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Nr. 61 Ministerkonferenz, Wien, 10. November 1859 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser, BdE. und anw. (Rechberg 11. 11.), Erzherzog Wilhelm, Erzherzog Rainer, Thun 12. 11., Bruck 12. 11., Nádasdy 12. 11., Gołuchowski 13. 11., Thierry 14. 11.

MRZ. – KZ. 3918 –

Protokoll [der Ministerkonferenz] vom 10. November 1859 unter dem Ah. Vorsitze Sr. k. k. apost. Majestät.

I. Tilungsfondsregulierung, Staatsschuldendirektion und deren Zusammensetzung

Der Finanzminister referierte seine bereits in den Ministerkonferenzen am 5., 7. und 8. November 1859 beratenen Anträge1 zur Regelung des Staatsschuldentilgungsfonds und zur Einführung einer wirksamen Kontrolle über die gesamte Gebarung mit der österreichischen Staatsschuld, wie sie in den bezüglichen Protokollen, namentlich in dem Schlußprotokolle vom 8. d. M. niedergelegt erscheinen, und las den Entwurf des diesfalls von der Ministerkonferenz beantragten Patents. Der Finanzminister bemerkte hiebei, die einzige Differenz, welche hierüber noch im Schoße der Konferenz obwaltet, bestehe gegenüber dem Kultusminister, welcher die Staatsschuldendirektion der Obersten Rechnungskontroll­behörde untergestellt wünscht, wozu aber der Finanzminister nicht beistimmen könne, indem die Verhältnisse der Gegenwart nicht so geartet seien, um die Aktion des Finanzministeriums in den Augen des Publikums zu schwächen, und es vielmehr angezeigt sei, dieses Ministerium zu stärken.

Der Kultusminister bemerkte hierauf, seine Absicht gehe keineswegs dahin, das Finanz­ministerium zu schwächen; er glaube vielmehr, daß es zu seiner Stärkung beitrage, wenn gegenüber dem bestehenden Mißtrauen Einrichtungen getroffen werden, welche die vollste Bürgschaft gegen jede Möglichkeit einer unregelmäßigen Gebarung mit den Staatsschulden gewähren. Diesen Zweck zu erreichen, sei die Bestimmung des vorliegenden Patententwurfs, und es handle sich daher nur um die Frage, ob jener Zweck nicht noch sicherer erreicht werden könne. Was Graf Thun zu diesem Ende wünscht, bestehe nur darin, daß die Leitung und Überwachung der Ausfertigung von Staatsschuldverschreibungen, welche im Patententwurfe der Staatsschuldendirektion zugewiesen wird, von einer Behörde besorgt werde, die nicht dem Finanzministerium, sondern der Obersten Rechnungskontrollbehörde unterstehe. Ihre Aufgabe werde natürlich sein, die durch das Programm eines Anlehens gesetzlich festgestellte Summe von Obligationen verfertigen zu lassen und selbe dem Finanzministerium zur Verfügung zu stellen; allein, es wäre durch diese Einrichtung unmöglich gemacht, daß in geheimer, nur dem Finanzminister bekannter Weise ein Mehrbetrag ausgefertigt und ausgegeben würde. Diese Einrichtung, welche in anderen Ländern, und namentlich in Bayern besteht, wo das Geschäft durch eine von den Ständen bestellte Kommission besorgt wird, beruht offenbar auf einem ganz richtigen Gedanken und müßte zur Beruhigung des finanziellen Publikums sehr wesentlich beitragen. || S. 236 PDF || Die in dem Patententwurfe vorgeschlagene halbjährige Kontrolle des Standes der Staatsschuld sei gewiß sehr zweckmäßig; allein, gegenüber dem bedauerlichen Eindrucke, den die Überschreitung des Nationalanlehens durch die Art, wie sie stattgefunden, gemacht hat, handle es sich darum, ob diese Maßregel genügen werde, um das bestehende Mißtrauen gründlich zu beseitigen, was für die kaiserliche Regierung ebenso sehr eine Ehrensache als eine finanzielle Notwendigkeit geworden ist. Minister Graf Thun fürchtet, man werde daran erinnern, daß eine ähnliche Kontrolle ja schon vorlängst angeordnet worden sei, was gleichwohl nicht hinderte, daß allmählich die Kundmachung der Berichte über den Stand der Staatsschuld unterblieb und Unregelmäßigkeiten vorfielen, die durch längere Zeit unbekannt geblieben sind. So könnte es mit der Zeit wieder geschehen, während die vom Kultusminister bevorwortete Maßregel die Wiederholung eines solchen Falles fast unmöglich mache; derselbe glaubt deshalb, hierauf so großen Wert legen zu sollen. Ob es in der Weise geschehen könne, daß die vorgeschlagene Staatsschuldendirektion mit allen ihr zugewiesenen Funktionen vom Finanzministerium ausgeschieden und der Obersten Rechnungs­kontrollbehörde unterstellt oder daß nur für die Leitung und Überwachung der Herstellung von Staatsschuldverschreibungen eine solche Einrichtung getroffen werde, darauf lege Graf Thun kein Gewicht, und es fehle ihm die genaue Kenntnis der Umstände, von denen die Beurteilung dieser Frage bedingt ist.

Der Finanzminister erklärte sich aus dem bereits oben angeführten Grunde gegen die vom Kultusminister beantragte Modifikation und bemerkte weiters, daß der Kommission unverwehrt sein würde, sich auch öfters als alle halben Jahre zu versammeln, so wie sie berufen sei, jede von ihr bemerkte üble Gebarung sofort zu Ah. Kenntnis zu bringen und das zur Abhilfe Nötige vorzukehren.

Über die von Sr. Majestät aufgeworfene Frage, ob es nicht angezeigt wäre, in die Direktion auch Beisitzer aus den Provinzen zu berufen, äußerte der Finanzminister, daß es dem Ah. Ermessen anheimgestellt bliebe, auf die der Ah. Ernennung vorbehaltenen Plätze auch Kapazitäten aus den Kronländern zu berufen. Die jährliche Neuwahl der Beisitzer stehe mit der jährlichen Ernennung der Börse- und Handelskammern und der Bankdirektion im Zusammenhange. Der Minister des Inneren würde es vorgezogen haben, den Wiener Gemeinderat als die Niederösterreichische Handelskammer einen Beisitzer wählen zu lassen, nachdem der Gemeinderat der Haupt- und Residenzstadt Wien ein größeres Ansehen genießen dürfte. Ferner hob Graf Gołuchowski hervor, daß die Publikation über den Stand des Tilgungsfonds 1848 nicht genau gewesen sei, indem sie bloß von Obligationen spreche, unter welchem Ausdrucke diea Zentralkassaanweisungen nicht subsumiert werden könnten.

Der Finanzminister bemerkte hierauf, daß unter dem in der Publikation gebrauchten Ausdruck „Effekten“ Wertpapiere aller Art, somit auch Zentralkassaanweisungen verstanden werden. Was aber die Niederösterreichische Gewerbs- und Handelskammer betrifft, so zähle dieselbe unter ihren Mitgliedern die durch Rechtlichkeit, Intelligenz und Vermögen am meisten hervorragenden Industriellen und Handelsleute der Residenz || S. 237 PDF || und der ganzen übrigen Provinz und sie erscheinen daher als ein das volle Vertrauen genießender Wahlkörper2.

II. Reduktion der Armee

Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Wilhelm , Chef des Armeeober­kommandos, referierten über die zur Erleichterung der Staatsfinanzen im laufenden Jahre zu treffenden Reduktionen am Militäretat, deren Hauptergebnisse eine Verminderung des Extraordinariums bis auf 12 Millionen, des Gesamtaufwandes aber bis auf 132 Millionen sein würde3. Se. k. k. Hoheit hoben jedoch nachdrücklich hervor, daß die Entwaffnung auf diese Weise sehr weit gehen und eine neuerliche Rüstung nur mit großem Zeit- und Geldaufwande zu bewirken sein dürfte. Bloß etwa 40.000 Mann würden in Italien noch für den Fall einer nötigen Aktion einigermaßen schlagfertig erhalten bleiben, bund die Versetzung der Armee in Italien auf den Kriegsstand mindestens zwei Monate in Anspruch nehmen.a

Der Ministerpräsident , von Sr. Majestät Ah. aufgefordert, sich über die Zulässigkeit dieser Reduktionen vom politischen Standpunkte aus zu äußern, erklärte, daß der sonach erübrigende Armeestand ihm unter den dermaligen Konjunkturen sowohl, als mit Hinblick auf die während des nächsten Jahres zu erwartenden Eventualitäten vollkommen genügend erscheine. Ein Angriff von Seite Piemonts wie im Jahre 1848 sei nicht zu besorgen, da die damaligen exzeptionellen Verhältnisse der europäischen Staaten jetzt nicht mehr bestehen4.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Schönbrunn, 19. November 1859.