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Nr. 65 Ministerkonferenz, Wien, 22. November 1859 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 22. 11.), Thun 24. 11., Bruck 24. 11., Nádasdy 24. 11., Gołuchowski 24. 11., Thierry, Seldern.

MRZ. – KZ. 4094 –

Protokoll der zu Wien am 22. November 1859 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.

I. Amnestieakt für politisch Kompromittierte

Auf Ah. Befehl Sr. Majestät forderte der Ministerpräsident den Justizminister auf, im Einvernehmen mit dem Armeeoberkommando den Entwurf eines Amnestieaktes bezüglich der bei den letzten Ereignissen in der italienischen Halbinsel politisch Kompromittierten im Sinne des Art. XXII des Friedenstraktats vom 10. November 1859 vorzubereiten und Sr. Majestät vorzulegen.

Der Justizminister hat hierwegen unverweilt das Erforderliche eingeleitet1.

II. Vorschlag für das Lemberger Erz- und das Przemyśler Bistum

Kam der Antrag des Kultusministers vom 16. d. [M.], KZ. 3952, wegen Besetzung des lateinischen Erzbistums Lemberg und des Bistums Przemyśl zum Vortrage. Es wird darin für das erstere der Bischof von Przemyśl v. Wierzchlejski vorgeschlagen und der Vorschlag damit begründet, daß dieser Prälat an sich für jenen Posten der Geeignetste sei. Zwar hat er sich im Jahre 1848 politisch kompromittiert, allein er hat später asein Verschuldena eingesehen, bereut und seine Schuld öffentlich vor Klerus und Volk bekannt, und sein seitheriges, in jeder Hinsicht untadelhaftes Benehmen dürfte die Dauerhaftigkeit seiner Sinnesänderung verbürgen.

Nachdem der Minister des Inneren diese Verhältnisse bestätigt und sich mit dem Antrage des Kultusministers vollkommen einverstanden erklärt hatte, fanden auch die übrigen Stimmen nichts dagegen einzuwenden.

Ebensowenig wurde der weitere Antrag, das Bistum Przemyśl an den Lemberger Domdechant Jasiński zu verleihen, beanständet, nachdem der Minister des Inneren sich ebenfalls damit einverstanden erklärt und insbesondere die Verdienste Jasińskis um die Einrichtung des Seminars hervorgehoben hatte2.

III. Anträge bei der Budgetkommission betreffend

Bei der nächsten Sitzung der mit Ah. Handschreiben vom 11. d. M. eingesetzten Budgetkommission3 soll das Budget des Ministeriums des Äußern zur Beratung kommen. Da den meisten Mitgliedern der Kommission die diplomatischen Einrichtungen und Verhältnisse minder bekannt sein und Kommissionsglieder hiernach in manchen Beziehungen zu weit gehen dürften, so ersuchte der Minister des Äußern den Finanzminister, die Kommissionsglieder in dieser Hinsicht genauer zu instruieren, was der Finanzminister zusagte.

Nach einer Bemerkung des Justizministers soll auch die Aufhebung des Justizministeriums beantragt werden wollen. Es bestand früher allerdings nicht, und wurden dessen Geschäfte vom Obersten Gerichtshofe und der Hofkommission in Justizgesetzsachen besorgt. Allein, letztere besteht nicht mehr, und der Geschäftsumfang des ersteren hat durch die Einbeziehung Ungerns und dessen ehemaligen Nebenländern4 einen solchen Zuwachs erhalten, daß der Präsident des Obersten Gerichtshofes unmöglich auch noch die Geschäfte des Justizministeriums übernehmen und leiten könnte.

Die Konferenz einigte sich also in der Ansicht für die Beibehaltung des Justizministeriums sowie in dem weiteren Beschlusse, zweifelhafte Fragen ähnlicher Art vorerst in der Konferenz zur Beratung bringen und nach deren Ergebnis die Kommissionsglieder instruieren zu lassen.

Übrigens unterläge es keinem Anstande, bezüglich des Justizministeriums einige Vereinfachung im Geschäftsgange in Vorschlag zu bringen, wobei der Justizminister selbst beispielsweise der Vorlegung der Todesurteile erwähnte, welche Sr. Majestät vielleicht bvom Obersten Gerichtshofe unter vidi des Justizministers unterbreitet werden könntenb .5

IV. Polizeibericht aus Istrien

Der Polizeiminister las einen Bericht vor aus dem Küstenlande6, wornach daselbst

a) von einer Partei unter Leitung des Advokaten Madonizza in Capodistria in der Erwartung, daß das Venetianische dereinst ebenso wie die Lombardie werde abgetreten werden, Unterschriften zu einer Petition um Einverleibung des Landes in das Venetianische gesammelt werden, ohne daß von Seite der Behörden diesem Treiben entgegengetreten würde.

Der Minister des Inneren , welcher hiervon bisher keine Kenntnis erhalten hat, wird hierwegen sogleich Bericht abfordern.

|| S. 256 PDF || b) [ Polizeiminister ] Auch dem Kolportieren von Blättern zu Unterschriften für die Unterrichtssprachenpetition unter Leitung eben dieses Madonizza und des Advokaten Scrinzi in Triest wird ebenfalls kein Einhalt getan. Es wird daher als dringend nötig die baldige Entscheidung jener Sprachenfrage bezeichnet.

Der Unterrichtsminister sicherte dieselbe zu7, und der Finanzminister machte darauf aufmerksam, daß diese lediglich von den an der Universität zu Padua graduierten Doktoren der Rechte und der Medizin ausgehende Agitation nur durch energisches Auftreten der Regierung und die Erklärung bewältigt werden kann, daß die beiden Gymnasien zu Triest und Görz als deutsche angesehen werden8.

c) [ Polizeiminister ] Es wird die Stimmung in Triest überhaupt als gedrückt geschildert, als Ursache die Handelsstockung infolge des hohen Eisenbahntarifs und des Schwankens der Valuta angegeben und zur Abhilfe die Wiederaufnahme Istriens in das Freihafengebiet Triests vorgeschlagen.

Der Finanzminister bemerkte hierüber, die mißliche Lage des Handels ist zum Teil Folge des letzten Kriegs und muß als solche bis zum Eintritt besserer Verhältnisse getragen werden. Die Eisenbahntarifangelegenheit ist in der Verhandlung und wird in denjenigen Punkten, wo gegründete Beschwerden vorliegen, befriedigend gelöst werden. Auch die Valutaverhältnisse gehen einer Besserung entgegen. Belangend die Ausscheidung Istriens aus dem Zollgebiete, so würde der Finanzminister die Einbeziehung des Landes in dasselbe, wäre sie nicht erst vor einigen Jahren von Sr. Majestät angeordnet worden9, gegenwärtig nicht beantragen, indem die gute Absicht, dem Lande den Absatz seiner Erzeugnisse, Öl und Wein, im Inneren zu erleichtern, durch Traubenkrankheit und Mißwachs vereitelt worden ist. Die Frage aber hat an sich eine höhere Bedeutung. In seinem Memoire über die Reformen der inneren Verwaltung hat der Finanzminister die Idee einer Zusammenziehung des ganzen österreichischen Litorals in ein Verwaltungsgebiet ausgesprochen10. Er beabsichtigt dieselbe in einer weiteren Denkschrift umständlich auseinanderzusetzen und zu begründen und diese Denkschrift in lithographierten Exemplaren an die Mitglieder der Konferenz zur eingehenderen Prüfung zu verteilen. Entschiede man sich für die Annahme der diesfälligen Anträge, so würde sich damit die Frage über den Zollausschluß Istriens von selbst beheben.

Die Konferenz war mit dem Vorhaben des Finanzministers einverstanden11.

d) [ Polizeiminister ] Der Handelsstand von Triest hat auf auswärtigen Plätzen das Vertrauen verloren durch Unsolidität einiger Firmen in Effektuierung ihrer Kommissionen etc. Es möge daher die Handelskammer angewiesen werden, hierüber zu invigilieren und zu richten.

|| S. 257 PDF || Nach der Bemerkung des Finanzministers kommen Klagen der Art allerwärts vor. Nichtsdestoweniger nähme er keinen Anstand, hierwegen eine Aufforderung an die Triester Handelskammer zu richten, wenn ihm der Polizeiminister hierwegen die entsprechende Mitteilung machen wolle12.

V. Beschlagnahme des Kladderadatsch

Das Preßbureau hat den heute ausgegebenen „Kladderadatsch“ mit Beschlag belegt wegen eines Gedichtes von der Wahrheit, welche der Kaiser sucht. Der Polizeiminister las es in der Konferenz vor, welche darin nichts so Anstößiges fand, um die Beschlagnahme des Blattes zu veranlassen, das daher der Minister sofort freigeben wird13.

VI. Einrichtung des Monte Veneto

Der Finanzminister referierte über die künftige Einrichtung des Monte veneto. Ursprünglich galt der vereinte Monte lombardo-veneto als eine Landesschuldenanstalt, wurde aber nichtsdestoweniger wie andere Staatsschuldenkassen behandelt und regelmäßig mit Dotationen beteilt. Nach Ausscheidung der Lombardie fallen auf den neuen Monte veneto 40 Millionen alte Schuld und 30 Millionen Schuld von 1859, zusammen 70 Millionen. Diesen soll der Charakter von Landesschulden gewahrt bleiben. Es ist aber offenbar, daß das Land die Zinsenlast davon mit 3 ½ Millionen und eine bedeutende Amortisationsquote (im ganzen 5 Millionen jährlich) wenigstens in der ersten Zeit nicht wird tragen können; es wird also aus dem Staatsschatze nachgeholfen werden müssen. Diese Nachhülfe soll aber nur vorschußweise als eine Wohltat und Gnade gewährt und die Refundierung aus Landesmitteln vorbehalten bleiben. In diesem Sinne würde daher der Finanzminister den Antrag auf Konstituierung dieses Monte Sr. Majestät erstatten.

Die Konferenz war hiermit einverstanden, der Kultusminister in der Voraussetzung, wenn wenigstens ein, wenn auch entfernter Zeitpunkt denkbar ist, wo das Land die auf obige Art erhaltenen Vorschüsse zu tilgen imstande ist14.

VII. Vaglienzahlungsregulierung bei Militärkontrakten

Der Ministerpräsident brachte zur Kenntnis der Konferenz, daß im Venetianischen panischer Schrecken über den Fortbestand der Vaglien herrsche, hervorgerufen durch Vorgänge der Militärbehörden beim Abschluß von Lieferungs- etc. Kontrakten, worin künftige Zahlungen in Vaglien stipuliert worden sein sollen. Da ein solcher Vorgang, wie der Finanzminister bemerkte, den bestehenden Gesetzen entgegen wäre, || S. 258 PDF || wurde GM. Graf Seldern eingeladen, über die Richtigkeit jener Angabe Erkundigung einzuziehen und das Ergebnis mitzuteilen15.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, 6. Dezember 1859.