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Nr. 86 Ministerkonferenz, Wien, 29. Dezember 1859 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. Erzherzog Albrecht, Erzherzog Wilhelm, Erzherzog Rainer, (Rechberg 30. 12.), Thun 30. 12., Bruck 31. 12., Nádasdy 31. 12., Gołuchowski 31. 12., Thierry 1. 1. 1860, Schmerling 2. 1. 1860.

MRZ. – KZ. 4408 –

Protokoll der Ministerkonferenz am 29. Dezember 1859 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Kaiserliche Verordnung wegen Bestellung der Notare als Gerichtskommissäre (2. Beratung)

Justizminister referierte über seinen au. Vortrag wegen allgemeiner Bestellung der Notare als Gerichtskommissäre in Angelegenheiten der Gerichtsbarkeit außer Streitsachen. (Dieses Referat sowie die darüber gepflogene Konferenzberatung vom 24. d.M. ist in dem bezüglichen Protokolle niedergelegt.1)

Der Kultusminister erklärte im Verfolg seiner Abstimmung am 24. Dezember d.J., daß er zwar die Notwendigkeit, die überbürdeten Gerichtsbehörden zu erleichtern, keineswegs verkenne, daß er aber gewichtige Bedenken gegen die vorgeschlagene Maßregel hege, und zwar gegen die Maßregel an sich sowohl als dagegen, daß sie in diesem Augenblicke getroffen wird. In letzterer Beziehung äußerte Graf Thun, es scheine ihm verfrüht, eine so tiefgreifende neue Einrichtung zu treffen, bevor der Organismus der untersten lf. Behörden sowohl als derjenige der Gemeinden und der übrigen ihnen zunächst stehenden autonomen Organe festgestellt ist, weil eben in diesen Organen die Elemente gefunden werden dürften, die Gerichtsbehörden erster Instanz durch Übernahme der fraglichen Geschäfte wesentlich zu erleichtern. Ist der beantragte Schritt einmal geschehen, so kann er nicht ohne eine gewisse Kompromittierung bald darauf wieder zurückgenommen werden, und diese Zurücknahme würde auch dadurch wesentlich erschwert, weil dieselbe die Existenz der mittlerweilen geschaffenen zahlreichen Notare gefährden, wo nicht vernichten würde. Es sei daher geraten, den diesfälligen Beschluß jedenfalls zu vertagen. Graf Thun findet aber auch, daß die Notare überhaupt nicht ein wünschenswertes Organ sind, um aauf dem Landea jene Geschäfte zu besorgen, welche den Justizbehörden abgenommen werden sollen. Ihr Interesse sei nämlich nicht eine Vereinfachung, sondern vielmehr eine Vermehrung und Verwickelung bvon Geschäften herbeizuführen, auf deren Vermittlung sie mit ihrer Existenz angewiesen sind.b Aus der Klasse der Advokaten und ihren Konzipienten hervorgehend, werden die Notare cden städtischen modern-liberalen Ideenkreisc unter die || S. 341 PDF || Landbevölkerung verbreiten; dsie werden stets und namentlich in politisch bewegten Zeiten sehr einflußreiche Organe sein, durch welche von den Städten aus auf die Ideen und Gesinnungen der Landbevölkerung eingewirkt und allmählich die Umwandlung dieses ihres bisher konservativen Sinnes herbeigeführt werden wird.d Der Minister Graf Thun müsse daher dringend bitten, daß die beantragte Maßregel jetzt nicht Ah. genehmigt werde oder doch wenigstens auf die größeren Städte beschränkt bliebe, ewogegen er keinen Anstand erhebee .

Der Justizminister entgegnete hierauf, daß die Notare ja kein neues, sondern ein bereits bestehendes, erwiesenermaßen nützliches Institut seien und daß es sich bloß um deren angemessene Vermehrung handle, welche er ohnehin mit einem Schlag bewirken weder wolle noch selbst könnte. Die Aufgabe des Ministers sei, im Justizdienste Ersparungen, und zwar bald, zu bewirken. Dies sei nur durch wesentliche Geschäftsverminderung bei den lf. Behörden möglich. Erfolgt diese nicht, so kann keine Reduktion eintreten und die Rückstände müssen selbst noch mehr anwachsen, was für die Rechtsuchenden sehr traurig wäre. In den deutschen Ländern sei dermal schon Überfluß an Kandidaten des Notariats, in Ungarn nimmt die bisher beschränkte Zahl der geeigneten Bewerber bereits zu und sie wird durch manche entbehrlich werdende Justizbeamte noch vergrößert werden. Der Finanzminister , der Vorstimme beitretend, wies auf die nützlichen Dienste der Notare in Venetien und in andern Ländern hin, wo man an dieselben gewohnt ist. fEine Institution müsse wohl gut sein, die überall, wo sie eingeführt worden, in der Bevölkerung festgehalten werde. Er finde keinen Grund, die Notare absolut als verfängliche soziale Elemente zu betrachten. Wenn sie gut gestellt seien, würden sie auch brav sein.f Der Minister des Inneren glaubt, daß die Überweisung der fraglichen Geschäfte wenigstens nicht sofort und absolut in allen Kronländern stattzufinden hätte, da z. B. in Galizien gund Ungarng die dort vorhandenen wenigen Notare damit dergestalt überbürdet werden würden, daß sie ihrem sonstigen Berufe entzogen wären und eine fühlbare Lücke und Stockung entstehen müßte, hzumal das Institut der Notare zunächst zum Vorteile des großen Publikums durch die Ah. Gnade Sr. Majestät ins Leben gerufen worden ist. Wenn nun den Notaren eine solche Masse von umfangreichen und zeitraubenden Agenden, die strenge genommen in das Ressort der Gerichtsbehörden gehören, aufgebürdet werden will, so kann die Folge nicht ausbleiben, daß das Publikum von den ohnehin wenigen Notaren keinen Nutzen ziehen werde, dieselben vielmehr zu Hilfsorganen der Gerichtsbehörden sich ausbilden werden, was doch bei der Instituierung der Notare wahrlich nicht in der Absicht der Regierung lag.h

|| S. 342 PDF || Se. k. k. apost. Majestät behielten Allerhöchstsich vor, diese wichtige Angelegenheit in reife Erwägung zu ziehen2.

II. Reduktion des Armeekriegsstandes

Mit Ah. Genehmigung wurde der Vortrag des k. k. Armeeoberkommandos mit den Anträgen in bezug auf die Reduktion des Armeekriegsstandesi vorgelesen3. Nach diesen Anträgen, welche bereits die Ah. Genehmigung erhalten haben, jdürfte eine namhafte Ersparungj an der bisherigen Militärdotation erzieltk werden, dabei [wird] aber doch ein Kern vollkommen ausgebildeter Soldaten der verschiedenen Waffengattungen mit den nötigen Cadres zur Verwirklichung einer Standesvermehrung im Notfalle vorbehalten. Die Reduktionen werden in allen Zweigen mit Ausnahme der fortifikatorischen Bauten und der lübrigens neu zu entwerfendenl Kriegsvorräte vorgenommen werden, da in den beiden letztern höhere Rücksichten eine Reduktion nicht gestatten. Der Kriegsstandm ist übrigens mit Berücksichtigung der disponiblen Streitkräfte der andern dabei ins Aug zu fassenden Mächte bemessen4. Vorderhand gestatten die politischen Verhältnisse nicht, in Italien auf das Minimum des Friedensstandes herabzugehen. nDaß aber im Jahr 1861 mit einem baren Dotationsziffer von nur 72 Millionen werde ausgelangt werden, vermag nicht zugegeben zu werden.n

oZur Erzielung von weiteren Ersparungen seien bereits von Sr. Majestät dem Kaiser die Anträge des Armeeoberkommandos wegen Auflassung der beiden Disziplinarkompanien zu Temeswar und Olmütz, wegen Auflassung der Sektionschefs bei den Landeskommandenund aller Diensteszulagen sowohl bei diesen Stellen als beim Armeeoberkommando Ah. genehmigt wordeno Zur Erzielung von weiteren Ersparungen seien bereits von Sr. Majestät dem Kaiser die Anträge des Armeeoberkommandos wegen Auflassung der beiden Disziplinarkompanien zu Temeswar und Olmütz5, wegen Auflassung der Sektionschefs bei den Landeskommanden6 || S. 343 PDF || und aller Diensteszulagen sowohl bei diesen Stellen als beim Armeeoberkommando Ah. genehmigt worden.7

pDer Finanzminister drückte den Wunsch aus, daß der Abgeordnete des Armeeoberkommandos bei der Budgetkommission angewiesen werde, derselben die geeigneten Eröffnungen zu machenp Der Finanzminister drückte den Wunsch aus, daß der Abgeordnete des Armeeoberkommandos bei der Budgetkommission angewiesen werde, derselben die geeigneten Eröffnungen zu machen.8

III. Konvent zu Debreczin am 12. Jänner 1860

Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Albrecht brachte die Angelegenheiten der Evangelischen in Ungarn zur Sprache9. Den vom Kultusminister demnächst zu stellenden au. Antrag auf Erlassung eines Verbots der Konvente und Bestimmung eines Termins zur Konstituierung der Gemeinden könne Se. kaiserliche Hoheit nur als sehr angezeigt betrachten, um der steigenden Agitation zu begegnen10. Sichern Vernehmen nach beabsichtigt man, am 12. Jänner 1860 im großen evangelischen Bethause Debreczin ohne förmliche Einberufung einen Superintendentialkonvent abzuhalten und dabei gegen das Patent zu demonstrieren. Die Sache verdient die volle Aufmerksamkeit der Regierung und bedarf einer sehr umsichtigen Behandlung, damit in der von 35.000 Protestanten bewohnten und wegen des Markts noch von Fremden überfüllten Stadt Debreczin aus Anlaß der fraglichen Demonstration nicht ein bedauerlicher Konflikt entstehe, welcher am Ende noch ausgebeutet werden könnte, um die sogenannte „ungarische Frage“ vor den Kongreß zu bringen. Se. kaiserliche Hoheit gedenken dahin politischerseits den Hofrat Baron Friedenfels und für die Leitung der allenfalls nötigen militärischen Verfügungen den GM. Grafen Wrbna zu bestimmen. Die Frage sei nur, wann und in welcher Weise dem illegalen Konvente entgegenzutreten sei, den die Regierung nicht ignorieren kann.

Im Lauf der hierüber gepflogenen längeren Beratung vereinigten sich die mehreren Stimmen in der Konferenz mit folgenden Anträgen: 1. dem des Justizministers , daß in der Kirche keine Gewalt anzuwenden sei, um qdie Versammlungq auseinanderzusprengen und daß man auch rdie Teilnehmer anr demselben beim Austritt aus der Kirche nicht arretieren, sondern sich begnügen sollte, in der Kirche eine hinlängliche Zahl verläßlicher Zeugen aufzustellen, ums, wenn illegale Vorgänge versucht und (nach erfolgtem Verbot durch den königlichen Kommissär) noch fortgesetzt werden sollten, diess seinerzeit gerichtlich zu konstatieren. Auf diese Weise werde einem blutigen Konflikt || S. 344 PDF || in oder außer der Kirche vorgebeugt und tder Strafbehörde möglich gemacht werden, jede Übertretung der Gesetze oder Verordnungen zu bestrafen.t 2. dem Antrage des Ministers des Inneren , daß der politische Kommissär dem Pastor loci verbiete, am 12. Jänner einen öffentlichen Gottesdienst abzuhalten oder ihn doch dafür verantwortlich mache, daß nach dem Gottesdienst keine Verhandlungen in der Kirche mehr stattfinden.

Gegen den vom Ministerpräsidenten gestellten und vom Grafen Gołuchowski geteilten Antrag, die Hauptagitatoren durch Einschüchterung auf privativem Wege zu bestimmen, daß sie die Demonstration aufgeben, wurde von Sr. kaiserlichen Hoheit eingewendet, daß manche diese Gelegenheit zur Erwerbung einer wohlfeilen Märternkrone [sic!] ergreifen dürften, und vielfältige Erfahrungen gegen die Einschlagung dieses Weges sprechen, welcher stets nur als Schwäche der Regierung und ängstlicher Versuch zu paktieren gedeutet wurde, ohne je von reellem Erfolg begleitet zu sein. Die Verurteilung Zsedényis durch das Kaschauer Gericht würde als die kräftigste und vollkommen gesetzliche Einschüchterung der Agitatoren wirken11.

IV. Baldige Regelung der Verhältnisse der Evangelischen in den nicht-ungarischen Ländern

Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Generalgouverneur von Ungarn erklärten, daß Höchstdieselben einen großen Wert darauf legen würden, die kirchlichen Verhältnisse der Evangelischen in den übrigen Kronländern baldmöglichst nach denselben Grundsätzen geregelt zu sehen, welche für Ungarn erflossen sind. Es würde dies und die dankbare Annahme der neuen Kirchenverfassung in jenen Ländern ein sehr heilsames Gegengewicht gegen die ungarische Agitation bilden und die Stellung der gutgesinnten Protestanten Ungarns wesentlich stärken. Es würde ferner einen tiefen Eindruck machen, wenn in diesen Ländern Synoden zustande kämen, während man in Ungarn ausstreut, daß das Provisorium vom 2. September 1859 immer aufrechterhalten werden würde und keine Synode zu hoffen ist.

Der Kultusminister berichtete, daß die Wiener Konsistorien am 2. Jänner 1860 über diese Angelegenheit beraten und nach Vernehmung der Superintendenten ihre Anträge erstatten werden, voraussichtlich mit der Bitte um Gewährung der Verfassung vom 1. September 1859. In Siebenbürgen müsse über diesen Gegenstand, obgleich er der Reife sehr nahe ist, noch verhandelt werden12.

Der Justizminister bemerkte, es seien beinah schon vier Monate verflossen, seit Se. Majestät der Kaiser den Protestanten der übrigen Kronländer die Zusicherung einer neuen Kirchenverfassung zu erteilen geruht haben13. Von dem, was in dieser Richtung || S. 345 PDF || seitdem geschehen, ist beinah gar nichts uvon Bedeutungu in die Öffentlichkeit gedrungen. Das große Publikum glaubt daher auch nicht an die baldige Erfüllung des kaiserlichen Versprechens, und zur Berichtigung dieser falschen Ansicht würde es Graf Nádasdy sehr nötig halten, eine Ah. Kundgebung in diesem Sinne zu erlassen. Eine solche wäre ein Ah. Handschreiben an den Kultusminister, worin die Willensmeinung Sr. Majestät ausgesprochen würde, den Evangelischen in Siebenbürgen, dann in den deutsch-slawischen Kronländern baldmöglichst in Absicht auf die Kirchenverfassung vähnliche Begünstigungen zuzuwenden, wie die Protestanten in Ungarn, Kroatien, Slawonien und der Woiwodschaft durch das Patent vom 1. September schonv erhalten haben.

Der Kultusminister würde die Erlassung einer solchen Ah. Urgierung mit Hinblick auf den erst im September d. J. erflossenen Ah. Befehl für entbehrlich halten. Es wäre dies der Ausdruck einer Art von „legislativer Hast“, die der Regierung nicht wohl ansteht. Allein, der Finanzminister hielt einen Ah. Ausspruch nach dem Antrage des Grafen Nádasdy nicht bloß für wünschenswert, sondern selbst für dringend, und Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Albrecht erklärten Sich damit vollkommen einverstanden.

Schließlich geruhten Se. k. k. apost. Majestät Allerhöchstsich dafür auszusprechen, daß die Regierung in dieser Richtung ein Lebenszeichen gebe14.

V. Hypothekarkreditanstalt für Ungarn

Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Generalgouverneur brachten die Hypothekarkreditanstalt für Ungarn mit dem Bemerken zur Sprache, es werde nötig sein, in Absicht auf die Wahl des Leiters für dieses Institut eine neuen Wahl zu treffen, indem das früher dafür genannte Individuum jetzt wohl außer Frage gekommen sei15.

Der Finanzminister meldete, daß Graf Emil Dessewffy dem Vernehmen nach demnächst mit seinem Plan nach Wien kommen werde und daß sich dann mit ihm das weitere anknüpfen ließe.

Se. Majestät fanden es umso dringender, daß für die ungarische Kreditanstalt bald etwas geschehe, als die Verhandlungen wegen der kroatischen bereits im Zuge sind16. Es ist nötig, eine bekannte ungarische Persönlichkeit für die Leitung des ganzen zu gewinnen, || S. 346 PDF || ohne daß ihr jedoch gleichzeitig jene Stellung im Generalgouvernement eingeräumt werde, wovon früher in den Konferenzen die Rede war17.

VI. Besitztum der siebenbürgischen Grenzregimenter

Se. Majestät geruhten zu befehlen, daß die beim Ministerium des Inneren derzeit anhängige Verhandlung über das Besitztum der aufgehobenen siebenbürgischen Grenzregimenter baldmöglichst zu Ende geführt und der Ah. Schlußfassung unterbreitet werde18.

[Ah. E. fehlt]w