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Nr. 74 Ministerkonferenz, Wien, 10. Dezember 1859 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 10. 12.), Thun 12. 12., Bruck 13. 12., Nádasdy 14. 12., Gołuchowski (ab V abw.) 14. 12., Thierry 15. 12., Schmerling.

MRZ. – KZ. 4251 –

Protokoll der zu Wien am 10. Dezember 1859 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.

I. Steuerfreiheit des Ascher Gebietes

Der Justizminister gab die in der Konferenz vom 6. d.M. ad II. vorbehaltene Äußerung in betreff der Steuerfreiheit des Ascher Lehensgebietes dahin ab, daß er bei seiner früheren Ansicht verharre, wornach diese Steuerfreiheit nur gegen Entschädigung der Vasallen eingezogen werden kann. Sie beruht nämlich, zeuge der vorliegenden Urkunden, insbesondere der ersten Verleihungs- bezüglich Belehnungsurkunde, auf einem privatrechtlichen und entgeltlichen Titel und ist keine aus dem öffentlichen Rechte erteilte Begünstigung. Sie wurde jedesmal mit dem Lehen an den neuen Vasallen übertragen. Dies wurde auch schon von Sr. Majestät dem Höchstseligen Kaiser Franz I. anerkannt, auf dessen Befehl die Verhandlung wegen Ablösung, nicht Einziehung, dieser Steuerfreiheit eingeleitet worden ist. In dem den Akten beiliegenden schriftlichen Votum des Justizministers ist diese Ansicht ausführlich begründet. Der Finanzminister beharrte dagegen auf seiner Meinung, daß es sich hier um Zurücknahme einer landesherrlich erteilten Begünstigung, favoris praerogativa, wie es im Lehenbriefe von 1331 heißt, handle, welche ohne Entschädigung stattfinden kann, wenn das Privilegium nicht von jedem nachfolgenden Regenten bestätigt worden ist, daß ähnliche Begünstigungen, wie z.B. das diesfällige Privilegium der Stadt Triest, ohne Entschädigung eingezogen worden sind und daß die Zugestehung der Entschädigung in dem vorliegenden Falle von den bedenklichsten Konsequenzen für andere Fälle sein würde. Ihm trat der Ministerpräsident bei. Die übrigen Stimmen aber, mit Einschluß des Ministers des Inneren , welcher, abweichend von der Ansicht seines Vorgängers im Amte, die gedachte Steuerfreiheit als eine vertragsmäßig entgeltliche anerkennt, erklärten sich für die Meinung des Justizministers.

Belangend das Maß der zu gewährenden Entschädigung vereinigte sich die Konferenz in dem Antrage, selbe auf die eigentlichen Vasallen zu beschränken, nachdem deren ehemalige Untertanen durch die Einbeziehung in die Grundentlastung aus dem diesfälligen Verbande getreten sind; ferner die Allodialisierung des Hauptlehens zu bewirken und den Wert der Lehenspflicht von der Entschädigungssumme in Abschlag zu bringen. Die ziffermäßige Berechnung wurde dem Finanzminister überlassen1.

II. Steuerausgleichung in Ungarn etc

Der Finanzminister erbat und erhielt die Zustimmung der Konferenz zu dem bei Sr. Majestät zu stellenden Antrage (Beilage 1)a, von der nachträglichen Durchführung der Steuerausgleichung aufgrund der gemeindeweisen Reklamationsentscheidungen pro 1856 in den ungrischen Verwaltungsgebieten Ofen, Oedenburg, Kaschau und Großwardein, dann in Kroatien und Slawonien Umgang zu nehmen, dann in diesen und in den Verwaltungsgebieten Preßburg und Temeswar nach Abschluß der individuellen Reklamationen den Prägravierten die Steuerrückvergütung, wenn sie ausdrücklich ausgesprochen wird, zu bewilligen und diese Bewilligung in besonders rücksichts­würdigen Fällen auf die ganze Überbürdungsperiode auszudehnen2.

III. Zulassung der Juden zur Zeugenschaft

Der Justizminister referierte den beiliegenden Entwurf (Beilage 2)b einer kaiserlichen Verordnung wegen Abänderung des § 593 ABGB. betreffend die Ausschließung von Israeliten als Zeugen bei letzten Willenserklärungen von Christen; dann wegen Aufhebung des § 142 der allgemeinen Gerichtsordnung etc., wornach ein Jude für einen Juden gegen einen Christen ein bedenklicher Zeuge ist3.

Die Mehrheit der Konferenz trat diesen Anträgen mit der sofort auch vom Justizminister angenommenen, im Texte ersichtlich gemachten Modifikation des § 1 (Beilage 3)c bei, daß die Ausschließung nicht bloß der Juden, sondern überhaupt der Nichtchristen vom Testamentszeugnisse aufgehoben werde. Nur der Kultusminister erklärte sich gegen den Gesetzesentwurf, weil derselbed durch kein praktisches Bedürfnis veranlaßt sei, von niemandem aus solchen Gründen verlangt werde, vielmehr praktische Gründe für die Beibehaltung der bisherigen Beschränkung sprechen, zumal es noch immer Gegenden gibt,d durch kein praktisches Bedürfnis veranlaßt sei, von niemandem aus solchen Gründen verlangt werde, vielmehr praktische Gründe für die Beibehaltung der bisherigen Beschränkung sprechen, zumal es noch immer || S. 289 PDF || Gegenden gibt, wo die Juden unter der Landbevölkerung fast allein des Schreibens kundig sind, mithin die Gefahr naheliegt, daß sie diese ihre Fähigkeit nach Aufhebung jener Beschränkung zu Erbschleicherei und anderen Betrügereien etc. mißbrauchen dürften, wogegen der Justizminister nur bemerkte, daß die öffentliche Meinung schon längst die Bestimmungen der gedachten Gesetzesparagraphen verurteilt habe4.

IV. Wiener Polizeidirektorsstelle

Der Polizeiminister referierte, daß eder Wiener Polizeidirektor Ritter v. Czapka seine Versetzung in den Ruhestand nachgesucht und erhalten habe5, infolge dessen er den Prager Statthaltereirat Ritter v. Weber Sr. Majestät für diesen erledigten Postene vorzuschlagen beabsichtige, wogegen nichts erinnert wurde, nachdem dem Vorzuschlagenden sowohl vom Minister des Inneren als auch vom Kultusminister bezüglich dessen früherer Dienstesverwendung etc. ein günstiges Zeugnis erteilt worden war6.

V. Entschädigungsanspruch Tuvoras

Der Polizeiminister referierte über den Anspruch des Tuvora, bisherigen Redakteurs der lithographischen Österreichischen Korrespondenz, auf eine Entschädigung aus dem Titel der Einziehung derselben und der hieraus für ihn entstehenden Einbuße seiner Existenzmittel7.

Weder der Polizeiminister noch der Finanzminister glauben, daß Tuvora mit einem Entschädigungs­anspruche aus diesem Titel im Rechtswege auslangen werde. Allein, beide erkennen, daß es klug und billig sei, ihm etwas zu gewähren; billig, weil er aus seinem Unternehmen ein jährliches Einkommen von 4800f. bezog, welches er nunmehr nach Übergang des erstern in die Hände der Finanzverwaltung verliert, weil er ferner von dem früheren Minister des Inneren zu verschiedenen publizistischen Arbeiten und Sendungen gebraucht worden ist; klug, weil er, einst der revolutionären Partei angehörig, aber für die Regierung gewonnen, seither für sie gearbeitet hat und nun, wenn ihm mit einem Male ein so bedeutendes Einkommen durch die Regierung entzogen und nichts dafür gegeben wird, leicht wieder ins feindliche Lager übergehen und mit seinem || S. 290 PDF || Talente der Regierung gefährlich werden könnte. Er wünscht zwar eine Kapitalentschädigung (18.000 f.), allein, beide Minister und der Ministerpräsident hielten es für bedenklich, ihm eine solche zu gewähren, weil, einmal in seinen Händen, kein Band zwischen ihm und der Regierung mehr bestände und ihn nichts mehr hindern würde, etwa gegen sie aufzutreten. Was ihm also gegeben werden sollte, wäre nach dem Erachten des Ministerpräsidenten an die Bedingung seines Wohlverhaltens zu knüpfen und nach der weitern Bemerkung des Finanzministers auf die Zeit zu beschränken, so lange die Korrespondenz in den Händen der Staatsverwaltung bleibt, indem, wenn letztere sie aufgäbe, dem Tuvora wieder freistünde, sie fortzuführen.

Unter diesen Bedingungen also vereinigte sich die Majorität der Konferenz in dem Antrage des Finanzministers, eine monatliche Subvention von 100 fr. zu bewilligen. Nur der Minister des Inneren erklärte sich gegen diesen Antrag, weil Tuvora, wie anerkannt wird, einen Rechtstitel auf eine Entschädigung nicht aufzuweisen hat, wegen seines zweideutigen Charakters eine Begünstigung auf Kosten der hierzu gar nicht berufenen Finanzen nicht verdient, und der angetragene Betrag selbst zu gering erscheint, um ihn dauernd für die Regierung zu erhalten8.e

VI. Redaktion und Administration der Wiener Zeitung

Der Polizeiminister referierte über die künftige Einrichtung der „Wiener Zeitung“ als offizielles Blatt9. Sie würde künftig aus den bisherigen drei Teilen „Hauptblatt“ mit den üblichen Rubriken, dann aus dem „Amts-“ und „Intelligenzblatte“ bestehen, das g„Abendblatt“ dagegen entfallen und als Beilage des Montagblattesf die „Austria“ (auf welche auch eine abgesonderte Pränumeration zulässig wäre) den Abnehmern beigegeben werden. Redaktion und Administration hätten, um der besseren Einwirkung willen und um bezüglich des Druckes etc. sowie überhaupt der bezüglich ökonomischen Einrichtung freie Hand zu haben, unter der einheitlichen Leitung des Polizeiministeriums zu stehen.

Gegen die Unterordnung der Administration unter das Polizeiministerium wandte der Finanzminister ein, daß die Administration, d. i. der Druck, die Aufnahme der Inserate etc. mit dem Inhalte des Hauptblatts, dem eigentlichen Gegenstande der Redaktion, nichts zu schaffen habe, daher unabhängig von der letzteren durch die Staatsdruckerei fortan wie bisher besorgt werden könne, sonach unter der Oberleitung des Finanzministeriums stehen müsse, indem der Betrieb des Unternehmens eine Quelle des öffentlichen Einkommens bildet, aus welchem dem Polizeiministerium die in dessen Ressort einschlagenden Bedürfnisse für die Redaktion etc. erfolgt werden können und werden. Er glaubte daher, daß die Administration der Wiener Zeitung umso mehr beim || S. 291 PDF || Finanzministerium beziehungsweise bei der Staatsdruckerei belassen werden sollte, als sie von letzterer bisher in vorzüglicher Weise geführt worden ist und zuverlässig mit jedem anderen Unternehmer sowohl bezüglich der Ausstattung als der Kosten zu konkurrieren vermöchte.

Der Polizeiminister, FML. Ritter v. Schmerling und der Ministerpräsident waren jedoch bei dem innigen Zusammenhange, in welchem Redaktion und Administration zueinander stehen, für die Vereinigung beider unter der einheitlichen Leitung des Polizeiministeriums, welches die aus dem Unternehmen sich ergebenden Überschüsse an die Finanzen abzuführen hätte. Mit dem Finanzminister stimmten dagegen die Minister für Kultus und der Justiz, daßg, wenn der Reinertrag der Zeitung an die Finanzen abzuführen ist, die Administration iauch füglich bei der Finanzverwaltung verbleiben müsse, indem von der Administration wesentlich der Ertrag bedingt isth . Nachdem hiernach die Stimmen (drei gegen drei) gleich geteilt sind, beschloß der Ministerpräsident die Ansicht des abwesenden Ministers des Inneren nachträglich zu vernehmen10.

VII. Evangelische Schule in Gotschdorf

Über einen Antrag des Unterrichtsministers wegen Errichtung einer evangelischen Schule durch die Evangelischen in Gotschdorf und Klein-Bressel erfolgte unterm 2. September 1858 die Ah. Entschließung dahin, daß in die Gewährung dieses Gesuchs so lange nicht einzugehen sei, bis nicht zwischen den katholischen und akatholischen Insassen etc. ein den unverkümmerten Bestand der bisherigen (katholischen) Schule sichernde Ausgleichung getroffen sein wird11. Hiermit wäre ein Prinzip ausgesprochen, das dem Unterrichtsminister weder billig noch mit den bestehenden Vorschriften im Einklang zu stehen scheint. Denn nach § 457 der politischen Schulverfassung12 sind die Akatholiken, die eine eigene Schule haben, zu keinem Schulgeld, Baukonkurrenz oder Mietzins für die katholische Schule verpflichtet, und zufolge Ah. Entschließung vom 26. Dezember 1848 haben die etwa üblichen Abgaben der Akatholischen, wo sie eigene Schulen haben etc., an katholische Schullehrer aufzuhören13. Nachdem überdies durch die in dem speziellen Falle gepflogenen Erhebungen konstatiert wird, daß der Bestand der katholischen Schule durch die Ausschulung der Evangelischen nicht gefährdet ist, so hat der Unterrichtsminister in seinem Vortrage vom 23. v.M. unter allseitiger Zustimmung der Konferenz gebeten, es von der in der Ah. Entschließung vom 2. September 1858 enthaltenen Bedingung abkommen zu lassen14.

VIII. Vorstellung des Pester Seniorates A. B

Die von Sr. Majestät an den Kultusminister ohne Ah. Bezeichnung herabgelangte Vorstellung des Pester evangelischen Seniorats Augsburger Konfession gegen das Ah. Patent vom 1. September und die Ministerialverordnung vom 2. September 1859 (wovon eine Übersetzung vorgelesen wurde und hier beiliegt)i, beabsichtigt dieser Minister einfach dahin zu erledigen, daß Se. Majestät hierüber nichts zu verfügen geruht haben. In ähnlicher Weise gedenkt er mit andern ebenso herablangenden Vorstellungen zu verfahren.

Die Konferenz erklärte sich hiermit vollkommen einverstanden15.

IX. Titel Sr. Majestät betreffend

Über einen vom Armeeoberkommando erhobenen, durch FML. Ritter v. Schmerling vorgetragenen Zweifel in betreff des ferneren Gebrauchs des Titels „König der Lombardei“ in den Paßstampiglien erklärte der tg. gefertigte Minister des Äußern , daß durch den Zürcher Frieden in der Titulatur Sr. Majestät nichts geändert worden ist16.

X. Beköstigung der Modenesischen Truppen

Das Armeeoberkommando hat vom Finanzminister die besondere Bedeckung der monatlich 80.000 f. betragenden Auslagen für die modenesischen Truppen auf österreichischem Gebiete in Anspruch genommen, nachdem hierfür in dem gewöhnlichen Militärbudget keine Vorsehung getroffen ist17.

Der Finanzminister hat sie jedoch verweigert und erklärte auch heute, eine besondere Dotation nicht beschaffen zu können, nachdem Se. Majestät ausdrücklich zu erklären geruht haben, kdie mit 132 Millionen Gulden festgesetzte Militärdotationj pro 1860 dürfe in keinem Falle überschritten werden. Es sei demnach die Sache der Militärverwaltung, den Bedarf für die modenesischen Truppen durch Restriktionen in anderen Rubriken aufzubringen.

FML. Ritter v. Schmerling erklärte dies für unmöglich und legte demnach im Namen des Armeeoberkommandos gegen den Vorgang des Finanzministers Verwahrung ein, mit dem Bemerken, daß Se. k. k. Hoheit der Herr Erzherzog Chef des Armeeoberkommandos sich die weitere Verfügung vorbehalten haben18.

XI. Anonymer Brief wegen italienischer Revolution

Nach einem beim Armeeoberkommando eingelangten anonymen Schreiben soll am 22. März k. J. in Italien eine Revolution ausbrechen19.

XII. Sistierung zweier ungarischer evangelischer Konvente

Nach einer dem Polizeiminister zugekommenen Notiz ist der auf den 12. d. angesagte Konvent der helvetischen Superintendenz diesseits der Donau, || S. 293 PDF || dann der auf den 15. anberaumte Konvent der Montansuperintendenz abgesagt worden20.

Ah. E. Ich nehme de Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, den 20. Dezember 1859.