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Nr. 97 Ministerkonferenz, Wien, 23. Jänner 1860 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 23. 1.), Thun 24. 1., Bruck 24. 1., Nádasdy 24. 1., Gołuchowski, Schmerling 24. 1.; abw. Thierry.

MRZ. – KZ. 711 –

Protokoll der zu Wien am 23. Jänner 1860 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.

[I.] Aufnahme einer Anleihe (1. Beratung)

Das beim Abschlusse des Staatspräliminare pro 1860 mit 33 Millionen ausgewiesene Defizit1 hat sich durch den um 40 Millionen erhöhten Militäraufwand und adurch die Verwendung für das Jahr 1859 per 13 ½ Millionen, welche als Bedeckung für 1860 bestimmt warena, auf beiläufig 87 Millionen gestellt, welche durch außerordentliche Mittel bedeckt werden müssen. Bisher hat sich der Finanzminister in Anhoffung einer günstigeren Gestaltung unserer politischen Verhältnisse durch Vermehrung der schwebenden Schuld mittelst Hinausgabe von Hypothekaranweisungen (Gmundener Salinenscheine) bvon 60 bis zub dem Betrage von 80 Millionen zu helfen gesucht. Über diese Grenze hinaus weiter davon Gebrauch zu machen, ist aber untunlich, weil die Hypothekaranweisungen nach sechs Monaten auf Verlangen der Inhaber bar zurückgezahlt werden müssen, mithin die Beschaffung der dazu erforderlichen Bedeckung im Falle einer etwa eintretenden Krise der Regierung namenlose Verlegenheit bereiten würde. In den allgemeinen politischen Verhältnissen ist seither eher eine Verschlimmerung als eine Besserung eingetreten, Aufregung und Besorgnisse im Wachsen, aber die Finanzverwaltung kann auf einen günstigeren Umschwung nicht länger warten, sie muß mit einer Kreditoperation hervortreten.

Ursprünglich war eine Anleihe von 300 Millionen beabsichtigt, um die im Jahre 1859 von der Nationalbank auf das Zwangsanlehen vorgestreckten 133 Millionen zurückzuzahlen2, cden Rest derc Überschreitung des Nationalanlehens3 zu 111 Millionen zu tilgen und mit dem Rest das Defizit des laufenden Jahres zu decken. An die Aufbringung von 300 Millionen ist aber itzt nicht zu denken; auch kann mit der Ordnung der Verhältnisse der Staatsverwaltung zur Nationalbank noch zugewartet werden, nachdem die in Wirksamkeit getretene Staatsschulden­kontrollkommission4 den Antrag zu stellen gedenkt, || S. 381 PDF || 140 Millionen Obligationen der Vertilgung zu übergeben, 11 ½ Millionen Domestikal­obligationen der Finanzverwaltung und 39 ½ Millionen in Grundentlastungs- und Prioritätsobligationen der Nationalbank zu überweisen. Es handelt sich also zunächst nur um die Deckung des Defizits und um die Einziehung eines Teils der Überschreitungssumme am Nationalanlehen von 1854. Der Finanzminister schlägt zu diesem Ende vor, ein Anlehen von 150 Millionen aufzulegen, welches zur Hälfte (75 Millionen) bar, zur Hälfte (75 Millionen) in Nationalanlehensobligationen dzu 100 f. öW., was dem Emissionspreise von f. 95 CM. entsprichtd, einzuzahlen, mit 5% zu verzinsen und mit 1% jährlich in 60–70 Jahren mittelst Verlosung heimzuzahlen wäre. Die hierdurch erzielte Bareinzahlung von 75 Millionen würde zur Deckung des Defizits von 87 Millionen aus den von Sardinien 1860 zu zahlenden 20 Millionen ergänzt werden5. Was die Rückzahlungsmodalität betrifft, so würde entweder die Form einer gewöhnlichen Lotterie mit Gewinnsten (die sich bei dem Verlosungs­anleihen von 1854 als eine beim Publikum sehr beliebte bewährt hat, da diese Obligationen, obwohl nur mit 4 ½ verzinslich, noch immer hoch über pari stehen) oder die Rückzahlung im doppelten Nennbetrage, eine ganz neue, hoffentlich sehr lockende Modalität, gewählt werden können, worüber jedoch dermal sich auszusprechen der Finanzminister noch nicht in der Lage ist, da vorerst die Aufnahme des Anlehens in thesi Ah. genehmigt sein muß, ehe mit den finanziellen Notabilitäten über die Wahl der Form beraten und der definitive Antrag gestellt werden kann.

Der Finanzminister erbat sich hiernach die Zustimmung der Konferenz zu dem Sr. Majestät mündlich vorzutragenden Antrage auf Auflegung eines 5%igen Anlehens von 150 Millionen, zur Hälfte in Barem, zur Hälfte in Nationalobligationen einzahlbar, rückzahlbar in 60–70 Jahren, jährlich mit 1% und in einer der beiden erwähnten, nachträglich festzustellenden Modalitäten. Um übrigens eine lebhafte Beteiligung des in- und ausländischen Publikums an dem Anlehen zu erzielen, wäre 1. die Mitwirkung der politischen Behörden, zwar nicht in der Weise wie im Jahre 1854, aber durch eifrige Empfehlung und Aufforderung zur Teilnahme, 2. die baldige und möglichst liberale Erledigung der Angelegenheit über die Besitzfähigkeit der Juden6, 3. die möglichst schleunige Erledigung derjenigen Anträge zu erbitten, welche der Konferenz unterm heutigen Tage von den drei Ministern des Kultus, der Finanzen und Justiz über die Reform des Reichsrates vorgelegt worden sind, und worüber die Beratung begonnen hat (in einem abgesonderten Protokoll7). Der Finanzminister erwartet insbesondere von dieser letzteren Maßregel eine Beruhigung der aufgeregten Stimmung und die Wiederherstellung des Vertrauens der Bevölkerung zur Regierung.

Der Kultusminister teilte diese Ansicht ad 3. nicht und war überhaupt, wie dies in der Beratung über die Reichsratsreform näher auseinandergesetzt ist, gegen die Hinausgabe einer partiellen Reformmaßregel, bevor die Regierung über die Mitglieder, die Stellung || S. 382 PDF || und Wirksamkeit der Gemeinden und Landtage mit sich im reinen ist. Auch die Mitwirkung der politischen Behörden ad 1. hier in Anspruch zu nehmen, würde er jetzt geradezu für einen Fehler erklären, weil sich davon ein Erfolg nicht erwarten läßt. Wirklich freiwillig sich an einem Anlehen zu beteiligen, welches u. a. ein in Silber verzinsliches Anlehen in ein in Banknoten verzinsliches verwandelt, wird wenigen angemessen erscheinen; auf Beteiligung aus Patriotismus ist hier, wo es sich nicht um ein außerordentliches Staatsbedürfnis handelt, auch nicht zu rechnen, nachdem selbst beim Nationalanlehen, das vermöge der Zusage auf Herstellung der Valuta seinerzeit teilweisee mit Begeisterung aufgenommen worden war, zu Zwangsmitteln aller Art hat geschritten werden müssen. Will man solche jetzt nicht mehr eintreten lassen, so wird sich die Mitwirkung der politischen Behörden auf die Anpreisung der Vorteile der neuen Operation beschränken müssen. Dazu aber haben sie weder Beruf noch wirksame Mittel. Der Minister des Inneren befürchtete zwar ebenfalls, daß der Erfolg der Bemühungen der politischen Behörden zur Beteiligung an dem Anlehen ein geringer sein werde, besonders auf dem flachen Lande, wo der Mangel an barem Gelde und der unerhört niedrige Preis der Zerealien lähmend entgegensteht. Wenn indessen der Finanzminister versichert, daß einerseits die in Aussicht stehenden Rückzahlungsbegünstigungen dem neuen Anleihen Eingang und Beliebtheit verschaffen dürften, er andererseits aber in die Notwendigkeit versetzt wäre, ein Zwangsanleihen in Antrag zu bringen, so sicherte der Minister des Inneren entsprechende Einwirkung der politischen Verwaltungsorgane, der Statthalter, Kreis- und Komitatschefs in der aus früherer Diensterfahrung geschöpften Hoffnung zu, daß es denselben gelingen werde, bei größeren Grundbesitzern, städtischen Gemeinden und Kapitalisten eine möglichst ergiebige Teilnahme an der in Rede stehenden Kreditoperation zu bewirken.

Nach diesen Bemerkungen erteilte die Majorität der Konferenz die Zustimmung zu dem Antrage auf das Anleihen in thesi und auf die vom Minister des Inneren zugesagte Mitwirkung der politischen Verwaltungschefs8.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, 15. März 1860.