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Nr. 60 Ministerkonferenz, Wien, 9. November 1859 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 9. 11.), Thun 12. 11., Bruck 12. 11., Nádasdy 12. 11., Gołuchowski 13. 11., Thierry 14. 11., Seldern.

MRZ. – KZ. 3933 –

Protokoll der zu Wien am 9. November 1859 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.

I. Behandlung der Toastausbringer beim Primasbankett

Se. Majestät geruhten den tg. gefertigten Ministerpräsidenten zu beauftragen, das Gutachten der Konferenz über die Frage einzuholen, ob und wie gegen diejenigen vorgegangen werden soll, welche mit Hintansetzung der schuldigen Rücksicht für die Person Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzogs Albrecht als Stellvertreter Sr. Majestät bei dem Bankette zur Jubelfeier des Primas von Ungern Toaste von mindestens zweifelhafter Deutung in ungrischer Sprache ausgebracht haben1.

Der authentische Inhalt dieser Reden liegt nicht vor, und aus einem vom Polizeiminister vorgelesenen Berichte ist nur so viel zu entnehmen, daß das Journal Pesti Napló zur Suspension beantragt wird, weil es durch Darstellung des Hauptinhalts jener Reden in einem Leitartikel2, dessen Vorlegung vom Polizeiminister unter einem telegrafisch verlangt wurde, das Verbot, die Reden selbst abzudrucken, zu umgehen versucht hat. Auch dasjenige, was dem Justizminister über den Inhalt jener Reden vertraulich mitgeteilt worden, würde seines Erachtens, selbst wenn dessen Richtigkeit konstatiert wäre, keinen Anhaltspunkt zu einer gerichtlichen Verfolgung oder Versagung des Hofzutritts (worauf der Ministerpräsident hingedeutet hatte) gewähren.

Es wurde zwar von diesem und dem Kultusminister hervorgehoben, daß schon der Vorgang unstatthaft war, Reden zu halten, nachdem Se. k. k. Hoheit bereits den Toast ausgebracht und der Primas denselben erwidert hatte. Allein, auch dies ist, wie der Justizminister bemerkte, nicht ohne Beispiel und dürfte bei der herrschenden Landessitte nicht zu hoch angerechnet werden.

Vor allem käme es also darauf an, den Inhalt, womöglich den Wortlaut der Reden zu erfahren, und da von den gehaltenen vornehmlich jene des Grafen Cziráky, des Erzbischofs Bartakovics und des Barons Jósika3 von Bedeutung gewesen sein sollen, so wurde über Antrag des Justizministers beschlossen, der Ministerpräsident möge die drei Genannten als Geheime Räte zur schriftlichen Äußerung hierwegen auffordern.

|| S. 233 PDF || Enthielte diese sodann den Text der Reden und würde der Inhalt unverfänglich befunden, so wäre er nach dem Erachten des Polizeiministers ohne weiters abzudrucken4.

II. Deputation der Krakauer Studenten

Der Kultusminister brachte zur Kenntnis der Konferenz, daß der Vorgang der Pester Studenten in der Sprachensache eine Nachahmung in Krakau gefunden habe5. In der Voraussetzung der Zustimmung der Konferenz, solchem Unwesen mit Ernst ein Ziel zu setzen, habe er die ohne Erlaubnis nach Wien gekommenen Krakauer Studenten polizeilich vernehmen und nach Konstatierung ihres gesetzwidrigen Vorgangs in Begleitung eines Polizeibeamten nach Krakau zurückzuschaffen mit dem Polizeiminister verabredet. Der akademische Senat in Krakau aber erhält die Weisung, gegen dieselben das Disziplinarverfahren einzuleiten, und wurde ihm bemerkt, daß man die Relegierung der Schuldigen erwarte.

Die Konferenz war damit einverstanden.6

III. Verlag von Schulbüchern für die melchitischen Gemeinden am Libanon durch die k. k. Staatsdruckerei

Der Kultusminister erbat sich und erhielt die Zustimmung des Finanzministers und sofort auch der übrigen Stimmen zu dem bei Sr. Majestät zu stellenden Antrage, für die melchitischen Gemeinden am Libanon aein von dem Generalvikar der Diözese Zahle vorgelegtes arabisches Büchlein für den ersten Schulunterricht, welchem ein Gebet für Se. Majestät und das österreichische Kaiserhaus beigegeben ist,a von der k. k. Staatsdruckerei für den Anfang mit 9000, dann jährlich mit 3000 Exemplaren drucken zu lassen und die bezüglichen Kosten (ca. 600 fr., dann 2–300 fr. jährlich) auf den Staatsschatz zu übernehmen. Zur Begründung wurde geltend gemacht, daß die Gemeinden nach Versicherung zweier hier anwesender Geistlichen ihres Glaubens, ermuntert durch den überaus günstigen Erfolg einer vor zwei Jahren in Österreich gemachten Sammlung für ihre Kirche7 und dankerfüllt für dessen Kaiser, einen hohen Wert darauf legen, diese Bücher aus Österreich gedruckt zu erhalten, daß dieses auch auf dem Titel ersichtlich gemacht und ein Gebet für Se. Majestät aufgenommen wird, daß es endlich in politischer Hinsicht nicht ohne Bedeutung sein würde, den Bestrebungen Frankreichs || S. 234 PDF || und Rußlands, die dortige Bevölkerung für sich zu gewinnen, einiges Gegengewicht entgegenzustellen8.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, 20. November 1859.