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Nr. 69 69 Ministerkonferenz, Wien, 29. November 1859 – Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 29. 11.), Thun, Bruck, Nádasdy, Gołuchowski 30. 11., Thierry 30. 11., Seldern.

MRZ. – KZ. 4098 –

Protokoll I der zu Wien am 29. November 1859 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses [etc.] Grafen v. Rechberg.

[I.] Über die Staatsschuldendirektion und Kontrollkommission

Der in den Konferenzen vom 5., 7. und 8. November 1859 1 beratene Entwurf eines Patentes über die Einrichtung der Staatsschuldentilgungsdirektion und der Kontrollkommission hat in der reichsrätlichen Beratung, welcher der Finanzminister beiwohnte, Modifikationen erfahren, mit denen er sich nicht einverstanden erklären konnte, und worüber er die Ansicht der Konferenz einholen zu dürfen sich erbat2. Sie betreffen:

1. das Prinzip des Entwurfs, nämlich die Aufhebung des Tilgungsfonds selbst. Die reichsrätlichen Votanten, an der streng rechtlichen Auffassung festhaltend, daß das Vermögen des Tilgungsfonds ein von den Staatsgläubigern erworbenes sei, erklärten sich gegen die Löschung und Vertilgung der bei demselben erliegenden Obligationen und glaubten, daß die Zinsen derselben nach wie vor bei der Staatsschuldenkasse zu erheben und dann zur Bestreitung der der Finanzverwaltung obliegenden alljährlichen Amortisierung der Verlosungsschulden aund anderer Schuldena verwendet werden sollen. Materiell ergibt sich hieraus, bemerkte der Finanzminister, keine Differenz, denn die Summe, welche die Finanzverwaltung alljährlich auf die Amortisierung verwenden muß, ist ungefähr dieselbe, auf welche sich die Zinsen des Tilgungsfondsvermögens belaufen. Vereinfacht aber wird die Gebarung wesentlich, wenn die doppelte Einstellung und Verrechnung der zu einem und demselben Zwecke bestimmten Gelder vermieden werden kann. Den Staatsgläubigern selbst erwächst aus der Löschung und Tilgung jener Obligationen derselbe Vorteil, daß damit die allgemeine Staatsschuld um so viele Millionen vermindert und hiermit folgerecht der Wert der im Umlaufe verbleibenden Obligationen erhöht wird.

Die Konferenz erklärte sich einstimmig für die Ansicht des Finanzministers, nachdem der Kultusminister bemerkt hatte, daß diese Sache wohl nicht nach privatrechtlichen Verhältnissen beurteilt werden könne, bsondern es sich vom Standpunkte der Gerechtigkeit nur darum handeln könne, die Staatsgläubiger nicht in eine ungünstigere, ihre Interessen gefährdende Lage zu versetzen. Die formelle Auffassung des Reichsrates würde zur Folge haben, daß der Tilgungsfonds in Österreich niemals aufgelöst werden könnte, während es doch jetzt allgemein anerkannt ist, daß in anderer Weise zweckmäßiger für die tunliche Verminderung der Staatsschuldenlast vorzusehen sei und deshalb auch in anderen Ländern mit der Aufhebung des Tilgungsfonds vorgegangen worden ist, ohne daß hierin eine Verletzung von Rechten der Staatsgläubiger erblickt worden wäre.b sondern es sich vom Standpunkte der Gerechtigkeit nur darum handeln könne, die Staatsgläubiger nicht in eine ungünstigere, ihre Interessen gefährdende Lage zu versetzen. Die formelle Auffassung des Reichsrates würde zur Folge haben, daß der Tilgungsfonds in Österreich niemals aufgelöst werden könnte, || S. 270 PDF || während es doch jetzt allgemein anerkannt ist, daß in anderer Weise zweckmäßiger für die tunliche Verminderung der Staatsschuldenlast vorzusehen sei und deshalb auch in anderen Ländern mit der Aufhebung des Tilgungsfonds vorgegangen worden ist, ohne daß hierin eine Verletzung von Rechten der Staatsgläubiger erblickt worden wäre. Der Minister des Inneren stimmte diesem umso mehr bei, als, wie er hinzusetzte, das Vermögen des Tilgungsfonds aus dem Staatsvermögen entstanden ist, [und] nachdem endlich der Ministerpräsident hervorgehoben hatte, daß die effektive Tilgung jenes Vermögens den Staatsgläubigern auch noch die Bürgschaft gewährt, daß dessen Einkünfte, wie dies schon geschehen, künftig nicht mehr für andere Staatsbedürfnisse verwendet werden können. Ein Bedenken des Justizministers in betreff der beim Tilgungsfonds erliegenden 30 Millionen in Eisenbahnpapieren ward durch die Bemerkung des Finanzministers behoben, daß die Bestimmung hierüber noch offen und der durch das Patent einzusetzenden Kommission vorbehalten bleibe.

2. Formell glaubte der Reichsrat bei den der Direktion zugewiesenen Geschäften auf die alten Patente und Verordnungen über den Tilgungsfonds hinweisen zu sollen. Allein, sie sind dem Publikum weder geläufig noch zur Hand; es schwächt den Eindruck, den das Patent hervorbringen soll, wenn darin auf Gesetze hingewiesen wird, die man erst mühsam aufsuchen soll und sich kaum mehr zu verschaffen weiß. Der Finanzminister und einstimmig mit ihm die Konferenz verharrten daher auf der Textierung, wie sie aus ihrer Beratung hervorgegangen ist.

Auch gegen die Absicht des Reichsrates, 3. das Präsidium der Kontrollkommission dem Präsidenten der Obersten Rechnungskontrollbehörde zu übertragen, erklärte sich die Konferenz auf das bestimmteste, indem sie, treu ihrer in den früheren Beratungen festgehaltenen Ansicht, das größte Gewicht darauf legte, daß in dieser Kommission kein einziger lf. Beamte fungiere3.

[Ah. E.] Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, 23. Dezember 1859.