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Nr. 58 Ministerkonferenz, Wien, 5., 7. und 8. November 1859 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • Sammelprotokoll; RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 8. 11.), Thun 11. 11., Bruck 11. 11., Nádasdy 11. 11., Thierry 11. 11., Gołuchowski 11. 11., Seldern.

MRZ. – KZ. 4293 –

Protokoll der zu Wien am 5. November 1859 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.

I. Kontrolle des Staatsschuldenwesens

Gegenstand der Beratung war der vom Finanzminister vorbereitet Entwurf eines Ah. Patents über die Reform der Direktion des allgemeinen Tilgungsfondsa und der verzinslichen Staatsschuld, dann über die Einsetzung einer eigenen Kontrollkommission zur Überwachung der Gebarung desselben gemäß dem Konferenzbeschlusse vom Oktober 18591.

Dieser Entwurf, zu dessen Rechtfertigung und Erläuterung der Finanzminister eine historische Übersicht des Entstehens, der bisherigen Gebarung und des gegenwärtigen Standes des Tilgungsfonds vorausschickte, ward in der Konferenz vom 5. d.M. vorläufig besprochen, und hat sich der Finanzminister infolge einiger dort über die Motivierung gemachten Bemerkungen bestimmt gefunden, denselben durch einen neuen Entwurfa zu ersetzen. In den meritorischen Hauptbe­stimmungen, welche dieser Entwurf enthält, nämlich über die Reform der Direktion des Tilgungsfonds, über die Löschung seines in Staatsobligationen bestehenden Vermögens und Einziehung des anderweitigen Vermögens für die Finanzen, dann über Errichtung einer unabhängigen Kontrollkommission war die Konferenz, vorbehaltlich der weiter unten besprochenen Modifikationen, einig. Wohl aber wurden Bedenken dagegen erhoben, ob es rätlich und zulässig sei, alle diese Maßregeln zugleich und in einem Patente zu erlassen. Der Kultusminister bemerkte nämlich: Was vor allem dringend nötig ist, wäre eine Verfügung, wodurch das in seinem Vertrauen auf die Finanzverwaltung durch die Überschreitung der Nationalanlehenssumme erschütterte in- und ausländische Publikum darüber beruhigt wird, daß ein ähnlicher Vorgang wie beim Nationalanlehen bei keinem anderen österreichischen Staatsanlehen vorgekommen sei noch in Hinkunft vorkommen könne. Hiernach erschiene also die Einsetzung der Kontrollkommission, welche den gesamten Stand des Staatsschuldenwesens, also auch des Tilgungsfonds, zu untersuchen hätte, als die vornehmste Maßregel, welcher, um gehörig wirksam zu sein, die Publikation des Standes des Tilgungsfonds vorherzugehen hätte. Denn, nachdem seit dem Jahre 1848 die sonst gewöhnliche Veröffentlichung des Gebarungsausweises des Tilgungsfonds sistiert worden ist, || S. 224 PDF || würde die im § 4 beantragte Löschung der Obligationen und Einziehung des anderweitigen Vermögens des Tilgungsfonds im Publikum den Eindruck machen, als wolle die Finanzverwaltung die ganze Gebarung aus dem Gedächtnisse des ohnehin mißtrauisch gewordenen Publikums verwischen. Es wäre daher 1. mittelst Patents die Wiederveröffentlichung der Gebarungsausweise der Tilgungsfondsdirektion anzuordnen, sodann 2. der diesfällige Ausweis für das betreffende letzte Semester zu veröffentlichen und 3. die jedoch vom Finanzminister ganz unabhängige Kontrollkommission einzusetzen, welche das ganze Staats­schuldenwesen zu untersuchen und das Ergebnis Sr. Majestät vorzulegen hätte. cFerner wäre die Aufgabe, die Blanquetten für Staatsschuldverschreibungen herstellen zu lassen und aufzubewahren, einem Organe zu übertragen, welches nicht unter dem Finanzministerium, sondern allenfalls unter der Obersten Rechnungskontrollbehörde stünde und dem Finanzministerium immer nur so viele solcher Obligationen zur Verfügung zu stellen hätte, als nach gesetzlicher Anordnung zu emittieren sindb, damit den Staatsgläubigern die volle Garantie gegen die Möglichkeit einer Überschreitung der Anlehenssumme geboten wäre. dEine ähnliche Einrichtung bestehe in Bayern. Erst nachdem durch diese Maßregeln das öffentliche Vertrauen wieder gesichert wäre, sollte an die Ausführung der im § 4 vorgeschlagenen Verfügungen geschrittenc werden. Auch der Justizminister war der Ansicht, daß die Vereinigung der beiden Maßregeln: Aufhebung der Tilgungsfonds und Einsetzung der Kontrollkommission in einem Patente nicht zweckmäßig wäre, weil der gute Eindruck der letzteren durch die üble Sensation verwischt werden würde, welche die erstere bei denjenigen machen müßte, denen die Gebarung des Tilgungsfonds aus den früheren periodischen Kundmachungen derselben bekannt ist und die es übel auslegen würden, daß dieser Fonds, ewelcher [im] Oktober 1848 einen Vermögensstand von 179 Millionen und ein Einkommen von 9 ½ Millionen jährlich ausgewiesen hatte, im Jahre 1859 nicht mehr als 135 Millionen zu löschen imstande sei und sein übriges Vermögen zur Disposition der Finanzen stelled . Es schien daher auch dem Justizminister zweckmäßiger zu sein, wenn zuerst die Kommission eingesetzt und mit der Klarstellung des ganzen Staatsschuldenwesens betraut, dann aber erst über deren Vorschläge zur Auflösung des Tilgungsfonds geschritten würde. Im wesentlichen war auch der Minister des Inneren mit den Vorstimmen darin einverstanden, daß vor allem die Einsetzung der ganz unabhängigen, nicht aus Staatsbeamten bestehenden Kontrollkommission unter einem ebenfalls ganz unabhängigen Präsidenten von Sr. Majestät angeordnet werden möge, die sich zunächst mit der Revision des Tilgungsfonds und dessen Gebarung zu beschäftigen hätte, und auf deren Ausarbeitung sodann die Aufhebung des Tilgungsfonds folgen könnte. Würde jene Revision, wie der Finanzminister bemerkte, zu lange Zeit in Anspruch nehmen, was jedoch kaum anzunehmen ist, so hielte es der Minister des Inneren || S. 225 PDF || für notwendig, mit dem vorliegenden Patente zugleich den detaillierten Ausweis des gesamten Vermögensstandes des Tilgungsfonds, aller Summen, die getilgt, und aller, die den Finanzen überwiesen werden, zu veröffentlichen.

Der Finanzminister bemerkte hierüber: die Zweckmäßigkeit der Aufhebung des Tilgungsfonds sei durch die allerseits anerkannte Wahrheit begründet, daß ein Staat, der sein jährliches Defizit durch Kreditoperationen decken muß, nicht daran denken könne, Schulden zu tilgen, daß vielmehr dazu nur dann zu schreiten sei, wenn wirkliche Überschüsse der Staatseinnahmen vorhanden sind. Diese Wahrheit, die auch von der Konferenz nicht bestritten wird, kann im gegenwärtigen Momente vom Publikum nicht verkannt werden; es ist also von der Veröffentlichung der Aufhebung des Tilgungsfonds ein übler Eindruck umso weniger zu besorgen, als damit zugleich die Einsetzung einer für die gute Gebarung im Staatsschuldenwesen die möglichste Garantie bietenden Kontroll­kommission bekanntgemacht wird. Vielmehr wird man im Publikum, wo es kein Geheimnis ist, daß der Tilgungsfonds fnur ein Scheinleben führt, so daß man sogar, obgleich mit Unrecht, gesagt hat, derselbe seie gebraucht, verbraucht und mißbraucht worden, eine Maßregel mit Zufriedenheit aufnehmen, wodurch der bisherigen scheinbaren Tilgung ein Ziel gesetzt und zur wirklichen Reinigung der Rechnungen geschritten wird. Die Überweisung des mit ca. 39 Millionen ausgewiesenen Vermögens des Tilgungsfonds an die Finanzen ist in dem Augenblicke, wo das Verwaltungsjahr mit gänzlich erschöpften Hilfsquellen begonnen hat und vorausgesetzt, daß noch im Laufe des Jahre einige Ersparungen im Staatsaufwande möglich sind, ein Defizit von 60–70 Millionen Gulden ist, höchst erwünscht und wird mit Zuhilfenahme der von Frankreich zu erhaltenden 40 Millionen jenes Defizit decken und seinerzeit, wenn die Auszahlung der Nationalanlehenskupons in Silber erfolgt und die Einsetzung der Budgetkommission pro 1861 bekannt sein wird, die Aufnahme einer größeren Kreditoperation zur Abtragung der Zwangsanlehensschuld an die Bank und zur Begleichung der Überschreitung der subskribierten Nationalanlehenssumme ermöglichen. Alle diese Rücksichten, deren Zusammentreffen die gute Wirkung auf den öffentlichen Kredit nicht verfehlen dürften, haben den Finanzminister bestimmt, beide Maßregeln, Aufhebung des Tilgungsfonds und Einsetzung der Kontrollkommission, in einem Patente zusammenzufassen. Gleichwohl erklärte er sich bereit, der Ansicht der Vorstimmen gemäß die sogleiche Aufhebung des Tilgungsfonds beziehungsweise Verfügung über dessen Vermögen gegenwärtig fallenzulassen und vorerst auf die sofortige Einsetzung der Kontrollkommission sich zu beschränken, welche als erste Aufgabe ihrer Tätigkeit den Stand des Tilgungsfonds zu untersuchen und Sr. Majestät darüber Bericht zu erstatten hätte. Was die Wiederaufnahme der Veröffentlichung der Prüfungsresultate der Gebarung des Tilgungsfonds betrifft, so besteht dagegen das Bedenken, daß man damit jetzt wieder, ohne die durch die Unterbrechung entstandenen Lücken auszufüllen, nicht wohl hervortreten kann; auch ist der letzte Sr. Majestät vorgelegte Ausweis vom ersten Semester 1859 noch in Ah. Händen. Wenn nun, nach seinem neuesten Antrage, die Kontrollkommission den Stand des Tilgungsfonds untersucht und Sr. Majestät darüber Bericht erstattet haben wird, so dürfte dann die schicklichste Gelegenheit zur Veröffentlichung des Standes || S. 226 PDF || und der Gebarung gegeben sei und derselben sich dann die periodischen weiteren Bekanntmachungen anreihen. Belangend die vom Kultusminister verlangte gTrennung der Staatsobligationenverfertigung vom Finanzministeriumf so war der Finanzminister bereit, die Leitung und Überwachung deren Erzeugung und Ausfertigung der Staatsschuldendirektion zu übertragen, wodurch, da diese letztere durch die unabhängige Zentralkommission überwacht wird, eine hinreichende Garantie geboten sein dürfte. Weiter zu gehen und die Disposition mit den Staatsschuldverschreibungen dem Finanzministerium ganz zu entzieheng, ja noch mehr, diese Verfügung sogar in dem Patente ausdrücklich auszusprechen, hieße von der Regierung verlangen, daß sie sich selbst ein Mißtrauenszeugnis ausstelle, und dazu könnte kein Finanzminister einwilligen. Der Kultusminister verharrte dagegen auf seinem diesfälligen Antrage, bemerkend, daß eine solche Verfügung dem Finanzministerium zwar unbequem sein möge, allein die einzig mögliche vollständige Garantie gegen Vorgänge der obenbemerkten Art gebe. Übrigens bestehe eine solche Einrichtung auch in Bayern, wogegen der Finanzminister erinnerte, daß Bayern doch nicht mit Österreich zu vergleichen sei, und daß nicht das Geschrei, das von Böswilligen über die mehrgedachte Überschreitung erhoben worden, sondern der Stand unserer Kurse den wahren Maßstab zur Beurteilung der Wirkung derselben abgebe. Der Kurs der Staatspapiere sei nämlich nach der Bekanntmachung des Nationalanlehensabschlusses nur um wenige Perzente gefallen, während sie doch, wäre der Kredit wirklich in dem vorgegebenem Maße erschüttert worden, unendlich tiefer hätte sinken müssen.

Nach der allgemeinen Erörterung wurde zur Beratung der einzelnen Paragraphen des Entwurfs übergegangen. Die darin mit roter Tinte ersichtlich gemachten Änderungen sind das Ergebnis der Zustimmung des Finanzministers zu den vorgekommenen Bemerkungen und wurden teils einstimmig, teils durch überwiegende Majorität angenommen. Dahin gehören namentlich der zu § 2 angehängte Zusatz g, womit jedoch, wie schon bemerkt, der Kultusminister sich nicht für befriedigt erklärte; sodann die Weglassung des § 4, welcher die beanständete allsogleiche Aufhebung des Tilgungsfonds enthielt und sofort durch den neu eingeschalteten § 9 ersetzt wurde. In betreff der Zusammensetzung der im § 8 eingesetzten Immediatkommission wurde von der Konferenz der größte Nachdruck darauf gelegt, daß selbe keine Glieder enthalte, welche mit der Staatsverwaltung im Dienstverhältnisse stehen. So wenig daher die Konferenz gegen die Tüchtigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Präsidenten der Obersten Rechnungskontrollbehörde etwas einzuwenden hätte, so könnte sie ihn doch schon aus der oben angeführten Rücksicht für die Präsidentenstelle der Kontrollkommission nicht in Vorschlag bringen. Es ward daher einstimmig beschlossen, darauf anzutragen, die Kommission habe aus sieben Mitgliedern (einschließlich des Präsidenten) zu bestehen, von denen drei, darunter der Präsident, von Sr. Majestät aus dem Kreise der Grundbesitzer und Kapitalisten zu ernennen wären. Über den Vorschlag eines dieser Mitglieder aus der Klasse der Kapitalisten hat sich die Konferenz nach dem Antrage des Finanzministers bereits geeinigt, || S. 227 PDF || nämlich daß dies Baron Rothschild sein möge. Bezüglich der Wahl des zweiten Mitgliedes und des Präsidenten wurde die Vereinbarung vorbehalten. Gegen den weiteren Antrag, zwei Mitglieder aus der Mitte der Nationalbank zu wählen, ergab sich keine Einwendung. Belangend die Beiziehung je eines Mitglieds aus der Niederösterreichischen Handels- und Gewerbekammer, dann der Wiener Börsenkammer, machte der Minister des Inneren die Bemerkung, daß der Handelskammer vielleicht der Wiener Magistratsausschußh substituiert werden dürfte. Die mehreren Stimmen waren jedoch für die Beibehaltung der Handelskammer, da sie die wichtigsten industriellen und kommerziellen Verhältnisse vertritt2.

II. Nachricht über Toaste bei der Jubelfeier des Primas

Der Kultusminister teilte mit, daß bei dem Bankett zur Jubelfeier des Primas von Ungern Toaste in ungrischer Sprache ausgebracht wurden, deren Publizierung nach einer dem Polizeiminister von Sr. k. k. Hoheit dem Herrn Erzherzog Albrecht zugekommenen telegraphischen Depesche von Höchstdemselben den ungrischen Zeitungen untersagt wurde und deren Veröffentlichung auch den hiesigen Zeitungen auf Verlangen Höchstdesselben untersagt werden soll.

Der Polizeiminister erbat sich hierzu und erhielt die Zustimmung der Konferenz, wornach sogleich das Erforderliche verfügt wurde3.

III. Abschreibung einer Restforderung für an Gemeinden verteilte Reichsgesetzblätter

Der Finanzminister referierte, daß für die im Jahre 1849 an die Gemeinden aller Kronländer verteilten Exemplare des Reichsgesetzblattes noch eine Forderung von 345.000 fr. bestehe, welche von denselben hereingebracht werden sollte. Nachdem jedoch die Einforderung der diesfälligen Beträge nach so langer Zeit und für einen aufgedrungenen Artikel den übelsten Eindruck, insbesondere bei den Landgemeinden hervorbringen würde, was auch der Minister des Inneren bestätigte, so erbat sich und erhielt der Finanzminister die Zustimmung der Konferenz zu dem bei Sr. Majestät zu stellenden Antrage auf Abschreibung dieser Restforderung4.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, den 23. Dezember 1859.