werden dürfte. Der Kultusminister dagegen war der Meinung, daß diese Ernennungen auf lebenslang zu geschehen hätten, widrigens man ein Mißtrauen in die eigenen Wahlen von vornherein an den Tag legen würde. Wenn einzelne ao. Reichsräte den gehegten Erwartungen nicht entsprechen, eine feindselige Stellung einnehmen oder sich selbst überlebt haben, so haben Se. Majestät in der Ernennung von andern die Mittel zur Schaffung eines Gegengewichts oder Ersatzes. Der letzte gesetzliche Ausweg zur Beseitigung eines gefährlichen Individuums wäre die Ah. Enthebung desselben nach vorläufiger Vernehmung des Reichsrates selbst, dessen Majorität schwerlich für die Beibehaltung eines Unwürdigen stimmen wird. Die Lebenslänglichkeit der Ernennung steht mit der Stabilität, welche der Reichsrat vertreten soll, und mit dem Ansehen seiner Mitglieder in der Monarchie, in sehr nahem Zusammenhange. Denn man wird die bloß zeitliche Ernennung als ein gegen renitenzlustige Reichsräte gerichtetes Koerzitiv betrachten.

Se. Majestät geruhten Allerhöchstsich für die Lebenslänglichkeit der Funktionen dieser Reichsräte zu erklären.

Nach dem vorgelesenen Entwurfe sollten auch für die Ersatzmänner von den Landesvertretungen Ternavorschläge erstattet werden; deren Erstattung dürfte aber (besonders in kleineren Kronländern) wesentliche Schwierigkeiten in dem Mangel an Auswahl finden. Se. k. k. apost. Majestät geruhten Allerhöchstsich daher für folgende Textierung des bezüglichen Absatzes zu entscheiden: „Sollte während der Dauer der sechsjährigen Periode eines dieser Mitglieder . . . dauernd verhindert sein, so werden Wir aus den bereits Vorgeschlagenen für die noch nicht abgelaufene Dauer der sechsjährigen Periode einen Ersatzmann ernennen.“

Der § 3 lautet im Entwurfe: „Der Beratung in dem verstärkten Reichsrate sollen unterzogen werden: 1. Feststellung des Normalvoranschlages der Staatseinnahmen und Ausgaben; Änderungen in der Finanz- und Steuergesetzgebung; Prüfung der Gebarungsausweise, der Rechnungsabschlüsse und der Vorlagen der Staatsschuldenkommission.“

Im Laufe der hierüber gepflogenen längeren Beratung motivierte der Ministerpräsident die Feststellung eines Normalvoranschlags dadurch, daß diese in mehreren Staaten bestehende Einrichtung die reichsrätliche Prüfung der späteren Voranschläge wesentlich abkürze und erleichtere, weil der Normaletat als feststehend außer Frage bleibt und nur die jährlichen Modifikationen desselben der Diskussion unterliegen. Der Finanzminister machte jedoch dagegen geltend, daß auch durch Festsetzung eines Normalvoranschlags der freien Diskussion aller Posten der späteren Präliminarien kaum Schranken gesetzt werden dürften. Andererseits werde die Praxis von selbst dahin führen, daß ein großer Teil der stehenden Rubriken des Voranschlages mit Hinblick auf deren frühere Prüfungen ohne neuerliche Diskussion angenommen wird. Ferner fand es Baron Bruck bedenklich, die Änderungen in der Finanz- und Steuergesetzgebung im allgemeinen der reichsrätlichen Beratung vorzubehalten, weil dies eine die Administration zu sehr hemmende Beschränkung sein würde.

Schließlich geruhten Se. Majestät folgende vom Finanzminister vorgeschlagene Fassung des Absatzes 1 zu genehmigen: „Feststellung des Staatsvoranschlages, Prüfung der Staatsrechnungsabschlüsse und der Vorlagen der Staatsschuldenkommission“.

Der Absatz 2 des Entwurfes § 3 lautet: „Alle wichtigeren, die Gesamtmonarchie berührenden Gesetzgebungsarbeiten.“ Nach längerer Erörterung, wie dieser Absatz zu fassen wäre, || S. 471 PDF || damit er nicht alle Details der Gesetzgebung dem Reichsrat zuwende, geruhten Se. Majestät der Kaiser Allerhöchstsich dafür zu erklären, daß er beiläufig gefaßt werde: „2. Alle wichtigeren Entwürfe von allgemeinen Gesetzen.“2

Laut § 4 des Entwurfes soll dem Reichsrate eine Initiative zur Vorlage von Gesetz- oder anderen Verordnungsvorschlägen nicht zustehen. Der Kultusminister erklärte sich mit dieser Beschränkung nicht einverstanden, weil dadurch dem Reichsrate der einzige gesetzliche Weg versperrt wird, gewisse Sachen im allgemeinen Interesse selbständig zur Ah. Kenntnis zu bringen. Daß der Reichsrat manchmal auch eine den Ministern unliebsame Initiative ergreifen könne, scheine dem Grafen Thun kein Grund, denselben dergestalt zu beschränken. Hierauf wurde von den mehreren Stimmen entgegnet, daß bei einem unbegrenzten Recht der Initiative auch Utopien aller Art und Wünsche bedenklicher Natur auftauchen könnten, welche der Regierung Verlegenheiten bereiten würden, wenn sie bei der Majorität des Reichsrates Unterstützung fänden. Andererseits werde durch diese Beschränkung jedenfalls dem Zeitverluste durch Beratung der vielen unverdauten Vorschläge vorgebeugt, welche die Vertreter der Kronländer vielleicht im Interesse der letztern stellen zu müssen glauben werden.

Se. k. k. apost. Majestät geruhten den § 4 des Entwurfs Ah. zu genehmigen.

§ 6 erhielt über einen Anwurf von Seite des Kultusministers eine Fassung, welche außer Zweifel stellt, daß sich die Minister im Reichsrate bloß bei Verteidigung ihrer Vorlagen durch Abgeordnete vertreten lassen dürfen.

Dem weiteren Antrage des Kultusministers, daß die Minister Ah. zu ermächtigen wären, den Sitzungen des engeren Reichsrates3 dann beizuwohnen, wenn in denselben wichtige, auch nicht zu ihrem Ressort gehörige Gegenstände verhandelt werden, geruhten Se. Majestät keine Folge zu geben, zumal die wichtigeren Gesetzvorlagen ohnehin im verstärkten Reichsrate beraten werden, wozu die Minister stets den Zutritt haben.

Laut § 10 des Entwurfs soll der § 25 des Reichsratsstatuts von 1851 aufgehoben werden, worin festgesetzt wurde, „die Enthebung vom Amte eines Reichsrates werde, die Fälle der Beförderung zu anderen Funktionen, die Pensionierung wegen Alters und erwiesenen Gebrechen und des nach den allgemeinen Gesetzten vorgesehenen Dienstverlustes ausgenommen, von Sr. Majestät nur nach Anhörung Allerhöchstihres Reichsrates ausgesprochen werden.“ Der Ministerpräsident motivierte seinen Antrag wegen Aufhebung dieses Paragraphes durch den Umstand, daß die Regierung bei den durch das Patent wesentlich geänderten Verhältnissen der Stellung und Zusammensetzung des Reichsrates bedacht sein müsse, durch eine ausgedehntere und freiere Disziplinargewalt über die ordentlichen Reichsräte Bürgschaften zu erhalten, daß diese Funktionäre nicht etwa, auf ihre Inamovibilität pochend, eine entschieden oppositionelle Stellung einnehmen. Es sei auch nicht unmöglich, daß ein ordentlicher Reichsrat außerämtlich eine wühlerische, sehr nachteilige Tätigkeit entwickle. Sollen dann Se. Majestät nicht auch ohne vorläufige Vernehmung des Gremiums die Enthebung eines solchen Mannes aussprechen dürfen? Der Justizminister äußerte, daß er, wenn es sich de lege ferenda handelte, || S. 472 PDF || vielleicht afür eine andere Textierunga des § 25 stimmen würde. Allein, das Gesetz bestehe und die Beseitigung dieses Paragraphes würde eine unliebsameb Sensation im Publikum hervorbringen, selbst wenn die bereits vorhandenen ordentlichen Reichsräte ihres darin ausgesprochenen Vorrechts nicht beraubt würden. Es sei bis jetzt ein seit Kaiserin Maria Theresia befolgter Regierungsgrundsatz gewesen, der freien Meinungsäußerung im Staats- und Reichsrate keine Beschränkung aufzulegen; die Beseitigung des § 25 würde als ein Abgehen von diesem Grundsatze betrachtet und bedauert werden. Die Minister der Finanzen und des Kultus traten dem Justizminister bei, Graf Thun mit dem Bemerken, daß den allfälligen mißliebigen Konsequenzen des § 25 durch eine vorsichtige Wahl der ordentlichen Reichsräte am besten begegnet werden kann. Überhaupt müsse alles vermieden werden, was das öffentliche Vertrauen auf die Reichsräte, sei es ordentliche oder außerordentliche, zu schwächen geeignet wäre. Zu der vom Ministerpräsidenten vertretenen Ansicht neigten sich Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Rainer, dann die Minister des Inneren und der Polizei.

Se. k. k. apost. Majestät fanden Ah. zu bestimmen, daß eine Aufhebung des § 25 nicht Platz zu greifen habe.

Hierauf wurde der Entwurf der gleichzeitig mit dem Patent zu erlassenden kaiserlichen Verordnung über die Einberufung des Reichsrates bis Ende Mai verlesen und Ah. genehmigt.

Der Ministerpräsident wies auf die Notwendigkeit hin, die soeben besprochenen Ah. Erlässe bei ihrer Publikation mit einem nicht offiziellen Artikel in der Wiener Zeitung zu begleiten. Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Reichsratspräsident bemerkten, daß darin die Gründe und die hohe Bedeutung der neuen Einrichtung darzulegen und zu zeigen wäre, daß der verstärkte Reichsrat den Schlußstein des 1851 beschlossenen Organismus bilde.

Nachdem diese Meinung allseitig geteilt wurde, vereinigte man sich zu dem sofort Ah. genehmigten Antrage, daß Ministerialrat Bernhard v. Meyer und Warrens zur Verfassung von solchen Artikeln unter Mitteilung der nötigen Informationen anzuweisen wären4.

Der Kultusminister kam schließlich auf seine bereits bei früheren Beratungen ausgesprochene Meinung zurück, daß der verstärkte Reichsrat nicht eher einberufen werden dürfte, als bis die Regierung über die wichtigsten Fragen der administrativen und ständischen Organisierung im reinen ist, weil sie sich sonst den Interpellationen im Reichsrate gegenüber oft in peinlicher Lage befinden wird. Der Finanzminister erwiderte, daß man noch hinlänglich Zeit vor sich habe, um sich über manche Kardinalfragen zu einigen, und daß es jedenfalls den Ministern unbenommen bleiben müsse, gewisse Interpellationen durch die Antwort abzulehnen, „daß dies noch eine offene Frage sei“.

|| S. 473 PDF || Se. k. k. apost. Majestät geruhten die Diskussion über diesen Punkt durch die Ah. Bemerkung zu schließen, daß einige wichtige Fragen ihre Lösung jedenfalls binnen kurzem finden werden. Das Zuwarten bis zur erfolgten Lösung aller Fragen würde aber das Inslebentreten der Tätigkeit des verstärkten Reichsrates ins weite hinausschieben, was keineswegs den Ah. Absichten entspräche5.

II. Ausfuhr von Kriegsmaterial aus Triest

Se. k. k. apost. Majestät geruhten über Antrag des Finanzministers Ag. zu genehmigen, daß dem Armeekommandanten Grafen Degenfeld von Seite des Armeeoberkommandos anheimgestellt werde, dem Militärkommandanten in Triest (zur Gewinnung von Zeit) das Recht zu übertragen, militärischerseits die Zustimmung zur politischen Ausfuhrsbewilligung für Kriegsmaterial, über Einschreiten des Statthalters, zu erteilen6.

III. Gesetz über die Warenbörsen

Der Finanzminister referierte hierauf, daß sich bei nochmaliger genauester Revision des von Sr. Majestät bereits Ah. sanktionierten Gesetzes über die Warenbörsen und Warensensale noch die Notwendigkeit einiger kleiner Textierungsverbesserungen herausgestellt habe, und Se. Majestät geruhten die Vornahme dieser Verbesserungen an dem demnächst zu publizierenden Gesetze Ah. anzuordnen7.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 10. März 1860.