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Nr. 67 Ministerkonferenz, Wien 25. November 1859 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. Erzherzog Albrecht, Erzherzog Wilhelm, Erzherzog Rainer, (Rechberg 26. 11.), Thun 26. 11., Bruck 26. 11., Nádasdy 26. 11., Gołuchowski 27. 11., Thierry 1. 12.

MRZ. – KZ. 4135 –

Protokoll [der Ministerkonferenz] vom 25. November 1859 unter dem Ah. Vorsitze Sr. k. k. apost. Majestät.

[I.] Die Haltung der Regierung gegenüber den oppositionellen Demonstrationen von Individuen oder Vereinen in Ungarn

Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Generalgouverneur referierte, daß die evangelische Agitation in Ungarn1 nach den neuesten Berichten immer mehr auf das politische Gebiet übergreife und daran auch katholische Geistliche, wie der Propst und Domherr zu Erlau Danielik als Vorsteher des Pester St. Stephanvereins und der Pfarrer zu Pest Propst Szantofy als Vorsteher des dortigen Gesellenvereines teilzunehmen beginnen. Andererseits werden von den Parteiführern stets neue Demonstrationen für die nationale Sache organisiert, welche, jede für sich unbedeutend, nur ihres Zusammenhanges wegen eine Wichtigkeit erhalten und Aufmerksamkeit verdienen. Es fragt sich nun, ob aes im Interesse der Regierung seia, den Landesbehörden in Ungarn nicht schon jetzt jene exzeptionellen Befugnisse, womit die politischen Behörden Venedigs bei Aufhebung des Belagerungszustandes ausgestattet wurden2, einzuräumenb ; cob die Gesamtlage der Monarchie es überhaupt zweckmäßiger erscheinen lasse, so lange dem Treiben der Parteien und den Demonstrationen stillschweigend zuzusehen, bis das Einschreiten der vollen Kraft und Macht unbedingt notwendig geworden ist, oder ob man diesen Demonstrationen Schritt für Schritt in ihren wachsenden Fortschritten mit steigenden Gegenmitteln begegne. Die Verhältnisse zum Auslande wie jene in den andern Kronländern könnten maßgebend für eine oder die andere Alternative sein, daher darüber die Ah. Weisung erbeten werdec .

Der Justizminister äußerte, daß nach den ihm aus Ungarn zugehenden Nachrichten das dermalige Losungswort der nationalen Partei „passiver Widerstand“ ist und ein offener Angriff gegen die Regierung jetzt nicht zu besorgen scheine. Gegen die letztere Eventualität wäre übrigens das Generalgouvernement in der Lage, sofort das Standrecht, dja sogard den Belagerungszustand zu verhängen. Die Kisfaludi-Demonstration habe die Polizei mit Geschick zu verhindern gewußt, und in ähnlicher Weise habe sie auch künftig vorzugehen3. || S. 262 PDF || Das bloße Kokettieren mit der ungarischen Trikolore dürfte nicht zu beanständen sein. Erst wenn die Polizeigewalt mit ihren bisherigen gesetzlichen Mitteln nicht mehr ausreicht, dürfte sie, ad instar der venezianischen, zu verstärken sein. Was die Berichte über das Benehmen der Pröpste Szantofy und Danielik betrifft, so seien die Tatsachen bis jetzt noch nicht konstatiert. Es dürfte diesen Geistlichen vorerst eine Warnung erteilt werden, und erst bei wiederholtem tadelswerten Benehmen deren Konfinierung in einem Kloster im kirchlichen Wege bewirkt werden. Was speziell die protestantische Frage betrifft, so dürfte sie ohne Gewaltschritte am besten in die Ordnung gebracht werden. Der Minister des Inneren stimmte ebenfalls dafür, daß vorderhand ohne Erlassung allgemeiner Ausnahmsgesetze für Ungarn die einzelnen Demonstrationen, und zwar nötigenfalls mit Energie, zu unterdrücken wären. Erst nach fruchtlos ergangenen Warnungen wäre zur Konfinierung von Individuen oder Auflösung von Vereinen zu schreiten. Der Kultusminister teilte die Meinung der Vorstimmen, daß allgemeine Ausnahmsmaßregeln so lang als möglich zu vermeiden seien. Das Benehmen der genannten zwei Geistlichen habe allerdings in politischer Beziehung schon öfter Anstoß erregt. Indes finde Graf Thun die neuen Fakten, welche dermal konstatiert sind, nicht so geeignet, um eine Konfinierung derselben zu rechtfertigen. Wenn Danielik die für ihn au. beantragte Promotion im Erlauer Domkapitel erhält, werde er zur Residenz gezwungen und somit seinem dermaligen Wirkungskreise bei dem St. Stephansverein zu Pest entrückt werden4. Der Justizminister bemerkte hiebei, daß Danielik, insbesondere wenn er sich bei der jüngsten Museumsfeier in Klausenburg5 tadelnswert benommen haben sollte, eine Ah. Promotion dermal nicht verdienen würde.

Der Ministerpräsident war der Meinung, daß, nachdem die Regierung erforderlichenfalls mit dem ganzen Gewichte ihrer Macht den Gehorsam erzwingen muß, Se. kaiserliche Hoheit eventuell von den Allerhöchstenortes erhaltenen Vollmachten Gebrauch machen dürften und die Strafgewalt der politischen und polizeilichen Behörden in Ungarn auf die angedeutete Weise zu erweitern wäre. Indem aber die Regierung einerseits den Feinden der Ordnung entschieden entgegentritt, habe sie auch den materiellen Interessen Ungarns ihre Aufmerksamkeit zu widmen, und in dieser Beziehung erlaube sich Graf Rechberg die Voreinleitungen zur Gründung einer ungarischen Hypothekar­kreditanstalt in Erinnerung zu bringen6. Der Polizeiminister fügte hinzu, daß der Wunsch nach einer ähnlichen Anstalt auch bei der letzten Versammlung der ungarischen Landwirtschafts­gesellschaft laut ausgesprochen worden sei.

Se. k. k. apost. Majestät geruhten die Anträge der Stimmenmehrheit der Ministerkonferenz Ah. zu genehmigen und eine besondere Vorsicht in Behandlung der evangelischen Kirchenange­legenheiten zu empfehlen.

Am 26. November 1859. Rechberg. Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, den 9. Dezember 1859.