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Nr. 62 Ministerkonferenz, Wien, 12. November 1859 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 12. 11.), Thun 20. 11., Bruck 15. 11., Nádasdy 15. 11., Gołuchowski 15. 11., Thierry 17. 11., Seldern.

MRZ. – KZ. 3968 –

Protokoll der zu Wien am 12. November 1859 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten etc. Grafen v. Rechberg.

I. Dienstpragmatik für die politischen Beamten

Der Minister des Inneren referierte den beiliegenden Entwurf einer Verordnung über die Behandlung der Dienstvergehen der dem Ministerium des Inneren unterstehenden Beamten und Diener mit Einschluß jener bei den gemischten Bezirks- und Stuhlrichterämtern.a Motiviert wird derselbe mit der Notwendigkeit der strengern Handhabung der Disziplin gegen eine zahlreiche Klasse von Staatsdienern und des wirksameren Schutzes des Ah. Dienstes und der Bevölkerung gegen pflichtvergessene Beamte, deren Entfernung vom Dienste für notwendig erkannt, nach den bisherigen Normen aber durch die beengende Form der Beistimmung zweier, nur nach gerichtsordnungs­mäßiger Beweisführung urteilender Justizräte erschwert wird.

Bei Durchgehung der einzelnen Paragraphen des Entwurfs wurde bemerkt: ad § 2, c, vom Justizminister , daß hier der Beisatz „auf eigene Kosten“ angezeigt erscheinen dürfte, um die Übersetzung aus Strafe von jener aus andern Dienstrücksichten zu unterscheiden, was übrigens nach der Bemerkung des Ministers des Inneren im § 5, Abs. 4, ohnehin ausgesprochen ist. Weiters glaubte der Justizminister , daß, nachdem die sub [§ 2] b vorkommende Versagung der Gradualvorrückung nicht immer anwendbar ist, der Sprung vom Verweise a zur Versetzung auf eigene Kosten c zu groß und letztere insbesondere für die Familie des Beamten zu hart wäre, da zur Übersiedlungs­kostenbestreitung wohl in den meisten Fällen Schulden gemacht werden müßten. Es dürfte sich also als Mittelstrafe die Verhängung von Gehalts- oder Lohnabzügen empfehlen. Allein, der Minister des Inneren glaubte diese letzteren nicht aufnehmen zu sollen, weil sie bisher nicht bestanden haben, wobei er noch bemerkte, daß bei den politischen Behörden „Löhnungen“ nicht vorkommen. Was übrigens den Sprung vom Verweise zur Versetzung anbelangt, so ist mit der im § 2 aufgeführten Abstufung durchaus nicht gemeint, daß dieselbe immer und überall eingehalten werden müsse; vielmehr kann, da die Strafe sich immer nach der Größe des Vergehens zu richten hat, ohne Anstand eine höhere Strafe verhängt werden, wenn sie der Schuldige überhaupt verdient.

§ 3. Da, wie der Justizminister bemerkte, dem „unmittelbaren Vorgesetzten“ in der bestehenden Beamtenhierarchie, wie z.B. dem Sekretär dem Konzipisten gegenüber, nicht wohl eine solche Disziplinargewalt eingeräumt sein dürfte, wenn er nicht wirklich „Amtsvorsteher“ ist, so wurde unter allseitiger Zustimmung der Ausdruck „Vorgesetzter“ durch „Amtsvorsteher“ ersetzt.

|| S. 239 PDF || § 9. Wenn die dem Beamten abgeforderte Rechtfertigung mündlich erstattet wird, so sollte nach dem Erachten der Konferenz ein Protokoll darüber aufgenommen werden, damit, wie der Justizminister bemerkte, doch etwas in den Akten zurückbleibe, was auf den Vorgang Bezug hat. Soll bloß ein Verweis erteilt werden, so wäre die Protokollarvernehmung wohl nicht nötig. Diesen Bemerkungen gemäß wird der Minister des Inneren einen Zusatz zum § 9 machen.

§ 10. Die Disziplinarkommission bei den Landesbehörden wird vom Ministerium des Innern eingesetzt werden.

§ 11. Um den disciplinariter bestraften Angestellten zur nachhaltigen Besserung anzuspornen, brachte der Minister des Inneren den Zusatz in Antrag, daß die in der Qualifikationstabelle anzumerkende Disziplinarstrafe nach dreijähriger tadelloser Aufführung über Ansuchen des Beteiligten in der Qualifikationstabelle gelöscht werden kann. Eine ähnliche Bestimmung besteht bei [der] Finanzwache mit gutem Erfolge. Die Konferenz war sonach mit diesem Zusatze einverstanden.

Eine wesentliche Abweichung von den bisherigen Vorschriften besteht in diesem Entwurfe bei der Bestimmung der §§ 10 und 13, wornach die Dienstesentlassung im Disziplinarwege ohne Zuziehung und Beistimmung zweier Justizräte verhängt werden kann.

Die Beiziehung zweier Justizräte zu den Verhandlungen über die Entlassung eines Angestellten, bemerkte der Justizminister, beruht auf einer Ah. Entschließung Sr. Majestät des Höchstseligen Kaisers Franz vom 30. Dezember 1806 b und ist seitdem, wie die nebenstehende Anmerkung ausweisetc, bis zum Jahre 1843 nicht weniger als 18 Mal erneuert, republiziert und erweitert worden. Sie wird hier ihrer beengenden Form wegen als ein Hindernis der Entlassung pflichtvergessener Beamter bezeichnet, aber der Justizminister hat sich im kurzen Wege Auskunft über die beim Obersten Gerichtshofe und beim Appellationsgerichte vorgekommenen Fälle verschafft, woraus hervorgeht, daß beim Obersten Gerichtshofe in den verhandelten

24 Fällen des Jahres 1856 nur ein [Fall], 15 Fällen des Jahres 1857 nur drei, 17 Fällen des Jahres 1858 nur ein, 15 Fällen des Jahres 1859 nur ein, also in 71 Fällen nur 6 Fälle,

beim niederösterreichischen Oberlandesgerichte aber in verhandelten

4 Fällen des Jahres 1856 einer, 7 Fällen des Jahres 1857 drei, 10 Fällen des Jahres 1858 zwei, 8 Fällen des Jahres 1859 ein, also in 29 Fällen 7 Fälle

|| S. 240 PDF || vorgekommen sind, wo die Justizräte dmit den Anträgen der politischen oder Finanzbehörde nicht einverstanden gewesen sein dürften, nachdem nur in diesen sechs bezüglich sieben Fällen gemeinschaftliche Beratungen stattfandend . Wenn daher dort in 65, hier in 22 Fällene Übereinstimmung zwischen den Administrativ- und den Justizbeamten geherrscht hat, so kann wohl nicht behauptet werden, daß die Justizräte ein Hindernis der Entlassung eines schuldigen Beamten, fdessen Degradierung oder Übersetzung auf eigene Kosten übrigens ohne Beiziehung von Justizbeamten hätte ausgesprochen werden können,f gewesen seien. Die wenigen Ausnahmsfälle in vier Jahren aber sind wohl nicht so bedeutend, um die Aufhebung einer Maßregel zu beantragen, die zum Schutze des Beamten gegen Willkür vor mehr als einem halben Jahrhundert eingesetzt, seither so oft erneuert und bekräftigt worden ist und selbst das Revolutionsjahr 1848 überdauert hat. Der Justizminister würde daher Bedenken tragen, für die Aufhebung dieser Vorschrift zu stimmen, insbesondere aber den gegenwärtigen Moment nicht für geeignet erkennen, den Beamten jenen Schutz zu entziehen, nachdem sie sich durch ihre während der letzten Kriegsepoche betätigte Ergebenheit und Aufopferung vielmehr Anspruch auf Anerkennung erworben haben. Der Minister des Inneren entgegnete, er sei weit entfernt, das Verfahren der Justizräte bei derlei Verhandlungen einer Kritik zu unterwerfen, denn sie gehen dabei nach den ihnen geläufigen und vorgeschriebenen Rechtsformen vor. Aber eben diese letzteren seien das Hindernis, Beamte aus dem Staatsdienste zu entfernen, denen zwar kein gnach streng gerichtlichen Rechtsformen ergreifbares Verschuldeng zur Last gelegt werden kann, die jedoch wegen ihres taktlosen Benehmens oder fortgesetzten verderblichen Wirksamkeit im Interesse des Ah. Dienstes und der ihrer Verwaltung anvertrauten Bevölkerung nach dem Erkenntnisse der vorgesetzten Behörde von ihrem Posten und von jedem Staatsdienste entfernt werden müssen. Solche Beamte könnte der Minister des Inneren aus seiner bisherigen Diensterfahrung namentlich bezeichnen; er habe jedoch deren Entlassung bisher nicht beantragen können, weil er im voraus überzeugt gewesen, mit dem Antrage bei den Justizräten nicht durchzudringen. Und doch fordern die seit dem Bestande der Vorschrift vom 30. Dezember 1806 so wesentlich geänderten Zeitverhältnisse und die so bedeutende Vermehrung der lf. Angestellten gebieterisch die Mittel, daß sich der Staat gleich wie der Private eines Dieners entledigen könne, der nichts taugt. Niemand wird behaupten wollen, daß der Staat verpflichtet sei, einem solchen Diener eine Pension, den Lohn für gute Dienste, zu gewähren. Ein solches Mittel nun liegt in der Ermächtigung der zur Beurteilung des Benehmens und der Leistungen des Beamten kompetenten vorgesetzten Autorität, allein und unmittelbar über die Entlassung zu entscheiden und den Panzer der Untastbarkeit zu sprengen, von dem sich der Beamte bisher geschützt sah. So wenig zur Entlassung eines Justizbeamten die Beistimmung politischer Räte erforderlich war, ebensowenig dürfte jene der Justizräte bei der Frage über die Entlassung eines politischen Beamten unentbehrlich sein. || S. 241 PDF || Ohne Schutz und der Willkür preisgegeben wird er auch nach dem vorliegenden Entwurfe nicht sein, dafür bürgt die (§ 10) beim Ministerium und bei den Landesstellen eigens zu bestellende Kommission von einem Vorsitzenden und vier Räten; und da die für Personalangelegenheiten der gemischten Ämter bestellte Kommission, welche nach § 13 als Disziplinarkommission berufen wird, aus Räten der politischen Landesstelle und des Oberlandesgerichts zusammengesetzt ist, so wird ein Beamter dieser Kategorie auch der Vertretung eines Justizrates teilhaftig bleiben. Das Bewußtsein, wegen der im § 7 sub a und c bemerkten Gebrechen die Entlassung gewärtigen zu müssen, wird ein mächtiger Sporn zur gewissenhaften Erfüllung aller Amtspflichten sein, den ehrenhaften Beamten aber nicht verletzen, weil er dadurch nicht getroffen wird. Der Kultusminister verkannte nicht, daß die geänderten Zeitverhältnisse manche Änderung in den Bestimmungen über die Behandlung der Beamten, namentlich in der untersten Sphäre, notwendigh machen, wo das Bedürfnis der Anzahl eine sorgfältige Auswahl der Individuen erschwert hat. iDas rechte Heilmittel könne er aber nur in organisatorischen Maßregeln erblicken, welche das Bedürfnis der Verwendung lf. Beamter wieder auf ein viel geringeres Maß zurückführen. Auch unter den dermaligen Verhältnissen könne er jedenfalls keine Notwendigkeit erblickeni, in der höheren Kategorie, z. B. der Kreishauptleute und Statthaltereiräte, von der bisherigen Norm abzugehen. Bei jeder Disziplinarverhandlung, insbesondere aber bei einer solchen, wo es sich um Dienstentlassung handelt, muß der Tatbestand, auf den das Erkenntnis gegründet werden soll, vollständig konstatiert sein. jNur diese Sicherstellung des Tatbestandes sei seines Erachtensj die Aufgabe der Justizräte. Wenn demnach diese in einzelnen Fällen gegen die Entlassung stimmen, obschon das Faktum, worauf der Entlassungsantrag gegründet wird, erhoben ist, so liegt das Hindernis nicht sowohl in ihnen, als vielmehr in dem Mangel eines gesetzlichen Ausspruchs, daß kauch Dienstgebrechen, die in keiner Weise den allgemeinen Strafgesetzen unterliegen, z. B. Ausbrüche nationaler Gehässigkeit, welche in neuerer Zeit so häufig so verderblich auf die Stimmung der Bevölkerung einwirken u. dgl. mehr, ohne weiters die Dienstesentlassung nach sich ziehen können. Angemessene Bestimmungen in dieser Richtung würden seines Erachtens ungleich heilsamer wirken als Änderungen in den Formen der Disziplinarbehandlung, die sicher nicht verfehlen werden, auf den Beamtenstand einen sehr unangenehmen Eindruck zu machen, die ohnehin herrschende Abneigung, sich demselben zu widmen, zu vermehren und zu dem Vorwurfe Anlaß zu geben, daß die Regierung selbst solche gegen Willkür schützende Einrichtungen beseitige, die durch lange Jahre in Österreich bestanden haben. Graf Thun sieht namentlich keinen Anstand,k die bisherige Form der Verhandlung über Entlassungsanträge wenigstens bei der in erster Instanz darüber erkennenden Behörde beizubehalten, damit der Tatbestand dessen zweifellos gestellt werde, worauf die Entlassung || S. 242 PDF || des Beamten gegründet werden soll. lIm Rekurswege könnte dann, wenn gegen den Tatbestand keine Einwendung erhoben wird, es sich somit nur um den Ausspruch handelt, welche Folge das konstatierte Dienstvergehen nach sich ziehen soll, in den höheren Instanzen die Beiziehung von Justizräten entbehrt werden.l Mit dieser Modifikation, nämlich mit der Beiziehung zweier Justizräte zur Entlassungsverhandlung in erster Instanz erklärte sich auch der Justizminister einverstanden, beharrte jedoch auf seiner früheren Ansicht, nachdem der Minister des Inneren auch dieser Modifikation seine Zustimmung versagt hatte. Im wesentlichen trat der Polizeiminister der Ansicht der beiden zuerst genannten Votanten bei, indem er fand, daß das Gefühl der Unzuverlässigkeit der Zukunft den Beamten eher schlechter als besser mache, daher es notwendig sei, ihm in dieser Beziehung doch eine mehrere als die im Entwurfe zugestandene Garantie allenfalls dadurch zu gewähren, daß die den Antrag auf die Entlassung stellende Autorität wenigsten von der Entscheidung darüber ausgeschlossen, md. h. nicht Ankläger und zugleich auch Richterm sein sollte.

Die übrigen, also mehreren Stimmen schlossen sich aber dem Antrage des Ministers des Inneren an, nachdem der Finanzminister die in dieser Beziehung von jenem gemachten Bemerkungen aus eigener Diensterfahrung bestätigt und der Ministerpräsident hinzugesetzt hatte, daß es notwendig sei, den Geist der Beamten zu brechen, die sich für den Staat, nicht für Diener des Monarchen anzusehen gewohnt sind1.

II. Abwicklung der Geschäfte des Handelsministeriums

Der Ministerpräsident brachte zur Kenntnis der Konferenz, daß er nach Übernahme der laufenden Geschäfte des Handelsministeriums und eines Teils des Personals desselben durch die dazu berufenen Zentralbehörden den nicht übernommenen Teil des letztern sowie die Registratur, Sammlungen etc. einstweilen und bis zur gänzlichen Durchführung der Auflösung der Leitung des Sektionschefs Esch überlassen und denselben aufgefordert habe, sich behufs des Abschlusses mit den betreffenden Chefs unmittelbar ins Einvernehmen zu setzen, nachdem der Ministerpräsident nur mit der Einleitung zur Durchführung der Auflösung dieses Ministeriums beauftragt ist2.

III. Gesandtschaftshaus in Paris

Über einen dem tg. gefertigten Minister des Äußern vorgelegten Vorschlag des Fürsten Metternich das Anerbieten der französischen Regierung betreffend, der k.k. Botschaft in Paris ein Haus einzuräumen, wenn der französischen ein gleiches in Wien eingeräumt würde, äußerte sich der Finanzminister dahin, daß er Bedenken trage, darauf einzugehen, weil die Überlassung eines Botschaftshotels in natura nur zu beständigen Vergleichungen der Beschaffenheit und Einrichtung desselben mit dem andern, sohin zu Forderungen der völligen Gleichstellung etc. Anlaß geben und wahrscheinlich höher zu stehen kommen würde, als der Ankauf eines Hauses in Paris auf Rechnung der || S. 243 PDF || k. k. Regierung. Fürst Metternich möge daher sich unter der Hand um ein solches umsehen und seinerzeit den Antrag machen3.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, 23. November 1859.